Mütter müssen die Welt außerhalb ihrer Obhut für lebensfeindlich halten. Für einen Ort, an dem es kaum Nahrung und keine Waschmaschinen gibt.
„Mama, er kann doch seine Wäsche alleine waschen“, sage ich. Er ist schließlich 25, berufstätig und lebt mit Freundin und Katze ein paar Orte weiter. Außerdem ist mein Bruder Elektrotechniker: Er kann die Software für Autos programmieren, da wird er wohl mit der Einstellung für eine Buntwäsche fertig. Aber Mütter verfügen über eine spezielle Logik. „Ich muss doch eh waschen“, sagt Mama, ganz so, als wäre mein Bruder nicht größer als 1,80 Meter und hätte Unmengen gefütterter Sweater. Mehr, als würde er noch immer winzige blaue Strampler tragen, die in der Maschine sowieso keinen Platz wegnehmen.
Meine Mutter ist kein Einzelfall. Eher die Regel. „Wenn ich nach Hause fahre, fragt meine Mutter immer, wo ich meine Wäsche habe …“, sagt Judith und versucht anschließend mimisch auszudrücken, welche Übel auf sie zukommen, wenn sie sich traut, ihre Wäsche selbst in die heimische Waschmaschine zu befördern. Es ist ein Abend in der lebensfeindlichen Welt fernab unserer Elternhäuser; trotzdem tragen wir – wie durch ein Wunder – saubere Kleidung und essen ein Blech selbst gebackener Pizza. Das verdanken wir unseren Eltern, die uns vor Jahren beigebracht haben, uns fortzubewegen, anzuziehen und zu ernähren. Sie haben uns alle zur Selbständigkeit erzogen, bis wir ausgezogen sind. Dann haben sie den Kurs umgedreht.
Jetzt fahren wir nach Hause, wo man uns – von sämtlichen Pflichten entbunden – mit Massen von Kuchen und Bratensoße in ein Wochenend-Delirium versetzt. Ich zumindest schaffe es nie, auch nur einen der Texte für die Uni, die ich mir fürs Wochenende vorgenommen habe, auch tatsächlich zu lesen. Stattdessen schaue ich mir in Endlosschleife auf einem der tausend Fernsehsender meiner Eltern ein Testbild an, bei dem ein Koboldmaki eine Scheibe Banane isst. Und wenn ich dann Sonntagabend den Zug zurück in eine ausgekühlte Wohnung nach München nehme, kommt mir die Welt außerhalb von Mamas Wirkungsmacht wirklich feindselig vor: kalt, schmutzig und anstrengend. Wenigstens hat Mama mir genug Kuchen eingepackt. Susanne Krause
Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.
Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.