Pop und Popcorn

Marie Bothmer, 21, ist bei einer großen Plattenfirma unter Vertrag. Ihr erster Song ist auf dem Soundtrack von Cros Film „Unsere Zeit ist jetzt“ zu hören. Wie ihr das gelungen ist? Mit Ehrfurcht – und Vernunft.

Film ab: Mädchen blickt aus Zug, das Abteil ist leer. Draußen eine verregnete Landschaft. Der Regen prasselt laut gegen die Scheibe und eine einzelne, einsame Träne läuft der Protagonistin über die gerötete Wange. Aus dem Off ertönt Musik, langsam erst, dann lauter, leichtes Gitarrenspiel mit kleinen, traurigen Pianotüpfelchen und einer Frauenstimme, die mitten ins Herz trifft.

Diese Szene ist natürlich frei erfunden oder besser: angelehnt an diverse romantische oder melodramatische Filme, in denen ein einzelner Song das Tor zu sämtlichen ungeahnten Gefühlswelten öffnet. „Und ich wollte eben immer die sein, die zu so einer Filmszene den Song beisteuert“, sagt Marie von Bothmer. Sie sitzt in der Münchner Loretta-Bar, nippt an ihrem Cappuccino und unterscheidet sich in diesem Moment kein bisschen von den anderen Studentinnen in dem Lokal.

Marie ist 21 Jahre alt und hat ihr gewelltes, dunkelblondes Haar zu einem hohen Zopf gebunden. Die junge Frau mit den grünen Augen erzählt selbstverständlich und selbstbewusst von ihren Träumen. Die sind in jüngster Zeit in greifbare Nähe gerückt. Marie Bothmer, die für ihre musikalische Laufbahn auf das „von“ in ihrem Namen verzichtet, hat soeben ein Konzert von Andreas Bourani eröffnet, eine Open-Air-Show in Tettnang am Bodensee mit rund 3000 Besuchern. „Andreas hat meinen Song irgendwo gehört und mich dann als Vorband für einen Auftritt gebucht“, sagt Marie.

Das Lied, das Andreas Bourani hörte, heißt „Es braucht Zeit“, ein Song, der es vergangenen Herbst auf den Soundtrack von Cros Film „Unsere Zeit ist jetzt“ schaffte. Ein wichtiger Schritt für Marie Bothmer und ein Türöffner noch dazu. Im September 2016 unterschrieb sie einen Plattenvertrag
bei DolceRita, zwei Wochen bevor Cros Film in den Kinos startete. DolceRita gehört zur Warner Music Group und hat unter anderem Udo Lindenberg im Programm, ein richtiger Major-Deal also, und das, obwohl Marie damals erst einen einzigen Song in Planung hatte. „Es braucht Zeit“ ist ein einschlägiger, langsamer Pop-Song mit Hit-Potenzial, der von den lebenswichtigen Nichtigkeiten eines jungen Menschen handelt. „Ich war nicht ehrlich zu dir, ’ne weiße Lüge zu viel“, singt Marie mit klarer, aber durchaus spezieller Stimme. „Du hast mich so oft gewarnt und ich hab’s trotzdem gemacht. Deswegen rannte ich los, doch ich wusste nicht, wohin ich soll. Denn mein Ziel warst immer nur du.“

„Bereits beim ersten Hören der Demos war uns klar, dass wir diese junge Frau unter Vertrag nehmen müssen und dass eine erfolgreiche Karriere auf sie wartet“, sagt Rita Flügge-Timm, Chefin von DolceRita Recordings, und wirbt weiter für ihre neue Künstlerin: „Marie ist eine außergewöhnliche, zielstrebige junge Frau, deren Stimme uns bis ins Mark berührt und die einen unglaublichen Wiedererkennungswert hat – auch in ihrer Textwelt, in der wir uns alle wiederfinden.“

Mehr als 860 000 Mal wurde „Es braucht Zeit“ mittlerweile auf Youtube angeschaut, auf Spotify hat es fast die Millionenmarke geknackt. Vor rund zwei Monaten hat Marie Bothmer nun ihren zweiten Song „Gewinner“ veröffentlicht. „Wir wollen Gewinner sein, doch könn’ am Ende nur verlieren“, singt sie. „Denn Gewinner stehen am Ende ganz allein da.“ Das klingt ein bisschen nach Plattitüde – ist tatsächlich aber nicht weit entfernt von den Lebensrealitäten einer 21-Jährigen, die gerade einen Vertrag bei einer großen Plattenfirma unterzeichnet hat, als Vorband vor Künstlern wie Andreas Bourani oder Max Giesinger auftritt und nebenbei bereits Mädchenschwarm Cro ohne Panda-Maske gesehen hat.

Um zu verstehen, wie die junge Frau, die nebenbei im Kino jobbt und für ein Amerikanistik-Studium vom Chiemsee nach München zog, in so kurzer Zeit den Sprung ins große Musikgeschäft geschafft hat, muss man den Film zurückspulen: Marie, geboren und aufgewachsen im Chiemgau, singt schon als Kind. Ihre Eltern schenken ihr eine Gitarre, fortan komponiert sie eigene Songs, die so gut sind, dass sie schon als Teenager ein gern gesehener Act auf Familienfeiern und Hochzeiten ist.
Menschen, die damals auf einer dieser Feierlichkeiten waren, erinnern sich noch heute daran, wie beeindruckend die selbstgeschriebenen Liebeslieder der jungen Sängerin waren. Marie singt immer auf Englisch, studiert nach dem Abitur kurzzeitig auch Amerikanistik in München, „obwohl ich eigentlich schon wusste, dass ich richtig Musik machen möchte“.

Sie nimmt einen Song auf, lädt das Ergebnis auf Soundcloud hoch und postet den Link in die Facebook-Gruppe „Musiker in München und Umgebung“. 58 Sekunden dauert der Ausschnitt, mit dem sie den Münchner Produzenten Hubertus Dahlem, der unter anderem mit Sänger Adel Tawil (Ich+Ich) arbeitet, für sich gewinnt. Der wiederum überzeugt dann Maries Eltern davon, dass er alles andere als ein zwielichtiger, sondern ein professioneller Musikproduzent ist. Marie lacht laut, als sie erzählt, dass „meine Mutter mich erst einmal gefragt hat, ob er nur nach meiner Stimme oder auch nach Bikini-Fotos gefragt hat“.

Auch bei Marie muss der Produzent Überzeugungsarbeit leisten – er rät ihr, fortan auf Deutsch zu singen. „Davon war ich am Anfang gar nicht so begeistert“, sagt die junge Münchnerin (übrigens ohne einen Anflug von Dialekt) und lacht. Mittlerweile sieht sie das anders und resümiert: „Die Leute, die mit mir gemeinsam Songs schreiben, kennen mein Inneres.“

Fast ein Jahr ist das her, ein Jahr, in dem Marie Bothmer weit gekommen ist. Jetzt, im September veröffentlicht sie ihren neuen Song „Fieber“, Anfang 2018 soll das Album folgen. Sie wird Pop-Sänger wie Max Giesinger und Johannes Oerding auf Tour begleiten und in München auf dem Festival „Sound of Munich Now“ spielen. Natürlich hat Marie mit Warner Music einen starken Partner im Rücken; einen, der für Videodrehs Stylisten und einen Booker für Konzerte organisiert. Vor allem aber hat Marie ausreichend Respekt vor dem Pop-Genre. Sie weiß, dass ein Major-Vertrag auch bedeutet, „dass man vorher prüft, ob ein Song Radio- oder Hit-Potenzial hat“ und dass man Social-Media-Kanäle wie Instagram oder Youtube pflegen muss, um auch eine jüngere Zielgruppe zu erreichen.

Mit ihren Produzenten Hubertus Dahlem, Frederic Todenhöfer und Ingo Politz verschanzt Marie sich jetzt schon einmal zum Songschreiben in den Bergen. Von Stunden wie diesen berichtet sie einnehmend und wortmächtig. Wenn sie erzählt, wirkt sie älter als 21, vielleicht auch, weil sie ihren Nebenjob im Kino ebenso ernst nimmt wie den Musikeralltag. Marie weiß ganz genau, wie lange man von einem Vorschuss bei ihrem Plattenvertrag mit Warner leben kann und wie wenig ein Spotify-Klick finanziell bedeutet. Und schaut dann schnell auf die Uhr, „weil ich heute noch im Kino arbeite. Ich mache Popcorn.“ Leben kann Marie Bothmer von der Musik nicht. Noch nicht.


Text: Valerie Präkelt

Foto: Ben Wolf / Warner

Geflasht

Chris Buchbinder und Nono Adjamgba haben einen Schuh mit Blinksohle entwickelt. Sänger Cro soll interessiert sein. Und jetzt hat sich auch der Styling-Berater von Justin Bieber in München gemeldet

Man sieht Chris Buchbinder und Nono Adjamgba an, dass ausgefallene Mode zu ihnen passt. Irgendwo zwischen Hip-Hop und Hipster kombinieren die beiden 27-Jährigen College-Jacke und Hut, Hemd und Sneaker. Der Weg zum Label war nach einer gemeinsamen Ausbildung zum Fahrzeuglackierer nicht unbedingt vorgezeichnet – und auch der Erfolg, der sich gerade anbahnt, überrascht. Überrascht? Das ist untertrieben. Es kann einen schon ein wenig aus der Fassung bringen, wenn ein kanadischer Popstar mit knapp 13 Millionen verkauften Platten und 72 Millionen Facebook-Fans Schuhe aus München tragen will. Doch der Reihe nach.

2006 haben sich Chris und Nono bei ihrer Ausbildung kennengelernt, dann trennten sich ihre Wege für einige Zeit. Nono ging zur Bundeswehr, Chris machte erste Erfahrungen an einer Modeschule. Als sie sich Jahre später wiedersehen, schlägt Chris die Idee für das Modelabel Dito vor. „Ich habe ihn damals ausgelacht“, erzählt Nono und grinst, „aber ich war auch schon immer begeistert von Kleidung.“ Im April 2014 ging es los – Chris hat sich um die Designs und Schnitte gekümmert, während Nono den Online-Shop und das Marketing übernommen hat.

Biebers Stylist Ryan Good
schlägt ein Foto-Shooting
für das „Billboard Magazine“ vor

Eigentlich wollten sie mit Dito vor allem T-Shirts, Jacken und Mützen produzieren. Aber die Kleidungskollektion steht derzeit etwas im Hintergrund – alles wegen „B. Allen“, das ist der Name vom aktuellen Verkaufsschlager von Dito. Den leuchtenden Schuh haben Chris und Nono nach dem Comic-Charakter Barry Allen benannt, der als „Flash“ den Kampf gegen das Verbrechen aufnimmt. „Der Schuh war eine Idee, um unser Angebot breiter zu gestalten“, erklärt Chris. „Dass die Sohle blinkt, sieht einfach geil aus und hat nostalgischen Charakter – früher gab es Kinderschuhe, die an der Ferse geblinkt haben und die keiner haben durfte. Heute produzieren wir die Schuhe einfach selbst.“

Was als kleines Projekt gedacht war, ist jetzt die Hauptaufgabe der Dito-Gründer. Ein Leuchtschuh fällt eben auf. Über Abraham Duke, Künstlername MacDuke, dem Filmproduzenten von Cro, sei, so sagen sie, der Kontakt zum Rapper entstanden. „Dann gingen die Bestellungen schon schnell in die Höhe“, sagt Nono und fängt an zu schmunzeln, „aber da wussten wir noch nicht, was uns erwartet.“ MacDuke streitet jedoch ab, Teil des Höhenflugs zu sein: „Die Jungs haben mir versprochen, den Schuh zuzuschicken, auch weil sie wissen, dass ich mit Cro zusammenarbeite. Ich habe leider nie was bekommen.“

Trotzdem wurde man auch außerhalb Deutschlands auf den Schuh aufmerksam. Chris fängt an zu erzählen, man merkt beiden die Begeisterung an: „Vor einigen Wochen bekam ich spät am Abend eine Mail – vom Stylisten von Justin Bieber. Er hatte unseren Schuh gesehen und will Justin gerne damit ausstatten.“

Über Fotos auf Instagram und Modeblogs wie Marc Medusa haben die Schuhe immer mehr Aufmerksamkeit bekommen – „so hat sie dann auch der Mitarbeiter von Justin Bieber entdeckt,“ sagt Chris und zeigt die E-Mail von Ryan Good, Stylist und bis vor kurzem Fashion-Coach des kanadischen Popstars. „Please forward me to the person who handles men’s press“, schreibt Good in der E-Mail, und erklärt im folgenden Satz: „Would like to use your LED sneakers for an editorial shoot with Billboard Magazine.“ Doch damit nicht genug. In Kopie ging die Mail auch gleich an JP Robinson, zuletzt Artdirector der Plattenfirma Def Jam Recordings. „Robinson hat dann prompt vorgeschlagen, Justin könnte die LED-Schuhe doch bei einem Fotoshooting für ein Cover der Zeitschrift tragen“, erzählt Chris.

Sollte dieses Projekt Realität werden, stehen Chris und Nino vor einer riesigen Herausforderung. Chris betont, wie wichtig es ist, das Wachstum des Labels selber steuern zu können. „Wir wollen die Entscheidung treffen, wie schnell es mit Dito weitergeht. Aktuell können wir das noch, zum Beispiel, wie viele Paar Schuhe wir herstellen lassen.“ Trägt ein Prominenter wie Justin Bieber den Schuh, dann werden die Bestellungen enorm in die Höhe schnellen. „Wir sind uns bewusst, dass eine solche Entwicklung sich nicht mehr steuern lässt“, stellt Nono fest, „und wir haben enormen Respekt vor der Aufgabe, die da potenziell auf uns zukommt. Aber wir haben keine Angst.“
 Beide sind sehr ernst, wenn sie über die Zukunft reden. „Wir müssen uns auf alles vorbereiten, egal ob wir 500 oder 5000 Bestellungen bekommen. Aber wir sind intern sehr stark, wir haben die gleichen Interessen und Ziele für das Label“, sagt Chris. Nono nickt zustimmend.

Diese Größenordnung ist von äußerster Wichtigkeit. Die erste Schuhbestellung beinhaltete vier Paar. Mittlerweile lässt Dito fast 500 Paar im Monat produzieren, 119 Euro kostet der Sneaker. Sollten diese Zahlen rapide ansteigen, haben sowohl Dito als auch ihre Produzenten in Peru und China ein Problem – beide haben eingeschränkte Kapazitäten. „Wir sind aktuell kein Mainstream-Label. Wir können nicht alle bedienen, aber wir wollen auch nicht alle bedienen“, erklärt Chris.

Dem Status und der Aufmerksamkeit, die der Schuh ihnen momentan beschert, sind die beiden trotzdem nicht abgeneigt. Für die Zukunft von Dito kann diese Möglichkeit entscheidend sein. Das Fotoshooting mit Justin Bieber ist für den Sommer geplant. Wenn es denn wirklich klappt. Chris und Nino und alle Beteiligten verfolgen jetzt gespannt, ob der Schuh im Billboard Magazine landet. Die Ruhe können sie jetzt nicht genießen, dafür gibt es zu viel Arbeit.

Matthias Kirsch

Foto: Alexander Gorodnyi