Weg mit den Klischees

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Eine Webserie als Imagewerbung: Sebastian Stojetz, 28, dreht in Kooperation mit der TU und der HFF München die Reihe “TUM – Täglich unter Männern”. Der Plot: Eine Frau will an der Technischen Universität studieren.

Es ist die Stunde der Wahrheit. Den Schauspielern liegen die Drehbücher vor, alle sitzen zusammen und beginnen die Szenen zu lesen. Dann ist Sebastian Stojetz, 28, am glücklichsten. “Das ist wie eine Droge”, erzählt er über den Moment, wenn die Figuren und die Geschichte, die er sich monatelang ausgedacht hat, durch die Stimmen der Schauspieler zum Leben erweckt werden. Der junge Regisseur und Drehbuchautor feiert gleich dreifache Premiere. Er hat gerade als erster die Förderung des Film-Fernseh-Fonds Bayern in der Kategorie Webserie erhalten – und das in Höhe von 50 000 Euro. Das Projekt ist die erste Kooperation zwischen der Technischer Universität (TU) München und der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF). Und es ist Sebastians erster eigener Film als Regisseur.

Unter dem Arbeitstitel “TUM – Täglich unter Männern” hat er in Kooperation mit der TU und der HFF München eine Geschichte entwickelt über das Studium an der Technischen Universität als Frau. Es geht um die taffe Juli, die wegen ihres Wunschs, Elektrotechnik zu studieren, von ihrem Freund verlassen wird. Humorvoll erzählen die Drehbuchautoren Sebastian Stojetz und Madeleine Fricke von dem Konflikt ihrer Protagonistin, trotz Hindernissen zu ihrem Traum zu stehen – und ihr Traum ist eben ein technisches Studium.

Die Webserie, also kurze Filmsequenzen, sind das Format der Zukunft. Das sagt zumindest Sebastian. Schon jetzt sehen immer mehr junge Menschen Serien. Für ihn ist das Format interessant, da es noch alle Freiheiten offenlässt. Die Länge der Folgen, der Handlungsaufbau und -ablauf, alles ist flexibel. Er kann experimentieren.

Angestoßen hat das Projekt der damalige TUM-Vizepräsident für Diversity und Talent Management, Klaus Diepold. Als Verantwortlicher für das Thema Gendergerechtigkeit wollte er, dass endlich Schluss ist mit dem Klischee, Frauen seien für technische Studiengänge nicht geeignet. “Es stört mich schon lange, dass in Fernsehen und Werbung Frauen nur bestimmte stereotype Rollen zugewiesen bekommen”, sagt Diepold. Deswegen habe er versucht, Filmschaffende davon zu überzeugen, mal ein Projekt über Ingenieure mit starken Frauen in Hauptrollen zu verwirklichen. Damit sei er auf Granit gestoßen. “Da habe ich mir gedacht, das machen wir jetzt einfach selbst”, sagt Diepold. “Es ist an der Zeit, dass auch im Film dargestellt wird, was schon lange Realität ist: starke Frauen in den Ingenieurwissenschaften.”

An der HFF hat Sebastian Stojetz von 2009 bis 2014 Drehbuch und Dramaturgie studiert. Als Dramaturg arbeitet er bei den Bavaria Filmstudios, seine Drehbücher waren schon Grundlage zahlreicher Filmproduktionen. In seinem neuesten Projekt ist er als Regisseur und Drehbuchautor involviert. Die Tätigkeit als Regisseur habe ihn völlig begeistert. “Da habe ich schon Blut geleckt”, sagt er mit einem Augenzwinkern. Denn nur so kann er eine Idee in ein Gesamtkunstwerk nach seinen Vorstellungen verwandeln.

Vor allem das Paket aus talentierten und engagierten Beteiligten vor und hinter der Kamera, dem aktuellen Thema und dem Auswertungspotenzial haben den Vergabeausschuss des Film Fernsehfonds Bayern überzeugt. “Dass wir diese Förderung vom Film-Fernseh-Fonds bekommen haben, war der Wahnsinn”, sagt Sebastian. Damit konnte er das Projekt so professionell aufziehen, wie er es sich gewünscht hat. Mit richtiger Kinovisualität und nicht nur von einer Spiegelreflex gedreht.

Helena Hofer, eine gute Freundin von Sebastian, hat mit ihrer Produktionsfirma Cocofilms die Produktion geleitet. Um alle anderen Dinge, wie etwa das Casting, hat sich Sebastian selbst gekümmert. Die Hauptrolle spielt Alina Stiegler. Auch der Kabarettist Maxi Schafroth ist mit von der Partie. Maria Furtwängler, die sich selbst mit ihrer Stiftung für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzt, ist die Idealbesetzung für die Rolle der Professorin für Regelungstechnik an der TU und als starke Frau das Vorbild der Protagonistin.

“Ich war schon immer ein Geschichtenerzähler”, sagt Sebastian. Während der Schulzeit habe er bereits kleine Prosa geschrieben. Nach dem Abi, während einer Interrail-Tour durch Europa, hat er mit einem Freund Ideen für zwei Theaterstücke gehabt. “Ich mag es am liebsten, Geschichten in dieser Dialogform zu erzählen”, sagt er. Danach ein Jahr der Orientierung. Studium der Komparatistik und Jura, journalistische Tätigkeit, eine Tour mit seiner Indie-Alternative Band durch Frankreich. “Aber ich wollte Geschichten erzählen, ich wollte selbst etwas tun und nicht nur wie in der Schule Dinge beigebracht bekommen”, sagt er. Dann kam die Zusage von der HFF.

Die Webserie um die Frau in der Männerwelt ist jetzt abgedreht und soll Anfang des kommenden Jahres in fünf Folgen à acht Minuten erscheinen. Klaus Diepold kann es kaum erwarten, erste Szenen fertig geschnitten zu sehen, nachdem er das Projekt nun schon seit fünf Jahren verfolgt. Tobias Grabmeier, ein Student von ihm, hat den Kontakt zu der Coco-Films Produzentin Helena Hufnagel und Sebastian Stojetz hergestellt. Die Kooperation mit der HFF ergab sich durch Zufall, als die heutige Präsidentin der HFF Bettina Reitz als Kuratorin der TU in einer Besprechung von dem Projekt informiert wurde. “Das war ein langwieriger Prozess mit vielen kleinen Impulsen, bis wir da angekommen sind, wo wir heute stehen”, sagt Diepold.

Gedreht wurde ausschließlich an Originalschauplätzen: Vorlesungssaal, Mensa, Bibliothek. Alle Szenerien entsprechen denen des echten Studentenlebens an der TUM. Den Filmemachern ist aber wichtig, dass ihre Webserie
über die TUM hinausgeht, dass sie sich überall für Genderförderung in
naturwissenschaftlichen Studiengängen einsetzen.

Mitten im Unialltag zu drehen, führt zudem zu lustigen Zwischenfällen. Beim Dreh in der TU Bibliothek bei vollem Betrieb durften selbst die Schauspieler nur miteinander flüstern, bis Stojetz in voller Konzentration und mit den Kopfhörern auf laut: “Und bitte!”, durch die gesamte Bibliothek rief. Bei einem Dreh Anfang November konnten die TU-Studenten als Komparsen auch selbst Teil der Serie werden. Für die erste Folge wurde eine Schlange Studenten, die auf ihre Student-Cards warten, nachgestellt. Mit 50 Leuten zu drehen, sei schon sehr aufwendig gewesen. “Die Schlange war uns deshalb so wichtig, da wir die verschiedenen Studi-Gruppen charakteristisch überspitzt zeigen wollten”, sagt Stojetz.

Aber was halten die Studierenden der TUM von der Idee? “In meinem Master in Kerntechnik und Astrophysik sind wir etwa fünf Prozent Frauen”, sagt Karina Bernert, 22, “da gibt es also eindeutig ein ungleiches Verhältnis. Ich habe mich nicht zurückhalten lassen und auch noch nie als Frau in den Naturwissenschaften einen Unterschied erlebt. Ich finde es wichtig, dass andere Mädchen dazu ermuntert werden. Dafür ist die Webserie ein gutes Zeichen, das die Uni sendet.” Leon Stütz, 24, macht seinen Master in Maschinenbau und Management an der TUM und schätzt den Frauenanteil auf unter zehn Prozent. Er gibt zu bedenken: “Ich glaube nicht, dass so eine Serie bei einem Mädchen in der elften Klasse, die sich vorher noch nie für Technik interessiert hat, plötzlich den Wunsch weckt, sich doch für Elektrotechnik einzuschreiben. Trotzdem ist eine Serie, die solche Klischees aufbricht, ein wichtiger erster Schritt.”

Heute ist Sebastian seinem Ziel, Menschen mit seinen Geschichten zu unterhalten, schon zum Greifen nahe. “Irgendwann will ich im Kino den Leuten von der ersten Reihe aus zusehen, wie sie zu meinen Filmen lachen. Das ist mein Traum”, sagt er. Am meisten faszinieren ihn die Charaktere, die für etwas brennen, in einem Thema “richtig nerdy” sind, seien es nun die Fußballergebnisse oder Elektrotechnik. So wie er selbst, mit seinem Talent zu schreiben und dem Traum, in der Filmwelt zu arbeiten. In seinem nächsten Projekt geht es dann um einen Mann, der sich in eine reine Frauendomäne vorwagt: Er will Hebamme werden.

Text: Anne Gerstenberg

Foto: Joshua Park

Fremdgänger: Mein Tisch, mein Teller

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Essen und Küche ist Bestandteil einer jeden Kultur. Nur kann man sich in dieser Hinsicht manchmal mit der einen besser und mit der anderen schlechter identifizieren. Unsere Autorin beschreibt ihren geplatzeten Croissant-Traum.

Etwas irritiert und enttäuscht starre ich auf die fast leere Schachtel Madeleines, die vor mir steht, und den Fruchtjoghurt. „Und das frühstückt ihr?“, frage ich meine Gastgeber und bemühe mich, meine Abneigung nicht zu zeigen. Es fällt mir sehr schwer. Die
nicken und bedeuten mir freundlich, mich zu bedienen. Unglücklich löffle ich trotz Laktoseintoleranz den Joghurt, die drei übrigen Madeleines waren schon unter den restlichen Händen verschwunden. So ganz entspricht das nicht dem Frühstück, das ich mir an einem traumhaften Sonntagmorgen im Frankreichurlaub erhofft hatte. Selbst mein alltägliches Haferflockenmüsli erscheint mir geradezu verlockend dagegen. Sehnsüchtig denke ich an die Boulangerie 100 Meter weiter. Als ich mich dezent erkundige, warum man denn dort nichts zum Frühstück geholt habe, ernte ich sehr erstaunte Blicke, die verraten, dass man diese Option von selbst nie erwogen hätte.
 Am nächsten Morgen nehme ich die Angelegenheit selbst in die Hand. Aber als ich mit zwei großen Tüten Croissant und Pain au Chocolat zurückkomme, bin ich die Einzige, die davon isst. Die Franzosen können vieles, aber nicht ordentlich frühstücken. Viele Franzosen trinken einfach einen Tee oder Kaffee, ohne etwas zu essen. Dann gibt es noch die Fraktion, die „bisquits“ mit Honig oder Marmelade bestreicht, in Deutschland gemeinhin bekannt als Zwieback. Kann man sich selbst noch schrecklicher quälen morgens? Warum die Franzosen von all den Köstlichkeiten, die es nur in ihrem Land gibt, zum Frühstück nicht Gebrauch machen, werde ich wohl nie verstehen.

Ich habe als Gastgeschenk – neben Brezn und Bier – Frühstücksbrettchen mit hübschen Münchner Stadtmotiven mitgebracht, deren Sinn sich trotz freundlichen Erklärens niemandem so richtig erschlossen zu haben schien. Sie wurden weggeräumt. Zum Frühstück benutzt man hier keinen Teller, die Brote werden auf dem Tisch bestrichen. Vom Tisch essen? Kein Problem! Dafür macht man ihn ja sauber! Die Krümel und Flecken? Kann man wegwischen. Ach, wenn das so plausibel ist, warum benutzen wir überhaupt noch Teller? Ich bin begeistert. Nix mehr mit abspülen. Ab jetzt ist mein Tisch mein Teller. Das widerspricht meiner gesamten Erziehung. Diese gesamte Frühstückssituation ist an Absurdität kaum zu übertreffen für meinen müden Geist. Fast müsste ich lachen über diesen Anblick.

Doch das ist noch nicht der größte Schrecken. Die größte Umstellung kam mit den Essenszeiten. Dîner, also Abendbrot gibt es hier nicht vor halb neun. Während ich also mit meinem brav an deutsche Essenszeiten gewöhnten Magen von halb sieben an Hunger hatte, musste man um diese Uhrzeit noch ein bisschen herumsitzen, bevor man Abendbrot machen konnte. Dabei ist Abendbrot schon der falsche Begriff. Nix mit Brotscheibe und Aufschnitt, fertig und gut so.
Das Abendessen gestaltet sich als Gänge-Menü. Eine warme Hauptspeise und Salat werden jeden Abend serviert. Darauf folgt die rhetorische Frage „Un peu de fromage?“, wer möchte noch Käse? Danach obligatorisch ein Dessert, um zehn Uhr rolle ich mich schließlich müde und mit vollem Magen in mein Zimmer. Jede weitere Bewegung ist ausgeschlossen. Dafür isst man mittags um 12.30 Uhr. Wer hat denn bitte da schon Hunger? Einen deutschen Tagesrhythmus gewohnt, musste ich den französischen wortwörtlich erst einmal verdauen. Am nächsten Morgen hatte ich dann auch keinen Hunger mehr. Aber ein frisches französisches Buttercroissant würde ich mir in Hinblick auf baldige Abstinenz sogar noch nach einem Fünf-Gänge-Menü genehmigen.

Text: Anne Gerstenberg
Foto: Privat

Wenn Oma Anna fehlt


Der junge Kabarettist Martin Frank kommt aus Niederbayern nach München, um Schauspieler zu werden. Und er fährt an jedem Wochenende von München nach Niederbayern, um wirklich daheim zu sein.

Von Anne Gerstenberg

Die Blicke der Fahrgäste: irritiert, abweisend. Dabei wollte Martin Frank, 24, doch nur freundlich sein. Mit einem herzlichen „Grüß Gott beinand“ betritt er am Marienplatz die U-Bahn – so hat ihm das seine Großmutter vom Bauernhof, wo er herkommt, beigebracht. Und doch blickt Martin in lauter konsternierte Gesichter. Dass diese Form der Höflichkeit in München nicht so üblich ist und nicht zur allgemeinen Stimmung beiträgt, wusste er nicht. Diese typische Szene zeigt den Kontrast zwischen Land und Stadt, es ist eine von vielen Beispielen aus dem Programm des jungen Kabarettisten, der aus dem tiefsten Niederbayern kam, um sich in München seinen großen Traum zu erfüllen, Schauspieler zu werden. Und doch ist seine Suche nach dem Glück noch nicht ganz abgeschlossen. 

Heute ist Martin Frank Kabarettist und besucht eine Münchner Schauspielschule, die schon viele Kabarettisten hervorgebracht hat. Er ist mit seinem Programm an den Wochenenden ausgebucht und kann sich davon die Schauspielschule und das Leben in München leisten. Die Neugierde und die Lust auf die große Welt haben ihn in die Großstadt getrieben. Aber so richtig heimisch fühlt sich Martin in München aber nicht. Die Unfreundlichkeit der vermeintlich so weltoffenen Stadtmenschen verwundert ihn. Er sitzt in der U-Bahn, ist seinem Traum zum Greifen nahe und fühlt sich doch verloren und fehl am Platz.

So ist auch sein aktuelles Programm entstanden. In „Alles ein bisschen anders“ erzählt seine Bühnenfigur, der leicht affektiert-infantile, naive und grenzunbekümmerte „Bua vom Bauernhof“ von seiner Konfrontation mit der Großstadt und all den Fettnäpfchen, die da so auftauchen. Seine Pointen bestechen durch ihre entwaffnende Ehrlichkeit. Oft taucht als moralische Instanz seine streng katholische Großmutter Anna in seinem Programm auf. Die hat ihn großgezogen auf dem Bauernhof und ihm eben den Benimm beigebracht, der in München nicht so recht funktionieren mag.

„Ich finde
mich selbst
gar nicht lustig.“

„Ich mochte es schon immer am liebsten, Menschen zum Lachen zu bringen“, sagt Martin. Schon in der Schule war er immer der Klassenclown. Und auch in der Schauspielschule liegen ihm eher die komischen Rollen. Oft wird er ermahnt, weil er in ernsten Szenen fast automatisch in seine Bühnenrolle verfällt und somit alles ins Lächerliche zieht.

Die Bühnenfigur entwickelte er, als er mit 16 sein erstes Programm „Ich pubertiere“ schrieb, mit dem er über die Grenzen Bayerns hinaus die Wirtshäuser zum Lachen brachte. „Ich finde mich selbst gar nicht lustig“, sagt Frank völlig unvermittelt. Seine Bühnenrolle, sagt er ernst, gehe ihm mit ihrer Affektiertheit total auf die Nerven.

Eigentlich ist Martin Frank gelernter Standesbeamter. In seiner niederbayerischen Heimatgemeinde Hutthurm, irgendwo hinter Passau, Richtung tiefster Bayerischer Wald, hat er Paare getraut. Bis er vor fünf Jahren die Krise gekriegt hat. An dem Tag saß er lachend und gleichzeitig weinend unter seinem Schreibtisch, hatte seinen Aktenvernichter in den Armen und wusste: So konnte es nicht weiter gehen mit ihm. Am selben Tag hat er bei seinem Chef, dem Hutthurmer Bürgermeister, gekündigt und später sein Fachabitur nachgeholt. Während dieser Zeit nahm er all seinen Mut zusammen und entschied sich, seinen großen Traum zu verfolgen und auf die Schauspielschule zu gehen.

Immer noch fühlt er sich hin- und hergerissen zwischen seiner Neugierde und seiner Heimatverbundenheit. Die vier Tage, die er mit Auftritten vergangenen Monat in Berlin verbrachte, waren die längste Zeit, die er von zu Hause weg war. Ansonsten fährt er jedes Wochenende nach einer Show wieder heim auf den Bauernhof zu seiner Familie. Er ist Organist der heimischen Pfarrgemeinde Sankt Martin und spielt dort jeden Sonntag in der Messe. Und er ist Mitglied im Hutthurmer Gemeinderat: Er will informiert bleiben über das Geschehen in seiner Heimat.

Trotzdem zieht es ihn wie magisch hinaus in die Welt. „Ich bin süchtig nach neuen Eindrücken und Bekanntschaften“, sagt er. Sein Blick streift überall umher, saugt alles auf und analysiert. Fast hat es den Anschein, als würde er prüfen, ob die Situation für eine Pointe reicht. Er redet durchgehend Bairisch und, wenn er mal Hochdeutsch redet, dann nimmt sein Gesicht einen affektiert-ernsten Blick an. Er spricht sehr bedacht, und doch klingt es, als wolle er sich über etwas lustig machen.

Martin hat mittlerweile eine große Routine auf der Bühne. Trotzdem leidet er unter Lampenfieber. Anfangs setzte er zu den Auftritten einfach seine Brille ab, damit er das Publikum nur unscharf wahrnahm. Inzwischen trägt er seine Brille, um den Kontakt zu Publikum zu haben und besser festzustellen, ob seine Pointen auch zünden. „Ich fixiere mich auf einen Grantler, der die ganz Zeit ernst ist, und spiele ihn so lange an, bis er lacht.“ Für ihn gibt es zwei Sorten von Publikum. Das Abonnement-Publikum, das sich vor lauter Routine von nichts mehr mitreißen lässt, und das dankbare Publikum, das über alles lacht. Der junge Kabarettist tritt am liebsten vor einer gesunden Mischung aus beiden auf.

In der Welt von Martin Frank ist jedes Erlebnis eine lustige Geschichte. So hat ihn zum Beispiel kurz vor einem Auftritt im Münchner Viehhof Monika Gruber angerufen und ihn eingeladen, gemeinsam mit ihr Silvester in Salzburg zu feiern. Monika Gruber? Martin wundert sich, warum die Frau vom Nachbarbauernhof in Hutthurm, eben die „Gruber Monika“, ihn einfach so anruft und fragt, wie es ihm geht. Erst langsam wird ihm bewusst, wer da gerade am Telefon ist.

The Living: Märchenkonzert im WG-Garten

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The Living spielte Donnerstagabend noch im Strom – Samstag dann in kleiner gemütlicher Atmosphäre bei unserem WG-Konzert. Viel Grün, viel Märchen, mehr gute Musik. 

Von Marina Sprenger

Langsam wird es dunkel im Wohnzimmer und die Leute tanzen barfuß im Gras. Statt einem Lagerfeuer dreht sich alles um die fünf Musiker, die mit Lichterketten-behängten Instrumenten unter den Bäumen stehen und gerade zum zweiten Mal eine Zugabe spielen. „Das muss einfach sein, wenn das Publikum so laut klatscht und jubelt, kein Problem, wir spielen nochmal “Valerie”. Weil da alle mitsingen können, und tanzen sowieso.“

Dann beendet der Sänger, Karlo Rödinger, 23, und seine Band The Living eines der schönsten Konzerte dieses Sommers. In München sind sie fester Bestandteil der jungen Musikszene, erst Donnerstag haben sie im Strom gespielt, aber das war ein Konzert, das sich um Lichtjahre von diesem Abend unterscheidet. Konzertsaal versus Lagerfeuer-Romantik. Zwei Geschwisterpaare plus eins, das ist die Band, zwei Kathis, Katrin Röding, 20, und Katharina Würzberg, 20, am Schlagzeug und dem Keyboard, Simon Holzinger, 20, an der Gitarre, Johannes Würzberg, 22, der Bruder der einen Kathi, am Bass und Karlo, der Bruder der anderen Kathi, der Sänger mit der Stimme wie Joe Cocker.

Wenn man die WG in der Reutterstraße betritt, trifft man sicher schon am Eingang ein paar Leute, denen man nicht ins Haus, sondern in den Garten folgen kann. Dort wird schon seit dem Nachmittag gegrillt und The Living sind seit Stunden am Aufbauen, sie haben ein neues In-Ear-Monitoring und müssen sich erst mal mit der Technik vertraut machen.

Am Keyboard und am Schlagzeug hängen schon jetzt Lichterketten, aber um acht Uhr abends ist es noch zu hell dafür. Auch in den Bäumen hängen Lichterketten, auf dem Gras stehen Gartenstühle und alte Sofas mit abgewetzten Brokatbezügen. Die Stimmung hat etwas Märchenhaftes, mit diesen ungewöhnlichen Sitzgelegenheiten und dem kleinen Garten, der von Bäumen umschlossen wird.

In der WG wohnen acht Leute, in den Räumen sieht es nach bewohntem Chaos aus, in vielen Zimmern stehen Instrumente, die Wände sind mit Unterwasserwelten bemalt, weil Jenny so gut malen kann. Die wohnt hier mit ihrer Schwester Vicki, mit Jonas, Lisa, Jon, Andi, Mona und Vinzent. Ein Haus mitten im Grünen, wie eine kleine Hippie-Kommune, und so sind die Bewohner auch, ungeschminkt, echt, ausgelassen – barfuß tanzen unter dem Sternenhimmel ist hier sicher keine Seltenheit. “Das kommt mir so surreal vor hier, wie im Paradies”, sagt Jonas über sein WG-Haus mit Garten, “und dass wir hier so ein Konzert haben ist natürlich das Sahnehäubchen auf dem I-Tüpfelchen”

Während die WG-Bewohner noch über die Einrichtung ihres Outdoor-Wohnzimmers reden, ist die Band langsam bereit. Die Sofas umrahmen eine kleine Tanzfläche direkt vor der Band, im Hintergrund läuft noch die Grillparty, vom Dach aus ruft man nach den Nachbarn, die sollen doch auch rüber kommen. Dann legen The Living los. “Wenn ihr nicht sitzen wollt, könnt ihr gerne aufstehen und tanzen und Spaß haben”, sagt Karlo in seinem typisch bluesig angehauchten Tonfall. Diese Aufforderung hätte es eigentlich schon nicht mehr gebraucht. Anfangs wird zwar noch etwas verhalten getanzt, aber schnell sind die Sofas leer und die Tanzfläche ist voll.

Auch mitsingen sollen alle, die Band macht es vor, alle machen mit, “bis die Nachbarn kommen”, ruft Karlo, und dann kommen tatsächlich die Nachbarn – Nehmen sich einen Stuhl, stellen sich dazu, setzen sich mit ihren Kindern aufs Dach und feiern mit. “Die sind schon einiges gewohnt”, erklärt jemand aus der WG. Trotzdem (oder deswegen?) ist das Verhältnis zu den Nachbarn super, einer will sogar die Kontaktdaten der Band und sie selbst für ein Fest buchen, besser könnte es also gar nicht laufen. Auf den Lautsprechern steht eine Seifenblasenmaschine, die alle paar Minuten nachgefüllt werden muss, Karlo tanzt mit Tambourin auf der Tanzfläche mit, auch auf dem Dach wird getanzt und das Bier aus den Kästen in der Badewanne schmeckt immer noch, obwohl es schon nicht mehr richtig kühl ist.

Es wird dunkler und die Lichterketten werden angemacht, und alle, die vorher noch eher in gemütlicher Grillparty-Stimmung waren, sind mittlerweile auch aufgestanden. Es wird wilder getanzt, je mehr sich Gläser und Flaschen leeren, und egal, wen man fragt, es ist niemand anwesend, der nicht absolut begeistert ist. Es ist ja auch etwas besonderes, so eine Band im WG-Garten, das gibt es nicht jede Woche, obwohl die Musiker so selbstverständlich mit ihren Instrumenten den Platz zwischen den Bäumen füllen, als wäre hier jedes Wochenende ein Konzert geboten. Die Songs von The Living sind aber auch einfach wie geschaffen für genau diese Atmosphäre, nicht zu aufgeregt, aber schnell und laut genug, dass man tanzen kann, eine Mischung aus Blues und Indie, ein bisschen Folk, ein bisschen Rock und damit die perfekte Mischung, um nicht nur die WG-Bewohner und ihre Freunde, sondern auch die Nachbarn jedes Alters glücklich und den Abend unvergesslich zu machen.

Nach dem letzten Song „Head over Heels“ ist noch niemand bereit, aufzuhören, alle stehen noch vorne und die Band hat keine andere Chance, als noch einen Song zu spielen, den hatten wir zwar schon, aber ist ja egal, es ist einfach zu schön, um jetzt schon aufzuhören. Also wird der Song wiederholt, und auch danach lässt niemand das Argument gelten, dass die Band keine weiteren Songs hat – dann spielen sie eben nochmal „Valerie“. Als das Konzert dann vorbei ist, sind alle wie entrückt, Gelächter liegt in der Luft, die Sofas werden langsam wieder in Beschlag genommen und die Band ist sichtlich zufrieden. Mit dieser Begeisterung und Stimmung hätten sie nicht gerechnet, „Es war einfach total geil“, sagt Johannes Würzberg und grinst, der Rest der Band stimmt lachend zu. Dann picken sie eine verirrte Nacktschnecke vom Schlagzeug, Katharina Würzberg kühlt mit einem Bier einen Mückenstich und die WG-Kasse wird geplündert – natürlich müssen die Jungs und Mädels ein Album von The Living kaufen.

Foto: Anne Gerstenberg