Adnan Jafar ist aus dem kurdischen Teil Syriens nach Deutschland geflohen. In München steht er als Schauspieler auf der Bühne und vor der Kamera. Wie hat er es geschafft, Anschluss zu finden? Über einen, der angekommen ist. (SZ Plus)
Kai Sitter, 28, Veronika Schwarzmaier, 26, und Seren Sahin, 27, wollen in diesem Jahr den Kurzspielfilm “Gestrandet” drehen und darin die persönliche Geschichten von Flüchtlingen erzählen. Eine der Hauptrollen spielt eine geflüchtete Syrerin.
Ein kleiner Blickkontakt kann alles verändern. Zwei einander fremde, junge Frauen – nur ganz kurz sehen sie sich in die Augen, dann gehen sie wieder auseinander. Was alltäglich klingt, wird durch die Situation, in der sie sich begegnen, brisant. Die Szene: Tumult vor einer Flüchtlingsunterkunft in München. Lautes Geschrei, Beleidigungen, Gedränge, Sirenen ertönen – die Stimmung ist aufgeheizt, die Lage unübersichtlich. Mitten drin: zwei junge Frauen. Die eine blickt eingeschüchtert aus dem Wohnheim auf das, was dort passiert. Die andere ist Polizistin und steht vor dem Haus. Die Szene trennt und verbindet die beiden Frauen gleichzeitig. Nur einen kurzen Augenblick treffen sich ihre Blicke. Genau dieser Moment wird die beiden Frauen, die aus so unterschiedlichen Lebenswelten kommen, nicht mehr loslassen.
Dieser Blickkontakt ist die Schlüsselszene des Kurzspielfilms „Gestrandet“, den drei junge Münchner noch dieses Jahr drehen wollen. Dass die Flüchtlingssituation gerade in München als Thema für einen Film dient, ist an sich nicht außergewöhnlich. Was dieses Projekt speziell macht, sind seine Schauspieler. Während die Polizistin von Regina Speiseder gespielt wird, die nach ihrer Schauspielausbildung bereits in Formaten wie „Rosenheim-Cops“ mitgewirkt hat, wird die Rolle der Geflohenen mit Lelas Alsayed besetzt. Eine Frau, die vor knapp vier Jahren selbst aus ihrer Heimatstadt Homs in Syrien fliehen musste und keine professionelle Schauspielausbildung hinter sich hat.
Doch wie kam es zu diesem Konzept? Die drei Verantwortlichen des Films sitzen in einem Münchner Café. Auf dem Tisch stehen ein Cappuccino für Regisseur Kai Sitter, 28, ein Glas Tee für Drehbuchautorin Veronika Schwarzmaier, 26, und ein Spezi für Schauspieler Seren Sahin, 27. „Viele stürzen sich auf das Thema. Wir haben lange gebraucht, um den richtigen Zugang zu finden“, erzählt Kai. Beeindruckt von den Entwicklungen im vergangenen Jahr begann er, sich zusammen mit seinem langjährigen Freund Seren Sahin ehrenamtlich in Flüchtlingsunterkünften zu engagieren. Aus den Erlebnissen entwickelte sich der Drang, auch von diesen zu erzählen. Durch ihre eigenen persönlichen Kontakte entstand am Ende die Idee, dass mit einem Mix aus professionellen Schauspielern und Geflohenen, also Laiendarstellern, ein Film entstehen soll. „Als Schauspieler könnte man es spielen, aber nicht so gut. Man muss das erlebt haben“, erklärt Seren, der für das Casting des Films verantwortlich ist und auch selbst eine Rolle übernehmen wird. Auch Veronika, die Drehbuchautorin, machte ihre persönlichen Erfahrungen mit Geflüchteten und fand es „logisch“, mit Laiendarstellern zu drehen.
In der aktuellen Flüchtlingssituation sieht das Filmteam das Problem, dass oft nur nach allgemeinen, perfekten Lösungen gesucht werde. Das gehe aber am Leben und an der Realität vorbei. Die Situation müsse im Alltag angenommen werden, woraus sich dann persönliche Begegnungen ergäben, ohne die man in der Praxis nicht weiterkomme. „Beide Seiten müssen aufeinander zugehen“, sagt Veronika. Deshalb stellt sie in ihrem Drehbuch die Begegnung der beiden Frauen in den Mittelpunkt – auch, wie dieser Kontakt die beiden weiter beschäftigt.
Seit knapp einem Jahr arbeiten sich die drei Münchner nun in das Thema ein, haben Kontakte geknüpft und Schauspieler gesucht. Über eine persönliche Empfehlung fanden sie schließlich Lelas Alsayed für die Hauptrolle der geflüchteten Frau. Die studierte Psychologin floh aus Syrien zunächst nach Ägypten. Dort gründete sie unter anderem ein Sozialzentrum für Flüchtlinge, bevor sie vor knapp zwei Jahren nach Deutschland kam. Das Filmteam war von Anfang an überzeugt von Lelas Alsayed: „Sie weiß genau, was wir wollen, welche Intention wir haben und war auch sehr offen“, sagt Kai.
In „Gestrandet“ soll es nicht darum gehen, persönliche Geschichten von der Flucht zu erzählen, sondern darum anzukommen, in der Gegenwart zu sein. „Es entstehen so viele Barrieren, nur weil man sich nicht kennt“, sagt Kai, „aber man muss auch die Bereitschaft haben, selbst Menschen kennenlernen zu wollen.“ Er spricht von „Politikerschlagworten“ wie „Welle“ oder „Strom“, die Anonymität erzeugten. Diesen Begriffen soll im Film der persönliche Kontakt entgegenstellt werden. „Auch die Polizistin ist in dem Sinne gestrandet“, sagt Veronika, „die Fremdheit ist da, man muss sich aber dazu entscheiden, sie zu überwinden.“ Vor ihr steht dabei ein volles, mittlerweile kaltgewordenes Glas Tee. Die drei Beteiligten haben sich so in Rage geredet, dass die Drehbuchautorin schlicht vergessen hat zu trinken.
Ende August will das junge Team den Film drehen. Die Zeit drängt, sagt Kai. Bei vielen Akteuren wisse man nicht, wie lange sie an ihrem jetzigen Aufenthaltsort bleiben könnten.
Sherin Dahi, 25, unterstützt mit ihrem gemeinnützigen Verein Spendahilfe syrische Flüchtlinge an der türkisch-syrischen Grenze.
Sherin Dahi, 25, ist nicht besonders groß. Auch der zaghafte Händedruck in Kombination mit dem Schal in Burberry-Farben hilft da nicht. Doch der erste Eindruck täuscht: Sherin ist nicht nur Personaldienstleisterin, sondern auch die erste Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins Spendahilfe– ein Verein, der Flüchtlinge an der türkisch-syrischen Grenze unterstützt.
Im Vereinsnamen ist der Name ihrer Familie versteckt: Dahi. Und gleichzeitig das Herzblut der gesamten Familie. Vom Vater, der für das Projekt an die türkisch-syrische Grenze gezogen ist und seine eigene Familie nur noch selten sieht, über die Mutter, die die Fäden im Hintergrund zusammenhält und moralische Stütze ist, bis hin zum 17-jährigen Bruder, der neben der Schule vor allem in Deutschland aktiv für den Verein tätig ist. Und eben die unzertrennlichen Schwestern Yasmin und Sherin.
Sherin, die Deutsche mit den syrischen Wurzeln. Sherin, die zweisprachig aufgewachsen ist und Phonetik und mündliche Literaturwissenschaften studiert hat. Sherin, deren Familie ein Vorzeigebeispiel für gelungene Integration ist. Sherin, die jedes Jahr ihre Sommerferien in Syrien verbracht hat. Bis 2012 die Grenze zwischen der Türkei und Syrien geschlossen wurde und ihr Vater an die Grenze fuhr, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Schnell war danach allen klar: Es muss geholfen werden. Zunächst mit Sachspenden, als die Lage aber immer prekärer wurde, begannen langsam größere Projekte zu wachsen.
Seit der offiziellen Gründung des Vereins 2014 hat Spendahilfe elf Projekte in der türkischen Grenzstadt Kilis ins Leben gerufen. Unter anderem ein Waisenhaus, die Brotverteilung an 500 Familien, eine Frauenwerkstatt und ein Flüchtlingslager auf syrischer Seite. Ihre Hilfe richtet sich dabei vor allem an Kinder und Frauen. Jene, die am wenigsten für den Krieg können und seinen Folgen am schutzlosesten ausgeliefert sind.
Ihr jüngster Schützling war bei der Ankunft zwei Monate alt. Von Hand zu Hand wurde das kleine Mädchen weitergereicht und hat den Weg über die Grenze ins Waisenhaus gefunden. Seitdem sind zwei Jahre vergangen und noch immer hat sich niemand gemeldet, der das Mädchen sucht. Es sind solche Geschichten, die Sherin auch nach all der Zeit immer noch das Herz brechen. Vor allem bestärken sie sie aber in ihrem Glauben, das Richtige zu tun.
Wie aber werden die Projekte ausgewählt und umgesetzt, die Menschen wie dem kleinen Mädchen zugutekommen sollen? Sherins Papa ruft an, und sagt, dass die Jungs gerne Fußball spielen würden und fragt, ob es Geld für Bälle und Trikots gibt. Ohne langes Zögern sagt Sherin Ja. Ihr Vater bezeichnet sie deshalb als Herz des Vereins. Denn natürlich gibt es nicht unbegrenzt Kapazität, aber irgendwie findet Sherin meistens einen Weg. Und das alles ohne unnötigen Papierkram und zeitintensive Bürokratie. Schließlich sind sie eine Familie. Da reicht manchmal eine kurze Nachricht oder ein vielsagender Blick. Und innerhalb von nur drei Tagen entsteht dann ein neues Projekt.
Bis auf den Vater, der die meiste Zeit in Kilis ist und die Organisation vor Ort übernimmt, leben alle Mitglieder der Familie Dahi noch in Kirchheim bei München. Alle unter einem Dach. Gesprächsthema Nummer eins ist immer der Verein. Nur mit ihrem Freund, den sie noch in diesem Jahr heiraten wird, kann Sherin über etwas anderes reden. Diese Grenze ist ihr wichtig, denn auch sie muss manchmal abschalten. Obwohl sie nicht von der „sozialen Welt abgeschottet“ lebt, weiß Sherin doch, dass Freunde und Partner manchmal zu kurz kommen. Umso dankbarer ist sie, dass sie einen Mann an ihrer Seite hat, der ihre Leidenschaft versteht und sie in ihrem Tun unterstützt. Anders würde es nicht funktionieren.
Urlaub können die beiden zum Beispiel nie machen. Denn Urlaub heißt in Sherins Fall: ab nach Kilis, die Kinder besuchen. Wenn Sherin dann wieder nach Deutschland kommt, braucht es Zeit, bis sie die vielen Bilder verarbeitet hat. Und obwohl das manchmal hart ist, sagt sie ganz klar: „Ich brauche diese zwei Welten.“ Besonders hart ist es, wenn sie dann sofort ein Meeting hat und präsent im Job sein muss und doch gleichzeitig immer noch die vielen Kinder vor Augen hat, die ihre Hilfe brauchen. Aber auch das hat Sherin mit der Zeit gelernt: ihre Gefühle zu kontrollieren.
Mit ihrem eigenen Engagement möchte Sherin anderen jungen Leuten zeigen, dass es möglich ist, etwas zu verändern. „Nicht wollen, sondern machen“ lautet ihre Devise. Klingt einfach – und wenn es nach Sherin geht, ist es das auch. Mit ihrer Schwester Yasmin hat sie mal ausgerechnet, dass sie gemeinsam schon circa 700 Syrern zu einem besseren Leben verholfen haben. Sherin Dahi ist eine kleine Frau, die eine große Leistung vollbringt.