„Dream Pop“ nennt Matteo Germeno sein Genre. Dazu passt die Kulisse seines aktuellen Musikvideos.
Von Clara Löffler
München Lebt. Menschen und mehr.
„Dream Pop“ nennt Matteo Germeno sein Genre. Dazu passt die Kulisse seines aktuellen Musikvideos.
Von Clara Löffler
Magnus Textor, 23, arbeitet für Sony Music Deutschland und sucht für seine Plattenfirma neue Talente. Bei der Talentsuche ist oft Berlin im Fokus. München ist aber noch nicht ganz verloren – wenn sich die Stadt an die Künstler anpasst.
Die Stimmung in der Halle ist ausgelassen. „Get down everybody“, ruft Xavier D’Arcy, Sänger der Blues-Rock-Band The Charles der begeisterten Menge zu. Jeder geht in die Knie und wartet darauf, dass sich der Song „Hoodoo“, den die vier Münchner gerade spielen, in den kraftvollen Refrain entlädt. Als Xavier D‘Arcy mit seiner markanten Kopfstimme die Strophe beginnt, springt ein Meer aus Menschen auf und tanzt wie wild durch das Hansa 39 des Feierwerks.
Derartig ausufernde Konzerte gibt es viele in München. Dem stimmt auch Magnus Textor zu. Er ist 23 Jahre alt und arbeitet als A&R-Manager für den deutschen Ableger von Sony Music. „München braucht sich auf keinen Fall zu verstecken“, sagt Magnus, der zu Schülerzeiten selbst mit der Band Pillowcream die Konzertbühnen der Stadt bespielte.
Doch ist bei weitem nicht jeder mit dem Zustand der Sub- und Konzertkultur in München einverstanden. München kann Pop, sagen Vertreter der Kreativwirtschaft. München kann vielleicht Oktoberfest, sagen Kritiker: Das Image der Stadt sei so uncool, das es Bands eher schadet, von hier zu sein.
Wie steht es also um das Selbstbild der alternativen Münchner Musik- und Kunstszene? Ist es tatsächlich so schwierig, als Münchner Künstler glaubwürdig zu erscheinen? Ist es hier wirklich so schlimm, dass alle kreativen Musiker nach Berlin abhauen? Magnus ist dieses Problem vertraut. „Ich kenne keinen einzigen Künstler, der wegen der Stadt hierher gezogen ist“, sagt er leicht ernüchtert. München sei wie eine „Großstadt auf Raten“. Dabei gebe es so einiges, das hier noch entstehen könne.
Magnus kennt sich im Münchner Nachtleben aus. Vor ein paar Jahren kannte man den schmächtigen 23-Jährigen noch wegen seiner Band und auch als Solokünstler. Inzwischen fasziniert ihn mehr die wirtschaftliche Seite des Musikmachens. „Ich wollte eigentlich schon immer ins Musikbusiness“, sagt Magnus. Mit seiner Wollmütze und dem löchrigen Pullover wirkt er dennoch mehr wie ein Künstler als ein Musikmanager. Er spricht mit ruhiger Stimme und strahlt doch eine gewisse Energie aus, als würde er gleich aufbrechen. Auf ein Konzert oder in einen Nachtclub.
Nach dem Abitur 2011 am Pestalozzi-Gymnasium arbeitete er ein Jahr lang für seinen guten Freund und Mentor Amadeus Böhm beim Münchner Indie-Label Flowerstreet Records. „Das war ein starker Einstieg dort“, sagt Magnus. Irgendwann aber wollte er dann aus diesem „Indie-Smog“, wie er es nennt, ausbrechen. Er begann eine Ausbildung zum Kaufmann für audiovisuelle Medien beim Plattenlabel Sony. Seitdem ist er dort auch angestellt. Mittlerweile als Artist-and-Repertoire-Manager, kurz A&R, ist er auf der Suche nach neuen Künstlern, stellt den Kontakt zwischen diesen und Produzenten her und betreut ebenfalls etablierte Musiker.
Und dadurch kennt sich Magnus in der Münchner Club-Szene bestens aus. „Die ehrlichste Einschätzung einer Band bekommt man, wenn man sie live sehen kann“, sagt er. Nur auf der Bühne bekomme man den ehrlichsten Eindruck einer Band, weil sie sich dort nicht hinter einer Produktion verstecken könne.
Wenn er in schwärmenden Tönen von seiner Arbeit erzählt, merkt man, wie wenig sich sein Blickwinkel auf die Konzertkultur gewandelt hat. Magnus geht weiterhin auf Konzerte, einfach nur, um sie zu genießen.
Sein eigener Hintergrund als Musiker verleihe ihm das nötige Fingerspitzengefühl, sagt er. Das sei zwar eher unüblich, die meisten A&Rs kämen aus dem juristischen Bereich oder aus dem Marketing. Dennoch: „Beispielsweise ein Grundverständnis davon, was ein eigener Song für einen Musiker bedeutet, ist extrem wichtig“, sagt Magnus. Ein Feedback für einen Song müsse besonders bei unerfahrenen Künstlern taktvoll und auch vorsichtig ausfallen. „Es ist, als würdest du deren Neugeborenes kritisieren“, sagt er und schmunzelt.
Auch für Münchner Künstler hat sich Magnus bereits eingesetzt. Die Indie-Band Exclusive kannte er bereits aus Zeiten bei Flowerstreet Records. Ihr verhalf er zu einem zweiten Album unter der Obhut von Sony. Und Leon Weber, der als LCAW mit seinem Hit „Painted Sky“ für Furore sorgte, konnte Magnus für seine Firma gewinnen. Das ist beachtlich. Große Plattenfirmen wie Sony oder auch Warner richten sich normalerweise recht wenig nach der lokalen Herkunft eines Künstlers aus. „Wobei es für einen Musiker natürlich von Vorteil ist, wenn das Label in derselben Stadt ist“, sagt Magnus. Das sei vor allem bei kleineren Indie-Labels der Fall, bei denen der lokale Aspekt zumeist eine große Rolle spielt.
„Deshalb würde ich auch nicht von Konkurrenz sprechen“, sagt Magnus. Kleine Plattenfirmen seien wichtig, um eine lebendige lokale Szene aufrechtzuerhalten, um Künstler aufzubauen. Sie haben den nötigen Raum und das Umfeld, um neue Kunstrichtungen entstehen zu lassen. Solche Freiräume habe eine Großstadt wie München bitter nötig, sagt Magnus. Ohne das inzwischen stillgelegte Atomic Café etwa würde er nicht dort stehen, wo er heute ist. „Man konnte sich dort wahnsinnig schnell vernetzen“, erzählt der Musikmanager.
„Und es gibt durchaus einige Menschen, die sich dafür einsetzen, dass Subkultur hier entstehen kann“, fügt Magnus hinzu. Dabei meint er Daniel Hahn, der das eigenwillige Kunst- und Konzertprojekt Bahnwärter Thiel ermöglicht hat. Und Julia Viechtl, Initiatorin der „Manic Street Parade“, dem ersten großen Münchner Club-Festival. Diese Macher sorgen dafür, dass die Stadt zukünftig für junge Menschen attraktiv bleibe. Auch für große Plattenfirmen sei der Kontakt in eine dynamische und junge Szene wichtig. „Hier kann man immer wieder neue Trends beim Entstehen beobachten“, sagt Magnus.
München stand in den vergangenen Jahren trotz vieler herausragender Künstler selten in einer solchen Vorreiterrolle. Das liege auch daran, dass es wenige Kunstschaffende in der Landeshauptstadt hält. „Mal ehrlich, die meisten gehen irgendwann“, schrieb Rapper Keno einst als Reaktion auf einen Artikel der Süddeutschen Zeitung. Natürlich gebe es großartige Musik in München. „Die Künstler lassen sich nicht unterkriegen. Not macht erfinderisch“, sagte der Frontman der Urban-Brass-Kapelle Moop Mama. Doch das dürfe nicht ablenken von strukturellen Problemen, die das Entstehen solcher Freiräume behindere.
Wie viele andere Musiker ist Keno inzwischen aus München weggezogen.
Ist das der letzte Ausweg? Muss es dazu kommen? Magnus hat den Glauben an seine Heimatstadt noch nicht ganz verloren. Aber dafür muss sich München ändern. Bislang müsse sich der Popmusiker an die Stadt anpassen, sagt er. Will München Popcity werden, müsse sich die Stadt an die Lebensgewohnheiten der Künstler gewöhnen – und dazu gehöre, ganz banal, dass ein Supermarkt auch noch um vier Uhr morgens offen ist, wenn der Musiker gerade Feierabend macht.
Die Diskussion
München steht für Laptop und Lederhosen. Aber kann München auch Pop? Nein, sagen viele. Die Stadt selbst ist hier wiederum anderer Meinung. Wie wird München zur zu nächsten go-to-Stadt? Wie wird München zur nächsten Popcity? Politiker, Vertreter der Kreativwirtschaft, Veranstalter und Musiker diskutieren am Donnerstag, 16. Februar, auf Einladung des Bayerischen Rundfunks und der Süddeutschen Zeitung über die florierende Musikszene im öffentlichen Raum in München. Auf dem Podium sitzen Josef Schmid (Zweiter Bürgermeister), Julia Viechtl (Fachstelle Pop), Daniel Hahn (Bahnwärter Thiel), Anton Schneider (Fatoni, der danach beim Puls-Lesereihe-Finale auftritt), Josie-Claire Bürkle (Claire), Magnus Textor (Sony Music). Moderiert wird die Diskussion von Laury Reichart (PULS) und Michael Bremmer (SZ). Einlass im Bahnwärter Thiel (Tumblingerstraße 29) ist um 17 Uhr, die Diskussion beginnt um 17.30 Uhr.
Text: Louis Seibert
Foto: Stephan Rumpf
Nick Yume, 20, veröffentlicht am Freitag seine erste Single bei Sony. Sein Ziel: die großen Bühnen. Bis dahin spielt er auch intime Shows – so auch auf Einladung der SZ-Junge-Leute-Seite in einer WG in Obergiesing.
Wenn es nach dieser Party am Samstagabend geht, ist die Trendfarbe des Sommers definitiv Pink. Pinke Luftballons und Girlanden hängen an den Wänden, die Tisch-Deko leuchtet in Neonfarben. Die Gastgeberinnen Laura Holder, 23, und Sara Laalou, 24, haben sich für diesen Abend extra die Haare pink gefärbt. Auf dem Regal thront Juan, eine flamingoförmige Lampe, das Maskottchen der Party in Obergiesing. Das Motto des WG-Konzerts mit Nick Yume, das die Junge-Leute-Seite der SZ verlost hat: Flamingo, natürlich! Um die aufwendige Deko hat sich Laura gekümmert, die Design-Management studiert. Die ersten Gäste trudeln ein und schlürfen selbstgemachte Fruchtbowle durch Flamingo-Strohhalme. Einige haben das Motto sehr erst genommen und ihre knalligsten Outfits hervorgekramt: pinke Blumenkränze, Flamingo-Prints und Glitzer im Gesicht.
Nichts für Nick Yume, 20. Der Münchner Sänger trägt graues Hemd und schwarze Jeans. Die Hosenbeine hochgekrempelt und barfuß sitzt er auf dem Balkon (der auch rosa dekoriert ist). Ohne Bowle. „Ich trinke nie. Na ja, während des Auftritts vielleicht mal ein Wasser. Aber bitte nicht mit Sprudel, da bekomme ich sofort Schluckauf.“ Star-Allüren sehen anders aus.
Vor zwei Wochen hat Nick Yume eine digitale EP mit drei Tracks veröffentlicht. Drei ganz unterschiedliche Songs, wie Nick sagt. Den verträumten Song „Lullaby“ habe er etwa schon mit 16 Jahren geschrieben. In „Prison“ beschreibt er, wie er für die Uni lernen muss, aber lieber Musik mache: „My mind is prisoned, but I don’t mind“, heißt es im Song, ein Gefangener, den das aber wenig interessiert. Kommenden Freitag erscheint bei der Plattenfirma Sony seine erste Single – ein Remake eines Songs von Polarkreis 18.
Wie kam es zu dem Deal mit dem Major-Label? Nick hatte an einem Songwriter-Camp in Köln teilgenommen. Dort sollten alte Titel neuaufgelegt werden. „Sony fand das ganz gut“, sagt Nick. Tausende Klicks bei Youtube, Mini-Platte, Sony-Platte, Nicks Karriere entwickelt sich rasant weiter, eine Erfolgsgeschichte.
Die Badewanne in der WG in Obergiesing ist bis oben hin voll mit Bier, die kleine Küchenecke ist zur Bar umfunktioniert worden. Auf dem Tisch steht ein Buffet aus liebevoll zubereiteten Häppchen: Tomatenspieße, Käsestulle, Muffins mit rosa Zuckerguss. Um 22 Uhr geht es los. Nick hat seinen Bandkollegen Keno Peer mit dabei. Er kümmert sich um die Backing-Tracks. „Wir dachten, eine ganze Band mit Schlagzeug und Co macht hier vielleicht wenig Sinn“, sagt Nick. Etwa 25 Gäste haben sich im Wohnzimmer versammelt, auf der riesigen Sofaecke ist schon lange kein Platz mehr. Die Hälfte der Gäste hat es sich auf dem Boden bequem gemacht. Mittendrin – eine Box und Nick am Mikro. Draußen schüttet es mittlerweile wie aus Eimern. Drinnen ist es gemütlich. Als Nicks warme Stimme und ein pulsierender Bass den Raum erfüllt, will sowieso keiner mehr woanders sein.
Bislang ist nur die erste Single bei Sony sicher. Und wenn die Anfrage für ein Plattenvertrag kommt? „Nein wird man nicht sagen“, antwortet Nick. „Man“ steht für Nick, aber das würde er nie direkt sagen. Wer mit Nick spricht, erlebt einen überlegten und ehrlichen Musiker, der mit 20 Jahren überraschend aufgeräumt wirkt. Er sucht nach den richtigen Worten, überlegt, bevor er spricht, antwortet strukturiert. Ehrgeiz spürt man nicht – dieses Gefühl kenne er nur beim Song-Schreiben. „Wenn ich einen Sound im Kopf habe, treibe ich gern weg“, sagt Yume, er sei dann „verträumt“. Daher auch sein Künstlername. Nick Yume heißt bürgerlich Nick Gnan. „Yume“ ist das japanische Wort für Traum.
Seine Ziele? „Losspielen und Spaß haben“, sagt der 20-Jährige. Am Freitagabend musste er zunächst passen. Sein Auftritt beim Stadt-Land-Rock-Festival wurde wegen des Amoklaufs im OEZ abgesagt.
„Wenn die Chance kommt, gebe ich 100 Prozent“, sagt Nick. Und wenn nicht? Im September beginnt er seine Master-Studium in London: „In London als Vorband für einen großen Musiker zu spielen, wäre ein persönlicher Erfolg“, sagt Nick. Und dann? „Weiter“, sagt er.
Vor den großen Bühnen spielt er aber erst einmal die kleinen Shows. Im Wohnzimmer einer WG. „Ich liebe dieses Homie-Feeling“, sagt Nick. „Ich habe schon mit fast jedem kurz gequatscht und habe das Gefühl, alle schon zu kennen.“ Mitten im Konzert klingelt es. Die Nachbarn. Ob es jetzt Ärgern gibt? „Unser Vermieter hat gesagt: Wir dürfen so laut sein, wie wir wollen,“ sagt Laura. Zwei erstaunte Gesichter kucken in die Wohnzimmertür. „Wir dachten, die Musik kommt aus dem Fernseher.“ Mit großen Augen bemerken sie den Live-Act mitten im Zimmer. Natürlich bleiben sie und feiern mit. Nach einer halben Stunde Konzert ist die Stimmung bestens, spätestens nach Nicks Coverversion von Polarkreis 18s „Allein, Allein“ summen alle mit. „Es war der Hammer“, sagt Sara erfreut. Weder sie noch ihre Mitbewohnerin kannten den britisch-stämmigen Sänger vor dem Konzert. „Kannst du nicht einfach noch mal von vorne anfangen?“, rufen die Mädels aus dem Publikum. Drei Zugaben sind drin, dem Flamingo Juan gewidmet, der über Nicks Kopf wacht.
Für Nick ist das Konzert hier eh noch nicht zu Ende: Die Hälfte der Partygäste wollen an diesem Montag zum Free & Easy-Festival kommen, wo er mit Band auftritt.
Von: Verena Lederer, David-Pierce Brill
Fotos: Laura Holder