Mario Radezky, Sänger der „Blackout Problems“, hat sein Studium geschmissen. Um seinen Musiker-Traum leben zu können, macht er Unmengen von Gelegenheitsjobs. Mal steht er hinter der Bar, mal ist er Kartenabreißer
Von Philipp Kreiter
Die Luft ist tropisch heiß, stickig, jeder im Münchner „Strom“ trieft vor Schweiß, ist rot im Gesicht. Am meisten Mario Radezky, Sänger der Band Blackout Problems. Die Hitze, der Schweiß, die Eskalation auf der Bühne gehören zu Konzerten seiner Band, aber diesmal gibt es einen besonderen Anlass: Die Blackout Problems feiern das Erscheinen ihres zweiten Albums „Holy“. Nach nicht einmal drei Liedern, tanzt der gesamten Club wie in einem einzigen Rausch. Und grölt jede Songzeile lautstark mit – ganz ohne Textkenntnis, nur aus der Stimmung heraus. Es ist ein Fest.
Szenenwechsel, ein Café im Glockenbachviertel: Mario, 26, bärtig, durchschnittlich groß, streicht sich beim Sprechen immer wieder die braunen Haare aus dem Gesicht. Wenn er redet, tut er das ruhig, abwägend, meist ernst. Seit 2012 ist er Sänger und Gitarrist der Band Blackout Problems und hat es damit auch über die Münchner Stadtgrenzen hinaus zu einiger Bekanntheit gebracht. Zusammen mit Bassist Marcus Schwarzbach und Schlagzeuger Michael Dreilich hat Mario Anfang 2016 das zweite Blackout Problems Album veröffentlicht, ein Erfolg, die Platte erreicht sogar die deutschen Albumcharts. Und das alles in Eigenregie, ohne Plattenfirma im Hintergrund. Wie machen die Jungs das?
Geboren in Heidelberg, muss Mario schon früh einen Umzug nach Kössen verkraften, ein Skiort irgendwo hinter Kufstein. Zur Schule fährt er mehr als 20 Kilometer, auch sonst bietet der Ort wenig, was für einen jungen Menschen aufregend sein könnte. Besser wird es erst, als er das Konzert einer Punkband von etwas älteren Schulkameraden besucht, „da habe ich gesehen, dass man mit drei Akkorden schon ganze Lieder schreiben kann“. Schon damals, beinahe noch im Kinderzimmer („wir waren nicht viel größer als unsere Gitarren“), komponiert er jedes Wochenende mit seinem heutigen Bandkollegen Marcus neue Stücke. Nach dem Abitur wollte er in eine aufregende Stadt ziehen, er dachte an Berlin oder Barcelona. Aber es wurde dann doch München, „sonst hätte ich nicht mehr mit Marcus Musik machen können“.
In München beginnt er ein Lehramtsstudium Germanistik und Anglistik, nebenbei arbeitet er in unzähligen kleinen Jobs, um sich die Band finanzieren zu können. Das Studium macht ihm Spaß, aber seine Leidenschaft sind die Blackout Problems. Aber sich nur auf die Musik zu verlassen, traut er sich zu dem Zeitpunkt noch nicht. „Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich im Hörsaal nur noch an die Band denke.“ In seinem sechsten oder siebten Semester erfährt Mario, welchen Schnitt neue Lehrer brauchen, um eine Stelle zu bekommen. „Davon war ich dann so unglaublich weit weg, dass ich mir gedacht habe, dass ich weder als Lehrer noch mit der Band Geld verdienen werde. Dann kann ich aber zumindest das machen, was mir Spaß macht.“
Er schmeißt das Studium kurz vor dem Abschluss und konzentriert sich fortan an nur auf seine Leidenschaft, die Musik. Die Band selbst wirft momentan allerdings noch nicht genug Geld ab, damit die Bandmitglieder davon leben könnten. Deshalb hat Mario Unmengen von Gelegenheitsjobs, besonders bei Konzerten. Mal steht er nächtelang hinter der Bar, mal ist er Kartenabreißer, mal Stagehand. Aber er ist auch schon direkt nach einer Tour mit seiner Band von Zürich aus nach Hamburg geflogen, um Equipment für die Sportfreunde Stiller nach München zu fahren. Aber trotzdem macht Mario diese Jobs gerne: „Wenn du nach einer langen Tour wieder den ganzen Abend für sechs Euro pro Stunde arbeitest, dann erdet das. Und außerdem weiß ich, dass ich Dank der Jobs, die ich mache, danach wieder mein eigenes Ding durchziehen kann.“
Und da die Blackout Problems das mittlerweile ziemlich erfolgreich machen, weckt es an verschiedenen Stellen Begehrlichkeiten. Bevor „Holy“ erschien, hatten die drei Musiker bereits Aufnahmen für eine große Plattenfirma gemacht, große Dinge waren ihnen versprochen worden. Aber von heute auf morgen ließ die Plattenfirma sie fallen – ohne Angabe von Gründen. Für eine junge Band ein Rückschlag, nicht jeder hätte sich davon erholen können. Auch Mario und seine Band stehen erst einmal unter Schock. „Da merkt man, dass es vom einen auf den anderen Tag ganz anders aussehen kann. Und als kleine Band gibt es nichts, was man dagegen tun kann. Man ist gegenüber dem Label vollkommen hilflos.“
Aber aufgeben will die Band auch nicht: „Wir waren wieder am Nullpunkt angekommen, aber für uns gab es nur eine Option: Wir bringen die Platte jetzt raus!“ Sie entschieden, komplett auf ein Label zu verzichten, von jetzt an alles selbst zu machen. Sie tauschten ihren Manager aus, verpflichteten jemanden in ihrem Alter. Die Produktion übernahm Philipp Koch von der Band HeissKalt, für ihn das erste Mal, dass er ein Album produzierte. Und selbst das Artwork überließen sie einem befreundeten Designstudenten – der davor noch nie ein Artwork erstellt hatte. Aber der Band war es wichtig, dass das Album genauso wird, wie sie es sich vorstellen, ganz ohne den konformistischen Zwang, den eine Plattenfirma häufig auf ihre Musiker ausübt.
Genau das ist es auch, was HeissKalt-Frontmann Mathias Bloech so an Mario und den Blackout Problems begeistert: „Man merkt, dass er sich komplett reinwirft in die Band und das, wofür sie steht, ganz und gar verkörpert.“ Das lässt sich auch bei Marios anderem großen Projekt beobachten, dem „Munich Warehouse“. Als eine Plattform für den Band-Merch gestartet, ist es mittlerweile zu einem Onlineversand für Marios eigenes Label geworden, das er zusammen mit Schlagzeuger Michael gegründet hat. Ein bisschen soll das Warehouse auch zweites Standbein sein, falls es doch nicht klappen sollte mit der Musik.
Doch momentan sieht es gut aus für die Blackout Problems. Nach einem Jahr auf Tour werden sie Ende des Jahres für ein großes Abschlusskonzert wieder dort auf der Bühne stehen, wo das Jahr begann: in München im Strom.
Fotos: Ilkay Karakurt, Paul Ambrusch