Hannah hat einen Zwang. Einen Informationszwang. Nicht nur die Neuigkeiten, nein, sie will bis ins letzte Detail über ihr Umfeld informiert sein. Auch über ihren Freund. Nur manchmal trifft sie dann auf Informationen, auf die sie vielleicht lieber verzichtet hätte.
Wenn man Hannah beschreiben möchte, ist das wichtigste Attribut ihre Neugier. Wobei der Ausdruck ja eigentlich schon irreführend ist. Hannah ist informationsgierig. Mit fünf Jahren hat sie angefangen Zeitung zu lesen. Statt des Sandmännchens schaute sie die Tagesschau. Hannah weiß unheimlich viel, schon immer. Aber mit Hannah gibt es ein Problem. Sie ist nicht nur gierig nach Informationen, Hannah ist auch penetrant. In der ersten Klasse hat sie die Tagebücher ihrer Mama gemopst, in der dritten Klasse hätte sie beinahe einen Verweis bekommen, weil sie in den Pausen die Schulranzen ihrer Mitschüler durchstöberte. Und heute sitzt sie vor mir mit verweinten Augen und einer halbleeren Flasche Wein in der Hand, weil Martin sie verlassen hat.
Alles fing an, als Hannah vor zwölf Jahren ihren ersten Computer mit Internetzugang bekam. Eine Traumwelt mit scheinbar grenzenlosem Informationsreichtum tat sich ihr auf. Ganz grenzenlos aber doch nicht, wie Hannah lernen musste. Plötzlich versteckten sich ihre Mitschüler hinter Passwörtern, die weit schwieriger zu knacken waren als das kleine Vorhängeschloss am Tagebuch ihrer Mama; statt abhörbaren Telefonaten führte ihr Papa neuerdings unzugängliche Online-Korrespondenzen. Dunkle Zeiten brachen für Hannah an.
Bis Martin kam. Als sie ihn vor zwei Monaten kennenlernte, wusste sie schnell, dass er genau ihr Typ war. Er redete viel, vor allem von sich selbst; erzählte ihr schon am ersten Abend sein gesamtes Leben bis zum Abitur. In den Wochen darauf handelten sie die vergangenen fünf Jahre bis heute ab. Martin war ein offenes Buch. Und trotzdem wurde Hannah das unbestimmte Gefühl nicht los, da müsste es noch mehr geben. Mehr Daten, mehr Informationen, mehr Wissen über Martin. Wenn Martin einen Menschen ähnlich aufregend fand wie sich selbst, dann war es Hannah. Deshalb dachte er sich auch nichts dabei, ihr sein Kennwort für seine Onlineaccounts zu geben. Zwei Wochen später ließ er sie sitzen. Gut so, finde ich. Spätestens, seit Hannah mir von seiner scheinbar heimlichen Chat-Konversation mit „Spitzmaus69“ erzählt hatte. Das war die vierte Dame, der Martin in nur zwei Wochen für die vergangene Nacht dankte. Hannah zuckt mit den Schultern. „Was weiß ich?“, fragt sie mich. Und dann: „Was gibt es Neues bei Dir?“
Lisi Wasmer
Mal ehrlich: Jeder junge Mensch ist auf der Suche. Nach Liebe. Nach einem Lebensabschnittsgefährten. Vielleicht nach einer Affäre. Das Problem: Sobald sich das Leben um mehr als nur eine Person dreht, wird es verzwickt – eine Kolumne über die Tücken der Partnersuche. „Beziehungsweise“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Bei Krause zu Hause“.
Lisi Wasmer setzt sich in ihrer Kolumne mit allen Tücken der Partnersuche auseinander. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, gibt uns Lisi Einblicke in verschiedenste Beziehungen. Die Lektüre endet bei uns oft mit Tränen in den Augen – sei es vor Lachen, Freude oder Traurigkeit.