Zombie in Jogginghosen

Wenn sogar Marielena, die griechische Eleganz in Person und Kommilitonin unserer Autorin, im Schlabberlook in die Uni kommt, kann das nur eines bedeuten: es ist Prüfungszeit in Oxford, und die Studenten nehmen langsam zombieähnliche Zustände an.

Langsam verwandle ich mich in einen Zombie. Morgens krieche ich aus meinem Bett, viel zu früh, viel zu unausgeruht, wenn es nach meinem Körper gehen würde. An wirklich engagierten Tagen schaffe ich es, meine Schlafanzughose gegen eine Jogginghose einzutauschen. Make-up, gezupfte Augenbrauen oder gefeilte Fingernägel – brauche ich nicht. Im Moment sind alle Schalter auf Überleben gestellt, auf „Bulimie-Lernen“, wie eine meiner Freundinnen in München es einmal nannte. Die Prüfungen rücken unaufhaltsam näher und ich bin gefangen in einem paradoxen Interessenkonflikt. Auf der einen Seite will ich nichts sehnlicher, als dass der erste Prüfungstag endlich da ist. Ich will endlich nicht mehr jeden Tag aufstehen müssen, wissend, dass da ein unbezwingbarer Berg an akademischer Literatur auf mich wartet, dessen Steilhänge womöglich immer mit Fragezeichen gespickt bleiben werden. Ich will nicht mehr wie ein Zombie in Jogginghosen mit mir selbst debattieren müssen, ob ich es mir leisten kann, einen Spaziergang zu machen, zu duschen oder ein anständiges Abendessen zu kochen, weil ich dadurch wertvolle Lernzeit vergeuden würde.

Auf der anderen Seite sind gerade diese Fragezeichen das, was mich mindestens einmal am Tag panisch meine Atemzüge zählen lässt, weil ich merke, dass ich niemals alles lesen und lernen und verstehen und verinnerlichen werde können, was möglicherweise für ein Bestehen der Prüfungen hilfreich sein könnte.

Manchmal ist es tröstlich, dass es uns allen gleich geht. Ich sehe andere Zombie-Gestalten an meinem Fenster vorbeiwandeln auf dem Weg zur Bibliothek. Sogar Marielena, normalerweise die griechische Eleganz in Person, trägt einen dunkelblauen Jogginganzug, Turnschuhe und ihre Haare fallen in wilden Locken über ihre Schultern, Theas Augenringe werden bedenklich dunkel und das Licht im Zimmer meiner Mitbewohnerin scheint immer an zu sein, egal, zu welcher Uhrzeit es mich in der Nacht auf die Toilette treibt. Manchmal ist es aber auch sehr verunsichernd, dass jeder eine andere Lernstrategie verfolgt. Die Facebook-Gruppe meines Kurses läuft heiß, nicht nur mit Fragen, sondern auch mit spätabendlichen Fotos aus Bibliotheken, die ich meide. Auch wenn ich nicht dankbarer für die Unterstützung und den Zusammenhalt meines Kurses sein könnte, wünschte ich mir, es wären ein paar entspanntere, vom Lernstress unberührtere Persönlichkeiten unter uns.

Ich weiß, auch in München stellen Prüfungen und die Phase davor einen Stressfaktor dar. Auch hier verwandeln sich Studenten in Zombies, wenn das Semesterende näher rückt. Aber wieder einmal habe ich das Gefühl, in Oxford ist alles ein bisschen intensiver, alles ein bisschen gewichtiger als in Deutschland. Weil es in Oxford so schwer ist, aus dem Universitätskosmos auszubrechen, weil es letztlich keine Trennung zwischen „zu Hause“ und „Uni“ gibt, ist es leicht, 15 Stunden am Tag fieberhaft Papers zu lesen und Karteikarten zu beschriften. Während es gleichzeitig quasi unmöglich ist, ein Gespräch zu führen, bei dem es nicht früher oder später (meistens früher) um die anstehenden Prüfungen und den Lernstoff geht. Deshalb ist es womöglich gut, dass ein Ende des Zombie-Zustands absehbar ist, egal, ob wir alle Papers gelesen und alle Karteikarten beschriftet haben oder nicht.

Manchmal, in lichten Momenten, schaffe ich es dann aber sogar, die zwei Seiten des Paradoxes zu vereinen. Wenn ich merke, wie viel ich tatsächlich schon gelernt habe, wie viel weiter mein Horizont ist im Vergleich zu Beginn des Kurses, wird mir bewusst, dass ich tatsächlich nicht ausschließlich für die Prüfungen lerne, sondern für mich und vielleicht sogar für die Welt.

Text:
Theresa Parstorfer

Foto: Privat