Lernen, mit weniger zufrieden zu sein

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Schneehose statt Bikini: Andrea Lerchl und Clara Kaufhold gehen auf eine Hundeschlittenfarm nach Lappland. Ein Gespräch vor einer spannenden Reise.

Es gibt den Schnee, die Hunde, die Natur. Und dann irgendwann kommen die Menschen. Einsam ist es dort, wo Andrea Lerchl, 22, und Clara Kaufhold, 26, das kommende halbe Jahr verbringen: Die jungen Frauen fahren nach Äkäskero in Nordfinnland, um auf einer Hundeschlittenfarm zu arbeiten, gegen Kost und Logis. „Mit Sonnenaufgang fangen die Hunde an zu heulen“, sagt Andrea, genannt Annie. Dann heißt es aufstehen, anziehen, arbeiten. Die 500 Huskys füttern. Sie in die Schlitten spannen. Schnee schippen. Flächen enteisen.

München im Frühling. An der Isar wird gegrillt, Kinder schlabbern zufrieden das erste Eis des Jahres. Letzte Vorbereitungen bei Annie und Clara, bevor es losgeht. Sachen packen, Zimmer untervermieten, sich irgendwie vorbereiten auf das, was kommt. In Äkäslompolo, der nächstgelegenen Ortschaft, wohnen gerade einmal vierhundert Menschen. Der nächste Supermarkt ist nur mit dem Auto zu erreichen. Und im April ist es dort noch empfindlich kalt. Nachts wird es bis zu minus 11 Grad. Bis alles komplett abgetaut ist, dauert es.

Warum machen Menschen so etwas? In die Kälte fahren, wenn daheim der Sommer anbricht, die Leute ihre Flipflops rausholen? Clara überlegt kurz, sagt dann: „Ich war mal in Dänemark und dachte: Was ein kaltes, trübes Land.“ Nicht die beste Einstellung, um sechs Monate nach Lappland zu gehen. Aber: Die Natur fehle ihr, die Tiere, das Grün. Clara hat Veterinärmedizin studiert, Schwerpunkt Pathologie, promoviert nun, „hockt den ganzen Tag auf dem Hintern“, wie sie es ausdrückt. „Ich hoffe, ich finde dort die Zeit und die Ruhe, in mich zu gehen und mich auch mal von der ganzen Technik zu distanzieren. Facebook, Twitter … Ich bin das Internet so leid.“ Annie nickt zustimmend. Es gehe ihnen auch um Verzicht. Verzicht auf Konsum, auf Medien. „Ich würde gern lernen, mit weniger glücklich zu sein“, sagt Clara.

Das klingt nach Weltflucht. Zu sich finden, in Schneehose und Bergschuhen. Hundeschlitten fahren und Eisfischen, im Sommer dann Beeren sammeln, die Mittsommernacht genießen. Erlebnisurlaube wie diese haben Konjunktur. Die Farm, auf der die beiden arbeiten werden, bietet genau das an. Wer als Gast kommt, zahlt mindestens 1700 Euro für eine Woche Abenteuer. Viel Geld für ein paar Tage in Abgeschiedenheit. Doch Annie und Clara machen keinen Urlaub. „Morgens Hunde kuscheln, abends in die Sauna und dazwischen noch ein selbstgebrannter Schnaps? So wird das nicht, das weiß ich. Man muss arbeiten. Bei jedem Wetter.“ Theaterwissenschaftsstudentin Annie war schon einmal auf einer solchen Farm. Da hatte sie gerade ihr Soziologie-Studium geschmissen, brauchte einen Ort zum Runterkommen, um herauszufinden: Was will ich eigentlich? Finnland, sagt sie, sei schon immer ein Kindheitstraum gewesen. Sie ist Metal-Fan, Länder wie Finnland, Schweden oder Norwegen gelten als Zentren der Szene. Also ist sie 2013 ein erstes Mal in das Land gefahren, das sie so sehr faszinierte.

Doch damals war Annie nur sechs Wochen da, wohnte auf einer Ranch ein Stück weiter südlich. Und: Sie war allein. Da war keine Freundin, mit der es sich zu arrangieren galt. Anfangs, gibt Annie zu, habe sie gezweifelt, ob es wirklich die beste Idee sei, zu zweit zu fahren. Ein Gap Year in Lappland ist etwas anderes als Backpacking in Australien. Die Natur fordert, man muss sich nach ihr richten.

So weit im Norden erwartet man die Dunkelheit. Und findet sie doch nicht. Der Schnee reflektiert permanent das Licht, auch nachts. Tagsüber kann es so grell sein, dass man eine Sonnenbrille braucht. Später, wenn der Mittsommer kommt, geht die Sonne kaum noch unter, der Schlafrhythmus wird irritiert. Hinzu kommt die Stille: keine Autos, keine Menschen. Es ist so ruhig, man hört jeden Schritt im torfigen Schnee, den eigenen Herzschlag. Annie erinnert sich an ihre erste Tour und sagt: „Das war emotional richtig belastend.“

Um diese Eindrücke zu verarbeiten, braucht man Raum. „Ich halte uns für erwachsen genug, dass wir auch mal einen Streit aushalten, ohne dass eine von uns gleich heulend nach Hause fährt“, sagt Clara. Vor der Reise haben sie oft darüber gesprochen: Wie gehen wir mit Streit um? Wie finden wir eine Basis fürs Zusammenleben? Nicht zu viel erwarten – von einander, wie von der Reise, das haben sie sich vorgenommen.

Aber geht das überhaupt? Gerade für Clara ist diese Auszeit mit einigen Entbehrungen verbunden. Sie lässt ihren Freund zurück, ihre Haustiere, hat ihren Job gekündigt, ihre Promotion ruht. Um sich für die Zeit selbst versichern zu können, hat sie zudem viel sparen müssen. „Natürlich bin ich nervös“, sagt Clara. Sie hat sich auf verschiedene Stipendien beworben, um die Promotion später fortsetzen zu können, wird auch – während sie in Finnland ist – Bewerbungen schreiben, für die Zeit danach. Ängstlich wirkt sie dennoch nicht. Am Ostermontag ist es losgegangen, Roadtrip mit Claras Auto, durch Osteuropa hoch nach Finnland. „Ich freue mich so, wieder Tiere in meinem Leben zu haben“, sagt Annie. Da lächeln beide. 

Auf ihrem Blog “two wild things” kann man sehen, wie es den beiden auf ihrer Reise so geht.


Text: Carolina Heberling

Foto: Robert Haas