Zeichen der Freundschaft: Dancing Queens

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Jede Freundschaft ist
einzigartig – so auch die zwischen unserer Autorin und ihrer Freundin Tamara. Echte
Freundschaft ist es aber erst, wenn man sich blind vertraut und der Freundin
den Freund überlässt.

Auf der Tanzfläche bewegen sich die Pärchen langsam über das
Parkett. Sie tanzen eng umschlungen eine Rumba. Zu „Something stupid“ von
Robbie Williams und Nicole Kidman.  Einige
Paare schauen sich dabei verliebt in die Augen. Und küssen sich. Doch Flo und ich
nicht. Flo schaut nicht mich an, sondern zu Tamara.

Kennengelernt habe ich Tamara vor fünf Jahren bei einem Fortgeschrittenentanzkurs. Der Anfängertanzkurs hatte mir so gut gefallen, dass
ich weitertanzte. Discofox, Samba, Langsamer Walzer, Cha Cha Cha. Das Können
zeigen die Tänzer immer im Frühling und Winter auf Bällen. Familien, Freunde,
Tanzlehrer. Alle sind da. In Abendgarderobe.

Besonders schön: Mit einem Date auf dem Ball zu sein. Das
hatte ich immer – ob nun Freundin oder Tanzpartner, das war egal. Hauptsache
Tanzen. Ball ist das Schönste am Tanzen. Am Tag des Balles ging es schon
nachmittags los: Ich zog aus meinem Kleiderschrank die Kleider hervor: lieber
das dunkelblaue bodenlange Kleid, das mittelblaue, knielange Kleid, das sich
beim Drehen so schön aufbauschte, oder doch das schlichte, korallenrote Kleid? Im
Bad suchte ich nach einem passenden Nagellack und Make-up. Vor dem Spiegel betrachtete ich meine Haare: glätten oder locken? Die Schuhe? Das geringste
Problem: Tanzschuhe – eine langfristige Anschaffung. Schwarze High Heels mit
ganz vielen Riemen und mindestens fünf Zentimeter Absatz.

Als mein Tanzpartner im Bronzekurs aufhörte, vermittelte Tamara
mir einen Kumpel von sich. Meinen Lieblingssport musste ich also nicht
aufgeben. Aber fast meinen Traum vom Ball. Mein Tanzpartner hatte keine Lust
auf Ball. Rettung nahte: Die herzensgute Tamara bot mir an, zu dritt auf den
Ball zu gehen: Ihr Freund Flo, sie und ich. Am Anfang war ich skeptisch – Pärchen
mit Anhängsel. Doch meine Bedenken waren unbegründet. Mal tanzte ich mit Flo,
mal Tamara. Da sie so viele Leute kennt, schwang sie auch oft mit anderen
Freunden das Tanzbein. So kam ich viel zum Tanzen. Und zwischendrin machten wir
Dutzende Selfies.

Diese selbstlose Tat, sich ihren Freund auf dem Ball mit mir
zu teilen, macht nicht jede Freundin. Doch Tamara tut alles für ihre Freunde. Für
mich seit Jahren auf den Bällen, auch wenn sie dabei Opfer bringen muss: zum
romantischsten Lied des Abends tanzt sie nicht mit ihrem Liebsten, sondern
schiebt mich vor. Sie hat ja jede Woche Tanzkurs – ich nicht, seit ich im
Ausland war. Wiege, langer Schritt, Drehung. Mein mittelblaues Kleid bauscht
sich auf. „You have the time to spend an evening with me“, kommt es aus den Lautsprechern. Und
ich sehe zufrieden zu Tamara herüber, den Dank sieht sie auf meinem
Gesicht: Ein Lachen. Dank ihr ist der Abend für mich pures Glück und Freiheit.
So fühlt sich Tanzen an.

Text: Lena Schnelle

Foto: Yunus Hutterer

Fremdgänger: Teure Exzesse

Der Wahnsinn von Oxford zeigt sich für unsere Autorin diesmal anhand der alljährlich abgehaltenen Bälle: Alle Organisatoren wollen mit noch mehr Show das Vorjahr in den Schatten stellen. Eine Karte kostet dann auch mal eben 200 Pfund.

Die Ahnen starren uns von ihren Leinwänden aus an. Mit einer Mischung aus Entsetzen und Resignation, möchte man im Schein der Discokugel meinen. Im Speisesaal des Harris Manchester Colleges hüpfen in Abendkleider und Smokings gewandete Studierende zu Abba auf und ab. Der Alkoholpegel ist mittlerweile so hoch, dass niemand zu bemerken scheint, dass der auf der Orgel-Empore positionierte DJ mit „Give me a man after midnight“ zum dritten Mal innerhalb einer Stunde den gleichen Song spielt. Abgesehen von der Möglichkeit, dass dies der schlechteste DJ der Welt sein könnte, lässt sich meine erste Ball-Erfahrung in Oxford jedoch durchaus sehen – eine Tatsache wiederum, die vor allem mich selbst überrascht.

So gut wie jedes der 38 Colleges rühmt sich mit einem solchen alljährlichen Großereignis, wobei natürlich jedes neue Ball-Komitee alles Vorhergegangene in den Schatten zu stellen versucht. Deshalb befindet Oxford sich, was Bälle angeht, in einer kontinuierlichen Aufwärtsschleife aus Bemühen und Größenwahn. Man munkelt, vor einigen Jahren habe Coldplay auf einem der Bälle gespielt – die Latte liegt also hoch. Dieses Beispiel lässt allerdings auch vermuten, dass großes Vergnügen teuer ist. Unter 70 Pfund kommt niemand auf einen Ball. Der Durchschnitt bei den „angeseheneren“, älteren Colleges liegt eher bei 150 bis 200 Pfund. Wie viele Bälle kann man sich da schon leisten? Meine studentische Sparsamkeit verbündete sich noch dazu mit einer gewissen feministischen Frustration angesichts der Beobachtung, dass auf einmal überdurchschnittlich viele Mädchen um mich herum in regelmäßigen Abständen von Abendkleidern, Frisuren, Make-up und potenziellen Dates zu sprechen begannen, während meine männlichen Freunde debattierten, ob es sich für einen oder maximal zwei Abende lohnen würde, ein White-Tie-Outfit (70 Pfund) zu kaufen. Gender-Diskurs hin oder her, „the Oxford experience“ stellte sich einmal mehr als Totschlagargument heraus. Ich rechtfertigte meine Entscheidung, wenigstens zu einem der billigsten Bälle (50 Pfund) zu gehen, damit, dass mein Abiball-Kleid unbedingt noch einmal getragen werden wollte.

Als ich dann jedoch, nach Hüpfburg, Foto-Boot, Süßigkeiten-Brunnen, fünf unglaublich guten Bands, exquisitem Büffet, Pimms, Wodka-Shots und Zaubershow zum dritten Mal Abba höre und meine ursprünglich sorgfältig gelockten Haare nur noch in losen Strähnen in meinem schwitzigen Nacken kleben, denke ich mir, dass die Situation vielleicht gar nicht so übertrieben ist, wie ich sie mir ausgemalt habe. Auch in München zahlen meine Kommilitonen Hunderte von Euros, um auf Festivals zu tanzen, zu trinken, zu flirten und dem Universitätsalltag für kurze Zeit zu entkommen. Auch wenn sich zu Hause niemand erst in einen Smoking oder ein Abendkleid zwängt, haben wir in diesen Outfits ebenso viel Spaß, sind teilweise ebenso betrunken und freuen uns ebenso wie Münchner Studenten, dass es Freitag ist. Dass wir viel Geld dafür gezahlt haben, einen Abend lang vergessen zu dürfen, dass nach dem Wochenende ein Montag auf uns wartet, an dem wir wieder vor unseren Büchern und Computern, Hausarbeiten und Prüfungsvorbereitungen sitzen. Insofern sollte das Entsetzen auf den Gesichtern der gemalten College-Ahnen angesichts des feucht-fröhlichen Exzesses in ihren ehrwürdigen Speisesälen nicht allzu groß sein, denn auch sie werden hin und wieder gefeiert haben – möglicherweise sogar noch sehr viel exzessiver und exzentrischer als wir.


Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat