In der Schule haben unsere Autorin und ihr Freund Alex zusammen die schlimmsten Lehrer überstanden, jetzt trennen sie mehrere Stunden
Autofahrt. Aber sie haben einen besonderen Weg gefunden, ihre Freundschaft am
Leben zu erhalten…
Ich springe die zwei
Stufen zu meiner Haustüre hinauf. Mit einer Bewegung sperre ich auf und bin
auch schon durch die Tür. Einmal um die Ecke, meine Finger suchen wie von
selbst den kleinsten Schlüssel am Bund. Meine Augen wandern über die Wand mit
den braunen Metallkästen. Sie bleiben genau in der Mitte hängen. Ich schiebe
den Schlüssel ins Schloss und ich wappne mich für die Leere, die mir gleich
entgegenschlagen wird. Außer der
“Das Stück für zwei Euro”- Pizzabude nebenan, die nur darauf wartet,
vom Gesundheitsamt geschlossen zu werden und Ikea schreibt mir nämlich nie
jemand. Naja, fast nie. Denn alle paar Monate kommt so ein Tag wie heute. Ich
öffne die Türe und eine Postkarte fällt mir entgegen. Meine Finger können sie
nicht mehr auffangen und sie landet am Boden. Ich bücke mich nach der Karte und
werfe einen kurzen Blick auf die
Rückseite. Strichmännchen schauen mir entgegen. Ich weiß sofort, von wem die
Karte ist.
Alex und ich haben uns auf einem Schüleraustausch kennen
gelernt. Zwei Wochen und zwei Transatlantikflüge später und wir waren
unzertrennlich. Vielleicht weil Alex und ich uns beim Reisen kennengelernt
haben, versuchen wir heute noch, den anderen an unseren Urlauben teilhaben zu
lassen. Denn im Alltag sehen wir uns nie so oft, wie wir gerne würden. Alex
entschloss nach dem Abitur, in Österreich sein Glück zu suchen (oder besser
gesagt, einen interessanten Bachelorstudiengang ohne N.C.) und ich zog nach
München. Gerade weil wir uns oft nur in den paar Monaten zwischen den Semestern
sehen, ist das Postkartenschreiben unsere Tradition geworden. Kleine
Erinnerungen an unsere Freundschaft, die irgendwie immer genau zum richtigen
Zeitpunkt im Briefkasten landen.
Seit unserer Zeit in Amerika sind sieben Jahre und viele
Urlaube vergangen. Mittlerweile sind für mich Ferien undenkbar, in denen ich
nicht fieberhaft nach der lustigsten, ausgefallensten oder oft hässlichsten
Postkarte suche. Während meines Urlaubs an der Ostküste der Vereinigten Staaten
habe ich fast zwei Wochen mit der Suche verbracht, nur um dann festzustellen,
dass Washington D.C. der Albtraum für Postkartenschreiber ist. Leider kein
Touristenladen weit und breit, der die Straßenzeilen entstellt. Letztendlich
fand ich eine Postkarte, in einem leergekauften Drogeriemarkt, ganz hinten zwischen
ausgelaufenen Schneekugeln. Ein vergilbtes Exemplar, scheinbar übrig geblieben
aus den Neunzigerjahren. Ein wahres Kunstwerk aus zufällig ausgewählten
Wahrzeichen Washingtons, die in der Luft zu schweben scheinen, gemalten
Kirschblüten und Feuerwerk, alles vor einem sternenklaren Nachthimmel. Damit habe
ich eindeutig gewonnen.
Denn mit der Zeit haben wir beide den Ehrgeiz entwickelt,
kreativere Postkarten zu schreiben als der andere. Berichte vom Wetter und
Beschreibungen des Hotelstrands sind uns zu langweilig. Alex zeichnet gerne
Comics und viele seiner Karten zieren minimalistische Zeichnungen, die
teilweise nur mit einer Lupe zu entziffern sind. Meine aufwendigste Karte
bisher schickte ich aus einem verregneten Nordseeurlaub. Genauer bestand sie aus
zwei Teilen: für die erste Karte dachte ich mir einen Geheimcode aus, auf
dessen Lösung man nicht ohne Hilfe kommen konnte. Und die zweite Karte
beschrieb ich mit dem Lösungsschlüssel für die erste. Diese schickte ich
natürlich erst eine Woche später los, um Alex warten zu lassen. Doch der Höhepunkt unseres Postkartenwechsels
war sicher eine Karte mit einem Herz vorne und einem Heiratsantrag hinten.
Nein, nein, nicht das was ihr jetzt denkt! Es war doch nur ein Experiment, ob
mein Briefträger die Karten liest, die er austrägt…
Es gibt wirklich nichts, was nicht auf der Rückseite einer Postkarte den Weg in
den jeweils anderen Briefkasten gefunden hat. Wir bewahren alle Postkarten
sorgsam auf und scherzen darüber, uns auch noch zu schreiben, wenn wir neunzig
sind.
Die heutige Karte ziert ein eher uninteressantes Bild eines
einsamen Weinbergs in mitten von Hügeln. Die Rückseite ist dafür umso dichter
beschrieben, wie um die Leere der Vorderseite auszugleichen. Alex hat ein
Gitter aus kleinen Kästchen gezogen und in jedes Quadrat eine Szene mit
Strichmännchen gemalt. Ereignisse aus seinem Alltag. Es sind zwar nur banale
Erzählungen, aber auf eine Postkarte geschrieben haben sie meinen Tag versüßt.
Irgendwie sorgen unsere Karten immer dafür, dass wir uns nicht aus den Augen
verlieren.
Text: Annika Wiedemann
Foto: Yunus Hutterer