Band der Woche: Chuck Winter

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Der Münchner Musiker Chuck Winter versteht es bestens, aus den vergangenen 60 Jahren Popmusik seinen ganz eigenen Sound rauszufiltern. Der klingt mal nach Bob Dylan, mal nach 90s Rock – doch am liebsten ganz bunt gemischt.

Derzeit herrscht eine tote Zeit. Das zeigen schon die unermüdlichen Retro-Bezüge aktueller Künstler: Eine ganze Generation leidet darunter, das Gefühl zu haben, alles sei schon einmal da gewesen. „Standing on the Shoulders of Giants“, nannten Oasis eines ihrer Alben, das im Jahr 2000 erschien und auch für diese Band eine künstlerische Wende bedeute: Man wurde sich bewusst, dass es auch vorher schon rüpelnde Gitarrenbands mit süßen Melodien gab. Dementsprechend eingetrübt ist die Musik auf diesem Album, die Unschuld der Anfangsjahre war unwiederbringlich verloren.

Heute, 17 Jahre später, existiert auch am Anfang keine Unschuld mehr. Und die neuen Künstler stehen auch nicht mehr auf den Schultern der gigantischen Vorgänger, sondern bedienen sich eher fröhlich bei Versatzstücken einzelner ikonischer Stile. Eine tote Epoche, deren Künstler aus den Überbleibseln der Vorgänger jedoch eine ziemlich gute Party zusammenstellen.

Besonders bunt gerät diese beim Münchner Songwriter Chuck Winter. Und haben seine retrofreudigen Münchner Kollegen wie The Charles oder der Famous Naked Gipsy Circus noch die Entscheidung für eine einzelne Epoche – in den genannten Fällen war das die Blues- und Rockmusik der Sechziger- und Siebzigerjahre – getroffen, bedient sich Chuck hingegen bei fast allem, was die Musik so hergibt. Da erklingen bluesige Orgeln über Sixties-Gitarren, während Glam-Rock-Soli der Siebzigerjahre durch ein Neunzigerjahre-Ambiente schallen. Besonders anschaulich zeigt das der in München geborene Deutsch-Amerikaner im gerade veröffentlichten Video zur Single „Hipbones“. Chuck selbst sitzt dabei als düstere und augenscheinlich von Bob Dylan inspirierte Figur vor seiner spielenden Band, die ein wenig wie aus einem High-School-Film zusammengecastet wirkt, und absolviert ein Speed-Dating mit verschiedenen modischen Erscheinungen der Popkultur: Da trinkt er etwa mit einer Dame Schnaps, die die gleiche Perücke trägt wie Uma Thurman in „Pulp Fiction“. Anschließend wird eine Zigarette mit einer Film-Noir-Schönheit geraucht, bevor er seine Dates mit einem die Geschlechterrollen queer in Frage stellenden Typen in eine ganz gegenwärtige Debatte hineinzieht. Chucks Mund ist dabei zu Beginn blutverschmiert, als würde er bildlich zugeben, sich die Popkultur der vergangenen 60 Jahre einzuverleiben wie ein Vampir. Doch der epochale Vampirismus dieses Künstlers, der gerade beim Sprungbrett-Wettbewerb so zu überzeugen wusste, dass er zuletzt die Kölner Studi-Schlager-Durchstarter AnnenMayKantereit supportete, geht auf.

Durch sein hemmungsloses Ausschlachten der Vergangenheit, aber auch durch die kleinen aber feinen Hinweise auf die Gegenwart, ist Chuck Winter einer der lebendigsten unter den Zombies dieser toten Epoche. Vielleicht auch, weil er mit sich selbst ganz im Reinen zu sein scheint: Als Jugendlicher sei es sein Ziel gewesen, eine eigene Platte in den Händen zu halten. Dieses erreicht er nun am 2. Juni, da erscheint seine Debüt-EP. Nun träumt er davon, auf Tour zu gehen und auch im Ausland Anklang zu finden. Live spielt er mit einer Band zusammen, die Musik ist dadurch noch einmal eigenständiger geworden. Die Band hat er Die Steuerfahnder getauft. Und mit diesem erst einmal seltsamen Namen verweist er in seinem kaleidoskopartigen Referenz-System noch einmal auf eine ganz andere Tradition der Popmusik: Den deutschsprachigen Rock von Lindenberg über Westernhagen bis Grönemeyer. Und so seltsam es klingt, es funktioniert.

Stil: Blues/Rock/Songwriter
Besetzung: Chuck Winter (Gitarre, Gesang, Songwriting)
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.chuckwintermusic.com

Text: Rita Argauer

Foto: Christin Büttner

Die Spotify Playlist der Junge Leute Seite im März 2016

Wieder ein Monat rum, die neuen Playlists mit der neuen Musik von vor einem Monat sind auch schon wieder irgendwie alt? Als kleines Ostergeschenk gibt es neue Musik von der SZ Junge Leute Redaktion auf die Ohren. Von Liebe, bis Liebeskummer, bis Wandern und Reisen und Nachttischlampen alles dabei. Fröhliche Ostern, der April kann kommen… 

Mumford & Sons – Hopeless Wanderer

Zugegeben, dieses Lied ist nicht nur in diesem Monat mein absoluter Lieblingssong –und doch ist er es eben einmal mehr: „Hopeless Wanderer“ von Mumford and Sons. Er erzählt davon, dass man sein ganzes Leben lang ein Wanderer ist, auf der Suche bleibt und sich doch so oft nach Antworten und Halt sehnt. Und doch sollte man an seinen Träumen dranbleiben, seine Wünsche nicht ersticken: „But you know your desire. Don’t hold a glass over the flame. Don’t let your heart grow cold.“ Dieser Song beginnt leise, fast zurückhaltend, steigert sich und reißt mich jedes Mal wieder mit.

Stephanie Albinger

Bosse – Nachttischlampe
Eigentlich fand ich Bosse erst nicht so toll. Oder naja, ich kannte seine Musik nicht so wirklich, aber hat mich auch nicht interessiert. Dann hab ich mir durch Zufall mal das neue Album angehört und irgendwie klang das gar nicht so schlecht. Beim zweiten Mal hören schon besser. Beim dritten Mal hat es richtig Spaß gemacht und ich dachte mir, komm, es kann nicht schaden, auf sein Konzert zu gehen. Das habe ich dann auch gemacht und es war eine verdammt gute Entscheidung. Eines der besten Konzerte, die ich bis jetzt erleben durfte, und hängen geblieben ist immer dieser eine Song: „Nachttischlampe“. Das hat so was ehrliches, realistisches, irgendwie kenne ich das und verstehe, was Bosse mir da sagen will. Da bin ich sicher nicht die Einzige, und das mag ich so an diesem totalen Normalo, er sieht nicht nur aus wie Max Mustermann sondern schreibt auch Songs für Normalos, über Gefühle, die jeder kennt und die jeder mitfühlen kann. So war das auch bei dem Konzert, und wenn ich daran denke bekomme ich immer noch Gänsehaut.

Marina Sprenger

Main Concept – Idealisten und Ideologen feat. Retrogott und Aphroe
„Im Zeitalter der Angst, gehört den Mutigen die Zukunft.“ Dem habe ich nichts weiter hinzuzufügen. Oder vielleicht doch: AfD wählen ist so 1933. Und: Das ist schon lange keine politische Entscheidung mehr, sondern eine moralische. „Auf einer Skala von 0 bis 10 ist kein Platz für Minusmenschen in meinem Wertesystem.“ Over and out.

Jacqueline Lang

Alamo Race Track – It`s Bad Luck
Alamo Race Track aus Amsterdam kann alles, was Mumford & Sons auch kann – nur viel viel langsamer. Verträumte Freakfolk-Songs, wunderbar entschleunigt, auch wenn die früheren Sachen noch langsamer waren. Wer traurige Liebeslieder mag, sollte sich ein wenig in den Benelux-Ländern umhören.

Michael Bremmer

Polkov – My Sweet Oblivion.
Vergessen ist ja so eine Sache. Dass das manchmal süß und verlockend ist, das hat die Musikwelt schon lange herausgefunden, das ist mir klar. Ob es funktioniert ist dann noch einmal eine andere Sache. Aber die Grazer Band Polkov, die erst 2014 ihr Debutalbum herausgebracht hat, schafft es dennoch diesem Motiv etwas nach wie vor Hörenswertes zu verleihen. „My Sweet Oblivion“ ist deshalb mein März-Motto. And I can’t help but fall for you. And I can stand loosing you. Aber das ist okay, weil wir alle müssen da durch. Die Musik hüllt sich dabei ein wenig in Cold-Play-Gewand, mit verwischten Melodien und schwerem Gesang. Nachdem ihre erste Single „Promised Land“ (ein weiteres Lieblingslied!!!) vor zwei Jahren noch ein bisschen an Calexico erinnerte, zeigen Polkov mit diesem Song, dass sie nicht nur  vielseitig, sondern auch vielseitig begabt sind. Ja, Vergessen kann auch süß sein, vor allem, wenn dabei so schöne Musik herauskommt.

Theresa Parstorfer

AnnenMayKantereit – Barfuß am Klavier
Einer meiner absoluten Lieblingssongs ist „Barfuß am Klavier“ von AnnenMayKantereit. Die Band, bestehend aus den drei Jungs Christopher Annen, Henning May, und Severin Kantereit,  hat sich rekordverdächtig von unten nach ganz oben gemausert. Egal wo die drei spielen, ihre Konzerte sind immer restlos ausverkauft. Die rauchig-dröhnende Stimme von Sänger Henning May, wenn er trällert „ich träume Liebeslieder und sing dabei von dir“ wiegt mich seit einigen Nächten in den Schlaf. Dafür habe ich mir extra eine Spotify-Playlist angelegt, nur mit diesem einen Song. Und am nächsten Morgen, wenn ich aufwache, mein Handy neben mir, und die Stöpsel längst aus meinem Ohr gefallen, dröhnt seine Stimme – laut und ergreifend – unbekümmert weiter.

Barbara Forster


The Last Shadow Puppets – Bad Habits
Irgendwie haben mich die letzten eineinhalb Musikmonate etwas enttäuscht zurückgelassen, alles worauf ich mich gefreut habe, ist eher so lala: das Soloalbum von Gas Light Anthem Frontmann Brian Fallon könnte auch ein Bon Jovi Soloalbum sein und das „harte“ Back-to-the-Roots Album von Prinz Pi ist schon ganz schön weichgespült. Gut dass da beinahe aus dem nichts Ex-Rascals Sänger Miles Kane und Arctic Monkeys Mastermind Alex Turner daherkommen und die „Last Shadow Puppets“ wieder aufleben lassen. Und besonders das funkig-rotzige „Bad Habits“ zeigt, wieso diese Kollaboration so besonders ist: klingt einfach nur fett. Danke, mein Monat ist gerettet!

Philipp Kreiter

Westside Gunn – Shower Shoe Lords
Wenn man musikbegeisterte Freunde hat, muss man sich nie um neue Musik kümmern – die fliegt einem von alleine zu. Diesmal war es Christian (mentale Notiz: in Zukunft die Leute fragen ob ich ihren Namen benutzen darf). Das heißt Hiphop-Nachschub. Angeblich könnte mir das neue Album von Westside Gunn gefallen – Flygod heißt das Ding. Tatsächlich – die letzten Tage läuft die Platte hoch und runter, vor allem Shower Shoe Lords. Kopfhörer auf, Lautstärke rauf – so macht es in der Bibliothek schon deutlich mehr Spaß. Übrigens, die Vorgängeralben trugen die Titel “Hitler wears Hermes I, II, III” – what’s not to like?

Matthias Kirsch

Moderat – Reminder
Sie sind wieder da: Knapp drei Jahre haben Moderat ihre Fans warten lassen, bis auf den zweiten Streich („II“) am 1. April nun der dritte folgt. Ein Vorgeschmack der Platte, die die Reihe fortsetzt und schlicht „III“ heißt, ist die Single „Reminder“. Und die liefert meiner Meinung nach wieder genau, was man von den Alternativlingen der Berlinern Elektroszene erwartet und erhofft: Eine Mischung aus Partytaumel und Tiefsinn, Ekstase und Melancholie – mindestens so atmosphärisch und sogar noch etwas kraftvoller als auf dem Vorgängeralbum.  Wie tanzbar das Ganze ist, wird auf jeden Fall schon einen Tag vor Album-Veröffentlichung getestet: Am 31. März tritt das Projekt Moderat, bestehend aus dem Soundtüftler Apparat und dem DJ-Duo Modeselektor, im Münchner Zenith auf.

Elisabeth Kagermeier

Vance Joy – Georgia
Zu Vance Joys „Georgia“  wünscht man sich ein Feuerzeug, oder besser ein ganzes Kaminfeuer.  Aber vor allem eine Schulter zum Anlehnen.  Bei „Georgia“ beginnen die Lippen zu summen, die Schultern kreisen im Takt – aller Widerstand ist zwecklos. Der australische Singer-Songwriter ist ein Meister der sanften Beats, das bewies er bereits mit „Riptide“.  Auch „Georgia“ ist ein simples, ruhiges Lied, das die Zuhörer mit starken Emotionen und Tiefgründigkeit besticht. Und so macht es auch nichts, wenn es draußen immer grauer wird und dicke Tropfen an die Scheibe schlagen. Heute mache ich nichts, ich bleibe ich auf der Couch.

Michaela Schwinn

SBTRKT – TBD feat. Sampha
Die erste Platte. Warme Nächte an der Isar. Wände streichen. Ich verbinde sehr viel mit SBTRKT (Subtract) auch wenn ich ganz lange nicht wusste, wie man den Namen denn überhaupt ausspricht. Die Vorfreude auf das kürzlich erschienene Album war sehr groß, und ich wurde nicht enttäuscht! Der Track „TBD“ hat mich am meisten umgehauen. Eine perfekte Symbiose aus experimentellen Undergroundsounds und der total interessanten und schönen Stimme von Sampha, welche in mir Gefühle auslöst. Positive Gefühle. Das ist gut!

Yunus Hutterer

Textures – Shaping a Single Grain of Sand
Gleich zu Beginn des Songs der niederländischen Progressive Metaller stürzen sich tief gestimmte, siebensaitige Gitarren, die durch die erfreulich knackige Produktion besonders zur Geltung kommen, zusammen mit den Drums in ein virtuoses, polyrhtyhmisches Feuerwerk voller krummer Takte, bei denen man schnell in Verwirrung darüber gerät, wann man überhaupt mit dem Kopf nicken soll. Leichter fällt einem das dann schon bei den Thrash Metal-Parts, die mit berstenden Blastbeats und Dissonanzen garniert werden und Reminiszenzen an ihr grandioses, vorletztes Album Silhouettes erwecken, bei dem noch Eric Kalsbeek als Sänger fungierte. Daniël de Jongh, der 2011 dessen schwieriges Erbe auf Dualism angetreten hat, hat sich mittlerweile jedenfalls hervorragend eingelebt. Insbesondere in Shaping a Single Grain of Sand erweist sich seine Stimme als besonders vielfältig: Nahtlos geht sie von mitreißendem Klargesang zu kraftvollen Growls über, die sich wiederum Gang Shouts, welche ihre Metalcore-Schlagseite unterstreichen, abwechseln. Auch die unter den vertrackten Songstrukturen immer wieder aufblitzenden, charakteristischen Synths wissen sehr zu gefallen.

Maxime Weber