Alltag im schwarzen Anzug

image

Der Tod ist sein Geschäft: Alexander Schmid, 28, ist der jüngste Bestatter Münchens. Er erzählt von seiner Arbeit, wie er mit dem Thema Tod umgeht und wie es ist, wenn einen die Trauer durch den Alltag begleitet.

Der Tod ist sein Leben. Friedhöfe dienen ihm für schöne Spaziergänge. Ganz in Schwarz gekleidet, sitzt er auf einer roten Couch. Wenn jemand stirbt, verdient er damit seinen Lebensunterhalt. Alexander Schmid, 28, ist Bestatter, um genauer zu sein: der jüngste Bestatter Münchens. Seine Beine sind übereinander geschlagen, sein ist Blick konzentriert. „Eigentlich bin ich sehr geruchsempfindlich“, sagt Alexander und bleibt ganz ernst dabei. Ein Bestattungsunternehmer mit einer empfindlichen Nase? Leichen riechen doch, oder? „Tun sie gar nicht“, sagt Alexander. Bequem lehnt er sich zurück in die ledernen Polster.

Es geht um den Tod, es geht um Leichen. Darüber spricht keiner gerne. Im Gegenteil, das Thema Tod wird nur sehr behutsam und mit Fingerspitzen angefasst. So, als müsste man eine gerade erlegte, große, haarige Spinne ganz schnell entsorgen und versuchen, ihr dabei ja nicht zu nahezukommen. „Verstorben – muss gleich weg!“ Alexander nickt und sagt: „So empfinden das tatsächlich die meisten Menschen.“

Er selbst hat einen anderen Umgang mit dem Thema. „Versorgung“, so nennt Alexander es. Dazu gehört das Ankleiden des Toten, ihn in den Sarg einzubetten, Augenklappen einlegen. Augenklappen? „Damit werden die eingefallenen Augäpfel der Leiche verdeckt, so dass die Leiche möglichst natürlich aussieht“, erklärt Alexander. Sein Blick ist klar, seine braunen Augen strahlen Ruhe aus. Das ist sehr wichtig, für den Umgang mit Trauernden. „Auf keinen Fall ankommen, die Beratungsmappe auf den Tisch knallen und fragen, welcher Sarg darf es denn sein“, sagt Schmid. Die Beine sind jetzt nicht mehr über Kreuz, sondern stehen beide fest auf dem Boden. Er selbst ist nach vorne gerutscht, auf die lederne Kante der Couch. „Also das geht gar nicht“, sagt er mit Nachdruck, dann lacht er.

„Meine Großeltern haben gesagt:
Mei Bua, da werst
doch so traurig.“

Wenn er lacht, kommt das ganz unvermittelt und klingt frech. Die Entscheidung, welchen Sarg man wählt, fällt den Angehörigen meist am schwersten. Allein die Vorstellung, dass ein geliebter Mensch in einem Sarg liegen muss, ist vielen unerträglich. „Wichtig ist, die Leute erst mal erzählen zu lassen. Sie befinden sich mitten im Trauerfall. Das ist eine Ausnahmesituation. Viele können da nicht klar denken. Man muss Geduld haben und eine große Portion an Einfühlungsvermögen mitbringen“, sagt Alexander und legt seine Stirn in Falten.

In Bayern gibt es 614 Bestattungsunternehmen, davon befinden sich 19 in München. Der Azubi-Jahrgang 2014 für Bestatter mit insgesamt 48 Berufsschülern hat sich, laut Handwerkskammer, zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen zusammen gesetzt. So erzählt es auch Alexander. Bestatter ist kein reiner Männerberuf, und es ist keinesfalls ein aussterbender Beruf. Die Zahl der Bestattungsunternehmen steigt deutschlandweit.
Jeden Tag der Tod, jeden Tag weinende, trauernde Menschen, jeden Tag im schwarzen Anzug das Haus verlassen – kann man bei so einem Beruf nicht die Lebensfreude gleich mit begraben? Von Schmid kommt ein eindeutiges „Nein“. Auf der Berufsschule werde einem gesagt, nicht bei jedem Toten dürfe man mitsterben. Das klingt schauerlich. Alexander lächelt. „Meine Großeltern haben zu mir einmal gesagt: Mei Bua, magst du denn wirklich Bestatter werden, da werst doch so traurig“, erzählt er.

Auf Partys steht er
mit seinem Beruf
oft im Mittelpunkt

Aber wer will denn eigentlich überhaupt Bestatter werden? Alexander hatte zunächst andere Ziele. Er hat Neuere Deutsche Literatur, Bayerische Geschichte und Soziologie studiert. Sein Traumberuf als Student war Journalist. Er hat verschiedene Praktika beim Radio und bei der Kirchenzeitung gemacht. Nebenbei hat er aber schon immer dem Vater im eigenständigen Betrieb geholfen. Irgendwann ist dann im Bestattungsunternehmen eine Stelle frei geworden und der Vater hat den Sohn gefragt, ob er sie nicht möchte. Es war ein Angebot, kein Zwang. Alexander zuckt mit den Schultern und sagt: „Ich wusste ja schon, was mich erwartet.“

Die Ausbildung hat er nachgeholt. Und seit 2012 ist er nun geprüfter und jüngster Bestatter Münchens. Wenn er Gast auf einer Party ist und auf seinen Beruf zu sprechen kommt, ist er oftmals der Mittelpunkt der Feiergemeinschaft. Die Leute stellen Fragen und er leistet gerne Aufklärung für die Unbedarften. Alexander sagt, er wünsche sich schon einen anderen Umgang mit dem Tod. „Bei uns in der Gesellschaft setzt sich niemand damit auseinander, eine Beerdigung ist immer was Drückendes, bei anderen Völkern wird richtig gefeiert, um die Zeit zu zelebrieren, die man mit dem Toten auf der Erde verbringen durfte“, sagt Alexander.
Hinter ihm steht ein Regal, gefüllt mit Urnen. Die Urnen selbst sind nicht gefüllt, sondern dienen zur Ausstellung. „Das ist Geschmackssache“, sagt Alexander. Genauso ist es bei den Särgen. „Gerade ist helles Holz sehr beliebt“, erzählt er und klopft auf einen der Sargdeckel. Die Särge sind in einem Kellerraum ausgestellt. „Die Pappel ist etwas Besonderes“, sagt Alexander und tätschelt einen anderen Sarg. Das Holz ist leicht orangefarben.

Weniger Angst vor dem Tod hat Alexander durch seinen Beruf nicht. Er nehme einem zwar die Berührungsängste, aber nicht die Todesangst selbst, sagt er. Vor allem seiner Familie solle nichts zustoßen. Bei diesem Gedanken schaudert es ihn das erste Mal selbst. Sogar, wenn man sich erkundigt, wie Alexander sich seine eigene Beerdigung vorstellt, bleibt er sachlich. Dann wundert er sich, denn eigentlich hat er darüber noch nie nachgedacht. Es herrscht kurz Stille, dann ist wieder sein freches Lachen zu hören. „Wobei“, sagt Alexander, „einmal, da habe ich mich schon dabei erwischt, wie ich mir einen Sarg angeschaut und dabei gedacht habe, der wäre doch eigentlich nicht verkehrt für mich.“
Text: Jennifer Lichnau
Foto: Privat