250 Zeichen Wut:

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Sommer adé,
Herbst okay. Aber.. dass das Fahrradl damit in erster Linie stillsteht und man
wieder auf die Münchner Verkehrsbetriebe, also die „Öffis“, angewiesen ist, widerstrebt
unserer Autorin dann doch sehr.

Grundsätzlich
bin ich dem Herbst ja sehr zugeneigt. Klar, spontan die Füße in die Isar dippen
hat sich vorerst erledigt. Auch kommt niemand mehr auf die Idee, sich für
BallaBeni-Eis bis zur Kreuzung in die Schlange zu stellen und damit die
Vorbeifahrenden zu amüsieren. Doch habe ich persönlich ebenso große Freude an Hokkaido-Sonderangeboten,
die jetzt allerorts im in der Oktobersonne leuchten. Was nun aber gar nicht
geht, sind Windböen und Nieselregen, nasse Fahrradsitze, träge S-Bahnen und
Bauarbeiten an der U2! Ach, und ja natürlich, der finster lauernde Viren-Mob!
Ob an Haltestangen oder Türgriffen, dir gegenüber oder zu deiner Linken: der
Feind in meinem U-Bahn-Abteil, er ist real! Oh du liebes Sommerrad, was wirst
du schmerzlich vermisst!

Text: Yvonne Gross

Zufallsstudium: Graue, nette Männer

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Eigentlich dachte
unsere Autorin, dass sie in einer Gesundheitsökonomie-Vorlesung sitzt. Aber warum fängt die Vorlesung viel zu spät an? Und wieso kommen plötzlich Männer in
grauen Anzügen in den Vorlesungsraum?

„Sind Sie schon so weit?“, fragt die Professorin mit Stick in der
Hand in meine Reihe hinein. Schnell schaue ich weg, frage mich aber, was genau
diese Frau von mir möchte und wünsche mir einfach nur, dass die
Vorlesung jetzt dann anfängt.

Es ist mittlerweile schon halb drei und immer noch reden die
Studenten bunt durcheinander. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, als ich
zwanzig Minuten vorher durch das Treppenhaus der LMU lief und mich an die
Fersen einer jungen braunhaarigen Frau heftete. Tatsächlich gab es nicht
besonders viel Auswahl, da die Studentin der einzige Mensch in diesem
Treppenhaus zu sein schien, was mich verunsicherte – gibt es überhaupt
Vorlesungen, die um 2 Uhr anfangen? Als ich meine Überlegung der Frau gegenüber in
Worte fasste, erklärte sie mir, dass es die schon gäbe. Den Namen der Vorlesung, in die sie
gehen wollte, verstand ich tatsächlich auch nach zweiter Wiederholung nicht,
irgendwas mit Wirtschaft. Ein Stockwerk höher, meinte sie noch, sei eine
Vorlesung zu Gesundheitsökonomie. Und da das irgendwie ausgefallen und
interessant klang, beschloss ich, ein Stockwerk höher zu schauen.

Gesundheitsökonomie. Ich habe tatsächlich keinerlei
Vorstellungen, was man in diesem Fach bespricht, aber das, was auf dem Beamer
zu lesen ist, habe ich definitiv nicht erwartet. Da steht irgendetwas über
Vernetzung der unterschiedlichen Bereiche der SWM. Und langsam verstehe ich
auch, wieso sich der Vorlesungsbeginn so herauszögert. Offensichtlich sollten
die Studenten sich selbst Konzepte zu diesem Thema überlegen. Die Frau ganz vorne scheint die fertigen Powerpoint-Präsentationen dann auf den Stick zu
ziehen und vermutlich müssen die Studenten ihre Konzepte daraufhin vorstellen. Als
dann auch noch Männer mit Anzug in den Raum kommen, vermute ich, dass sie von
der SWM sind und sich die Konzepte anhören wollen. Meine Vermutungen
bewahrheiten sich nach weiteren fünf Minuten, in denen die Frau die letzten
Präsentationen einsammelt.

Nur verwirrt mich noch ein wenig, was das alles mit Gesundheitsökonomie zu tun haben soll.
Doch auch dieses Rätsel lüftet sich, als ich am Ende der Vorlesung meinen
Banknachbarn anspreche und erfrage, in was für einer Vorlesung ich eigentlich
sitze. „BWL“, erklärt der mir entgegen meiner Erwartung, und dass heute der Schwerpunkt Marketing ist und
sie im Moment praxisbezogene Vorlesungen haben, „nächste Woche ist dann
BMW dran“. Ziemlich cool und spannend, denke ich mir.

Und so sind auch die Vorträge der Studenten ziemlich
interessant: Das erste Konzept wird von den SWM-Menschen auch gleich mit dem
Satz: „So machen wir’s, danke für die Anregung“ sehr positiv angenommen. Die Gruppe will ein Punktekonto für alle Dienstleistungen der SWM, also MVG, Strom,
Bäder etc. einrichten, auf dem der Kunde bei Nutzung der Leistungen Punkte
sammeln und dafür Prämien oder die Möglichkeit zu spenden erhalten soll. Die Gruppe hat sogar schon einen Finanzplan und ein
sehr durchdachtes Werbekonzept entwickelt.

Vorschläge anderer
Gruppen werden dagegen kritischer aufgenommen, nicht jedes Konzept ist schon so
gut ausgearbeitet. Andere Ideen sind zum Beispiel Kombitickets für
MVG und Bädereintritt, SmartHome-Software, eine ganzheitliche Abrechnung aller
Leistungen am Ende des Monats oder eine SWM-Kundenkarte, über die man monatliche
Gesamtpakete buchen kann.

Am Ende fragt mich mein Banknachbar, ob ich jetzt gerne BWL
studieren möchte. Eine Zeitlang denke ich über diese Frage nach und komme
zu dem Schluss, dass BWL wohl tatsächlich auch ganz spannend und weniger
trocken sein könnte, als ich dachte.


Text: Mariam Chollet

Foto: Lukas Haas

Sit-in der Neuzeit

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Das Kollektiv “Einmal Utopie, Bitte” ruft im Dezember zu den Schwarzfahrtagen auf und fragt, warum der öffentliche Nahverkehr nicht kostenlos sein könnte. Ihr Motto: Erst träumen, dann Lösungen suchen

Manchmal hilft nur noch Utopie. Das denken zumindest drei junge Schauspieler und Liedermacher, die sich zu einem Kollektiv zusammengeschlossen haben: „Einmal Utopie, bitte“.

Lucie Mackert, Peter Fischer und Robert Heigl wollen mit ihren Aktionen keine Probleme aufzeigen, sie wollen Denkräume öffnen. Sie sagen: „Man muss erst einmal Träume zulassen und dann gucken, wie man sie verwirklichen kann.“ Ihre nächste Aktion starten sie im Dezember.

SZ: Ihr ruft zum Schwarzfahren auf. Seid ihr wahnsinnig? Das gibt Ärger.
Robert Heigl: Warum? Wir tun nichts Verbotenes. Und die Menschen, die sich unserer Aktion anschließen, auch nicht.

Die Münchner Verkehrsgesellschaft versteht beim Schwarzfahren keinen Spaß.
Wir rufen nur dazu auf, in schwarzer Kleidung zu fahren. Das wird man schon noch dürfen.

Aber natürlich denkt jeder zunächst an was anderes.
Die Schwarzfahrtage spielen natürlich schon mit dem Begriff des Schwarzfahrens. Es soll aber keine Rebellion gegen die MVG sein.

Sondern? Was hat euch zu dieser Aktion bewegt?
Auslöser war die erneute Preiserhöhung der MVG und das Gefühl, dass es keinen Protest dagegen gab. Die Menschen nehmen das immer wieder hin und fragen sich nicht, ob es auch andere Möglichkeiten gibt. Wir haben uns damit beschäftigt und recherchiert, ob es Alternativen gibt.
Und?
Wir sind dann auf den kostenfreien Nahverkehr gestoßen, wie es ihn zum Beispiel in der estnischen Hauptstadt Tallinn bereits gibt. Wir wollen zeigen, dass es auch anders geht. Und: Es ist notwendig, denn die Stadt ertrinkt in Verkehr. Es ist laut, es stinkt, und Mobilität kann sich nicht mehr jeder leisten.

Also geht es doch gegen die MVG.
Nein. Wir haben uns gefragt, ob man in unserer Gesellschaft die Prioritäten verschieben kann. Die Autobranche wird mit einer Selbstverständlichkeit subventioniert, obwohl alle wissen, dass Autos nicht zukunftsfähig sind.

Habt ihr euch auch damit auseinander gesetzt, wie utopisch die Finanzierung eines kostenfreien Nahverkehrs ist?
Er wird hauptsächlich über Steuern finanziert, so wie Schulen auch. Jede Gesellschaft definiert doch selbst, welche Aufgaben ihr so wichtig sind, dass sie dafür kostenlose Angebote schafft.

Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Finanzen sind ein komplexes Thema.
Wir haben versucht, mit realistischen Zahlen zu arbeiten, aber wir sind natürlich keine Volkswirtschaftler, das ist aber auch nicht unser Anspruch. Der Gedanke, dass es in München kostenfreien Nahverkehr geben könnte, kam uns erst einmal sehr utopisch vor. Aber wir haben herausgefunden, dass es das in anderen Städten tatsächlich gibt. Ist es in Bezug auf die Klimadebatte nicht im Sinne von uns allen, einen kostenfreien Nahverkehr anzubieten? Es wäre ein Riesenanreiz, das Auto weniger zu benutzen, was der Umwelt zugute käme und auch ärmeren Menschen wieder die Möglichkeit gäbe, in ihrer Stadt mobil zu sein.

Und das wollt ihr mit schwarzen Klamotten erreichen?
Die Schwarzfahrtage finden vom 13. bis 20. Dezember statt. Jeder kann in schwarzer Kleidung fahren, Fotos und andere Beitrage unter #schwarzfahrtage teilen. Zusätzlich haben wir noch vor, zum Auftakt gemeinsam in einer Tramlinie zu fahren.

Ein Sit-in wie in den Sechzigerjahren. Glaubt ihr, das Schwarzfahren fällt überhaupt auf?
Wir müssen schauen, wie die Aktion funktioniert, ob die Leute unsere Handzettel lesen. Wir haben aber kein Ziel, das wir erreichen müssen. Wir probieren das einfach mal aus.

Trotzdem: Auch der Hipster trägt schwarz. Protest, der nicht auffällt, wird nichts bringen.
Vielleicht kann man sich auch besondere Accessoires anziehen. Wir sind mit unseren Hüten für die Fotos doch sehr aufgefallen. Aber auch durch unseren Kickoff wollen wir Aufmerksamkeit auf uns ziehen.

Ist München die passende Stadt für solche Utopien? Die Studenten zum Beispiel haben sich mit einer deutlichen Mehrheit für das Semesterticket entschieden, obwohl es in den vergangenen Jahren eine rasante Preissteigerung gab. Zeigt das nicht, dass sich die Menschen in München die Preise leisten können?
Gerade hier ist es wichtig, weil es nicht nur Leute gibt, die sich es leisten können, sondern daneben eben auch die, die das nicht können.

Ihr seid auf Bühnen unterwegs, wie viel Selbstinszenierung steckt in den Aktionen?
Hoffentlich nicht zu viel. Ein bisschen müssen wir als Personen auftreten, um griffig zu zeigen, wer wir sind und was wir machen. Aber es geht uns darum, die Leute mit Gedanken zu erreichen und nicht darum, dass sie uns als Personen wahrnehmen. Ein Teil der Aktionen sind natürlich Inszenierungen, um die Menschen anzusprechen, aber unsere Gedanken sind frei von Selbstdarstellung.

Versteht ihr das als Kunst? Oder wollt ihr tatsächliche Veränderungen hervorrufen?
Man muss sich frei machen davon, dass alles einen unmittelbaren Effekt haben muss. Es geht um die Bereitschaft, Utopien überhaupt zu sehen. Sie müssen nicht gleich umgesetzt werden. Politisch aktiv zu sein ist immer auch eine Frage der Reichweite. Das Ziel ist Menschen zu erreichen, die das mitkriegen und somit Denkräume aufmachen.

Wenn ihr wirklich etwas ändern wollt, wieso investiert ihr eure Zeit nicht in Unterschriftenaktionen oder Dinge, die tatsächlich Änderungen bringen können?
Als Privatpersonen machen wir solche Dinge auch. Aber wir glauben, dass das, was wir tun, zu wenig gemacht wird. Wir wollten damit einen Schritt weitergehen als nur unsere Unterschrift zu setzen: Die Möglichkeiten durch unsere Utopien überhaupt erst einmal aufzeigen.

Interview: Sandra Will

Foto: 

Sascha Loha