Mal kurz die Welt retten

image

Philipp von der Wippel, 20, studiert in Oxford Politik, Philosophie und Wirtschaft. Nebenbei unterstützt der Münchner Start-ups – und will die Gesellschaft verändern. Mit
Zuhör-Runden.

Von Theresa Parstorfer

Ein kurzes Gebet auf Latein, allseitiges Stuhlrücken und das Essen kann beginnen. Es ist Freitag, 19.15 Uhr, in der „Formal hall“ im St. Johns College in Oxford. Kellner in weißen Hemden tragen die Vorspeise auf: Linsensuppe. Seit mehr als einem Jahr gehören diese formellen Abendessen inklusive Anzug und Krawatte, Kronleuchtern und ehrwürdigen Speisesälen zum Leben von Philipp von der Wippel, 20. Er studiert im zweiten Jahr PPE, das steht für Politics, Philosophy und Economics. Das ist der Studiengang britischer Premierminister. David Cameron zum Beispiel.

Politiker möchte Philipp jedoch eigentlich nicht werden. Ihm gefällt das „wie“ der Politik nicht. Allerdings hat er auch nicht allzu viel für eine reine „Anti-Haltung“ übrig. „Ich glaube, man muss das System erst einmal so annehmen und akzeptieren, wie es ist, und dann überlegen, wie man von A nach B kommen kann, was nicht funktionieren wird, wenn man ausschließlich kritisiert, ohne konstruktiv zu denken“, sagt Philipp. Außerdem seien derzeit „Teile unserer Gesellschaft emotional verloren“. Und deswegen hat er nun begonnen, die Welt zu retten.

Das hat Philipp natürlich nicht gesagt – aber ganz vereinfacht lässt sich das so zusammenfassen. Wenn Philipp redet, hebt er seine großen, feingliedrigen Hände und drückt die Finger aufeinander, als würde er nach unsichtbaren Fäden greifen. Als würde er die Gesellschaft wieder zusammendrücken wollen, an den Stellen, an denen sie auseinanderdriftet.

Alles begann mit der amerikanischen Präsidentschaftswahl. Das Ergebnis bezeichnet er als „Paukenschlag“, aber auch als „Symptom“, als „Variable“. Einen Facebook-Post verfasste Philipp am Morgen, nachdem sich die Realität, dass Donald Trump 45. US-Präsident sein würde, in den sozialen Netzwerken manifestierte, denn „diesen Moment müssen wir ausnutzen. Jetzt wachen die Leute auf. Jetzt sind sie bereit, etwas zu tun.“ Es geht ihm darum, jetzt gerade nicht in Stigmatisierungen zu verfallen, sondern zu vereinen.

„In der Demokratie der Zukunft darf es nicht um das lauteste Schreien oder nur die Massentauglichkeit der Botschaften gehen – das ist seit heute klarer denn je. In diesem Sinne lasst uns gemeinsam planen, was jeder Einzelne von uns tun kann“, stand in seinem Post und die daraufhin gegründete Whatsapp-Gruppe „Democracy of the Future“ umfasste nach den ersten Stunden bereits mehr als 100 Mitglieder. Mittlerweile sind es mehr als 250 Mitglieder, und es bilden sich regionale Untergruppen – eine etwa in München.

Vergangenen Mittwoch fand das erste Treffen der Münchner Gruppe unter Leitung von Simon Böhm statt. Philipp war auch anwesend und hofft, mithilfe dieses Impulses in den verschiedensten Ländern, in den verschiedensten Städten „Menschen an einem Tisch zusammenzubringen, die sich aktuell gegenseitig meiden und die sich gegenseitig nur noch über Medien verurteilen“. 30 junge Menschen kamen, vorwiegend Studenten, alle Anfang bis Mitte 20. Im Mittelpunkt des Abends stand das Zuhören. Jeder hatte die Gelegenheit, seine Meinung zu einem bestimmten Thema einem Gesprächspartner zu vermitteln, der nur zuhören durfte – ohne seine eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen. Nach dem Abend berichteten Teilnehmer davon, als wie schön und erfrischend sie es empfunden hätten, wenn einem ehrlich zugehört werde. Anstatt sich bei Demonstrationen gegenseitig anzubrüllen, stellt sich Philipp diese Zuhör-Runden als Orte der politischen Begegnung vor.  

In den lokalen Gruppen soll man sich außerdem, so Philipps Idee, Gedanken darüber machen, wie Gesellschaft anders gestaltet werden könnte. Philipp spricht von Initiativen, die auf einfache Art und Weise Unterschiede und Vorurteile überkommen könnten. Altersheime und Kindergärten zusammenlegen ist eines seiner Beispiele.

Wenn Philipp von Berlin
schwärmt, dann nicht wegen
Berghain, Spätis und Subkultur

 Philipp hat Erfahrung damit, Impulse zu geben und Strukturen zu schaffen. Vor ein paar Jahren hat er „Project Together“ gegründet, eine Initiative, die Start-ups junger Menschen über einen Zeitraum von vier Monaten betreut. Damals hatte er noch nicht einmal Abitur. Und als er es dann hatte, bot ihm die BMW-Stiftung in Berlin eine Stelle an, um sich ein Jahr lang ausschließlich um „Project Together“ zu kümmern und ein professionelles Unternehmen daraus zu machen. Damals hatte er sich nach einem zweimonatigen Backpack-Trip durch Südamerika noch schnell während des Rückflugs über sein Handy eine WG in Berlin gesucht. Bei der Erinnerung lacht er. „Heute würde ich da nicht mehr hinziehen, aber ich habe tatsächlich lediglich geschaut, welche Wohnung den kürzesten Weg zum Büro hatte“, sagt er. In der Habersaathstraße landete er, zwischen Wirtschaftsministerium und dem neuen BND-Gebäude. „Die besten Nachbarn“, sagt er. Wieder lacht er, leichte Zweifel an der Ironie entstehen dennoch. Denn wenn Philipp von Berlin schwärmt, dann nicht wegen Berghain, Spätis und Subkultur, sondern „wegen der Nähe zu politischen Ereignissen“ und den Menschen, die er dort getroffen hat, den Kontakten, die er knüpfen und die Arbeit, die er leisten konnte.

Es sei es eine gewisse Herausforderung gewesen, Unterstützer von der Glaubwürdigkeit zu überzeugen, wenn der Altersunterschied so groß ist. „Du musst immer ein bisschen härter und auch ein bisschen besser arbeiten als jemand, der vielleicht schon zehn Jahre mehr Erfahrung hat, nur um den Vertrauensbonus auszugleichen,“ sagt Philipp. Auch der Erfolg der von Project Together betreuten Projekte spricht für sich. Frederic Meyer-Scharenberg, 27, ist Mitglied eines Münchner Gründerteams von „Crowd-guard“, einer in nächster Zeit auf den Markt kommenden App, die sich für Zivilcourage und Sicherheit einsetzt. „Wir hätten das vielleicht auch ohne Project Together geschafft, aber es ist schon sehr viel schneller und strukturierter abgelaufen“, sagt Frederic.
 Philipp liest Kant, Marx, Nietzsche und er verwendet Worte wie „Synergien“ und „Überbau“ und „Derivat“. Ein weiteres Projekt, das sich mit der Frage nach gesellschaftlicher Gestaltung beschäftigt, ist ein Buch, in dem ein bestimmtes Ereignis oder eine gesellschaftliche Situation aus 16 verschiedenen Blickwinkeln beschrieben werden soll. „Auch wenn es natürlich gefährlich ist, ‚Populismus‘ als Begriff zu benutzen, so denke ich doch, dass es wichtig ist, auch Menschen mit sehr anderen politischen Ansichten zu erreichen, ihren Sorgen ernsthaft zuzuhören und dadurch gegenseitiges Vertrauen zurückzugewinnen. Ohne dieses Vertrauen stehen wir uns gegenseitig im Weg und können keinen gesellschaftlichen Fortschritt erzielen“, sagt Philipp. Jetzt muss das Buch nur noch geschrieben werden, doch das scheint Philipp nicht zu beunruhigen – trotz zweier Essays pro Woche, trotz der Arbeit für Project Together, für die er immer wieder übers Wochenende nach Deutschland fliegt.

Ob ihm manchmal die Kraft ausgeht? Er überlegt. Der „Workload“ sei viel, natürlich, aber eigentlich lebt er genau das Leben, das er leben möchte. Er nennt das „Flow“, „Drive“, „Call“ – das „sich lebendig fühlen“, wenn man merkt, dass man die Chance und vielleicht auch die Verantwortung hat, jetzt etwas zu verändern.