Nah, aber nicht zu nah

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Handwerkliches, Künstlerisches und Geschichtenerzählen: Der Filmemacher Lukas von Stein hat durch Crowdfunding und eine Förderung vom Sender Sky eine Dokumentation über den Musiker Jesper Munk gedreht.

Zu hören: leise Bassakkorde, Schlagzeug und Jesper Munks bluesige Stimme. Zu sehen: Munk, der in der Garderobe sitzt und raucht, am Spiegel die Setlist mit den Songs, die er gleich spielen wird. Dann: Munk auf der Bühne, wie er mit geschlossenen Augen ins Mikrofon singt.
Diese Aufnahmen in Schwarz-Weiß sind Szenen aus „For In My Way It Lies“, einem Dokumentarfilm über Jesper Munk. Mehr als ein Jahr lang haben der Filmemacher Lukas von Stein, 24, und sein Tonmann Marcel Morast den Musiker immer wieder begleitet und gefilmt: privat, im Studio, auf Konzerten. In ganz Deutschland und sogar in Kanada. Mehr als 80 Stunden Rohmaterial haben sie dabei gesammelt.
„Wir wollten keine inszenierten, filmreifen Momente herauspicken, sondern ein möglichst authentisches Bild von Jespers Leben als Musiker einfangen“, sagt Lukas. Dazu gehören auch die stillen Momente hinter der Bühne, Konflikte und Zweifel. Orientiert habe er sich am „Direct Cinema“-Stil der frühen Sechzigerjahre, bei dem die Filmemacher reine Beobachter sind und nicht eingreifen. Auch Lukas wollte einerseits „von außen drauf schauen“ und gleichzeitig einen psychologischen Eindruck von Munks Musikerseele geben – was der junge Filmemacher im Nachhinein grinsend als „ein bisschen größenwahnsinnig“ bezeichnet. Allein schon angesichts der Unmenge an Material.

Und nicht nur das: Wenn man das Leben einer Person mit der Kamera dokumentiert, dringt man in ihre Privatsphäre ein, muss auch delikate Momente ohne Skrupel filmen können. Skrupellos ist Lukas nicht, trotz seines Anspruchs nach größtmöglicher Authentizität. Er hatte manchmal sogar ein schlechtes Gewissen Jesper gegenüber, sagt er: „Ihn in einem intimen Augenblick mit seiner Freundin Lary zu filmen, hat sich ziemlich voyeuristisch angefühlt.“ Warum dann ein Dokumentarfilm? Warum über Jesper Munk?

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Nach seinem Abitur in Schondorf am Ammersee ging Lukas von Stein ein Jahr nach North Carolina an die Duke University, wo er einen Einblick in verschiedene Studiengänge bekam. Film und Politik gefielen ihm, deshalb begann er später ein Regiestudium an der Münchner Hochschule Macromedia, wechselte aber bald zur Kamera. Die Finanzierung übernahmen seine Großeltern, selbst wenn die Adelsfamilie nicht zu den besonders vermögenden zählt. Auch seine Eltern standen hinter ihm: „Ich habe von ihnen viel Rückhalt, aber nur wenig künstlerische Inspiration bekommen. Mit dem Filmemachen kam ich erstmals in Amerika in Berührung.“ Zu Beginn des Studiums habe ihn seine mangelnde Erfahrung manchmal verunsichert. Mit seinem Hut, der runden John-Lennon-Sonnenbrille und einer Selbstgedrehten im Mundwinkel wirkt Lukas heute aber gar nicht unsicher. Er ist eloquent, erzählt, dass das Kamerastudium eine gute Entscheidung war, weil es viele seiner Interessen verband: Handwerkliches, Künstlerisches und das Geschichtenerzählen.

Allerdings stand Lukas häufig in dem Konflikt, nicht nur Geschichten in Bilder übersetzen, sondern die Geschichten auch selbst schreiben zu wollen: Für seinen Abschlussfilm schrieb er deshalb ursprünglich ein fiktives Drehbuch über einen Mittzwanziger, der sich nicht traut, seinen Traum zu leben – ein Thema, das Lukas immer wieder umtreibt, auch jetzt im Jesper-Munk-Film. Doch dann sah er zufällig den Dokumentarfilm „Dont look back“ über Bob Dylan. „Von da an wollte ich zum ersten Mal lieber einen Dokumentarfilm machen, anstatt mein Drehbuch umzuset-zen“, erzählt Lukas. Denn seine zweite große Leidenschaft ist Musik, von den Rolling Stones über Folk bis hin zu Hip Hop. Er spielt auch Gitarre in einer Band.

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Ein Protagonist musste also her. Am besten jung, aufstrebend und noch erreichbar. „Ich hörte Jesper Munk damals rauf und runter und dachte sofort an ihn“, sagt der Filmemacher. Zufällig stellte er fest, dass er Jespers Bassisten von früher kannte, so kamen sie in Kontakt. Munk war einverstanden – wenn auch ein bisschen unsicher, ob er „interessant genug für einen Film“ sei: „Ich sehe mich selbst nicht als etablierte Künstlergröße, sondern bin ja noch in der musikalischen Entwicklung“, erklärt Munk, der damals nicht ahnte, welche Größenordnung das Ganze am Ende haben würde. Doch er bereue nichts, er sei dabei über sich hinausgewachsen, habe so manche Unsicherheit zu überwinden gelernt: „Das Projekt hat mir ganz neue Blickwinkel eröffnet.“ Außerdem gefiel dem Musiker, dass die Filmemacher irgendwie in einer ähnlichen Phase waren wie er selbst: Lukas lernte zum Beispiel erst im Laufe der Dreharbeiten, wie er mit seinem Protagonisten umgehen musste, damit der sich nicht unwohl fühlte. „Anfangs wollte ich es freundschaftlich angehen, aber dadurch war ich als Kameramann zu präsent“, sagt Lukas. Deshalb hielt er sich beim Filmen die meiste Zeit im Hintergrund. Erst nach Drehschluss führten die beiden längere Gespräche, ohne Kamera. Dabei legten sich auch die letzten Bedenken bei Munk, der nach eigenen Angaben nicht sehr leicht Vertrauen fasst.

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Eine Freundschaft mit dem Protagonisten macht es für einen Dokumentarfilmer aber nicht leichter: Lukas zufolge bat Munk ihn häufig, die Kamera auszumachen, wenn er einen schlechten Tag hatte oder etwas Unangenehmes passierte. Zum Beispiel, als einmal bei einem Meet and Greet keine Menschenseele erschien. Dann musste Lukas abwägen: Er wollte Munk ja nicht bloßstellen, gleichzeitig aber auch sein Ziel verfolgen – da blieb die Kamera auch schon mal an.

Wie war das für den Musiker? „Ich war dann einfach nur wütend“, erzählt Munk. Aber dann wurde darüber geredet und weitergemacht: Beide hatten Verständnis für die Situation des anderen.
Ende des Jahres soll der Film fertig sein. Seit diesem Frühjahr sichten Lukas und Marcel das Filmmaterial. „Das ist zäh und oft frustrierend“, sagt Lukas, der die Arbeit teilweise alleine machte, weil sein Tonmann viel arbeiten muss. Denn durch die Crowdfunding-Spenden und eine Förderung vom Sender Sky konnten sie gerade mal die Produktionskosten decken, sich aber keine Gage zahlen. Mehr nebenbei hat Lukas im Herbst 2016 seinen Abschluss gemacht: einen Film mit dem bis dahin vorhandenen Material samt Bachelor-Arbeit und einer Reflexion über das Projekt. „Ich habe enorm viel dabei gelernt, auch über mich selbst. Es ist also viel mehr als nur ein Abschlussfilm“, sagt er. Lukas freut sich, seinen Film bei Festivals zu präsentieren und dann endlich wieder den Kopf frei zu haben für neue Filmprojekte, seine eigene Band und das Schreiben.

Jesper Munk spielt die letzten Akkorde. Das Publikum jubelt. Auf der Bühne sind alle Unsicherheiten vergessen – dort lebt der Musiker seinen Traum.

Video: https://vimeo.com/226266371

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Text:
Anna-Elena Knerich

Fotos: Lukas von Stein, Alessandra Schellnegger

Mein Freund Cem


Livia Kerp ist mit ihren 15 Jahren wahrscheinlich die Jüngste der großen Münchner Bloggerszene. Sie berichtet
nicht mehr über Nagellacke – sie schreibt über politische Themen: aus Sicht einer Jugendlichen.

Livia Kerp ist klein, trägt ein bodenlanges Jerseykleid und hat ihre blonden Haare zu einem Half Bun gebunden, wie es zurzeit Trend ist. Eigentlich sieht sie aus, wie Achtklässlerinnen eben aussehen. Doch in ihrer Handtasche trägt sie außer den Schulbüchern auch einen kleinen Laptop, damit sie überall schreiben kann. Denn Livia ist Bloggerin – mit ihren 15 Jahren wahrscheinlich die jüngste der großen Münchner Bloggerszene – und schon ziemlich erfolgreich: Im Mai war sie für den Isarnetz Blog Award 2017 nominiert und innerhalb von nur zwei Jahren wurde „Livias Life Is Style Blog“ mehr als 1,4 Millionen mal aufgerufen, nicht zuletzt dank der Video-Empfehlungen von den Comedians Harry G. und Bernhard Hoëcker.

Außer den beiden hat die extrovertierte Junior-Bloggerin bereits Dutzende Personen aus dem öffentlichen Leben interviewt, darunter den Schauspieler André Dietz, „Die Lochis“, den Olympiasieger Florian Hambüchen und Politiker wie Cem Özdemir (Die Grünen), Christian Lindner (FDP) oder den österreichischen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). „Livia fragt nach“ heißt die Rubrik, in der die Bloggerin über politische Themen schreibt – aus Sicht einer Jugendlichen.

Nachfragen? Politik? Mit 15?
Angefangen habe es mit ihrer Liebe zu Nageldesign und Fashion, die besonders durch ihre modebewusste Großmutter geprägt worden sei, sagt Livia. „Ich habe auch mit 13 schon viele Modeblogs gelesen, einer meiner Favoriten ist bis heute ,Nachgestern ist vormorgen‘.“ 2015 sei sie dann auf die Idee gekommen, selbst einen Blog ins Leben zu rufen. Zunächst googelte Livia, die der Generation Z angehört und schon von klein auf mit dem Internet aufgewachsen ist, welche Blog-Domains es gibt und welche besonders leicht zu handhaben sind. Beim Einrichten ihrer Blogspot-Seite half dann ihr Vater: „Meine Eltern haben mich von Anfang an bei meinem Vorhaben unterstützt, sie hatten mich ja schon früh über die Schattenseiten des Internets aufgeklärt“, sagt Livia.

Ursprünglich sollte es auf ihrer Seite um Nagellacke und Styles gehen, bis ihr nach einigen Beiträgen bewusst wurde, dass das „total unnötig ist“, räumt Livia ein wenig beschämt ein. Daraufhin ist sie dazu übergegangen, Jugendbücher oder -serien zu rezensieren und andere Blogger zu interviewen – ein Schachzug, der ihr schnell eine enorme Reichweite verschaffte.

Geschrieben hat sie schon immer sehr viel, sagt Livia, meistens Geschichten über Situationen aus ihrem Alltag. Darum geht es unter anderem auch auf ihrem Blog: die adäquate Höhe des Taschengelds, den neuesten Disney-Film, die besten Eisdielen. Themen, die Jugendliche eben bewegen. Doch Livia ist sehr wissbegierig und vielseitig interessiert – auch an Politik.
 Der Auslöser dafür seien die Nachrichten gewesen, die ihr Vater mit ihr schauen wollte. „Zunächst hatte ich darauf gar keine Lust“, gesteht Livia. Aber dann habe sie sich darauf eingelassen und begonnen, sich mit den Informationen auseinanderzusetzen und sich eigene Meinungen dazu zu bilden: „Ich habe richtig gemerkt, dass etwas in meinem Kopf passiert – und dass ich auch selbst etwas bewegen kann und will.“ Seitdem schreibt sie auch über gesellschaftspolitische Themen wie Umweltschutz, Flüchtlinge oder das Wahlrecht ab 16.

Sie recherchiert alles genau und hat einen Artikel verfasst, in dem sie die Haltungen der einzelnen Parteien zu diesen Punkten beleuchtet: „Ich möchte die politischen Themen gerne so darstellen, dass auch Jugendliche sie verstehen“, sagt die junge Bloggerin, die auch renommierte Politiker nach ihren Standpunkten dazu befragt. An den Anfrage-Mails feile sie immer ziemlich lange, aber bisher habe sie nur Zusagen bekommen: „Alle Politiker haben mir sofort geantwortet – im Gegensatz zu einigen Promis!“ Livia erzählt von der harten Abfuhr, die ihr das Management von Elyas M’Barek erteilte, als sie nach einem Interview mit dem Schauspieler fragte. Solche Enttäuschungen erlebe man als Blogger immer wieder, sagt Livia, aber sie lasse sich davon nicht entmutigen. Vielmehr fühle sie sich dadurch bestärkt – vor allem, wenn andere Interviewpartner, wie etwa Cem Özdemir, richtig entgegenkommend sind. „Trotzdem bin ich vor Telefon-Interviews mit Politikern extrem aufgeregt, darum lege ich dann immer ein Skript vor mich, auf dem ich genau notiert habe, was ich wann sage oder frage“, verrät sie.

Natürlich schreibt sie nicht nur über ernste Themen, denn Abwechslung findet sie auf einem Blog sehr wichtig – doch sie würde gerne mehr Teenager zum Nachdenken anregen: „Die meisten in meinem Alter interessieren sich mehr für YouTuber als für Politik. Das finde ich sehr schade, schließlich geht es um unsere Zukunft!“ Livia zieht eine Liste mit Politikern hervor, die sie noch interviewen möchte: Katarina Barley, Peter Tauber. Sie findet, mit der Politik ist es wie mit einer neuen Sprache: Je mehr Vokabeln man gelernt hat, desto mehr versteht man und desto mehr Spaß macht sie. „Es gibt aber auch einige Kinder, die unbedingt etwas für die Welt tun wollen. Darum fände ich es toll, wenn man schon mit 16 wählen dürfte.“ Livia, die selbst viel reifer wirkt als 15, wüsste schon, wen sie bei der Bundestagswahl im Herbst wählen würde.

Auch in ihrer Kolumne beim Münchner Samstagsblatt schreibt Livia über stadtpolitische Themen, etwa über den Straßenverkehr, das Isarwerk 1 oder die Situation der Flüchtlingsunterkünfte in München.

Schule hat für Livia absolute Priorität, doch ihre größte Leidenschaft gilt neben Hip-Hop-Tanzen dem Schreiben – womit sie auch andere ansteckt: „Eine Freundin von mir würde gerne einen Reiseblog gründen, aber sie befürchtet, dass sie das regelmäßige Bloggen nicht durchhalten würde.“ Livia selbst verbringt mindestens drei bis vier Nachmittage pro Woche in ihrem Stammcafé am Max-Weber-Platz, um Artikel zu schreiben. Die veröffentlicht sie dann diszipliniert jeden Freitag, Samstag und Sonntag. „Ich könnte es nicht bringen, nichts mehr zu posten. Und solange das neben der Schule noch geht, will ich unbedingt weiter bloggen“, sagt Livia. Allerdings nur als Hobby – denn beruflich hat sie ganz andere Pläne: Sie möchte Kinderpsychologin oder Grundschullehrerin werden, „auf jeden Fall was mit Kindern“, sagt sie.
 In eine andere Stadt zu ziehen kommt für das Münchner Kindl nicht in Frage: „Für mich ist München die schönste Stadt der Welt, es gibt in jedem Stadtteil immer etwas Neues zu entdecken!“ Was, das kann man auf ihrem Blog oder in ihren Kolumnen nachlesen.

Text und Foto: Anna-Elena Knerich

Über die Illusion der Zweisamkeit

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Die Fotografin Eva-Marlene Etzel hat in ihrem Buch „Menschen, die behaupten sich zu lieben“ Szenen gestellt, die

mögliche Momente zwischen zwei Liebenden zeigen.

Eine junge Frau sitzt hinter einem jungen Mann in der Badewanne und hält ihn fest umschlungen. Die beiden sind komplett angezogen und tief in Gedanken versunken, sein Blick ist zu Boden gerichtet. Eine Szene großer Intimität zwischen zwei Menschen, möchte man meinen. Und doch ist dieses Bild die pure Inszenierung: Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat die Fotografin Eva-Marlene Etzel, 27, mögliche Momente zwischen zwei Liebenden fotografisch umgesetzt und in ihrem Buch „Menschen, die behaupten sich zu lieben“ zusammengefasst. 

Die dargestellten Liebesbeziehungen sind ganz unterschiedlicher Art: Mal zeigt sie ein verliebtes Pärchen, das ein Kind erwartet, mal sind es Mitbewohner, die sich (noch) nicht trauen, sich ihre Liebe offen zu gestehen, mal ist es ein Paar, das Kommunikationsschwierigkeiten hat und vielleicht nicht mehr lange zusammen ist. Marlene interessieren die Kräfte, die Liebende aussenden.
Doch die Liebe ist Gegenstand von unzähligen Gedichten, Gemälden und Songs – umso schwerer ist es, dieses mystifizierte Gefühl nicht allzu abgedroschen darzustellen. Das weiß auch die 27-jährige Fotografin. Dennoch hat sie sich an dieses große Thema herangewagt.

Angefangen hat alles mit dem Ende einer Beziehung. Genauer gesagt mit der zweiten Trennung in Marlenes Leben, zwei Wochen vor ihrem Bachelorabschluss 2014, und ihrem Entschluss, den Herzschmerz diesmal schneller zu verarbeiten – denn um über ihre erste große Liebe hinwegzukommen, hatte sie zuvor Jahre gebraucht: „Mit meinem ersten Freund war ich von 15 an zusammen, wir wurden quasi zusammen erwachsen und ich habe ihn im Nachhinein noch lange idealisiert.“ Nach dem Abitur wollte sie seinetwegen von München nach Köln ziehen, doch kurz vor ihrem Umzug war Schluss, nach vier Jahren Beziehung.

Marlene ging trotzdem nach Köln – für sie war diese Trennung auch eine von ihrer Heimatstadt und ihrer Jugend. „Heute finde ich all meine Irrungen und Wirrungen wichtig“, sagt Marlene und zupft an den Ärmeln ihres schlichten schwarzen Kleides, den Schmerz hat sie aber nicht vergessen. Erst das Ende ihrer zweiten Beziehung habe sie Jahre später angespornt, sich mit dem Unverständnis zwischen zwei Menschen auseinanderzusetzen – mit einem Foto-Projekt über die Liebe. Das Ergebnis davon hält sie heute stolz in den Händen: Mittels Crowdfunding konnte sie die Exemplare ihres handgebundenen Buches in A-3-Format drucken lassen – und darüber hinaus eine Ausstellung im Münchner Provisorium organisieren, die sie am kommenden Dienstag, den 4. April, eröffnen wird. 

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In Köln machte die damals 19-Jährige ein zehnmonatiges Praktikum bei einem Fotografen: Ihren Eltern zufolge hatte sie ihr erstes Foto mit drei Jahren geschossen, erzählt sie, und spätestens seit sie als Teenie eine analoge Spiegelreflexkamera bekommen hatte und am Pestalozzi-Gymnasium die Klassenfotos machen durfte, war ihr klar, dass sie Fotografin werden wollte. „Um mich als Einzelkind nicht zu langweilen, musste ich schon immer sehr kreativ sein“, erzählt Marlene, die auch einige ihrer Tattoos selbst entworfen hat, „doch ich war unsicher, ob ich gut genug für diesen Beruf war.“
Das Praktikum war für sie zwar keine positive Erfahrung, doch davon ließ sich Marlene nicht entmutigen. Sie erstellte in dieser Zeit ihre Bewerbungsmappe – und begann 2009 die „Photographic Studies“ in Dortmund. Schnell war der kreativen jungen Frau klar, dass sie nicht dokumentarisch fotografieren wollte: „Ich will immer mit Menschen, aber auch konzeptuell arbeiten.“

So sind auch die Bilder in ihrem Buch Hybride aus Mode- und Porträtfotografie: Kleidung, Accessoires und die Sets sind sehr ästhetisch und genau nach ihrer Vorstellung konzipiert, wofür Marlene unter anderem mit dem jungen Modedesigner Mario Keine sowie mit Make-up-Artisten, Stylisten und Set-Designern zusammen arbeitete. Dennoch sind die sieben Strecken in ihrem Buch keine reinen Modestrecken. „Besonders bei diesem Projekt war mir wichtig, dass auch der Charakter der Personen durchblitzt“, sagt Marlene.

Darum hat sie auch keine professionellen Models, sondern Menschen aus ihrem Freundeskreis fotografiert: Zwar waren darunter vier „echte“ Liebespaare und alle kannten einander – doch einige waren es nicht gewohnt, vor der Kamera zu stehen, wodurch oft etwas Anderes herauskam, als Marlene geplant hatte. Womit sie dann bewusst spielte: „Was ist inszeniert, was ist authentisch bei der Darstellung einer Liebesbeziehung?“ Eine Frage, die man sich im heutigen Zeitalter der Sozialen Medien wohl häufig stellen muss. Wobei Marlene ihre offensichtlichen Inszenierungen für realer hält als die „vorgegaukelte Authentizität in der Social-Media-Welt“.
Zentrale Metapher seien vor allem die Blicke: Wie schauen sich die Liebenden an? Schauen sie sich überhaupt an? Wie blickt der Betrachter auf das Paar – kann er unterscheiden, ob ihre Liebe echt oder inszeniert ist? Und was ändert sich, wenn die Models plötzlich in die Kamera schauen und mit der Illusion der Zweisamkeit brechen?

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Für ihre Inszenierungen ließ sich Marlene von ikonischen Liebespaaren inspirieren, im Buch finden sich immer wieder Verweise zu Shakespeare-Stücken. Das Theatrale wird jedoch nicht nur durch ein Bühnenshooting, eine zauberhafte Szene in einem Wald oder ein Paar in elisabethanisch anmutenden Kleidern verdeutlicht: Jede Bilderstrecke ist mit einem eigens verfassten Dialog von der Münchner Autorin Sibylla Hirschhäuser angereichert, die derzeit ihren Master am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig macht. Marlene schätzt die Texte ihrer Freundin sehr: „Sie lässt die Menschen, die ich abgebildet habe, sprechen.“ Das mache die Situationen zwischen den Paaren viel glaubwürdiger.

Doch Sibylla und ihre Dortmunder Freunde sind nicht die einzigen, die Marlene bei ihrem Projekt unterstützten: „Für Morgan, den ich liebe“, steht vorne im Buch. Im September 2015 lernte Marlene den Amerikaner kennen, damals plante sie gerade ihre Masterarbeit. „Es war keine Liebe auf den ersten Blick, doch bald merkte ich, dass er alles vereint, was ich mir von einem Mann wünsche“, erzählt Marlene. Er habe ihr die Kraft gegeben, das durch Herzschmerz entstandene Projekt auch zu realisieren. Mittlerweile leben sie zusammen in München – und sind verheiratet, nach nur einem Jahr Beziehung. „Die Liebe ist das Gegenteil von Angst: Sie bringt einen dazu, Risiken einzugehen“, sagt Marlene und lächelt. Sie habe sich eben immer für die Liebe entschieden.

Text: Anna-Elena Knerich

Fotos: Morgan Etzel / 

Eva-Marlene Etzel

Doppeltes Neuland

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Falckenberg-Schüler Swen Lasse Awe, 26, bringt als eigene Premiere das Erstlingswerk „Abraum“ von seinem Freund Wilke Weermann auf die Bühne.

Swen Lasse Awe, 26, sitzt auf einem Stuhl zwei Meter vor dem Bühnenbild aus Holz, die Beine abwechselnd angezogen und übereinander geschlagen. Mit festem Blick verfolgt er jede Bewegung der fünf Schauspieler, die gerade die Einzugsszene aus „Abraum“ proben. Ab und zu lacht er oder ruft ihnen zu: „Etwas weniger halbherzig, bitte!“ Er macht nicht den Eindruck eines Regisseurs, der seiner jungen Schauspieltruppe allzu viel vorschreibt; in seinem Ringelshirt und den Sneakern wirkt er vielmehr wie einer von ihnen.

Das Stück wird die Abschlussinszenierung von Swen Lasses Regiestudium sein – und gleichzeitig eine Uraufführung: Der 24-jährige Autor von „Abraum“, Wilke Weermann, hatte dafür im letzten Jahr den Münchner Förderpreis für deutschsprachige Dramatik gewonnen, die Lesung des Textes hatte bereits damals Swen Lasse inszeniert. „Wilke und ich haben uns das erste Mal vor vier Jahren bei einer Regie-Aufnahmeprüfung in Berlin getroffen, wo wir aber beide nicht genommen wurden“, sagt Swen Lasse und lacht. Der Hamburger erzählt, dass er während seiner Schulzeit zwar eher auf Konzerte und Festivals anstatt ins Theater gegangen sei – Theater habe ihn aber trotzdem fasziniert, also machte er nach dem Abitur mehrere Regiehospitanzen. 2013 wurde er dann an der Otto-Falckenberg-Schule in München genommen und ist Wilke, seinerseits Regiestudent in Ludwigsburg, seitdem immer wieder begegnet.

Dass Swen Lasse die Lesung von „Abraum“ inszenierte, war Zufall – doch als die Kammerspiele ihn daraufhin fragten, ob er das Stück auf die Bühne bringen wolle, sagte er sofort zu: „Das Stück ist sehr klug und dicht geschrieben und bespielt viele Ebenen.“

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Dennoch ist diese Inszenierung in zweierlei Hinsicht Neuland für Swen Lasse: Denn „Abraum“ ist das allererste Theaterstück, das er auf die Bühne bringt – bisher hat er nur Romanadaptionen inszeniert, zum Beispiel von Joseph Hellers 600-seitigem Roman „Catch-22“. „Es macht Spaß, mir bei so einem dicken Roman zu überlegen, was ich daraus erzählen und auf die Bühne bringen will.“ Diese Freiheit habe er an der Falckenberg-Schule von Beginn an bekommen, auch wenn ihn das anfangs etwas irritiert habe: „Wir hatten nie Vorlesungen darüber, wie man ein Stück inszeniert.“ Doch bald habe er es als Chance gesehen, sich an eigenen Produktionen ausprobieren zu können – dank der Anbindung der Schule an die Kammerspiele sogar mit professionellen Requisiten, Räumlichkeiten und Beleuchtung.

Das komplexe Theaterstück „Abraum“ hingegen sieht der Nachwuchsregisseur als Herausforderung, einmal ganz anders zu arbeiten – es ist so „hermetisch und ohne auch nur einen einzigen überflüssigen Satz“, dass man nicht beliebig viel streichen und ändern könne. Wozu ihn sein Freund Wilke, der bei zwei Proben auch dabei war, aber ermutigt: „Ich habe die Leerstellen doch genau deshalb gelassen, damit andere was daraus machen können“, sagt der junge Autor. Er selbst sei noch zu nah an diesem Stück dran, um es zu inszenieren. Natürlich habe er bei den Proben ein paar Anmerkungen gemacht – ob sie diese dann umsetzen, sei aber ihre Entscheidung.

Auch in dieser Hinsicht ist die „Abraum“-Inszenierung eine neue Erfahrung für Swen Lasse: Er hat vor seinem Regiestudium einen Bachelor in Komparatistik gemacht und vertritt eigentlich die Konzeption des „toten Autors“ – bei diesem Stück hat er es jedoch nicht nur mit einem lebenden Autor zu tun, er kennt ihn sogar auch noch. Doch obwohl Swen Lasse großen Respekt vor dem Stück zu haben scheint, hat er Wilke nie gefragt, wie er bestimmte Dinge gemeint habe: „Ich glaube nicht an die Deutungshoheit des Autors. Gott sei Dank sieht Wilke das genauso und macht keinen Druck“, sagt Swen Lasse. Seine Herangehensweise sei immer der Text selbst.

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Den erschließe er sich beim Proben – gemeinsam mit seiner Schauspieltruppe: Bis auf Niklas Maienschein, Absolvent des Salzburger Mozarteums, sind alle jungen Schauspieler (Mira Huber, Vincent zur Linden, Jannik Mioducki und Fabian Ringel) im selben Jahrgang der Falckenberg-Schule wie Swen Lasse, dementsprechend haben sie auch schon oft zusammen gearbeitet. Der junge Regisseur hat ganz bewusst sie für diese Inszenierung ausgewählt, weil er mit ihnen „gemeinsam denken“ könne, wie er sagt: „Sie erwarten nicht, dass ich ihnen Anweisungen gebe oder sie choreografiere. Ich lasse sie einfach machen und filtere oder ordne das dann.“ Die Schauspieler schätzen diese Arbeitsweise, Vincent zur Linden erzählt aber: „In schwierigen Situationen habe ich mir schon auch mal gewünscht, dass der Regisseur einfach mal sagt, wie es gehört. Im Nachhinein bin ich aber immer froh, da gemeinsam durchgegangen zu sein.“

In dem Stück geht es um fünf junge Menschen und einen alten Mann, die in einem verlassenen Steinbruch am Rande der Gesellschaft leben. Es herrschen Kommunikationsprobleme, bald bilden sich Machtstrukturen in der Gruppe heraus und Gewalt macht sich breit – doch es gelingt ihnen nicht, ihre Abhängigkeit voneinander zu überwinden. Diese Spannung zwischen den fünf jungen Menschen und dem Alten, den sie nicht verstehen, wird auch durch den 79-jährigen Christian Mey getrieben, findet Swen Lasse: „Christian bringt unheimlich viel Erfahrung und Persönlichkeit mit – dass er und die jungen Schauspieler aufeinandertreffen, erzeugt eine irre Dynamik.“

Förderlich für diese produktive Energie seien auch die Pathos Ateliers, wo sie seit Februar proben: Hier müssen sie nicht zu festen Uhrzeiten wie auf Knopfdruck kreativ sein, sondern sie können zwischendrin lange Pausen machen und dafür bis drei Uhr morgens proben.

Im Juni wird Swen Lasse seine Inszenierung beim Körber Studio Junge Regie zeigen, einer wichtigen Plattform für den Regienachwuchs. „Mal sehen, was sich da ergibt“, sagt er bescheiden. Erst mal freut er sich, bei der Premiere am 31. März in den Kammerspielen zu zeigen, was sie gemeinsam erarbeitet haben. Und auch Wilke Weermann ist zuversichtlich: „Ich vertraue darauf, dass es gut sein wird.“

 

Text: Anna-Elena Knerich

 

Fotos: Florian Peljak