Çağdaş Yüksel, 23, aus Mönchengladbach dreht einen Film über die Gastarbeiter in Deutschland. Ein großer Teil der Doku soll in München entstehen – sein Opa ist damals am Hauptbahnhof auf Gleis 11 angekommen.
Çağdaş Yüksel, 23, aus Mönchengladbach ist Regisseur und arbeitet nach seinem ersten großen Film „Asyland“ an einem neuen Projekt. Mit der Dokumentation „Gleis 11“ will er die Geschichte seines Großvaters und vieler anderer Türken, Griechen und Italiener erzählen, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Das Gleis 11 am Münchner Hauptbahnhof war für die vielen Türken der erste Eindruck von ihrer neuen Heimat – dort kamen die Züge aus Istanbul an.
SZ: Ein großer Teil deines Films soll in München gedreht werden. Warum?
Çağdaş Yüksel: Bei den Recherchen habe ich sehr schnell herausgefunden, dass die allerersten Züge mit Gastarbeitern aus Istanbul in München ankamen. Von dort aus wurden sie in den ersten Jahren auf ganz Deutschland aufgeteilt. München selbst hat aber auch erst einmal sehr viele Gastarbeiter aufgenommen und ist ja heute eine der multikulturellsten Metropolen Deutschlands.
Die Gegend, aus der du kommst, steht jetzt aber mehr für die Thematik Gastarbeiter. Was ist dein persönlicher Bezug zu München?
Wie alle anderen Türken ist auch mein Großvater in München angekommen. Er war damals so alt wie ich jetzt.
Wie bist du auf die Idee zu dem Film gekommen?
Die Idee hatte ich schon lange, weil das Thema mir einfach persönlich sehr viel bedeutet und ich oft darauf angesprochen werde. Irgendwann kam allerdings der Punkt, an dem ich gemerkt habe, wie wenige persönliche Geschichten ich von meinem Großvater und anderen ehemaligen Gastarbeitern eigentlich kenne. Er ist ja gestorben, bevor ich geboren wurde. Der Wunsch, das zu ändern, war der Auslöser des Projekts.
Erzählst du nur die Geschichte deines Großvaters?
Es ist keine komplett individuelle Geschichte, der Film erzählt das Leben von ganz vielen Menschen. Mein Großvater dient aber als eine Art roter Faden.
Deswegen liegt dir das Thema so am Herzen.
Es ist die letzte Chance, dieser Generation eine Stimme zu geben. Ich will nicht über sie berichten, sondern sie selbst reden lassen. Das ist einfach nicht mehr so lange möglich. Außerdem ist das Thema Einwanderung heute ja wieder sehr aktuell.
Wo wurde dein Großvater nach seiner Ankunft in München hinversetzt?
Nach Mönchengladbach, wo ich jetzt noch lebe. Er wurde bei einer Elektrofirma angestellt.
Du kennst ihn nur aus Erzählungen. Was meinst du, wie er sein neues Heimatland damals empfunden hat?
Ich habe versucht, sehr viel darüber zu recherchieren, habe dazu Freunde von ihm und meine Großmutter befragt. Ich habe ein sehr positives Bild von seinem Leben in Deutschland bekommen. Ich glaube, er hat sehr viele gute Erfahrungen gemacht, hatte nette Nachbarn, die ihn bei der Integration geholfen haben.
Wurde er glücklich in Deutschland?
Das ist auf jeden Fall mein Gefühl, ja. Weder er noch seine neuen deutschen Freunde wussten, ob und wie lange er in Deutschland bleiben würde. Er hat sich dann fürs Bleiben entschieden. Seine Familie kam nach vier Jahren aus der Türkei nach.
Du bist Deutscher in dritter Generation, hast aber einen türkischen Namen. Kommen dir manchmal selbst noch Vorurteile entgegen?
Ich persönlich habe das nie erlebt. Es ist für mich selbstverständlich, dass ich hier geboren und aufgewachsen bin. Klar habe ich auch die türkische Kultur in mir, das empfinde ich als sehr wertvoll. Das heißt aber nicht, dass ich kein Deutscher wäre.
Spannst du im Film auch den Bogen zur heutigen Situation, in der das deutsch-türkische Verhältnis ja sehr belastet ist?
Nein, es soll eh nicht nur um türkische Gastarbeiter gehen. Der Film soll auch nicht allzu politisch werden, das wäre noch mal ein ganz anderes Thema. Der Impuls des Films ist eher, ein positives, nostalgisches Bild aus dieser Zeit zu übermitteln und zu zeigen, wie lange diese interkulturelle Freundschaft schon besteht. Und dass man sie nicht von einzelnen politischen Akteuren kaputtmachen lassen sollte.
Was können wir denn von der damaligen Situation lernen, dass Integration heute wieder besser funktioniert?
In der deutsch-türkischen Beziehung wünsche ich mir die Offenheit der Sechzigerjahre zurück. Das Interesse, neue Kulturen und neue Menschen kennenzulernen. Es wird oft vergessen, wie viel Musik, Literatur, Rezepte und Gemüsesorten die Gastarbeiter einst nach Deutschland gebracht haben. Dinge, die es einfach in Deutschland nicht gab. Umgekehrt haben diese Kulturen natürlich auch viel von den Deutschen gelernt. Man muss sich wieder in Erinnerung rufen, dass dieser Austausch etwas sehr Wertvolles ist.
Unterstützen kann man Cagdas und sein
Team auf der Crowdfundingseite Startnext unter dem Link www.startnext.com/gleis11. Dort finden sich auch der Trailer zum Film sowie viele
Hintergrundinformationen.
Interview: Tilman Waldhier
Foto: cocktailfilms