Mitten im Semester bekam Anna Drexler (Foto: Käthe DeKoe) eine Rolle an den Kammerspielen angeboten – dafür wird sie von der Schauspielschule freigestellt.
Ein wenig wirkt es, als gehöre sie hier dazu. Nicht wie ein Gast, sondern mit der Selbstverständlichkeit eines alt bekannten Mitglieds. Sie weiß, wer ihr an welchem Tag ihre Saftschorle einschenkt und wo sie das Glas anschließend abstellen sollte, um möglichst wenig Arbeit zu machen. Hier, das ist die Kantine der Kammerspiele. Sie, das ist Anna Drexler. Und überraschen sollte das, weil die 23-jährige Schauspielerin eigentlich gerade noch ihr letztes Jahr auf der Schauspielschule absolvieren sollte, um danach auf die Aufnahme in einem Schauspielhaus zu hoffen. Stattdessen aber ist sie nun Ensemble-Mitglied der Kammerspiele und konnte sich den Unterricht bis zur Abschlussprüfung sparen. Im April dieses Jahres verabschiedete sie sich von der Otto-Falckenberg-Schule und blieb im Theater.
Eine schwierige Entscheidung, sich gegen das letzte Jahr zu entscheiden? Da schüttelt die 23-Jährige den Kopf: „Die Kammerspiele sind ein Theater, das ich mir früher gar nicht erträumt hätte, da überlegt man keine Sekunde.“
Wirklich früh begann sie streng genommen gar nicht von den Kammerspielen – ja von der Schauspielerei überhaupt – zu träumen. Ihre Eltern sind Schauspieler, Anna wuchs in einem Theaterumfeld auf, das sich von Stadt zu Stadt wohl in einigen Punkten nicht unterscheidet: Das Theater ist ein kleiner eigener Kosmos, einer, der viel Zeit einfordert und der einem wenig Sicherheit auf längere Sicht geben kann. „Dass meine Eltern Schauspieler waren, war natürlich prägend. Aber zuerst in der Hinsicht, dass dieser Beruf überhaupt nicht für mich infrage kam.“
Sie beschreibt das nicht als die typische Rebellion gegen Eltern, als unbedingten Wunsch, sich distanzieren zu wollen. Vielmehr erzählt sie davon, dass ihr ihre Eltern immer ein realistisches Berufsbild vermittelt hätten und ihr immer klar gewesen sei, dass es ein spannender Beruf sei, der aber meist weder mit dem großen Geld noch mit viel Zeit für das Privatleben verbunden ist. Und so waren die Berufswünsche zunächst weit von der Bühne entfernt: Illustratorin von Kinderbüchern oder Konditorin.
Was zunächst nach Kinderwünschen klingen mag, war Anna Drexler recht ernst. Sie sammelte erste Erfahrungen im Konditorei-Betrieb, um festzustellen, dass es ihr doch „zu wenig Arbeit mit dem Kopf“ war. Die Wende kam 2008. Ihre Schule machte ein großes Theater-Projekt und sie merkte immer mehr, wie viel Spaß sie dabei hatte. 2009 folgte das Abitur, dann die Entscheidung für die Schauspielerei. Sie selbst formuliert das so: „Ich habe mir ein Jahr Zeit gegeben, um an den Schulen vorzusprechen und es einfach zu versuchen.“ Verbunden war dieses Jahr mit viel Aufregung – einer Angst-Aufregung, die sie heute nicht mehr vor Aufführungen empfindet, weil sie nun ein Fundament habe, das ihr Sicherheit gebe: auch in dem Moment, in dem sie auf die Bühne tritt. Doch damals lud sie Familie und Freunde ein, um ihnen ihre Rollen vorzuspielen, sich mit der Situation des Vorsprechens vertraut zu machen. Richtig gewöhnen konnte sie sich nicht, das Vorsprechen blieb eine Ausnahmesituationen: „Es ist auch ganz extrem, wie der Körper reagiert. Als würde man sich nach außen stülpen.“
Aber nach diesem Jahr, in dem sie sich an allen deutschsprachigen Schulen vorgestellt hatte, hat sie die seltene Möglichkeit: Sie hatte nicht nur eine Zusage und konnte sich deshalb die Schule aussuchen. Sie entschied sich für München. „Ich habe mich hier sehr wohl gefühlt, die Kommission hat mir ein gutes Gefühl gegeben und ich dachte, es ist vielleicht ein ganz guter Kontrast zu Berlin.“ Berlin, das ist die Stadt, die sie als ihre Heimatstadt bezeichnen würde, auch wenn sie in der Nähe von Frankfurt geboren ist, auch wenn sie recht viel herumgekommen ist. „Die meiste Zeit war ich in Berlin.“
Dass sie nun sicher noch länger in München bleiben wird, liegt an einem für sie glücklichen Zufall. Bei der Produktion von „Onkel Wanja“ war den Kammerspielen eine Schauspielerin ausgefallen. „Dann haben sie mich für die Rolle gefragt und ich habe gesagt: Natürlich.“ Etwas später sagt sie: „Es ist ein tolles Gefühl, jetzt auch finanziell unabhängig von meinen Eltern zu sein.“
Es ist diese Schlichtheit, die das Gespräch mit ihr auszeichnet. Es fallen wenig große Wörter: Chancen ja, aber die Kategorien Schicksal, Zufall, Fügung sind ihr fern. Sie versucht das zu machen, was sie kann, und das gut. Sie scheint zu ahnen oder zu wissen, dass ihr aktueller Erfolg gerade schön ist, dass sie ihm aber nicht zu viel beimessen sollte. Spricht man sie etwa auf den O.E.-Hasse-Preis an, den sie nun für ihr Spiel erhalten hat, erzählt sie erst davon, dass sie sich wahnsinnig gefreut habe, auf der Maximilianstraße auf und ab gehüpft sei, als sie davon gehört habe. Das glaubt man ihr, da sie unbeschwert und jugendlich genug wirkt, um sich in diesen Gefühlen auch fallen lassen zu können. Doch dann sagt sie: „Ich freue mich sehr und bleibe immer ein bisschen vorsichtig.“
Ähnlich erzählt sie auch über die Probenzeit bei Onkel Wanja: „Die Zeit war kurz und es lag an mir, dass ich jetzt ins Wasser springe.“ Eine große Aufgabe sei das gewesen, aber eine, die ihr das Ensemble leicht gemacht habe. Sieht man sie dann auf der Bühne, scheint ihr die Aufgabe geglückt: Schön schaut sie nicht aus, wenn sie, die sich sonst eher romantisch-mädchenhaft kleidet, im plumpen Sackkleid daherkommt und sich zwischen den immer gleichen Sätzen, die der verloren gegangenen Routine hinterhertrauern, entweder das strähnige Haar oder die Brille zurecht rückt. Schön soll sie nicht aussehen. Und wieder stellt sich dasselbe Gefühl ein wie in der Kantine. Das nämlich, dass sie hier nicht zu Gast, sondern zu Hause ist.
Marie Schoess
Foto: Käthe DeKoe