Krumme Dinger

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Kampf gegen den Schönheitswahn: Zwei junge Münchner Projekte setzen sich mit verschiedenen Ansätzen dafür ein, dass auch ungewöhnlich geformtes Obst und Gemüse seinen Weg auf den Teller findet.

Möglichst glatte Haut, nicht zu viele Rundungen, Normalgröße – der Schönheitswahn macht auch vor Gemüse keinen Halt. Für Normabweichler hat das drastische Konsequenzen: Zu kleine Kartoffeln werden untergepflügt, krumme Gurken aussortiert, mehrbeinige Karotten in Biogasanlagen verheizt. In München setzen sich derzeit zwei Projekte intensiv mit diesem Thema auseinander – auf ganz unterschiedliche Weise: Ugly Fruits gründet einen gemeinnützigen Verein, um Aufklärungsarbeit zu betreiben, Etepetete hingegen macht als GmbH unförmig gewachsenes Gemüse zum Geschäftsmodell.

Stefan Kukla, 23, hat bei seiner Recherche für Ugly Fruits mit vielen gesprochen: mit Groß- und Kleinbauern, Verbänden, Handelsvertretern und Konsumenten. Ursprünglich führte der Student diese Recherchearbeit durch, um ein funktionierendes Geschäftsmodell zu entwerfen, wie die „hässlichen Früchte“ doch ihren Weg in die Supermarktregale finden könnten. Stefan Kukla und Linda Martin, seine Kommilitonin im Fach „Management nachhaltiger Innovationen“, knüpfen damit an das Projekt dreier Berliner Designer an, die als Diplomarbeit medienwirksame Kampagnen gegen die Verschwendung der Ernte entworfen hatten – diese dann jedoch zugunsten der Gründung einer eigenen Agentur in der Schublade verschwinden ließen.

Nach vielen Gesprächen rund um das Problemgemüse steht für Stefan jedoch fest: „Es lohnt sich nicht, etwas auf den Markt zu schmeißen, ehe das Bewusstsein dafür gebildet ist.“ Die meisten Menschen, mit denen er gesprochen hat, fänden diese Art von Lebensmittelverschwendung zwar „irrsinnig“, sobald man sie ihnen darlege. Von sich aus hätten sie jedoch wenig Problembewusstsein. Stattdessen werde der Schwarze Peter hin- und hergeschoben: Verbraucher verweisen auf EU-Normen gegen krumme Gurken, die bereits 2009 abgeschafft wurden. Supermärkte berufen sich auf die Ansprüche der Kunden. „Bei den Handelsvertretern kam ich mir immer vor wie ein Zeuge Jehovas, der ihnen einen Wachturm andrehen wollte“, erzählt Stefan – und das, obwohl eine französische Supermarktkette gerade mit der Kampagne „inglorious fruits and vegetables“ Erfolg hat. Kreative Marketingkampagnen und Rabatte sorgten dafür, dass das zum Antihelden stilisierte Abweichler-Gemüse in manchen Märkten sogar ausverkauft war. Bis sich solche Szenen hierzulande abspielen, sieht Ugly Fruits noch Aufklärungsbedarf.

Auf der Abschlussveranstaltung der Startrampe, einem Förderprogramm für gemeinwohlorientierte Projekte, das auch Ugly Fruits unterstützt, verkündet Stefan schließlich der versammelten nachhaltigen Szene Münchens die Kehrtwende: „Warum machen wir eigentlich eigenbrötlerisch unser Ding? Gründen wir doch einen Verein!“ Statt selbst Gemüse zu vertreiben, soll nun Ziel sein, Aufklärungsarbeit zu leisten und bestehende Initiativen besser zu vernetzen.

Während Ugly Fruits sich – zumindest vorerst – der Aufgabe widmet, die Gesellschaft für die Problematik zu sensibilisieren, sind die Gründer von Etepetete überzeugt, dass bereits jetzt der richtige Zeitpunkt ist, das Thema von der wirtschaftlichen Seite anzugehen. Die jungen Männer wollen Ausschussobst und -gemüse von Höfen aufkaufen und als Abo-Öko-Kiste sowie weiterverarbeitet als vegane Soßen und Suppen an den Kunden bringen. Auch sie sind überzeugt: „Wenn man wirklich etwas bewegen will, muss man beim Gemüsegärtner ansetzen.“ Anfang nächsten Jahres sollen ihre Produkte auf den Markt kommen. Bis dahin werden die drei Teammitglieder unzählige Gespräche geführt und viele Nachtschichten beim Gemüseschälen in der angemieteten Großküche geschoben haben.

Die Unternehmensgründer von Etepetete selbst passen in so gar keine Öko-Kiste: Carsten Wille und Chris Hallhuber, 25, studieren BWL, Georg Lindermair, 24, ist Immobilienkaufmann. Noch verfolgen die drei ihre Pläne nebenbei. Langfristig wollen sie das krumme Gemüse zum Beruf machen, einem, der „Sinn, Lust und Spaß macht“, wie Georg es ausdrückt. Damit knüpfen Carsten und Georg (Foto: Carolin Galler) an einen Plan an, der bis in die gemeinsame Schulzeit zurückreicht: „Wir wollten schon immer etwas zusammen auf die Beine stellen“, erzählt Carsten. Durch eine Dokumentation seien sie auf das Thema Lebensmittelverschwendung aufmerksam geworden und hätten nach einigen Überlegungen die Geschäftsidee entwickelt.

In erster Linie sind die jungen Männer Unternehmer. In der GmbH steckt schließlich viel Erspartes, Geld von Freunden und Familie und – so hoffen die Gründer – bald auch Investitionen durch eine Crowdfunding-Aktion. Dennoch wirken Georg und Carsten unsicher, wo sie sich auf der Skala zwischen Überzeugung und Profit positionieren sollen, um erfolgreich zu sein. Hin und wieder rudern sie bei Aussagen zurück, sind besonders wachsam, nicht aufgrund ihres kaufmännischen und betriebswirtschaftlichen Hintergrunds in eine Schublade gesteckt zu werden. Fest stehe jedoch für sie, dass ein solides Geschäftsmodell die Basis dafür sei, etwas zu bewegen: „Wenn wir wirklich der tonnenweisen Verschwendung entgegentreten wollen, macht das nur Sinn, wenn wir uns das Ziel setzen, im großen Stil zu wirtschaften. Und natürlich langfristig als Firma bestehen“, erklärt Carsten.

Peter Sutor, Leiter des „Instituts für Ernährungswirtschaft und Märkte“ in der Bayrischen Landesanstalt für Landwirtschaft, begrüßt die Verwendung von Gemüse mit Schönheitsfehlern. „Die Verbraucher wissen oft nicht, wie naturbelassene Ware ausschaut und lehnen sie in der großen Masse ab“, sagt der Diplom-Agraringenieur. Er sieht in der Arbeit von Ugly Fruits und Etepetete daher eine Erziehungsmaßnahme zu einer größeren Wertschätzung von Nahrungsmitteln. Das Hauptproblem im Bezug auf Lebensmittelverschwendung verortet er jedoch in Privathaushalten, nicht auf dem Feld. Um die Vergeudung zu reduzieren, müssten, so Sutor, vor allem die Verbraucher weniger Obst und Gemüse wegwerfen – es macht laut einer Forsa-Umfrage in Deutschland mehr als 40 Prozent der Haushaltsabfälle aus, die sich zumindest teilweise vermeiden ließen.

Rettung benötigen nicht nur die dreibeinige Karotte auf dem Feld, sondern vor allem die überreifen Tomaten zu Hause im Schrank. Gerade die Arbeiten der Designer von Ugly Fruits zeigen jedoch: Als Galionsfigur einer Bewegung für weniger Verschwendung eignen sich exzentrisch geformte Rüben weit besser als angedrückte Norm-Tomaten. Susanne Krause

Gemüsefotos: Lauthals, Ugly Fruits

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GUTES TUN IN MÜNCHEN – 4 PROJEKTE

Nachhaltig: rehab republic
Auf Probleme im Bereich Nachhaltigkeit aufmerksam machen und Handlungsalternativen aufzeigen – aber nicht als Moralapostel, das ist das Ziel von rehab republic. Der Münchner Verein hat schon „Schnibbelpartys“ und „Clubmobs“ organisiert, schickt sogar T-Shirts um die Welt. Für dieses Engagement ist das Team gerade mit einem Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet worden.

Gönnerhaft: Swop
Ein Charity-Flohmarkt zum Mitnehmen – oder kurz: Swop. Sechs junge Münchner haben die App entwickelt, dem aktuellen Verschenk-Trend folgend: Über die Plattform kann jeder gebrauchte Dinge verschenken, anstatt sie wegzuwerfen, und sich natürlich auch selbst beschenken lassen. Gegen eine kleine Spende, das ist der Clou, der Swop gleich doppelt weltretterlich macht.

Wegweisend: alternativ unterwegs
Kein normaler Stadtführer sondern eher ein veganer: „alternativ unterwegs“. Amelie Bauer und Fabian Lieke wollen mit ihrem Team alternative Lebensgestaltung in München leichter machen. Online und bald auch gedruckt präsentieren sie zum Beispiel Bioläden, Flohmärkte und eben vegane Restaurants. Die Redaktionssitzungen finden in einer Gartenlaube statt – alles alternativ.

Kollektiv: Fairteiler
Foodsharing, ganz analog. Fair-Teiler sind Orte, an denen Lebensmittel verschenkt werden können. Offline, real, inzwischen auch mehrfach in München. Im Prinzip ist so ein Fair-Teiler eine kollektive Speisekammer, aus der sich jeder bedienen kann. Das Ziel ist naheliegend: Lebensmittelverschwendung vermeiden, stattdessen lieber Essen neu „fairteilen“.

Ökologisch lässig

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Die Münchner Studenten Amelie Bauer, 24, und Fabian Lieke, 26, entwickeln mit ihren Freunden den Stadtführer “Alternativ unterwegs”. Damit möchten sie den Menschen der Stadt eine nachhaltige und
ökologische Lebensgestaltung erleichtern.

Hofbräuhaus, Kaufingerstraße, Viktualienmarkt – ist das
München? Dass die Stadt sehr viel mehr als diese Touristenorte zu bieten
hat, wollen Amelie Bauer, 24, und Fabian Lieke, 26 (Foto: Alina Kroos) mit ihrem Projekt „Alternativ unterwegs“
zeigen. Amelie erklärt: „Wir wollen Orte und Menschen präsentieren, die
München irgendwie anders deuten, cooler und lebenswerter machen. Wir
sind aus der Öko-Ecke und wollen die ökologischen Seiten der Stadt
zeigen.“ Zusammen mit sieben weiteren Redaktionsmitgliedern arbeiten die
beiden Studenten ehrenamtlich an einem alternativen Stadtführer,
hauptsächlich für Münchner, die ihre Stadt neu entdecken möchten.

Vom Second-Hand-Laden bis zum veganen Restaurant und politischen
Initiativen werden unterschiedlichste Orte und Projekte vorgestellt, die
einem die alternative Lebensgestaltung leichter machen sollen.

Doch was bedeutet eigentlich „alternativ“ leben? Mit der Definition
habe sich auch die Redaktion schwer getan, erzählt Amelie: „Wir wollten
nicht von vornherein etwas ausschließen. Vielleicht sind die
abgefahrensten Sachen alternativ. Letzten Endes heißt alternativ nur
anders.“ Ob etwas in den Stadtführer kommt oder nicht, entscheiden sie
im Team demokratisch. Dabei orientiert sie sich an Kriterien, wie
nachweisbares ökologisches und nachweisbares soziales Engagement.
Unterstützt werden keine Ketten und Konzerne, betont Amelie: „Wer zu
groß ist, braucht uns nicht.“

Flohmärkte, Bioläden, neue vegane und vegetarische Restaurants –
nachhaltig zu leben scheint in Mode zu sein. Das führt dazu, dass
verschiedenste Unternehmen und Geschäfte die Chance sehen, Profit damit
zu machen. Deshalb hinterfragt die Redaktion genau, wer wirklich für die
gute Sache kämpft. Natürlich habe „Alternativ unterwegs“ nicht die
Kapazitäten, ein neues Ökosiegel zu schaffen, erklärt Fabian: „Harte
Kriterien wie Siegel sind aber auch falsch. Es geht uns darum, dass
jeder das tut, was er tun kann. Das Entscheidende ist, dass jemand mit
Herzblut an der Sache hängt. Glaubwürdigkeit ist dabei das Wichtigste.“

Nachhaltigkeit ist dabei nicht nur an ökologische Kriterien gebunden,
sondern auch daran, dass sich jeder über den eigenen Konsum Gedanken
macht. München ist voll von Kleidung, Möbeln und elektronischen Geräten.
Eigentlich müsse man sich fast nichts neu kaufen, merkt Amelie an.
Deshalb hat auch sie ihren Toaster zum Verschenken ins Internet
gestellt.

„Alternativ unterwegs“ soll nicht nur eine Hilfe für diejenigen sein,
die ihr Leben umweltbewusst gestalten möchten. Der Stadtführer soll
auch Denkanstöße geben. So erhält der Leser nicht nur Tipps zum Ausgehen
und Einkaufen, sondern findet Anregungen zu
Weiterbildungsmöglichkeiten, Vorträgen und Veranstaltungsreihen.

Außerdem werden Leute und Organisationen verschiedenster Art
vorgestellt, die „was Gutes machen und die Stadt weiterbringen“, erklärt
Amelie, wie zum Beispiel der Verein zur Erhaltung der Isarwelle. Auch
wer selbst ehrenamtlich aktiv werden möchte, erhält im Stadtführer
Empfehlungen. Darüber hinaus soll auch erklärt werden, wie man seine
eigene Demonstration organisiert oder eine eigene Kleidertausch-Party
veranstaltet. Die Inhalte und Ziele sind klar, an der Form wird noch
gearbeitet.

Seit nun fast drei Jahren sind Amelie und Fabian befreundet. Sie
haben sich über die Jugendorganisation vom Bund Naturschutz
kennengelernt als sie dort zusammen an einer Kampagne gegen die dritte
Startbahn am Münchner Flughafen gearbeitet haben. Die Motivation zu so
einem Stadtführer kommt also nicht von ungefähr. Fabian ist seit elf
Jahren bei den Grünen, war mitunter auch im Landesvorstand und hat somit
schon lange einen guten Einblick in die Szene. Er studiert momentan
Geschichte und vergleichende Kultur- und Religionswissenschaft. Amelie
studiert Politikwissenschaft und Soziologie und hat bereits einige
Second-Hand-Läden in kleinen Seitenstraßen entdeckt, bei denen sie
hauptsächlich ihre Kleidung kauft. Natürlich spielt Ernährung bei diesem
Thema eine wichtige Rolle, so achten beide beim Einkauf, sofern es ihre
finanzielle Lage als Studenten zulässt, auf regionale Angebote und
Bio-Produkte.

Ein Problem sei, dass viele in der Öko-Szene zu radikal seien,
erklärt Amelie: „Viele sagen, wenn du Fleisch ist, dann gehe das schon
mal gar nicht. Genau diesen Eindruck wollen wir vermeiden.“ Die
Redaktion ist dabei ziemlich gemischt. Strikter Vegetarier oder
Fleischesser – keiner wird ausgeschlossen. Jedes Mitglied hat seine
eigene Herangehensweise
: Es gibt diejenigen, die sich mehr mit dem ökologischen Aspekt
beschäftigen und diejenigen, die ihr Wissen im Bereich Kultur und Kunst
gesammelt haben. Sie wollen zeigen, was es für alle Angebote gibt, dann
kann jeder selbst entscheiden, was er davon umsetzen möchte: „Wir
möchten niemandem vorschreiben, wie er leben soll, sondern einfach nur
der lässige Ökofreund in deinem Freundeskreis sein“, sagt Amelie.

Der Stadtführer ist in erster Linie ein Herzensprojekt und „social
enterprise“, wie Fabian betont, aber dennoch nicht nur ein Spaßprojekt.
Das Buch soll, neben dem Online-Auftritt in abgespeckter Form, auf jeden
Fall gedruckt mit vielen Bildern und Interviews erscheinen. Das ist
natürlich auch mit hohen Kosten verbunden. Deshalb haben Amelie und
Fabian mit ihrem Freund Florian Sperk ein Unternehmen gegründet: die
Gartenlaube UG. In der Gartenlaube von Florian und seiner Freundin Hanna
finden auch die Redaktionssitzungen statt. Finanzieller Profit ist
sicherlich nicht das Ziel, die Erstattung der Druckkosten wäre für die
Studenten aber durchaus wünschenswert.

Das Team von „Alternativ unterwegs“ hat eine Vision, erklärt Fabian:
„Die Idee geht über das Buch hinaus. Über das Internet soll das Projekt
am Leben erhalten werden, abschließen kann man es nicht. Schön wäre es
auch, es mit den Leuten weiter zu führen, die das Buch gelesen haben.“
Der Stadtführer soll im Frühling 2015 erscheinen, wenn der Winter vorbei
ist, die Leute wieder langsam aus ihren Betten kriechen und Lust haben,
unterwegs zu sein und die Stadt zu entdecken.

Gabriella Silvestri

Foto: Alina Kroos

Weitere Informationen unter http://www.alternativ-unterwegs.de/