Kellnern, Flyer verteilen, Nachhilfe geben – typische Studentenjobs. Einen der untypischsten Nebenjobs hat womöglich Ethnologie-Studentin Verena Neumair, 26: Sie tritt am Wochenende als Clownin auf.
Auf den ersten Blick will es nicht so recht passen. Diese junge Frau mit ihren gutmütigen, blauen Augen, den blonden Engelslocken und dem Blümchenkleid soll also ein Clown sein, besser gesagt: eine Clownin. Eine dieser quietschbunten Artisten in übergroßen Klamotten und mit roter Nase. Die sich selbst nicht allzu ernst nehmen, denn das oberste Ziel ist es, die Leute zum Lachen zu bringen. Die ein bisschen zu laut sind, ein bisschen zu unvorsichtig und immer ein bisschen zu viel auftragen. Nicht nur die Schminke, sondern auch die Witze. Verena Neumair (Foto: Alessandra Schellnegger) hingegen wirkt sehr ruhig, sehr bedacht, nicht wie jemand, der sich auf die Bühne stellt und nach Aufmerksamkeit schreit.
Eigentlich war es auch mehr ein Zufall, dass die 26-Jährige an der Clownschule gelandet ist. Ein langweiliger Nachmittag, an dem sich die Ethnologie-Studentin von Homepage zu Homepage klickt und die Seite der Clownschule in Freising entdeckt. Sie ruft dort an, wird zum Vorstellungsgespräch eingeladen und ist vom ersten Moment an begeistert. „Ich wusste vorher, was ein Clown ist, und mich hat die Idee fasziniert. Aber ich wusste gar nicht wirklich, was dahinter steht“, erzählt die gebürtige Freisingerin.
Nur in einer Sache ist sie sich sicher: Dass sie die Leute zum Lachen bringen möchte. In ihrem Freundeskreis ist sie eine der Vermittlerinnen, die mal einen Scherz macht, um für Gelassenheit zu sorgen. Selbst auf eigene Kosten. Diese Lust zur Selbstironie gehört dazu. „Ich habe kein Problem damit, mal die Position einzunehmen, über die andere lachen. Daran kann ich auch selber Spaß haben.“
Als sie ihren Eltern von der Clownsausbildung erzählt, sind sie ratlos. Was hat sich das Mädchen nur wieder ausgedacht? „Mir hat die Reaktion gefallen. Ich mache gerne Dinge, die nicht jeder macht“, sagt sie mit einem Lächeln.
Sechs Monate lang geht die Ausbildung, jeweils einmal pro Monat trifft sich die Gruppe und lernt vier Tage am Stück. Auf dem Stundenplan stehen Improvisationstheater, Körpersprache oder Clownsgeschichte. „Der Clown, den unsere Lehrer versucht haben, uns näher zu bringen, ist eine Person, die sehr menschlich ist. Sie versucht im Leben weiterzukommen. Sie stolpert, steht auf, geht weiter und stolpert wieder. Der Clown versucht sich immer zu bemühen.“
In ihrer Klasse ist sie die Zweitjüngste, die meisten sind älter als 40 Jahre, bereits berufstätig oder schon im Ruhestand. Viele sind fasziniert vom Irrationalen. Einfach mal das zu tun, worauf man Lust hat, im Moment zu leben.
Verena interessiert dieses Phänomen ebenfalls aus einer wissenschaftlichen Perspektive. Die Ethnologie-Studentin hat ihre Bachelorarbeit über Humor geschrieben und forscht auch in ihrem Master zu diesem Thema. „Das Spannende ist: Warum suchen immer mehr Leute den Impuls, in ihrem eigenen Leben als Clown zu arbeiten? Es ist eine psychische Auseinandersetzung mit dem Selbst. Du kannst keinen Clownscharakter haben, der vollkommen fremd ist von deinem eigenen.“
Auf der Suche nach dem inneren Kind befinden sich viele in der Clownschule, die ihre Unbedarftheit durch Arbeit und Stress verloren haben.
Von einem Leben als Zirkusclown träumt Verena nicht, das sei ihr zu viel Aufwand. Nach einer jahrelangen Ausbildung folgt das unstete Leben auf Reisen. Doch zum Ende des halben Jahres baut sie zusammen mit den anderen Clownschülern eine Manege auf. Sie schnuppert Zirkusluft beim Auftritt im Zelt, zumindest für einen Abend. Zum Abschluss bekommen die Schüler feierlich ihre Zeugnisse verliehen.
Ein Jahr ist das her, mittlerweile tritt Verena etwa einmal pro Monat unter ihrem Clownnamen „Brösl“ auf. „Ich nehme ziemlich viel mit zur Zeit. Von Kindergeburtstag bis Klassentreffen über Faschingsfeiern in der Schule“, sagt sie.
Bisher hat sie kein Geld für ihre Aufführungen verlangt, um sich nicht zu sehr unter Erwartungsdruck zu setzen. Bei einem ihrer jüngsten Auftritte wurde ihr allerdings Geld zugesagt. „Da hat es klick gemacht in meinem Kopf. Ich biete schließlich etwas an und habe meine Zeit dafür verwendet.“ Deshalb will sie sich bald als Freiberuflerin anmelden.
Und vielleicht passt es doch auf den zweiten Blick. Die junge Frau mit den blonden Locken wirkt ruhig und nachdenklich, doch sie bringt alles mit, was ein Clown braucht: die Lust an der Selbstironie, die Liebe zum Impulsiven und die Unbedarftheit. Mittlerweile hat sie auch ihre anfänglichen Schwierigkeiten überwunden, auf der Bühne Präsenz zu zeigen. Sie hat gelernt, im Moment zu spielen und den Kopf frei zu machen. Der weltberühmte Clown Charlie Rivel sagte einst: „Jeder Mensch ist ein Clown, aber nur wenige haben den Mut, es zu zeigen.“ Vielleicht ist Verena nur etwas mutiger. Jessica Christian
Als Kind fand Jessica Christian Clowns gruselig. Dabei hat sie niemals “Stephen Kings Es” gesehen. Nach dem Gespräch mit der besonnen Clownfrau Verena ist sie überzeugt: So unheimlich sind die Artisten mit den roten Nasen gar nicht.