Musikalische Fundgrube

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“Das  heftigste Festival, das  Minga je gesehen hat. 18000 Bands an einem Tag ins G’sicht.” Sagt Rainer Gärtner, Sänger von “Impala Ray”. Natürlich übertreibt er ein bisschen. Aber im 15-Minuten-Takt zeigt sich beim Sound Of Munich Now, wie spannend die junge Bandszene der Stadt ist (Fotos: Käthe deKoe).

Von Theresa Parstorfer

Es hätte auch regnen können. Dann wären die Gesichter der Wartenden in der Schlange vor dem Feierwerk mit Sicherheit weniger entspannt, weniger gut gelaunt. Es hätte auch zehn Grad kälter sein können, schließlich ist schon November. Aber die Luft ist angenehm, irgendwo zwischen Herbstfrische und Spätsommerbrise. Es ist 17.45 Uhr, Samstagabend, die Türen zur Hansa 39 sind noch nicht einmal geöffnet, aber die Menschenschlange reicht schon fast bis zur Straße.

Einmal im Jahr trifft sich beim Sound-Of-Munich-Now-Festival, veranstaltet vom Feierwerk und der SZ, die Münchner Musikfamilie. 21 junge Bands spielen im 15-Minuten-Takt auf zwei Bühnen in einer Halle. Hat man einmal einen guten Platz ergattert, genügt eine kleine Körperdrehung, um abwechselnd beschallt zu werden. Hüftschwung rechts, Hüftschwung links ist das Motto des Abends. Zudem ist es ratsam, einen guten Zeitplan zu haben. Denn ist man einmal draußen aus der Halle, könnte es ein wenig dauern, bis man wieder hineinkommt, sodass ein Toilettenbesuch bedeuten könnte, die Lieblingsband zu verpassen.

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„Das heftigste Festival, das Minga je gesehen hat“, begrüßt Rainer Gärtner um 22.10 Uhr das schon schwitzende, aber immer lauter jubelnde Publikum und lacht, „18 000 Bands an einem Tag ins G’sicht.“ Als seine Band Impala Ray, die sich in diesem Sommer durch die beliebtesten Open-Air-Festivals Bayerns gespielt hat, auf die Bühne kommt, wird niemand mehr in die Halle gelassen, ob Bändchen oder nicht. Einlassstopp. Ein wenig gegrummelt wird da vor der Tür schon, von denen, die die lebensfrohen, bunten Folk-Klänge von Tuba, Hackbrett und Banjo nun lediglich von der Vorhalle aus hören können.

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Aber es gibt noch so viel mehr zu entdecken auf diesem Festival. Etwa bei der Electronica-Nacht und beim Show-Case von Alpinerecords am Freitag. Am Samstag treten in den beiden benachbarten Hallen weitere zehn Bands auf. Die beiden Münchner Plattenfirmen „Redwinetunes“ und „Gutfeeling Records“ stellen „handverlesene Acts“ vor. So kann im Orangehouse gleich zu Anfang ein bisschen geschwelgt werden, als Paul Kowol mit seiner Gitarre, einem schmachtenden Hundeblick und einer Stimme, die an Jesper Munk erinnert, süß-melancholische Liebeslieder singt.

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20.45 Uhr, die Schlange der Wartenden vor der Halle wird immer länger. Viele der Menschen, die vor dem Feierwerk warten, sind zum ersten Mal dort, kennen auch keine der Bands, aber harren aus. „Eine halbe Stunde“, sagen zwei junge Frauen aus Aachen, die für ein Wochenende zu Besuch sind – der Ruf des Festivals eilt schon über die Grenzen der bayerischen Hauptstadt hinaus. „Eine halbe Ewigkeit“, wartet hingegen eine Gruppe junger Männer, die schon öfter hier waren, und sich heute wieder von der Münchner Bandvielfalt überraschen lassen wollen. Dafür müssen sie geduldig sein.

Auf einmal ist es aber gar nicht mehr so schlimm, in der Schlange zu stehen, denn plötzlich gibt es auch hier Musik. Les Millionnaires, die das Festival und das Publikumsinteresse kennen, nutzen die Situation für ein Spontankonzert im Freien. Gut, dass Christian Höck und Fredo Ramone nicht mehr unter ihrem alten Bandnamen Phonoboy unterwegs sind, denn streng genommen darf jede Band nur einmal bei „Sound Of Munich Now“ auftreten, und mit Phonoboy waren sie schon vor zwei Jahren dabei – damals in der Halle.

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Jakob Arnu, Philip-Maximilian Meier und Pia Kreissl von Swallow Tailed empfinden es „schon als Ehre, heute spielen zu dürfen“. Schließlich ist das „so ein bisschen die Münchner Musik-Elite, die sich heute hier trifft. Und zu wissen, dass man da dazugezählt wird, ist schön“, sagt Jakob. Auch Lukasz Kolny, Bassist von Chinese Silk and Videotape, freut sich total, hier zu sein. Seine Band wartet schon seit ein paar Jahren auf eine Einladung – und auch wenn sie dieses Jahr sehr kurzfristig eingesprungen sind, versetzen sie um 22.40 Uhr 500 Zuhörer mit den drei Songs, die sie zum Besten geben, in einen elektronischen Indie-Rausch. Das ist eine weitere Folge des strikten Zeitplans: Jede Band hat 15 Minuten, in die kann gepackt werden, was an Liedern reingeht.  Drei bis vier Songs, das ist der Mittelwert.

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Lost Name aka Andreas Langhammer entscheidet sich hingegen für nur zwei Lieder. Das macht auch Sinn, denn seine Musik lebt von den unzähligen Loops, die er strumpfsockig bedient, während er gleichzeitig sehnsuchtsvolle Melodien auf der Gitarre zupft. Seine Musik ist ein bisschen wie wenn der Wind durch buntes Herbstlaub fährt, wie ein Sich-fallen-Lassen in süße oder auch schmerzhafte Erinnerungen. Dann heißt es aber auch schon wieder Hüftschwung rechts, denn auf der großen Bühne hat AMI bereits die Gitarre umgeschnallt. Sie ist derzeit „mit Sicherheit eine der aufregendsten jungen Künstlerinnen in München“, sagt SZ-Moderator Michael Bremmer. Als die junge Amira Warning, unterstützt von ihrem Vater, dem Reggae-Musiker Wally Warning, ihre rauchige Stimme erklingen lässt, ist ihr die Aufmerksamkeit in der ganzen Halle gewiss – und nach ihren vier Songs tobt das Publikum. 

Hüftschwung links: Eine weitere Neuentdeckung steht auf der kleinen Bühne in den Startlöchern. Ella Josaline ist 16 Jahre alt. In zwei Wochen wird ihre erste Platte veröffentlicht, nachdem Musikmanager Gerald Huber vor einem Jahr ein Video von ihr bei Youtube gesehen hat. Ihre verträumte, aber durchaus mitreißende Folk-Musik steht in starkem Kontrast zu den wahrscheinlich experimentellsten Künstlern des Abends: Nalan 381. Improvisierter, sirenenhaft-klagender Gesang auf teilweise gar nicht mehr an Musik erinnernden Geräuschen. Aber gerade diese Mischung schätzt das Publikum, niemand verlässt die Halle. Auch das ist „Sound Of Munich Now“: im 15 Minuten-Takt Einblicke in fremde Musikwelten erhalten.

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Neugierig geworden treibt es einige Zuschauer nach den Auftritten zum Merchandise-Stand neben der Bar. Zwei Damen begutachten den Musik-Sampler des diesjährigen Festivals. „Wer war das ganz junge, blonde Mädchen?“ Ja, das war Ella Joseline. Von ihr und AMI, von Timothy Auld, der um 22.40 Uhr eine locker-coole Show zwischen R ’n’ B, Pop und Hip-Hop abliefert, und von vielen anderen der an diesem Abend zu bestaunenden Bands wird noch zu hören sein. „Sound Of Munich Now“ bietet nicht nur einen Schnelldurchlauf durch alle derzeit möglichen Musikrichtungen, sondern ist Fundgrube und Aussichtsplattform zugleich – und dafür lohnt es sich sogar, eine kleine, halbe Ewigkeit in einer Warteschlange zu verbringen. Vor allem, wenn die Herbstnacht so mild ist.

Und jährlich grüßt das Trüffelschwein

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Feierwerk goes Alpenpop: Bei der Sound-of-Munich-now-Labelnight von Alpinrecords treten Mundartmusiker ins Rampenlicht. Das Ergebnis ist frech und überraschend mitreißend.

Das
Münchner Label Alpinrecords schreibt es sich auf die Fahnen, bayerische
Mundart-Musiker unter Vertrag zu nehmen. Beim Sound of Munich Now könne man
jedes Jahr „wie ein Trüffelschwein“ Ausschau halten nach jungen,
vielversprechenden Künstlern und Zeuge der musikalischen Vielfalt werden, meint
Patrick Oginski, Gründer von Alpinrecords.

Als
Auftakt geht Otto Schellinger auf die Bühne. Er singt tatsächlich nicht auf
Bayerisch, sein sphäriger Jazz bleibt Hochdeutsch und bietet damit noch eine
kleine Verschnaufpause, bevor es losgeht in den Wald aus Blechbläsern und
Dialekt. Mathias Kellner, der gelernte Schreiner aus Niederbayern, der vor
beinahe acht Jahren mit seiner ersten Single „Bees in my head“ einen
Überraschungshit in den deutschen Charts landete, ist an diesem Abend der
etablierteste Künstler. Mittlerweile singt auch er auf Bayerisch und findet,
dass es sich in diesem Dialekt ähnlich gut wie auf Englisch texten lässt, weil
„Bayerisch sehr viel weicher ist. Hochdeutsch wirkt oft hart und distanziert.
Deshalb singen vielleicht auch so viele deutsche Künstler auf Englisch.“

Die
Alpinrecords Labelshow, die den Auftakt zum mittlerweile siebten Sound of
Munich Now darstellt, hält er für eine schöne Veranstaltung, da Mundart-Musiker
ihr Licht „lange Zeit unter den Scheffel gestellt“ hätten, jetzt erst langsam
Selbstbewusstsein zurückerlangen und wieder mehr in der Musikszene mitmischen
würden. „Hier kann man ganz viel Inspiration mitnehmen, wenn man so viele
unterschiedliche Auftritte in so kurzer Zeit miterlebt. Vielleicht denkt sich
der ein oder andere junge Mensch im Publikum: das ist ja super, das will ich
auch machen“, sagt Kellner.

Wie
vielfältig das Genre „Alpenpop“ sein kann, verdeutlicht der Abend mit
Sicherheit: Nicht nur Blasmusik und schnell gesungene, freche Texte wie von den
Kinihasn oder Deschowieda, sondern auch melancholisch, sehnsuchtsvolle Melodien
und ergreifende, an Balkan-Beats erinnernde Lieder funktionieren auf Bayerisch.
Das zeigt die Band BLANK, deren Frontmann Harry Blank, Darsteller in der
Vorabendserie „Dahoam ist dahoam“, von sich behauptet, das „bayerische Chanson“
erfunden zu haben. Auch wenn sich seine Band bisher rarmacht in den sozialen
Netzwerken, reißt die Musik sofort mit und lässt neugierig werden auf das für
April geplante Debut-Album.

Um 22
Uhr werden nebenan in der Kranhalle die Plattenteller freigegeben. 12 DJs
zeigen in fliegendem Wechsel ihr Können und schon nach einer halben Stunde ist
die Tanzfläche gut behüpft. Für die Besucher heißt das: von den Blechbixn rüber
zum Avantgarde-Electro. Das geht nur beim Sound of Munich now. Da lacht das
Trüffelschwein. Theresa Parstorfer

Fotos: © Käthe deKoe

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