Mein Freund Cem


Livia Kerp ist mit ihren 15 Jahren wahrscheinlich die Jüngste der großen Münchner Bloggerszene. Sie berichtet
nicht mehr über Nagellacke – sie schreibt über politische Themen: aus Sicht einer Jugendlichen.

Livia Kerp ist klein, trägt ein bodenlanges Jerseykleid und hat ihre blonden Haare zu einem Half Bun gebunden, wie es zurzeit Trend ist. Eigentlich sieht sie aus, wie Achtklässlerinnen eben aussehen. Doch in ihrer Handtasche trägt sie außer den Schulbüchern auch einen kleinen Laptop, damit sie überall schreiben kann. Denn Livia ist Bloggerin – mit ihren 15 Jahren wahrscheinlich die jüngste der großen Münchner Bloggerszene – und schon ziemlich erfolgreich: Im Mai war sie für den Isarnetz Blog Award 2017 nominiert und innerhalb von nur zwei Jahren wurde „Livias Life Is Style Blog“ mehr als 1,4 Millionen mal aufgerufen, nicht zuletzt dank der Video-Empfehlungen von den Comedians Harry G. und Bernhard Hoëcker.

Außer den beiden hat die extrovertierte Junior-Bloggerin bereits Dutzende Personen aus dem öffentlichen Leben interviewt, darunter den Schauspieler André Dietz, „Die Lochis“, den Olympiasieger Florian Hambüchen und Politiker wie Cem Özdemir (Die Grünen), Christian Lindner (FDP) oder den österreichischen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). „Livia fragt nach“ heißt die Rubrik, in der die Bloggerin über politische Themen schreibt – aus Sicht einer Jugendlichen.

Nachfragen? Politik? Mit 15?
Angefangen habe es mit ihrer Liebe zu Nageldesign und Fashion, die besonders durch ihre modebewusste Großmutter geprägt worden sei, sagt Livia. „Ich habe auch mit 13 schon viele Modeblogs gelesen, einer meiner Favoriten ist bis heute ,Nachgestern ist vormorgen‘.“ 2015 sei sie dann auf die Idee gekommen, selbst einen Blog ins Leben zu rufen. Zunächst googelte Livia, die der Generation Z angehört und schon von klein auf mit dem Internet aufgewachsen ist, welche Blog-Domains es gibt und welche besonders leicht zu handhaben sind. Beim Einrichten ihrer Blogspot-Seite half dann ihr Vater: „Meine Eltern haben mich von Anfang an bei meinem Vorhaben unterstützt, sie hatten mich ja schon früh über die Schattenseiten des Internets aufgeklärt“, sagt Livia.

Ursprünglich sollte es auf ihrer Seite um Nagellacke und Styles gehen, bis ihr nach einigen Beiträgen bewusst wurde, dass das „total unnötig ist“, räumt Livia ein wenig beschämt ein. Daraufhin ist sie dazu übergegangen, Jugendbücher oder -serien zu rezensieren und andere Blogger zu interviewen – ein Schachzug, der ihr schnell eine enorme Reichweite verschaffte.

Geschrieben hat sie schon immer sehr viel, sagt Livia, meistens Geschichten über Situationen aus ihrem Alltag. Darum geht es unter anderem auch auf ihrem Blog: die adäquate Höhe des Taschengelds, den neuesten Disney-Film, die besten Eisdielen. Themen, die Jugendliche eben bewegen. Doch Livia ist sehr wissbegierig und vielseitig interessiert – auch an Politik.
 Der Auslöser dafür seien die Nachrichten gewesen, die ihr Vater mit ihr schauen wollte. „Zunächst hatte ich darauf gar keine Lust“, gesteht Livia. Aber dann habe sie sich darauf eingelassen und begonnen, sich mit den Informationen auseinanderzusetzen und sich eigene Meinungen dazu zu bilden: „Ich habe richtig gemerkt, dass etwas in meinem Kopf passiert – und dass ich auch selbst etwas bewegen kann und will.“ Seitdem schreibt sie auch über gesellschaftspolitische Themen wie Umweltschutz, Flüchtlinge oder das Wahlrecht ab 16.

Sie recherchiert alles genau und hat einen Artikel verfasst, in dem sie die Haltungen der einzelnen Parteien zu diesen Punkten beleuchtet: „Ich möchte die politischen Themen gerne so darstellen, dass auch Jugendliche sie verstehen“, sagt die junge Bloggerin, die auch renommierte Politiker nach ihren Standpunkten dazu befragt. An den Anfrage-Mails feile sie immer ziemlich lange, aber bisher habe sie nur Zusagen bekommen: „Alle Politiker haben mir sofort geantwortet – im Gegensatz zu einigen Promis!“ Livia erzählt von der harten Abfuhr, die ihr das Management von Elyas M’Barek erteilte, als sie nach einem Interview mit dem Schauspieler fragte. Solche Enttäuschungen erlebe man als Blogger immer wieder, sagt Livia, aber sie lasse sich davon nicht entmutigen. Vielmehr fühle sie sich dadurch bestärkt – vor allem, wenn andere Interviewpartner, wie etwa Cem Özdemir, richtig entgegenkommend sind. „Trotzdem bin ich vor Telefon-Interviews mit Politikern extrem aufgeregt, darum lege ich dann immer ein Skript vor mich, auf dem ich genau notiert habe, was ich wann sage oder frage“, verrät sie.

Natürlich schreibt sie nicht nur über ernste Themen, denn Abwechslung findet sie auf einem Blog sehr wichtig – doch sie würde gerne mehr Teenager zum Nachdenken anregen: „Die meisten in meinem Alter interessieren sich mehr für YouTuber als für Politik. Das finde ich sehr schade, schließlich geht es um unsere Zukunft!“ Livia zieht eine Liste mit Politikern hervor, die sie noch interviewen möchte: Katarina Barley, Peter Tauber. Sie findet, mit der Politik ist es wie mit einer neuen Sprache: Je mehr Vokabeln man gelernt hat, desto mehr versteht man und desto mehr Spaß macht sie. „Es gibt aber auch einige Kinder, die unbedingt etwas für die Welt tun wollen. Darum fände ich es toll, wenn man schon mit 16 wählen dürfte.“ Livia, die selbst viel reifer wirkt als 15, wüsste schon, wen sie bei der Bundestagswahl im Herbst wählen würde.

Auch in ihrer Kolumne beim Münchner Samstagsblatt schreibt Livia über stadtpolitische Themen, etwa über den Straßenverkehr, das Isarwerk 1 oder die Situation der Flüchtlingsunterkünfte in München.

Schule hat für Livia absolute Priorität, doch ihre größte Leidenschaft gilt neben Hip-Hop-Tanzen dem Schreiben – womit sie auch andere ansteckt: „Eine Freundin von mir würde gerne einen Reiseblog gründen, aber sie befürchtet, dass sie das regelmäßige Bloggen nicht durchhalten würde.“ Livia selbst verbringt mindestens drei bis vier Nachmittage pro Woche in ihrem Stammcafé am Max-Weber-Platz, um Artikel zu schreiben. Die veröffentlicht sie dann diszipliniert jeden Freitag, Samstag und Sonntag. „Ich könnte es nicht bringen, nichts mehr zu posten. Und solange das neben der Schule noch geht, will ich unbedingt weiter bloggen“, sagt Livia. Allerdings nur als Hobby – denn beruflich hat sie ganz andere Pläne: Sie möchte Kinderpsychologin oder Grundschullehrerin werden, „auf jeden Fall was mit Kindern“, sagt sie.
 In eine andere Stadt zu ziehen kommt für das Münchner Kindl nicht in Frage: „Für mich ist München die schönste Stadt der Welt, es gibt in jedem Stadtteil immer etwas Neues zu entdecken!“ Was, das kann man auf ihrem Blog oder in ihren Kolumnen nachlesen.

Text und Foto: Anna-Elena Knerich