Gute Vibrationen

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Elisabeth Brichta, 21, ist Mitglied der Nikita Dance Crew, einer Gruppe aus gehörlosen und hörenden Tänzern. Wenn sie nicht tanzt, studiert die junge Frau Gebärdensprachdolmetschen. Außerdem gibt sie selbst bilingualen Hip-Hop-Unterricht

Mit weißem Trikot und einer engen schwarzen Leggins steht Elisabeth Brichta, 21, im Tanzstudio, die Haare zu einem Zopf gebunden. Bevor das Training losgeht, unterhält sie sich mit den anderen Mädels der Nikita Dance Crew. Auf Gebärdensprache. Verständigungsprobleme hat sie nicht, denn Elisabeth studiert Gebärdensprachdolmetschen. Die jungen Frauen bewegen ihre Hände. Sie schauen mal fragend, mal lächelnd, oder sie nicken sich einfach zu – ein Code, der für Laien nicht zu entschlüsseln ist und begleitet wird von Gestik und Mimik.

„Wir proben jetzt Amerika“, sagt Elisabeth laut, denn heute sind auch ein paar Zuschauer zum Training gekommen. Amerika – so nennt die Gruppe die Choreografie, die sie vergangenes Jahr beim Bay Area International Deaf Dance Festival in den USA aufgeführt haben. Die Nikita Dance Crew ist die einzige Tanzgruppe in Deutschland, die aus hörenden und nichthörenden Mitgliedern besteht. Hier tanzen hörende, wie Elisabeth Brichta, und gehörlose Protagonisten, wie Trainerin Kassandra Wedel, in einer Gruppe zusammen. Sie treten deutschlandweit und international auf.

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Musik und Tanz? Gehörlos? Wie soll das funktionieren? „Die Musik ist in unserer Tanzgruppe nicht viel lauter als woanders“, sagt Elisabeth. Lediglich der Bass ist in den Tanzstunden der Nikita Dance Crew etwas stärker gestellt. „Wenn der Bass lauter ist, fühlt man ihn besser in der Brust, am Körper. Das ist so ähnlich wie bei einem Konzert“, erklärt die Tänzerin. Dieses Fühlen der Vibrationen sei ausschlaggebend. Im Tanzstudio in der Sonnenstraße in München, in dem sich die Tanzgruppe zum Proben trifft, steht der Bass auf dem Parkettboden. „So kann man den Bass auch über die Füße erfühlen, der Parkettboden leitet ihn dann sozusagen weiter“, sagt Elisabeth, die schon seit Ende 2013 mittanzt.
 Nicht alle aus der Tanzgruppe können Gebärdensprache so wie Elisabeth. Es ist auch keine Voraussetzung, um mittanzen zu können. Die Leidenschaft und die Begeisterung für das Tanzen stehen im Vordergrund. Elisabeth tanzt seit ihrem zwölften Lebensjahr. Bei ihr treffen das Interesse für Gebärdensprache und die Liebe zum Tanzen aufeinander. Wenn sie nicht tanzt, dann studiert sie an der Hochschule in Landshut Gebärdensprachdolmetschen. Mittlerweile im vierten Semester. Es besteht aktuell ein großer Bedarf an Gebärdensprachdolmetschern. „Auf 80 000 Gehörlose kommen in Deutschland 800 Dolmetscher“, sagt sie.

In vielen Choreografien der Nikita Dance Crew mischen sich Elemente aus Tanz mit Gebärdensprache. Dadurch werden tänzerisch Geschichten erzählt. „Die Gebärdensprache hat ihre eigene Grammatik, sie ist eine natürliche Sprache. Beim Dolmetschen kommt es aber nicht nur darauf an, das Gesprochene in Gebärden zu übersetzen oder andersherum, sondern man muss auch kulturell übersetzen“, sagt Elisabeth. Man sei eben nicht nur Dolmetscher, sondern auch Vermittler zwischen zwei Kulturen. Gehörlose seien beispielsweise in ihren Formulierungen manchmal viel direkter. Dies kann bei hörenden Menschen schnell unhöflich wirken, deshalb muss man beim Dolmetschen auch auf Feinheiten dieser Art achten. „Das kann einen täglich zur Verzweiflung bringen“, sagt Elisabeth. Bei wichtigen Terminen, wie zum Beispiel Gerichtsverhandlungen, kann das Übersetzen sehr viel beeinflussen. Die deutsche Gebärdensprache wurde erst 2002 offiziell als eigenständige Sprache anerkannt.

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Bevor sie mit dem Gebärdensprachdolmetscher-Studium angefangen hat, absolvierte Elisabeth eine Tanzausbildung am Iwanson in München, einer Schule für zeitgenössischen Tanz. Normalerweise dauert diese Ausbildung drei Jahre, Elisabeth hat sie aber frühzeitig nach einem Jahr mit einem Zertifikat beendet und dann das Studium in Landshut begonnen. „Das war viel mit Jazz und Ballett und weniger Hip-Hop und ich habe gemerkt, dass es nicht so ganz meins ist und habe dann zum Gebärdensprachdolmetschen gewechselt“, sagt Elisabeth. Woher aber kommt das starke Interesse an der Gebärdensprache? Elisabeth sagt, es sei auf keinen Fall dieses Helfersyndrom, das sie dazu gebracht habe, das Studium aufzunehmen. Eher eine Art Faszination, nachdem sie den Film „Jenseits der Stille“ gesehen hat. „Aus Interesse und Neugier habe ich dann einen VHS-Kurs Gebärdensprache besucht“, sagt sie. Das war, bevor sie zur Nikita Dance Crew gekommen ist. Als sie dann einmal zu einem Poetry Slam ging, bei dem die Gruppe auch performte, sprach sie nach der Veranstaltung Kassandra Wedel an. Ging kurz darauf zu einer Probestunde. Und blieb. 

„Mittlerweile ist Eli meine Co-Trainerin. Wenn ich einmal nicht da bin, oder wir Probleme mit der Musikanlage haben, übernimmt sie“, sagt Kassandra Wedel. Die Trainerin mit den orange-roten Haaren ist gehörlos und als Schauspielerin und Tänzerin aktiv. Sie hat die Gruppe vor mehr als zehn Jahren gegründet. „Es gab damals keinen Tanzunterricht, bei dem die Musik gut fühlbar war, oder der auf Gebärdensprache abgehalten wurde. In hörenden Tanzcrews war ich immer die einzige Gehörlose“, sagt Kassandra. Fälschlicherweise wurde da oft angenommen, dass sie genug verstehen würde, weil sie auch sprechen kann. „Ich kopierte und lernte nur die Tanzsprache gut. Alles, was um mich herum besprochen wurde, bekam ich nicht mit“, sagt sie. Also hat sie selbst eine Gruppe gegründet, die Begegnungen und einen Raum für Kreativität schafft. Mit fühlbarer Musik und Erklärungen, wie man auch ohne Gehör zu einem Rhythmus tanzen kann.

Für Elisabeth steht fest: Sie möchte das Tanzen mit dem Gebärdensprachdolmetschen verbinden. Samstags gibt die Studentin deshalb auch eigene Hip-Hop- und Lyrical-Jazz-Stunden in einem Tanzstudio in Haar, und zwar bilingual. „Jeder ist in meinen Stunden willkommen. Ich spreche laut und mache dazu die Gebärdensprache.“ 

Es geht weiter mit dem Training. Schließlich steht im Mai ein Auftritt der Tanzcrew beim Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in München auf dem Marienplatz an. Gehörlose, sowie hörende Menschen werden im Publikum stehen. Die Schritte sitzen, jede Bewegung wird sauber und synchron zu dem Hip-Hop-Track und dem Rhythmus ausgeführt, der durch den Bass für alle spürbar ist. Für Außenstehende ist kein Unterschied zu anderen Tanzgruppen bemerkbar.

Foto: Alessandra Schellnegger

Text: Ornella Cosenza

Bass ohne Grenzen

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Simon Schötz war erfolgreicher Testfahrer, dann kündigte er. Jetzt produziert er elektronische Musik – für die USA, denn Dubstep tut sich in München schwer

Schwitzende Menschen. Tanzend wie in Trance. Eine meterhohe Wand aus Lautsprechern. Nebel. Blitzlichter. Eine Alarmsirene, ein Schrei, und dann: Bass. So tief, dass man ihn nicht mehr hört. Man spürt ihn, und das so heftig, dass sich Nackenhärchen aufstellen, dass das Atmen schwerfällt, dass manchmal sogar die Sicht ein wenig verschwimmt. Schnitt. Ein Wohnzimmer, mit Schwarzlicht ausgeleuchtet. Eine kleine Gruppe junger Menschen sitzt entspannt auf Bett und Boden. Im Vordergrund Turntables, eine Kamera überträgt das Geschehen live ins Internet.

An den Decks in beiden Welten: Simon Schötz alias „Busted Fingerz“. Der 28-jährige Münchner produziert Dubstep, ein Subgenre der elektronischen Musik, das dem breiten Publikum meist nur durch einen kurzen Hype im Jahre 2011 bekannt ist. „Wenn man Dubstep sagt, denken alle sofort an Skrillex“, sagt Simon in bairischem Dialekt. Denn das war der US-amerikanische DJ und Produzent, der das Genre kurzzeitig in die Charts und Clubs brachte. Doch der ursprüngliche Dubstep, wie auch Simon ihn produziert, ist minimalistischer, weniger aggressiv und noch stärker fokussiert auf das Kernelement, den Bass, der tief wabernd auf teilweise unhörbaren Frequenzen spielt.

Aufgewachsen ist Simon in der Nähe von Straubing. Durch seinen Vater, von Beruf Volksmusikpfleger, hat er seit frühester Kindheit Kontakt zur Musik. Mit der urtümlich bayerischen Musik allerdings „hab’ ich nie was anfangen können“, sagt er. Simon trägt Kapuzenpulli, Mütze und eine auffällige Brille. Zehn Jahre lang lernte Simon Klavier und spielte Posaune in der Schulbigband. Mit Ende der Schulzeit jedoch „hat sich das alles verlaufen. Aber Musik kriegst du halt nicht raus. Selbst wenn ich nur fünf Minuten ins Zimmer reingelaufen bin, um was zusammenzupacken, hab’ ich die Stereoanlage eingeschaltet und irgendwas laufen gelassen.“ Über einen Freund entdeckte er den Dubstep, kaufte sich Produktionssoftware und arbeitete sich in die Grundlagen ein.

Doch professionell Musik zu produzieren, daran dachte Simon damals noch nicht. Er machte eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker und zog für eine Arbeitsstelle nach München. Er arbeitete sich hoch, wurde Testfahrer und übernahm mehr und mehr Verantwortung. „Der Job ist geil“, erzählt er, „in irgendeinem Februar vor drei oder vier Jahren bin ich durch sechs Länder gekommen, das war schon krass.“ Allerdings machten ihm der entwurzelte Lebensstil als Testfahrer und vor allem die mangelnde Wertschätzung durch seine Vorgesetzten zu schaffen.

Zu einem Ende kam all das 2013. Bei der Arbeit an der heimischen Kreissäge verlor er das vorderste Fingerglied von Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand. „Im Leben kann dir jederzeit was passieren. Du hast da überhaupt nicht die Kontrolle drüber“, sagt er in ruhigem, abgeklärten Tonfall, „das hat mich zum Umdenken gebracht.“ Heute bezeichnet er den Unfall als „glückliche Fügung“. In der U-Bahn sah er ein Plakat der Deutschen Pop und beschloss, von diesem Moment an das zu machen, was ihm „wirklich liegt“. So begann Simon ein Studium in „Music Technology“. Ein mutiger Schritt, hatte er zuvor noch keinen einzigen Song produziert.

„Eine Guideline und Leute, mit denen ich reden konnte.“ So beschreibt er das, was die Privatakademie ihm nach wie vor bietet. Denn das Wichtigste ist hierbei Eigeninitiative. Doch das sieht Simon eher positiv. „Ich bin kein Akademiker im Sinne des deutschen Systems, weil ich nicht auf eine Abschlussarbeit hin lernen kann“, erklärt er, „aber wenn mich was interessiert, dann les’ ich mich ein bis zur atomaren Ebene.“ Doch auch nach Beginn des Studiums dauerte es noch mehr als ein Jahr bis zum Release der ersten Songs. „Ideen hab’ ich schon immer gehabt, und mich hat es extrem geärgert, dass ich die nie umsetzen konnte. Aber nach viel trial and error macht’s halt dann Schnack.“

Das „Schnack“ in Simons Karriere passierte im Internet, auf der Streaming-Plattform Twitch. Der erfolgreiche US-amerikanische Dubstep-Produzent „The Widdler“ entdeckte seine Musik und gab ihm in einem Livestream Feedback. „Das hat mir sehr geholfen, weil du da halt wirklich Leute hast, die deine Musik hören und Ahnung von deiner Musik haben.“ Denn auch unter den Zuschauern des Streams waren große Namen der Szene. „Du triffst viele Leute, mit denen du Collabs machen kannst. Dadurch lernst du auch wieder viel, weil du siehst, was die für Produktionen machen.“ Denn Leute zu treffen, die die gleiche Musik hören oder sogar produzieren, ist für Simon nicht einfach. „Die Musik ist sehr speziell. Man tut sich schwer, andere da mit reinzuziehen.“ Zusätzlich stellt der Dub-step durch den Fokus auf den massiven Bass besondere Anforderungen an Locations. „Eine normale Club-Anlage hält da nicht mit“, sagt Simon, „jeder Veranstalter, der so was spielen möchte, bringt mindestens Zusatzboxen. Am geilsten ist es auf einem Soundsystem.“ Ein Soundsystem, das sind meterhohe Boxen-Wände, die die Leistung einer Club-Anlage oft um das Zehnfache übertreffen.

Besonders in München ist es für Newcomer wie Simon schwer, Zugang zur lokalen Szene zu finden. „Die machen halt nur für sich die Party, und damit die Leute kommen, buchen sie größere Namen von außerhalb“, sagt er, „support your local artist“ gebe es in München nicht. „So bleibt die Szene bei denen – und wenn es die nicht mehr gibt, dann ist die Szene auch weg.“
 Erfolg hat Simon dennoch. Er produziert Tracks für zwei US-amerikanische Labels und legt zusammen mit seinem Bruder auf Underground-Festivals auf. Vergangenen Monat spielte er seinen ersten Support-Auftritt – in Nürnberg.
 Gerade schreibt er an seiner Abschlussarbeit. Sein Wunschziel danach: ganz klar Berlin. „Ich war von meinem Studium aus schon in vielen Städten unterwegs, und da hat mir Berlin am meisten gefallen. In Berlin ist Dubstep jetzt auch nicht so mega riesig, aber da hast du wenigstens die Zugangspunkte.“
 Von der Musik leben kann und will Simon jedoch noch nicht. Eine Arbeit als Testfahrer kommt für ihn allerdings nicht mehr in Frage. Denn die Wochenenden möchte er sich freihalten für seine Leidenschaft: den Bass.  

Foto: Alessandra Schellnegger

Text: Maximilian Mumme

München-Models: Ada Binaj

In München leben viele schöne Menschen. Unter ihnen gibt es auch einige Models. Ob hauptberuflich, als Nebenjob oder Hobby: Wir porträtieren jede Woche ein Münchner Model und erzählen von dem Menschen hinter dem hübschen Gesicht.

Konzentriert sieht Ada Binaj von den Saiten ihres Basses auf und hinunter zum Publikum. Die 22-Jährige steht auf der Bühne des Theatrons. Sie spielt Bass in der Band von Paul Kowol, dem Gewinner des diesjährigen Feierwerk-Bandwettbewerbs. Die junge Frau ist es gewohnt, im Rampenlicht zu stehen. „Ich bin momentan bei zwei Bands Bassistin, das schätze ich sehr. Meiner Meinung nach gibt es zu wenige Frauen, die das machen“, sagt Ada.

Die Musikerin weiß, wie sie sich auf der Bühne präsentieren muss, allerdings kommt das nicht nur von den vielen Bandauftritten. Ada arbeitet seit etwa zwei Jahren nebenberuflich als Model und verdient sich somit ein wenig Geld dazu. Hinzu kann sie Erfahrung sammeln. „Es ist eine tolle Sache. Ich konnte beim Modeln an meiner Darstellung arbeiten und Kontakte knüpfen“, sagt sie. Dennoch sieht Ada ihre Zukunft im Musikbusiness und nicht vor der Kamera von Fotografen. In diesem Jahr schloss sie eine Ausbildung an der Musikfachschule in München ab. Ihre Instagramseite, der mittlerweile mehr als 1100 User folgen, ist gespickt mit Selfies aus Tonstudios, aber auch hochwertigen Porträts aus Werbekampagnen. In beiden Bereichen treibt sie eine ganz bestimmte Motivation: „Ich möchte junge Frauen dazu ermutigen, sich zu trauen und das zu tun, was sie wollen.“


Text: Anastasia Trenkler

Foto: Robert Haas