Mit Beethoven im Ostchinesischen Meer

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Raphaela Gromes, 25, hat an ihrem vierten Geburtstag ihr erstes Cello geschenkt bekommen. Heute arbeitet die junge Münchnerin als freiberufliche Musikerin – und ist manchmal auf Luxusschiffen unterwegs.

An der Reling eines großen Luxusschiffes stehen. Dir die salzige Brise des Ostchinesischen Meeres um die Nase wehen lassen. Vorbeischippern an asiatischen Städten wie Shanghai oder Hongkong. Ab und zu ein Cello-Konzert spielen. Und wissen: Das alles ist dein Job, das bekommst du bezahlt. 

Für Raphaela Gromes, 25 Jahre, ist dieser Traumberuf ein Teil ihrer Realität. Die junge Solo-Cellistin aus München ist nun schon zum dritten Mal an Bord der MS Europa gegangen, um dort Konzerte für die Gäste zu spielen. Und auch, um ein bisschen Entspannung zu finden. Letztendlich war es nicht ganz so erholsam wie gedacht. Aber dazu später mehr.

Raphaela verfolgt ihren Traum von einer Karriere als Cellistin schon seit Kindheitstagen. Mit nur 14 Jahren ist sie bereits Jungstudentin bei einem Cello-Professor in Leipzig. Während ihre Mitschüler in diesem Alter genug mit der Pubertät zu kämpfen haben, fährt Raphaela in ihrer Schulzeit an einem Gymnasium in München wöchentlich nach Leipzig, um zu üben. Und auch wenn Verwandte ihr nach dem Schulabschluss zum Jura- oder Medizinstudium raten, steht für sie fest: Sie möchte Cellistin werden. Seit 2010 studiert sie nun Cello an der Musikhochschule München und hat bald ihren Masterabschluss in der Tasche.

Ursprünglich wollten ihre Eltern, beide Cellisten, dass Raphaela Klavier lernt. Zur Abwechslung was anderes. Raphaela merkt jedoch schnell: Klavier ist nicht ihr Ausdrucksmittel. Sie fühlt sich viel wohler mit dem Bogen und dem Streichinstrument in der Hand. Als Kind hört sie zudem all die Cello-Stücke, die ihre Eltern den Musikschülern lehren. Klar, dass Raphaela dann sowieso viel lieber das Instrument spielen möchte, mit dem ihre Eltern so viel Zeit verbringen. Daraufhin bekommt sie zum vierten Geburtstag ein kleines Cello geschenkt und hat mit ihren Eltern gleich zwei Musiklehrer im Haus.

Bald schon gewinnt die talentierte Cellistin erste Wettbewerbe und später folgen zahlreiche Auszeichnungen und zwei CD-Aufnahmen. In den stets positiven Kritiken ist oft von denselben Merkmalen zu lesen: Raphaelas positive Ausstrahlung und ihr charmantes Lächeln, das sie bei den Konzerten trägt, als würde sie jedes Mal ihr Lieblingsstück spielen. Hat man denn als Cellistin so etwas wie ein Lieblingskonzert, das man besonders gerne hört und spielt? „Grundsätzlich versuche ich jedes Stück, dass ich gerade spiele, als das schönste von allen zu sehen“, sagt Raphaela. „Dann kann ich mich am besten mit dem jeweiligen Konzert befassen, ohne davon abgelenkt zu werden, was ich gerade eigentlich lieber spielen würde.“ Trotzdem gebe es Stücke, die ihr besonders nahe stünden. Die Cello-Sonate von Richard Strauss zum Beispiel. Ebendiese wurde von Raphaelas Eltern zu der Zeit gespielt, als Raphaelas Mutter mit ihr schwanger war.

Raphaela redet schnell. Kaum hat sie den einen Gedanken formuliert, hat sie schon das nächste Thema angeschnitten. Es scheint zu sein, als wäre sie dem Zuhörer stets einen Gedanken voraus.

Raphaela ist schon wieder beim nächsten Thema: Musik. Natürlich. Ob sie privat überhaupt noch Musik hört? „Eher wenig“, sagt sie. Denn der Arbeitsalltag der jungen Frau mit den dunkelbraunen Haaren und der blassen Haut besteht aus so vielen Klängen, klassischen Konzerten und einer Menge musikalischem Einstudieren, da hört sie am Feierabend dann eher mal B5 aktuell. Oder schaut sich die Tagesschau an. Auch viel Zeit für ein Privatleben oder Erholung bleibt da nicht mehr. Als selbständige freiberufliche Musikerin hat sie wenig Zeit zum Ausruhen. Es gibt keine geordneten Tages- geschweige denn Wochenabläufe. 

Raphaela sagt, sie sei gefühlt 24 Stunden und sieben Tage die Woche mit ihrem Beruf beschäftigt. Selbst das Buch, das sie momentan liest, handelt von dem Komponisten Gioachino Rossini. Mindestens drei Monate im Jahr ist Raphaela unterwegs. Auf Tournee, oder wie jetzt kürzlich: Auf einem Luxuskreuzfahrtschiff. Zwei Wochen auf der MS Europa durch das Ostchinesische Meer. Sie hat dort zusammen mit einem Kammermusik-Ensemble nur drei Konzerte gespielt, unter anderem Beethoven, Rossini und Schubert. Karrieretechnisch kein wichtiger Schritt. Das Publikum: schnell zufrieden gestellte Rentner in Traumschiff-Atmosphäre. Aber für Raphaela kam diese kleine Auszeit mehr als gelegen: Selbst ihr jüngster Urlaub in Rom war eigentlich keine richtige Erholung, sondern eine Sprachreise. Deshalb freute sie sich auf Sonne, Meer und neue Kulturen. Wenn sie Konzerte im Ausland spielt, hängt Raphaela grundsätzlich noch zwei Tage an, damit sie ein bisschen mehr von dem Land sehen kann als nur den Flughafen und den Konzertsaal. „Ich denke, das Kennenlernen verschiedener Kulturen macht einen nicht nur glücklicher, sondern inspiriert einen dazu, dass man mehr zu sagen hat auf dem Instrument.“

Neue musikalische Aussagekraft also durch Reisen anstatt stures Einstudieren der Noten? Raphaela sagt: „Es ist genauso wichtig zu lesen und zu reisen, wie zu üben.“ Musik, die nur auf Technik basiert, könne sie nicht spielen. Sie möchte nicht nur im Übe-Zimmer und in Konzertsälen sitzen. „Sonst würde ich noch verkümmern“, sagt sie. Raphaela will also das Leben und die Welt spüren, um die Erfahrungen auf ihr Spiel übertragen zu können. 

Apropos Welt spüren: Auf dem Ostchinesischen Meer war es unerwartet kalt, regnerisch und stürmisch. Was dazu führte, dass Raphaela eher unerholt und etwas erkältet zurückgekehrt ist. Trotzdem möchte sie die Zeit nicht missen: Neben den drei Konzerten und gelegentlichen Musikproben konnte sie bei den Landgängen Orte wie Taiwan, Shanghai oder Hongkong kennenlernen. Eine weitere positive Gegebenheit: Musiker werden auf dem Luxusschiff nicht wie Angestellte behandelt. Mit ihrem Gäste-Status dürfen sie auch in Luxussuiten schlafen. Allein deshalb würde sie so ein Angebot zukünftig in jedem Fall ein weiteres Mal annehmen. In der Hoffnung, das Wetter wäre das nächste Mal etwas sonniger.

Text: Amelie Völker

Bild: Christine Schneider