Gitarren-Sounds und starke Worte

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Am gestrigen Samstag spielten Heroine Twin und Willing Selves ein Akustikset mit entspannten Gitarren-Sounds. Poetry Slammerin Meike Harms und Comedian Sebastian Ulrich überzeugten das Publikum im Farbenladen mit starken Worten. So war der zweite Samstag im Farbenladen:

Es herrscht viel Trubel im
Farbenladen. Der hell erleuchtete Raum wirkt im Kontrast zum grauen Wetter
draußen sehr einladend und familiär. Während manche Besucher von einem Foto zum
anderen schlendern, stimmen die Gitarristen von Heroine Twin die ersten Takte
von „Nothing else Matters“ von Metallica an. Um Anton von der Band Willing
Selves steht eine Gruppe junger Leute, die viel lacht und herumalbert. Seine
Schwester Antonia schaut sich währenddessen die Fotos an, doch dafür bleibt
vorerst keine Zeit. Die beiden Geschwister, die seit zwei Jahren in München
auftreten, eröffnen das Rahmenprogramm des zweiten Ausstellungssamstags im
Farbenladen mit einem Akustikset. Während sie spielen, laufen draußen Leute am
Farbenladen vorbei, bleiben stehen und betreten ihn zurückhaltend, jubeln den
Musikern dann am Ende jedes Lieds zu. Für Willing Selves, die in der Regel eher
elektronische Musik machen, ist es das erste Mal, dass sie akustisch spielen
und sind begeistert: „Das war einer unserer besten Auftritte. Nur unsere
Stimmen und die Gitarre waren im Vordergrund. In Zukunft wollen wir auf jeden
Fall mehr in Richtung Akustik gehen.“

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Nach einer kurzen Pause tritt die
Poetry Slammerin Meike Harms auf. Ihre gesellschaftskritischen Texte, die sich
darum drehen, dass man das Glück daran erkennt, indem man es fotografiert und
es auf Instagram hochlädt, regt das Publikum zum Nachdenken an. Mit ihrem Text
über die sogenannte leistungsorientierte Freude und wie schwierig es sein kann,
richtig glücklich zu sein, möchte sie bewusst die Stimmung kippen, wie sie sagt
und verstellt ihre Stimme jeweils einige Oktaven höher oder tiefer und rollt
das R dabei stark. Auch bezieht sie sich auf die Fotografie, indem die Kunst
grenzenlose Wahrheit schafft und ein Bild mehr als tausend Worte sagt. Auf die
Frage, was das genau bedeute, meint sie, dass jedes Bild eine große Interpretationsfreiheit
besitze und die Wahrheit subjektiv wäre: „Die Fotografen möchten alle etwas
abbilden, doch jede Person sieht das Bild mit anderen Augen und interpretiert etwas
anderes hinein. Daher denke ich, dass ein Foto viele verschiedene Botschaften
rüberbringen kann.“

Danach ist der Comedian Sebastian
Ulrich mit seinem kurzen, aber selbstironischen Programm dran. Auch er stellt
sich die Frage, was die Leute dazu bringt, für ein gutes Instagram-Foto das
heimische Sofa zu verlassen und irgendwo hinzugehen, nur um ein gutes Foto für
Instagram zu bekommen. Er erzählt, wie er auf Open Mic-Stages „grandios
gescheitert“ ist. Spricht viel mit dem Publikum und albert mit den Gästen herum.
Dadurch macht er die gemütliche Atmosphäre noch familiärer: „Wir sind alle als
Freunde hier.“

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Zum Abschluss gibt Heroine Twin ein
akustisches Konzert. Auch für sie war es neu, in einer gemütlichen Runde ein
Akustikset zu spielen, nachdem normalerweise zwei E-Gitarren und Headbangen zum
festen Repertoire der Auftritte der Band gehören. Haben sie am Anfang noch
leiser gespielt, wird die Gitarre immer lauter und die Stimme der Sängerin
Marina immer kräftiger, die selbst dann kurz vorm Headbangen ist und das
Publikum damit ansteckt. Der Applaus ist nach dem Konzert groß und am Ende
stehen Gäste und Künstler gemeinsam in Gruppen und trinken ein letztes Bier
zusammen.

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Das Rahmenprogramm des zweiten
Ausstellungssamstags hat gezeigt, dass man außer einer Gitarre oder starken
Worten nicht viel braucht, um den Zuschauer in seinen Bann zu ziehen und eine
intime Atmosphäre zu schaffen, bei der sich sowohl Künstler als auch Gäste wie
Zuhause fühlen.

Fotos und Text: Serafina Ferizaj

Vollstes Vertrauen

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Zehn junge Fotografen treffen auf zehn junge Menschen mit Bühnenerfahrung. Das Ergebnis: „10 im Quadrat Reloaded“ – eine Ausstellung im Farbenladen des Feierwerks.

Kein Mensch ist im Raum. Der kleine Konzertsaal im Gasteig ist komplett leer. Reglos liegt sie in der Mitte der Bühne, die langen blonden Haare über dem Gesicht verteilt, das Kabel des Mikrofons schlängelt sich um ihre Hüfte. Der dunkelrote Rock aus Samt leuchtet unter dem Licht der Scheinwerfer. Lotte Friederich posiert gerade für Diego Reindel. Er fotografiert die junge Frau, die an der Hochschule für Musik und Theater Jazz-Gesang studiert, für die zweite Auflage der Ausstellung „10 im Quadrat“.

Nach dem Erfolg des Ausstellungskonzepts im vergangenen Jahr, wird die Rechnung im März nun erneut aufgestellt: Zehn junge Fotografen treffen auf zehn junge Künstler. Wer sind eigentlich die jungen kreativen Köpfe dieser Stadt? Was bewegt diese Menschen, wenn sie nicht auf der Bühne stehen oder hinter der Kamera? Und was passiert, wenn diese Menschen für ein kreatives Projekt aufeinandertreffen? Das Ergebnis dieser Begegnungen zeigt die Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung vom 3. März an im Farbenladen des Feierwerks. Mit einer spannenden Neuerung: Die Fotografen versuchen, zusätzlich ein Selbstporträt im Stil der eigenen Fotostrecke zu schießen, und dieses ebenfalls auszustellen.

Bei Diego Reindel wird dies vermutlich surreal aussehen. Á la Salvador Dalì in etwa. Er fotografiert alle Models an ihrem Lieblingsort, mit ihrem Lieblingsgegenstand, in ihrer Lieblingskleidung. Ob auf der Bühne wie bei Lotte oder in der Badewanne wie bei Singer-Songwriterin Amira Warning – je ausgefallener, desto besser. „Ich will skurrile, aber einzigartige und witzige Bilder von den Künstlern schaffen“, erklärt Diego. Er liebe es, wie unterschiedlich Menschen doch sein könnten.

Dass man es bei diesem Projekt mit unterschiedlichen Charakteren zu tun hat, das hat auch Lara Freiburger schnell gemerkt. „Alle haben ein ganz unterschiedliches Verhalten vor der Kamera. Manchmal muss man die Leute erst auflockern.“ Lara hat die Models einzeln in ein lichtdurchflutetes Fotostudio in Giesing eingeladen. Die Vorgabe: den eigenen Schlafanzug mitbringen – das Shooting findet in einem Bett statt. „Die Herausforderung besteht für mich darin, zehn Menschen zu fotografieren, die ich nicht kenne, und dabei Vertrauen aufzubauen, sodass ein persönliches Porträt entstehen kann“, sagt Lara. Es sei aber eine schöne Erfahrung, mit unprofessionellen Models zu shooten. „Ich will, dass du mehr chillst“, sagt sie mit einem Lächeln und der Kamera vor dem Gesicht zu Natanael Megersa, während dieser im Schlafanzug vor ihr sitzt. Er hat seine Schlafmaske mitgenommen. „Ich geh ja manchmal auch erst um 6 Uhr morgens schlafen“, sagt der DJ. Während Lara konzentriert Anweisungen gibt und aus verschiedenen Positionen fotografiert, plaudert sie ein bisschen mit Natanael über das Leben als DJ. Viele würden sich wegen Drogen einiges versauen in dem Job, sagt er. „Stop!“, ruft Lara. „Bleib genau so“, sagt sie ruhig. Und drückt ab.

Musik, Schauspiel oder Stand-up-Comedy – aus diesen künstlerischen Bereichen kommen in diesem Jahr die Models. Was die Künstler eint: Sie alle sind zwischen 20 und 27 Jahre alt. Sie stehen regelmäßig vor Publikum. Sie haben keine professionellen Modelerfahrungen. Dementsprechend wichtig ist es, dass eine gute Stimmung herrscht und dass sich ein gegenseitiges Vertrauen einstellt. Von Anfang an wohlgefühlt hat sich Leon Haller, Schauspielstudent der Theaterakademie August Everding, beim Shooting von Alina Cara Oswald. „Sie hat eine tolle Präsenz“, sagt der Schauspieler, der nicht nur auf der Bühne des Residenztheaters im Stück „Die Räuber“ zu sehen ist, sondern ab und zu auch an den Turntables der Roten Sonne oder des Harry Kleins steht.

Alina hat den Models drei Möglichkeiten für das Shooting gegeben: bekleidet, nackt oder bei einem Orgasmus. Am liebsten mag sie die letzte Option. Wie in ihrer Fotoserie „Moments“, bei der sie Menschen während des Höhepunktes fotografierte. Ihr sei aber klar, dass es „nicht einfach ist, so etwas zu machen, wenn man sich noch fremd ist“. Nur wer sich dabei wohlfühlt und sich traut, darf das machen. Die 25-Jährige projiziert für die Fotos unterschiedliche Muster auf die Körper der Künstler. Dabei lässt sie sich von der Persönlichkeit der Künstler inspirieren. Sie sollen zum Charakter der Porträtierten passen. „Was innen ist, soll nach außen getragen werden“, sagt sie. Vor dem Shooting sucht Alina gemeinsam mit den Models nach geeigneten Mustern.

Die Persönlichkeit und Gefühlswelten der Künstler stehen auch in den Fotografien von Nadja Ellinger im Vordergrund. Zentrales Thema ihrer Arbeiten für die Ausstellung ist Zerbrechlichkeit. „Wann hast du dich schwach gefühlt?“, ist eine von den Fragen, die Nadja den Models vor dem Fotografieren in einem intensiven Gespräch gestellt hat. „Ich habe teilweise extrem persönliche Dinge über die Models erfahren“, erzählt sie. Auch deshalb handelt es sich bei ihren Fotografien um Symbolbilder. Sie zeigen nur Ausschnitte des Körpers der fotografierten Person. „Es ging mir darum, das Gefühl der Künstler auszudrücken und Verletzlichkeit als etwas zu zeigen, das einen ausmacht. Nicht als etwas Negatives.“ In Sozialen Medien und im echten Leben verstecke man diese Seiten gerne, erklärt sie. Gleich wird Nadja die 21-jährige Schauspielstudentin Anouk Elias im Körperraum der Otto-Falckenberg-Schule fotografieren. „Morgens machen wir hier drin Aikido, Thai Chi und so was“, erklärt Anouk, während sie sich eine schwarze, weite Hose für das Shooting anzieht. Nadjas Konzept findet sie spannend. „Als Schauspielstudentin muss man sich sehr viel mit sich selbst auseinandersetzen.“

Auf eine ähnliche Art der Auseinandersetzung hat Lorraine Hellwig gesetzt und den Models als Menschen der Generation Y Fragen zu ihrer Einstellung zu Themen wie Liebe, Religion oder Politik gestellt. Die Statements der Künstler sind als Schriftzug Teil des Porträts. Alle hätten sehr unterschiedlich auf die Fragen geantwortet, das sei das Spannende an der ganzen Sache. „Ich denke, der Antrieb und die Neugier, neue Leute kennenzulernen, ist die Kraft, die man bei diesem Projekt schöpft“, sagt die 24-Jährige.

So ganz ohne Reibung geht es auch in diesem Jahr nicht. Für Anouk Elias war die Vorstellung, mit Essen zu spielen, nicht mit ihrer Sicht auf Nahrung vereinbar. Das Essen aber ist in den Porträts von Julie March ein essentieller Bestandteil – bunt und ein bisschen verrückt sollen die Fotos sein. Wie die Künstler das Essen dabei inszenieren und was sie damit machen, stellt sie den Models frei. Nachdem Julie Anouk dann erklärt hatte, dass sie das fotografiert, „was der jeweilige Künstler mit dem Essen macht“, und es nicht darum geht, sich mit dem Essen zu behängen, stimmte Anouk am Ende doch noch zu.
 Nur noch wenige Tage bis zur Eröffnung der Ausstellung. Die Rechnung geht auf, zu 100 Prozent.

Text: Ornella Cosenza

Foto: Catherina Hess

Indie, Rock und andere Naturgewalten

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„Ni Sala“ ist Band des Jahres. Der große Gewinner ist aber München – weil es so eine spannende Musikszene gibt.

Die Haare kleben nass an der Stirn und das Gesicht ist schweißbedeckt. Die Augen sind geschlossen, das Gesicht ist verzerrt. Robert Salagean, Sänger von Ni Sala, ist ganz in der Musik versunken. Das Publikum im Bahnwärter Thiel tanzt, springt und bewegt sich zu den rockigen Klängen von Ni Sala, die gerade den Titel „Band des Jahres“ der Junge-Leute-Seite der SZ gewonnen haben. „Wir haben gar nicht damit gerechnet“, sagt Robert, „aber wir sind sehr stolz auf uns, weil Band des Jahres ein echt cooles Ding ist!“

Die Discokugeln, die von der Containerdecke hängen, drehen sich im Scheinwerferlicht und werfen kleine, weiße Punkte an die Wand. Es sieht aus wie in einer Galaxie. Im roten Kleid schwebt Martina Haider, Sängerin von Chaem, barfüßig auf die Bühne. Passend zu den Sternen an der Wand ertönen sphärische Klänge. Zu elektronischen Beats bewegt sich Martina wie in Trance hin und her. Nach ein paar ruhigen, melancholischen Nummern, stimmt Chaem den dynamischen Song „Carousel“ an und auch das Publikum erwacht.

Und mit Schwung geht es weiter. Wie Moderatorin Kathi Hartinger ankündigt, kommt „eine Naturgewalt“ auf die Bühne: Swango. Skill-Gott Heron begleitet den Gesang mit einer Stepptanzperformance auf dem Parkett, dazwischen klatscht er in die Hände. Sobald Moco Mariachi mit seiner Akustikgitarre und Manekin Peace mit dem Rap einsetzen, werden die ersten Handys gezückt, um den außergewöhnlichen Hip-Hop-Style festzuhalten. „Habt ihr ein Wort für uns?“, ruft Manekin in die Menge. „Wir machen einen Beat draus!“ Die Fans rufen: „Bahnwärter Thiel“ und „Waschmaschine“. „Es ist washmachine triangle geworden!“, ruft der Rapper, während Skill-Gott Heron einen Waschmaschinenbeat steppt. Nach dem Auftritt sind die Zugabe-Rufe so laut, dass Swango sich locker einen „Freestyle-Shit“ aus dem Ärmel schüttelt.

Währenddessen muss der U-Bahn-Waggon hinter dem Container erst noch warmlaufen. Den Auftakt macht Liedermacher Alex Döring, der mit seinem „Tiefkühltruhen-Lied“ im noch etwas kühlen Bahnwärter-Waggon eine sehr gute Stimmung vorlegt. Wie es sich für eine Münchner U-Bahn gehört, sind alle Sitzplätze belegt, Zuschauer stehen im Gang – wie zur Rushhour. Spätestens beim vorletzten Act sind auch die Fenster des Bahnwärter-Waggons beschlagen, und innen herrscht eine wohlige Wärme. Zu guter Letzt zelebriert der Kabarettist Julian Wittmann in seiner Bier-Hymne alle möglichen Biermarken in einem Song.

Zurück im Bahnwärter: Auf der kleinen Bühne schlingt Elisa Giulia Teschner gerade Lichterketten um das Mikrofon und Schlagzeug. Es entsteht eine romantische, heimelige Stimmung, die zu den sphärischen Feenklängen von Eliza passt. Besonders als Elisa zusammen mit ihrem Gitarristen Wolfgang Stefani von der Bühne direkt ins Publikum steigt. Ein „Pscht“ macht im Container die Runde. Man hört nur noch den Regen draußen und klirrende Geräusche von der Bar. Dann setzt leise die Stimme von Elisa ein, dazu Gitarrenklang – ohne Mikrofon und Verstärker. Gebannt lauschen die Zuschauer.

Unter den Zuschauern ist auch Maria Lang, 21, die die Veranstaltung auf Facebook entdeckt hat. „Ich besuche gerne Konzerte“, sagt sie. „Hier sind viele Bands auf einem Haufen. Da kann ich neue Eindrücke holen.“ So auch bei der nächsten Band, Beta. Es ist vernebelt, nur das glimmende Ende der Zigarette von Bassist Markus Sebastian Harbauer ist zu sehen. Kaum setzen die Instrumente und der Rap ein, kann keiner im Raum mehr still stehen. Körper bewegen sich hin und her, in der ersten Reihe singen Fans den Text mit. „Alle Hände mal HipHop-mäßig nach oben“, ruft Sebastian Grünwald und für die Fans gibt es kein Halten mehr. Die HipHop und Rap-Vibes sind im Container angekommen.

Auch wenn einige Fans traurig sind, dass Beta keine Zugabe spielt, freuen sich drei Mädchen in der ersten Reihe auf den nächsten Auftritt. Seit 2015 sind Daniela Wiegand, Vivian Donner und Isabel Staudenmaier Matija-Fans – leicht erkennbar an ihren weißen Matija-T-Shirts. „Die haben einen guten Style“, sagt Daniela, und Vivian ergänzt: „Wir mögen sie, weil sie nicht Mainstream sind, sondern ihr eigenes Ding machen.“ „Und sie sind live unglaublich gut“, erklärt Isabel. Das zeigt Matija auch. Sänger Matt Kovac singt eine einfache Melodie vor, die von Mal zu Mal komplizierter wird, und die Zuschauer machen es ihm nach. Das Lachen und Tanzen von Matt ist ansteckend – er reißt das Publikum mit. Die Feier steht im Mittelpunkt. Und die Münchner Musikszene.

Wie jede Band beim Verkünden ihres Votings erklärt, ist das Bewerten von Musik „echt bescheuert, weil man Musik nicht bewerten kann“. Das sagt Matt Kovac, Sänger von Matija. Und Martina Haider von Chaem findet, dass „in jeder Kategorie der gewinnen soll, der nominiert ist“. Am Ende heißt der Sieger Ni Sala – dem Sänger ist der Titel dann aber doch nicht zu wichtig. Er habe vor allem Lust gehabt, an diesem Abend auf der Bühne zu stehen. Mit seiner Band und den anderen Bands des Jahres.

Text: Lena Schnelle

Fotos: Robert Haas

Witz komm rauf

„Die Leute in München sind immer skeptisch, wenn etwas aus Berlin kommt. Aber das ist kein laktosefreier Mocca Latte, was wir hier machen.“Sebastian Ulrich, 24, eröffnet Münchens erste Stand-up-Comedy-Bühne.

Sebastian Ulrich ist ständig auf der Suche. Auf der Suche nach dem nächsten Witz, der Punchline für den nächsten Gag. „Wenn du auf der Bühne stehst“, sagt der 24-jährige Stand-up-Comedian, „dann ist das erst einmal so, als stehst du wieder vor dem dicken, großen Kind auf dem Schulhof. Das, vor dem jeder Angst hatte.“ Das Problem ist nur: In München ist es überhaupt nicht so einfach für junge Comedians, auf einer Bühne zu stehen, da können die Witze noch so gut sein. Doch jetzt hat sich Sebastian dieses Problems angenommen.

Auf den ersten Blick ist Sebastian zunächst ein unscheinbarer Typ mit Kappe und Hornbrille, doch kann er seine Mitmenschen schnell durch seine Art einnehmen. Dazu braucht er keine hippen Klamotten oder gut gemeinte Floskeln, sondern lediglich seine oftmals unpassenden Kommentare, die im Alltag manchmal Verwirrung auslösen. Einen Ort, um sein komödiantisches Talent im passenden Rahmen zu präsentieren, hat Sebastian bisher in München jedoch vergeblich gesucht. Als Radiomoderator bei M 94.5 war ihm zwar der ein oder andere Lacher sicher; eine echte Bühne, im Sinne eines Veranstaltungsraums, musste er sich aber erst selbst schaffen.

Seit Sebastian 14 Jahre alt ist und den amerikanischen Stand-up-Künstler Bill Burr auf Youtube entdeckt hat, schlägt sein Herz für diese Form der Kunst. Zehn Jahre später tritt er regelmäßig auf den Münchner Open Stages auf und hat für seine Leidenschaft sogar einen Monat in Berlin gelebt. Dort hat es ihn dann richtig gepackt. „In Berlin ist die Stand-up-Kultur einfach unglaublich vielfältig“, schwärmt er. Die ganze Szene dort habe einen wahnsinnig großen Zusammenhalt, und junge, unerfahrene Comedians werden von Alteingesessenen unterstützt und gefördert. „Das hat mir erst gezeigt, wie wenig hier in München in der Richtung los ist.“ Beim Thema Comedy blüht Sebastian richtig auf, kann sich richtig in Rage reden – die ironischen Kommentare sind verschwunden. Ihn ärgert es, dass es in München zwar eine große Kabarett-Szene gibt, diese aber kaum Nachwuchsförderung betreibt.

Ein Gegenbeispiel ist der Münchner Comedian Alex Profant. Auch als „Tyrann von München“ bekannt, spielt Profant auf großen Bühnen wie im Schlachthof und ist schon im Quatsch-Comedy-Club aufgetreten. Nebenbei hat er für junge Comedy-Talente eine Trainingsgruppe gegründet, die sich regelmäßig trifft. Auch Sebastian war dort schon anzutreffen. „Alex tut wirklich sein Bestes“, sagt er. „Aber leider ist er auch der Einzige von den etablierten Münchner Comedians, der sich wirklich um den Nachwuchs kümmert.“ Es gebe auch einfach zu wenige Auftrittsmöglichkeiten für junge Stand-up-Künstler in München. Einige Male ist Sebastian zwar schon auf der Open Stage im Cord Club aufgetreten, aber das war nicht vergleichbar mit seinen Erfahrungen in Berlin: „Auf Open Stages wie im Cord treten halt nicht nur Comedians auf, sondern auch Singer-Songwriter, Bands und so weiter“, erklärt er. Das Publikum sei dort einfach nicht auf Stand-up-Comedy eingestellt. Und wenn doch ein Comedian wie Sebastian auf die Bühne kommt, dann fielen die Reaktionen eher zwischen verwirrt und gelangweilt aus. „Dem Publikum die Schuld zu geben wirkt natürlich wie eine Entschuldigung“, merkt der Student an. Aber nicht nur Comedy-Anfänger wie er haben auf solchen Open Stages wie im Cord Club ihre Probleme. Auch Alex Profant – der im Schlachthof johlenden Applaus bekommt – trifft dort auf ein eher verhaltenes Publikum.

Doch statt sehnsüchtig nach Berlin zu blicken, nimmt Sebastian das Problem jetzt selbst in die Hand. Zusammen mit seinem Freund und Comedian Hans Thalhammer hat er die erste offene Bühne speziell für Stand-up-Comedy gegründet: das „Ja und Weiter – Comedy Open Mic“. Jeden Dienstagabend soll die Veranstaltung in der Bar Holzkranich am Josephsplatz nach dem Vorbild der Hauptstadtszene stattfinden. „Die Leute in München sind immer skeptisch, wenn etwas aus Berlin kommt“, scherzt Sebastian. „Aber das ist kein laktosefreier Mocca Latte, was wir hier machen. Das ist nur Comedy.“

Auf ihrer Bühne kann einfach jeder auftreten, der Lust auf Stand-up hat. Wer in der Facebook-Veranstaltung mit „Spot“ kommentiert, hat seinen Platz gesichert. Für den ersten Termin am 17. Oktober haben sich schon acht Comedians angekündigt, die Bühne ist also voll besetzt. Drei von ihnen sind noch nie auf einer Bühne gestanden. Aber auch der erfahrene Alex Profant ist dabei, um die angehenden Talente zu unterstützen. Sebastian selbst wird als Moderator durch den Abend führen.

Trotz der bisher guten Resonanz unter jungen Münchner Comedians ist Sebastian skeptisch, ob auch das Publikum von ihrer Idee begeistert sein wird. In Berlin gab es vor dem Erfolg der offenen Comedy-Bühnen schließlich schon eine große englischsprachige Stand-up-Community, die regelmäßig Veranstaltungen organisierte. Das Publikum war dort also schon für diese Kunstform sensibilisiert. „Hier können sie halt hauptsächlich erst einmal Leuten zuschauen, die es noch nicht können.“

An jedem Dienstag sollen fortan acht junge Comedians im Holzkranich auftreten und in jeweils sieben Minuten das Publikum zum Lachen oder zumindest zum Schmunzeln bringen. Eigentlich eine ungewöhnliche Zeitangabe, aber für Stand-up genau richtig. „Normal sind für Comedy fünf Minuten“, erklärt Sebastian. „Aber bei sieben hast du eben noch diese zwei Minuten, in denen du dich ausprobieren kannst.“ Und genau das wollen Sebastian und Hans mit ihrer Bühne erreichen. „Und wenn du dann das dicke Kind am Schulhof besiegt hast und die Leute zum Lachen bringst“, sagt er und grinst, „dann ist das einfach ein unbeschreibliches Gefühl.“

Text: Antonia Franz

Foto: Alessandra Schellnegger

Bitte keine Experimente

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München lacht. Aber junge Comedians haben es trotzdem schwer. Eine Suche nach den Ursachen und ein Gespräch darüber, wie man sich in der Münchner Künstlerszene durchschlägt.

München lacht. Das schon. Aber bitte nur über altbewährte Witze. Keine Experimente. Donnerstagabend im Container Collective. Michael Mauder, 24, junger Comedian und Moderator, steht auf der Open Stage der Veranstaltung „München, was ich dir schon immer sagen wollte“. Mit kurzen Anekdoten aus seinem Leben – wie dem Umzug nach Ebersberg – bringt er die Leute im großen Veranstaltungscontainer zum Lachen. Zum Ende seines Beitrags hin wird der junge Münchner jedoch ungewohnt ernst: „Wenn ich als Stand-up-Comedian neues Material ausprobieren möchte, muss ich meistens nach Fürth oder Erlangen fahren.“ Woran das genau liege, wisse er nicht, „aber in München gibt es eher nur Bühnen für Hochglanz-Nummern“.

Die junge Comedy- und Kabarettszene in München. Eine Quelle von würdigen Nachfolgern für Münchner Größen wie Willy Astor, Günter Grünwald oder Michael Mittermeier? Darf man als Newcomer in diesem Gebiet überhaupt so groß träumen? Ein Treffen mit den drei ganz unterschiedlichen, aufstrebenden jungen Münchner Comedians Alex Döring, Michael Mauder und Julian Wittmann. Wie aufgeschlossen ist das bayrische Publikum? Und sehen sie das, was sie tun, mehr als Hobby oder doch als Berufsziel?

Alex Döring, 27, ist sich da noch nicht so ganz sicher. „Es gab Zeiten, da sollte das Liedermachen nur das zweite Standbein bleiben. Aber momentan könnte ich mir schon vorstellen, zumindest zeitweise für ein paar Jahre mal voll auf Musik zu setzen.“ Der junge Münchner wirkt, als wäre er mit seinen Gedanken woanders. Seine Masterarbeit wartet. Er kommt gerade aus der Bibliothek und muss auch später noch einmal dort hin. Nach einem abgeschlossenen Bachelorstudium in Germanistik und Geschichte studiert der 27-Jährige nun Politik im Master, bis er im August fertig ist. Seine Studienwahl ist auch in vielen seiner Songs deutlich erkennbar. Alex’ Lieder sind nicht nur mit viel Witz und Wortspiel geschrieben, sondern oftmals auch reich an gesellschaftskritischen Themen. In „Spiel mit offenen Daten“ heißt es beispielsweise: „Gläserne Bürger, die wir, wie ich glaube, sind, find’ ich klasse, weil das so schön sauber klingt!“ Alex setzt sich mit aktuellen Themen, aber auch mit Alltagssituationen oder menschlichen Charakterzügen auseinander. „Meine Lieder widme ich aber meist nur denen, die es verdient haben“, sagt er und lacht. Selbst würde er sich nicht unbedingt als Comedian bezeichnen, sondern eher als Liedermacher oder auch Musik-Kabarettist. „Ich glaube, ich habe nicht unbedingt den Fokus auf dem Gag, wie meine zwei Kollegen hier. Humor ist bei mir eher das Mittel zum Zweck.“

Einer der zwei Kollegen ist der junge Kabarettist Julian Wittmann, 23. Ein Bayer mit wilden Locken und lässigem Auftreten. Er kommt 15 Minuten zu spät, weil er sich am Abend noch einen alten VW-Bus kaufen möchte und dafür noch Dinge vorbereitet werden mussten. Gestresst wirkt er trotzdem kein bisschen. Eher wie ein bayerischer Hippie mit Gute-Laune-Haltung.

Diese Gelassenheit bewahrt er sich meist auch auf der Bühne. Außer es geht um die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn. Dann kann er sich, wie in seinem „Herbstliad“, schon mal in typisch bayerischer Manier darüber aufregen. Da Julian vor seinem Umzug in die Münchner Innenstadt täglich vom Landkreis Erding in die LMU pendeln musste, hat er in dieser Thematik vermutlich einen hohen Erfahrungswert. Julian bezeichnet seinen Humor übrigens als bayerisch, bierig und geschmeidig. Bei ihm ist es ebendieses bayerische Kabarett-Gesamtpaket, das ziemlich gut funktioniert: eingängige Melodien, eine raue, warme Stimme und die typisch bairische Mundart.

Sein Kabarett-Talent entdeckte Julian, als er für den Abschlussball seiner Realschule Lieder über die Lehrer schrieb und aufführte und danach viel positive Resonanz erhielt. „Ich habe dann gesehen, es macht mir Spaß und es macht den Leuten Spaß, das könnte man ja mal weiterverfolgen“, sagt er. Zunächst hat er dann sein Theaterwissenschaftsstudium an der LMU abgeschlossen und bewirbt sich jetzt dort für den Master. Parallel zum Studium hat Julian viele Auftritte. Und zwar nicht nur auf bekannten Münchner Bühnen, sondern auch im ländlichen Umland. Den Unterschied beim Publikum merke man sofort, sagt Julian: „In München ist das Publikum auf jeden Fall sehr, sehr anspruchsvoll. Die Leute werden hier ja nahezu zugeschissen vor lauter Veranstaltungen. Und wenn du jetzt in irgendeinem Dorf einen Abend spielst, dann kann es schon mal sein, dass du da die einzige Veranstaltung im ganzen Jahr bist. Das merkst du dann auch, da gehen die Leute hin und freuen sich einfach nur.“

Michael Mauder, 24, hat es da als junger Stand-up-Comedian in München nicht unbedingt leicht. Sagt er zumindest selbst: „Für klassischen Stand-up ist München echt schwierig. Da haben es die beiden Kollegen hier schon einfacher, weil es hier vor allem Liederabende und bayerisches Kabarett gibt. Aber wenn du mit Anfang 20 Stand-up über One-Night-Stands und Tinder machst, bist du hier eher falsch.“ Michael, der sich selbst schon mal als „65-jährigen Spießer, gefangen im Körper eines Anfang Zwanzigjährigen“ beschreibt, hat gar keinen so spießigen Lebenslauf. Nach der Schule hat er zunächst zwei Jahre bei der Fernsehserie „Sturm der Liebe“ in der Kameraabteilung gearbeitet. Danach hat er sein Geologiestudium kurz vor dem Bachelorabschluss abgebrochen „Eigentlich hätte ich es schon viel früher abbrechen sollen“, sagt er, „aber als mich ein Prof seine mündliche Prüfung nur dann bestehen lassen wollte, wenn ich ihm verspreche, dass ich später einmal keinen Beruf in diesem Feld einschlagen werde, habe ich beschlossen, es jetzt lieber bleiben zu lassen.“

Nach Abbruch des Studiums beschließt der junge Münchner dann das auszuprobieren, was er schon länger im Hinterkopf hat: Stand-up-Comedy. Auf einer Bühne in Stuttgart hat er seinen ersten Auftritt. Danach will er mehr, doch ein zweites Standbein musste her, als Absicherung. Um so besser, wenn dieses auch noch gut als Inspirationsquelle dient. Als Rezeptionist in einem Münchner Hotel trifft man laut Michael die verschiedensten (oder auch nervigsten) Leute, die er auch gut in sein Comedy-Programm einbauen kann.

Am liebsten erzählt der Comedian auf der Bühne aus dem Alltagsleben eines hoffnungslosen Singles: „Wenn ich mit 1,94 Meter auf eine Frau zutanze, ist das für sie so, als würde sie auf der Autobahn im Rückspiegel einen LKW auf sich zukommen sehen. Da ist es nur vernünftig, mir aus dem Weg zu tanzen“, erzählt er auf der Bühne. Und während man noch über seine authentischen Witze lacht, hat man gleichzeitig auch ein wenig Mitleid mit dem sympathischen jungen Comedian.

So richtig viele Auftritte in München hat Michael aber noch nicht gespielt. Eher ist er in Stuttgart oder auch mal in Ingolstadt unterwegs. „Man bräuchte in München einfach viel mehr Orte, an denen man sich ausprobieren kann. Eine Bühne mit Mikrofon und einem Publikum, das genau weiß, dass du kein Profi bist. In Berlin kannst du das teilweise fünf Mal in zwei Tagen machen“, sagt er.

Alex Döring tut sich da in seinem Bereich leichter: „Ich kann mich in meinem Metier eigentlich gar nicht so sehr beklagen. Ich finde, es gibt in München so viele offene Bühnen, wenn du willst, kannst du jeden Tag auf einer anderen spielen.“ Was bei ihm schwierig sei, wäre nun der nächste logische Schritt: die bezahlten Solo-Auftritte. Julian Wittmann hat diesen Schritt bereits geschafft, beispielsweise mit seinem Auftritt im Schlachthof. Trotz positiver Kritik hat Julian insbesondere vor solchen Auftritten jedoch noch großen Respekt. „Ich zweifle eigentlich vor jedem größeren, abendfüllenden Auftritt“, sagt er. Auch Alex hat manchmal so seine Selbstzweifel: „Wenn ich von der Bühne gehe, und es hat an diesem Abend gefühlt keiner gelacht, was schon auch vorkommt, denke ich mir, dass ich da schon irgendwie selbst dafür verantwortlich bin. Ich glaube, man kann schon jedes Publikum überall erreichen, man muss nur eben seinen Auftritt an die Zuschauer anpassen.“

Michael ist da nicht ganz der selben Meinung: „Na ja, das ist ja jetzt immer die Frage, ob du da Fehler in der Performance gemacht hast, weil das Publikum doof war, oder war das Publikum doof, weil du Fehler gemacht hast?“ Nach einer kurzen Denkpause nicken Alex und Julian zustimmend. Verschiedene Pläne für die Zukunft haben die drei auch schon geschmiedet. Michael wird von Januar 2018 an eine eigene Late-Night-Talkshow in München leiten. Und Alex möchte die Zeit nach dem Master-Stress nutzen, um neue Lieder zu schreiben und ein neues Album aufzunehmen. Und Julian? „Na ja, ich würde morgen gerne aufstehen in der Früh. Und am Abend dann ein Bier trinken“, sagt er und lacht.

Text: Amelie Völker

Foto: Sofie Jokerst