Es ist nicht alles Gold was glänzt. Unsere Autorin erzählt, wie das Leben an einer Elite-Uni wie Oxford mit einer extremen psychischen Belastung einhergeht.
Leise summt die Heizung. Wenn der automatische Türöffner betätigt wird, ertönt ein schnappendes Geräusch. Im Nebenraum klappern die Tastaturen der Empfangsdamen. Wartezimmer sehen wohl überall gleich aus. Stühle, ein Wasserspender und Zeitschriften auf einem Beistelltisch. An der Pinnwand Anzeigen für Selbsthilfegruppen, kreative Therapie-Formen und Notrufnummern bei ungeplanter Schwangerschaft oder sexueller Belästigung.
Ich spiele mit dem Reißverschluss meines Anoraks, während ich verstohlen zwei andere Menschen beobachte. Eine junge Frau mit langen, braunen Haaren und einem grauen Rucksack und einen jungen Mann mit blonden Locken, Bart und roten Turnschuhen. Dann werde ich von einer älteren Dame mit kurzem, grauem Haar, ebenfalls roten Schuhen und einer langen schwarz-weißen Strickjacke gebeten, ihr zwei Treppen hinauf in ihr Sprechzimmer zu folgen.
In Oxford gibt es Geschichten, vielleicht mehr Gerüchte als Wahrheit, aber doch sehr aussagekräftig, darüber, dass einer der mittelalterlichen Türme des Magdalen-Colleges während der Prüfungsphasen für Studenten gesperrt wird. Runtergesprungen seien da schon Leute. Aus Verzweiflung. Die Uni-Homepage weist eine ganze Rubrik für „Counselling“ auf, unter der man sich über die Therapie-Angebote der Universität erkundigen oder auch nur Podcasts gegen Schlaflosigkeit, Schreibblockaden oder Selbstzweifel anhören kann.
Oxford ist ein großer Name. Ein großer, schwerer Name. Ein Name, hinter dem sich nicht nur Ruhm und Bedeutung und Qualität verbergen, sondern nicht selten übersteigerte Erwartungen und Ansprüche. Und Angst.
Ich weiß nicht, wie oft ich schon gelähmt vor meinem Laptop gesessen bin, angesichts der Aufgabe, aus dem Stegreif in 1500 Wörtern meine (argumentativ begründete) Meinung zu Abschiebepraktiken in europäischen Ländern auszudrücken. Oder auch, wie oft ich weinend in einer Ecke meines Zimmers gekauert bin, aus lauter Angst davor zu versagen, die Prüfungen nicht zu bestehen, all meine Hoffnungen und Fantasien von einer Universität, von der ich geträumt habe, seit ich elf Jahre alt war, zerschmettern zu sehen, an den Klippen meiner eigenen Unfähigkeit.
Jetzt sitze ich in einem weichen, mit Samt bezogenem Ohrensessel und erzähle der freundlichen Dame mit grauem Haar, dass ich zwar nach wie vor nicht schlafen kann, dass ich aber trotzdem versuche, nicht mehr allzu sehr an die Prüfungen zu denken, sondern zu genießen, dass es Frühling wird und dass mir mein Kurs doch immer wieder Spaß macht und ich es als großartige Erfahrung empfinde, von all diesen genialen Professoren unterrichtet zu werden. Mein vierter Counselling-Termin ist das, und offenbar wird es der letzte sein, denn am Ende will die Therapeutin wissen, ob ich glaube, dass ich für den Rest des Jahres klarkommen werde. Sie betont zwar, dass ich jederzeit wiederkommen kann, wenn es wieder zu hart wird, aber das ist alles, was sie im Moment für mich tun kann. Ich nicke tapfer.
Auch in München war ich nicht selten am Zweifeln, ob ich gut genug, klug genug, fleißig genug für mein Studium war, aber ich hatte nie Angst, nicht irgendwie durch die Prüfungen zu kommen, ich bin nie weinend zusammengebrochen, ich hatte nie Angst vor dem Aufstehen und ich habe mich nie gelähmt gefühlt angesichts eines Namens und einer Tradition. Die Tatsache, dass all das in Oxford nicht unüblich zu sein scheint – warum sonst eine ganze Website, ein ganzes Gebäude, eine ganze Kohorte aus Psychologen, um Studenten psychisch wieder auf Kurs zu bringen? – lässt mich überlegen, ob es das alles wert ist.
Vielleicht ist auch genau das der richtige Gedanke, um Oxford zu „entzaubern“. Auch Oxford ist nur ein Ort, wenn auch ein besonders schöner und inspirierender, aber egal, was am Ende des Jahres als „Resultat“ dabei herauskommt, es ist es nicht wert, daran zu zerbrechen.
Text: Theresa Parstorfer
Foto: Privat