Sendungsbewusstsein

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Abdulbasir Abid, 26, musste aufgrund seiner Arbeit als Nachrichtensprecher seine Heimat Afghanistan verlassen. Er wurde bedroht, weil er kritisch über die Taliban berichtete. Nun versucht er in München einen Weg zurück in seinen Beruf zu finden. 

Verantwortlich – dieses deutsche Wort hat Abdulbasir Abid, 26, gerade neu gelernt. Es ist ein Wort, das er brauchen wird, um seine Geschichte zu erzählen.

In seiner Heimat hat Abdulbasir (Foto: Salvan Joachim) das Leben gelebt, das er leben wollte und das er sich nun, in Deutschland, wieder erarbeiten will: Er arbeitete als Nachrichtensprecher in Afghanistan, berichtete für den staatlichen Sender Radio Television of Afghanistan und wollte auf diese Weise Verantwortung übernehmen. Für seine Leute, wie er immer wieder betont. Er hat Verantwortung übernommen, er hat versucht, die politische Lage realistisch abzubilden, nicht geschönt oder beeinflusst von einer politischen Richtung. Bis er deshalb bedroht wurde, bis er in Briefen aufgefordert wurde, die Berichte einzustellen. Genauer: Berichte gegen die Taliban. Den ersten Brief nahm er nicht ernst, auch den zweiten nicht. „Dann sind sie zu meinem Zimmer gekommen, Gott sei Dank war ich nicht dort. Mein Mitbewohner war da, sie haben ihn geschlagen und gefragt, wo ich bin. Als sie gegangen sind, haben sie ihm gesagt, er solle mir ausrichten, dass ich heute nicht da war, obwohl ich heute sterben sollte.“

Abdulbasir war Anfang 20, als er Afghanistan verließ – und damit auch seiner Familie zu mehr Sicherheit verhalf. Zu groß sei das Risiko geworden, nicht nur sich selbst, sondern auch Verwandte und Freunde in Gefahr zu bringen. Seine Familie bat ihn, zu fliehen und nicht zu warten, bis ihm dasselbe passieren würde wie seinem Cousin, der kurz zuvor ermordet worden war. Also ging er. Die Familie bezahlte einen Schmuggler, der Abdulbasir aus seiner Heimat hinausführte. Jahre später endete seine Reise in Deutschland, einem Land, dessen Sprache und Kultur er nicht kannte.

Dennoch wollte er dorthin, weil er deutsche Soldaten in Afghanistan kennengelernt hatte und ihm ihre Arbeit, die Art mit den Einwohnern zu sprechen, so gut gefallen hatte. Er ging in dem Wissen, dass er nicht mehr in seine Heimat zurückkehren kann, solange sich die politische Lage nicht radikal ändert: „Man kann sich die Taliban als großes Organ vorstellen. Sie werden immer wissen, wo ich in Afghanistan bin. Und gerade ist niemand dort, keine Regierung, keine westlichen Soldaten, der ihre Macht tatsächlich eingrenzt.“

Sein Weg führte von Afghanistan nach Pakistan, weiter in den Iran, über die Türkei nach Griechenland und schließlich über Italien und Österreich nach Deutschland. Hier, in Kelheim wartet er nun seit mehr als einem Jahr auf die Nachricht, ob sein Asylantrag bewilligt wird. Vier Jahre hat ihn die Reise, wie er es nennt, gekostet. Abdulbasir erzählt von dem, was er gesehen hat, auch wenn er diese Erinnerungen eigentlich loswerden, diesen Teil seines Lebens vergessen will. Es sind Erinnerungen an andere Flüchtlinge, die neben ihm gestorben sind, weil sie zu wenig zu essen oder zu trinken hatten oder weil der Schnee in der Türkei plötzlich so hoch wurde, dass Kinder nicht mehr weiterlaufen konnten. Es sind auch Erinnerungen an die eigene Erschöpfung, an die Jahre, die er unterwegs verbracht hat: „Ich wusste, dass ich ein Stück meines Lebens verlieren würde. Und ich habe es verloren.“

Man sieht dem 26-Jährigen seine Vergangenheit nicht an, gut angezogen kommt er aus den Ausbildungsräumen des Bayerischen Rundfunks, mit einem wachen Blick, der nicht eingeschüchtert wirkt, vielmehr selbstbewusst, offen für das, was ihm auf den Straßen begegnet. Er weiß, dass er älter ist als er aussieht, dass seine jugendliche Unbeschwertheit verloren gegangen ist.

Dennoch: Was ihn vor dieser Reise in Afghanistan antrieb, treibt ihn nun auch in Deutschland an. Nichts wünsche er sich mehr, als wieder als Journalist arbeiten zu dürfen, seinen Beruf erneut aufzunehmen, der ihn zur Flucht gezwungen hat. Vielleicht, weil er zu jung war, als er direkt nach dem Abitur als Reporter im Radio begonnen hat und schnell als Sprecher vor die Kamera gewechselt ist. Vielleicht, weil er vorsichtiger hätte sein müssen, um sich nicht in Gefahr zu bringen: „Die anderen Nachrichtensprecher waren Profis. Sie hatten mehr Erfahrung und wussten genau, was gefährlich ist und was sie sagen können, ohne Probleme zu bekommen. Ich wusste das auch, aber ich habe mich verantwortlich gefühlt, auch Nachrichten gegen die Taliban zu senden. Und dadurch habe ich Probleme bekommen.“

Seine Geschichte hat den 26-Jährigen nicht von seinem Berufswunsch abgebracht: „Als Journalist kann ich etwas für Menschen machen, die es selbst nicht machen können. Ich kann etwas sagen, was sie selbst nicht sagen können. Deshalb liebe ich diesen Beruf.“ Um diese Verantwortung zu übernehmen, las er schon in der Schule, was ein Journalist lernen müsse, wie er mit der Stimme arbeiten solle, welche Wirkung Stimme und Mimik hätten. Und nun, wo er wieder neu beginnen muss, beginnt er von vorne, bewirbt sich um Praktika, hofft, Aufgaben übernehmen zu dürfen, die er in Afghanistan schon lange nicht mehr machen musste.

Während eines Informationsaufenthalts, einer Art Schnupperpraktikum, arbeitet er beim Bayerischen Rundfunk, er geht auf die Straßen und macht Umfragen, weil sein Deutsch noch nicht gut genug ist, um selbst im Radio zu sprechen oder in Zeitungen zu schreiben. Dass er im Moment damit weniger Verantwortung für andere als für sich selbst übernimmt, weiß er. Abdulbasir will sein Leben neu planen, Kontakt zu Menschen finden, die erkennen, dass er mehr tun möchte, als er in Kelheim tun kann. Und dann wieder etwas für andere tun.

Dieser Optimismus beeindruckte auch Jutta Prediger, Redakteurin beim BR: „Ich habe ihn als sehr zielstrebig wahrgenommen. Er weiß genau, was er will, nämlich berichten – über sein Land, die politischen Probleme vor Ort. Er hat wirklich eine Mission.“ Sie sah es als ihre Pflicht an, nicht nur über Flüchtlinge zu berichten, ihre Wege als Reporterin zu begleiten, sondern auch selbst zu helfen. Deshalb half sie Abdulbasir für die Dauer des Praktikums, ein Zimmer bei einer Bekannten zu finden, für das er nicht bezahlen musste, wo er morgens und abends essen und sich auf Deutsch unterhalten kann. Natürlich sei es zunächst schwierig gewesen, ihn im Arbeitsalltag einzusetzen. Aber: „Abdulbasir hat immer wieder darauf gedrängt, mehr arbeiten zu können, er wollte unbedingt eingesetzt werden“, sagt sie. Mittlerweile habe er sich integriert, lerne nun auch, Fotos und Videos zu machen, um die Online-Redaktion zu unterstützen.

Im Gespräch erzählt Abdulbasir viel von diesen positiven Erlebnissen, davon, dass die Leitung seiner Unterkunft eine große Hilfe für seine Praktikumsbewerbung beim BR gewesen sei. Auch dass ihm Jutta Prediger geholfen habe, ein kostenloses Zimmer in München zu finden, sei unvergesslich. Nur selten merkt man ihm an, dass ihm die Antworten schwer fallen. Etwa, wenn er von den Nächten in Kelheim spricht, in denen noch jemand Musik hört oder auf dem Flur Fußball gespielt wird. Mit drei anderen Jungen teilt er sich sein Zimmer: „Es ist schwer zu schlafen oder zu lesen, wenn jemand anderes Musik hören oder einen Film schauen will.“ In Kelheim sind auch andere Flüchtlinge aus Afghanistan, doch über das, was sie erlebt haben, sprechen sie wenig: „Viele, auch ich, wollen sich nicht erinnern. Sie haben zu viele Probleme gesehen, um sich erinnern zu wollen.“ Warum er dennoch erzählt? Vielleicht, weil er auch von Deutschland aus hofft, helfen zu können. Immer wieder spricht er davon, dass es in seinem Heimatdorf, das in der Provinz Kundus liegt, keine Verwaltung gebe, nichts als die Taliban. Er bittet darum, auch davon zu schreiben, weil es doch alle wissen müssten. Manchmal lacht er dann, entschuldigt sich dafür, dass er immer noch wie ein Journalist denke, selbst überlege, wie er seine Geschichte erzählen würde.

Abdulbasir erzählt die Geschichte langsam, überlegt, welche Satzkonstruktion die richtige ist, welche er in den Büchern gelesen hat, die er sich aus der Bücherei in Kelheim ausleiht. „Ich lese, um Deutsch zu lernen. Ich lese, lese, lese und verstehe nicht, was es bedeutet. Und ich lese weiter.“ Das erste Buch hat er gar nicht verstanden, mittlerweile versteht er immer mehr, will auch im Gespräch nicht auf englische Wörter ausweichen, sondern Deutsch üben, und so seinem alten Beruf wieder ein Stück näher kommen. Marie Schoeß

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Ob sie schon einmal so eine traurige Geschichte geschrieben habe, fragte Abdulbasir Marie Schoeß nach dem Gespräch über seine Reise, über Träume und verlorene Jahre. Sie schüttelte den Kopf, zuerst verunsichert, dann froh, dass er über das Kopfschüttlen lachen konnte.