Relativ bindungsunfähig

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Unabhängig – das soll eine Frau in sein, findet Gregor. Deswegen orientiert er sich jetzt an den Endzwanzigerinnen. Dass das aber auch in die Hose gehen kann, merkt er bei Anna.

Ein schlauer Mann mit grauen Wuschelhaaren und Hang zu ordinären Gesichtsausdrücken hat uns einmal versucht zu erklären, dass Zeit eindeutig relativ ist. Je nach Standpunkt des Beobachters vergeht sie schneller oder langsamer. Ganz einfach, findet Gregor. Weniger einfach findet er Anna, seine neue Freundin. Anna ist freilich ein Mädchen und es mag mit an diesem Umstand und ihrer daraus resultierenden weiblichen Uneinsichtigkeit in naturwissenschaftlichen Dingen liegen, aber für Anna ist die Relativitätstheorie nichts als Unfug. Ein Jahr ist ein Jahr ist ein Jahr. Basta. Das ist ein Problem, wie Gregor jetzt feststellen musste.

Er war schon immer der Typ, der nicht wirklich auf gleichaltrige Frauen aus war. Sagen wir es so: Wenn man auf alten Pferden das Reiten lernt, dann ist Gregor nie über die erste Stunde hinausgekommen. Anstatt sich mit jungen Hüpfern zu begnügen, griff er lieber nach den Sternen. In der Schule mussten es immer die Mädels aus der Oberstufe sein, später die Studentinnen. Inzwischen steht Gregors Zielgruppe kurz vor den 30, so wie Anna. Das hat eindeutig seine Vorteile, erklärt er mir. Endzwanzigerinnen sind unabhängig, verdienen oft schon ihr eigenes Geld und kennen sich mit Dingen wie der Waschmaschine genauso gut aus wie mit der Steuererklärung. Was will man mehr?

Anna will mehr, so viel steht fest. Das passt Gregor gar nicht. Dabei war er eigentlich in Hochstimmung. Ein ganzes Wochenende hatte Anna ihn besucht, sie waren feiern, hatten lange Gespräche geführt und sich tief in die Augen gesehen. Dann waren sie in der Kiste gelandet – und am nächsten Morgen beim Frühstückstisch beschlossen beide, dass Anna ruhig noch länger bleiben könnte. So für drei Wochen, meinte Gregor. So für immer, hatte Anna da aber schon beschlossen. Ohne Punkt und Komma schwärmte sie davon, wie sie mit Gregor zusammenziehen, ihn heiraten und ihm Kinder schenken wolle. Gregor wurde angst und bange. Denn trotz seiner Vorliebe für reife Frauen hatte er eines immer gefürchtet: deren Torschlusspanik. Annas biologische Uhr tickte. In zwei Jahren wollte sie alles erledigt haben, inklusive Baum pflanzen und Haus bauen. Zwei Jahre seien doch eine Ewigkeit, rief sie. Von ihrem Standpunkt aus mag das auch sicher so gewesen sein. Gregor sah das relativ anders. Für Gregor waren zwei Jahre nicht mal ein Wimpernschlag, wenn es darum ging, sich dermaßen an eine einzige Frau zu binden.

Leider erwies sich Anna tatsächlich als sehr uneinsichtig, was diese Art der zeitlichen Relativität anbelangt. Ihr Standpunkt stand fest. Nichts zu machen. Und Gregor? Der ist seit Neuestem wieder auf der Suche. Nach etwas Jüngerem diesmal. Das mit der Steuererklärung wird er schon irgendwie hinbekommen. Lisi Wasmer

Mal ehrlich: Jeder junge Mensch ist auf der Suche. Nach Liebe. Nach einem Lebensabschnittsgefährten. Vielleicht nach einer Affäre. Das Problem: Sobald sich das Leben um mehr als nur eine Person dreht, wird es verzwickt – eine Kolumne über die Tücken der Partnersuche. „Beziehungsweise“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Bei Krause zu Hause“.

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Lisi Wasmer setzt sich in ihrer Kolumne mit allen Tücken der Partnersuche auseinander. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, gibt uns Lisi Einblicke in verschiedenste Beziehungen. Die Lektüre endet bei uns oft mit Tränen in den Augen – sei es vor Lachen, Freude oder Traurigkeit.