Vanessa Thuille, 21, Aysegül Kizakli, 23, und Nadine Gardisch, 24, leiten das Projekt „Save The Plate“.Sie wollen kleine Hilfsorganisationen unterstützen – und nebenbei die Lebensmittelverschwendung bekämpfen.
Von Jennifer Lichnau
Elf Leute reden durcheinander. Jeder hat eine andere Vorstellung, aber alle dasselbe Ziel! Das kann anstrengend sein. Besonders für Nadine Gardisch, 24, Vanessa Thuille, 21, und Aysegül Kizakli, 23. Sie leiten das Projekt „Save The Plate“, das es seit März dieses Jahres gibt. Ziel ist, die Lebensmittelverschwendung in München zu bekämpfen. Ein weiterer Schwerpunkt gibt dem Projekt eine soziale Färbung: Die vor der Entsorgung geretteten Lebensmittel sollen ausschließlich an kleine Hilfsorganisationen gehen, die schlecht vernetzt sind und deswegen wenig Aufmerksamkeit bekommen.
Nadine, Vanessa und Aysegül sitzen nebeneinander an einem Tisch. Die Luft im Zimmer ist noch etwas stickig, die acht anderen Mitglieder von „Save The Plate“ haben gerade erst den Raum verlassen. Die drei Studentinnen bleiben zurück, um die Ergebnisse der Sitzung zu besprechen. Vanessa ist mit ihren 21 Jahren die Jüngste in der Gruppe und hat trotzdem gelernt, sich durchzusetzen. Ihre Haare sind zu einem blonden Pferdeschwanz gebunden. Sie lächelt verschmitzt, vor allem dann, wenn sie von den Erfolgserlebnissen der Gruppe erzählt. „Wenn der Wille da ist, funktioniert alles“, sagt sie. Zumindest fast alles. Die Beta-Version ihrer Webseite ist seit vorvergangenem Sonntag online. Noch ist es nur die Beta-Version, noch fehlen sogenannte Nehmer. Das System ist an sich sehr simpel. Eine interaktive Stadtkarte soll aufzeigen, wo Essen abzugeben ist und wo Essen gebraucht wird. Die (Ab-)Nehmer sind Hilfsorganisationen mit Bedarf, die Essens-„Geber“ sind all diejenigen, die Überschuss haben und Nahrungsmittel nicht wegwerfen, sondern abgeben wollen. Von der Privatperson über den kleinen Gemüsehändler um die Ecke bis hin zur großen Bäckereikette kann das jeder sein. Wenn erst mal alles funktioniert wie geplant, kann der Geber sogenannte digitale Essensteller hochladen. Wer darauf klickt, sieht genau, was an Lebensmitteln abzugeben ist. Der Essensteller ist auch das Symbol für „Save The Plate“.
Ein erstes Erfolgsbeispiel ist die Kooperation mit „Culture Kitchen“. Das Kochprojekt versammelt einmal im Monat Flüchtlinge und Einheimische. Sie kochen zusammen, essen zusammen und lernen sich kennen. Bisher hat sich „Culture Kitchen“ die Lebensmittel selbst finanziert, von jetzt an bekommen sie Spenden von „Save The Plate“. „Abgesehen von der inhaltlichen Umsetzung ist allein schon die Botschaft, wahnsinnig wertvoll“, sagt Vanessa, „nicht jeder soll von heute auf morgen alles ändern, um es dann eine Woche später wieder zu vergessen. Wir wollen ein Zeichen setzten und ein nachhaltiges Umdenken fördern, das geht nur Schritt für Schritt.“
In Deutschland schmeißt jeder Bürger pro Jahr durchschnittlich 82 Kilo gut erhaltene Lebensmittel weg. Die Studenten von „Save The Plate“ waren erstaunt, dass viele – mit dieser Information konfrontiert – total überrascht reagieren.
Momentan beschränkt sich der Infokanal der Organisation auf Facebook. Mit 219 Likes ist die Reichweite noch gering. „Wenn man ein solches Projekt anleitet, stößt man ständig auf irgendwelche Schwierigkeiten“, sagt Aysegül. Bevor sie etwas sagt, zieht sie ihre Stirn in nachdenkliche Falten. Nadine und Vanessa stimmen ihr zu. Der Ehrgeiz der Studenten ist mit dem Projekt mitgewachsen. Mittlerweile hat jeder in der Gruppe seinen Platz gefunden, die Arbeitsteilung funktioniert besser und nach den ersten Erfolgserlebnissen, wie der Einladung zum Future-Award in Frankfurt, ist das Team gestärkt.
„Es ist sehr wichtig, dass man auch mal rauskommt aus dem Stress vor Ort und merkt, dass man als Gruppe wahrgenommen wird“, erzählt Vanessa. Beim Future- Award haben sie nicht nur Aufmerksamkeit geerntet, sondern auch viel positives Feedback und wertvolle Tipps bekommen.
Die Studenten organisieren das Projekt neben dem normalen Unialltag, das kostet Zeit und Kraft. „Ohne ehrenamtliches Engagement würde in der Gesellschaft ein großes Loch entstehen, das ist uns allen jetzt bewusst“, sagt Nadine mit Nachdruck in der Stimme. Sie hat feine Gesichtszüge, ihre Stimme ist zart und nimmt oft eine besorgte Färbung an. Gibt es Wünsche für die Zukunft? Kurz herrscht Stille. Die drei Studentinnen müssen ihre Gedanken ordnen. Durch die geöffneten Fenster tritt frische Luft in den Seminarraum. Aysegül lächelt. „Man lernt vor allem auch viel über sich selbst und die Arbeit in und mit der Gruppe“, sagt sie.
Keine der jungen Studentinnen hat zuvor schon mal an einem derartigem Projekt mitgewirkt, geschweige denn eine Leitungsfunktion innegehabt. Der anfängliche Idealismus ist einem engagiertem Pragmatismus gewichen. Wichtig sind ohne Zweifel die Erfolgserlebnisse, vor allem für den Zusammenhalt der Gruppe. Bei der Feier anlässlich der Freischaltung ihrer Webseite haben die elf Lebensmittelretter zwar auf ein anstrengendes Jahr zurückgeblickt, trotzdem waren sie alle zufrieden. Mit dabei war auch die Initiative Culture Kitchen. Und als die Studenten auf die Flüchtlinge treffen, bekommen sie das erste mal eine Rückmeldung, die wirklich zählt. Auch ohne große Worte kommt die Begeisterung zum Ausdruck, auf beiden Seiten. Das Ziel bleibt ein großes, die Schritte dahin bleiben erst mal klein.
Foto: Stephan Rumpf