Alles crazy

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Vormittags entspannt er an der Isar, nachmittags geht es los mit seinen America-Calls – bis Mitternacht: Christopher Obereder, 25, hat beruflich schon viel erreicht. Jetzt zog er vom Silicon Valley zurück nach München.

Zwei Jahre im Silicon Valley gearbeitet, auf der Forbes-Liste der besten Technologen unter 30 gelandet, Facebook-Seiten mit neun Millionen Fans kreiert – Christopher Obereder, 25, hat schon viel im Leben erreicht. Jetzt ist er mit zahlreichen Impressionen im Gepäck aus Palo Alto zurück in seine Heimatstadt München gezogen. Seiner Generation rät er, fest an die eigenen Träume zu glauben – anders hätte er seine ehrgeizigen Ziele selbst nie erreicht.

Rückblick: Im April hat Christopher Obereder mit Freunden Urlaub am Strand von Mexiko gemacht. Und plötzlich lag da in Badehose auf dem Handtuch: der Gründer des Online-Taxi-Unternehmens Uber, Travis Kalanick. Seine Freunde sprachen Christopher Mut zu, den mehrfachen Milliardär anzusprechen. „Er ist doch im Urlaub!“, entgegnete er ihnen. Angesprochen hat ihn Christopher dann trotz Hemmungen und einiger furchterregender Bodyguards. Der US-Amerikaner sei dann auch sehr locker und nett gewesen, habe ihn sogar gebeten, sich zu setzen und von seinem Leben im Silicon Valley zu erzählen.

Anekdoten wie diese erzählt Christopher Obereder sehr gerne aus seiner Zeit in Palo Alto, der Stadt in Kalifornien, um die sich das Silicon Valley schmiegt. Zwei Jahre hat er bei verschiedenen Technologie-Firmen die Social-Media-Abteilung vorangetrieben, hat sich hochgearbeitet, sich einen Ruf aufgebaut. Christopher, kräftige Statur, zurückgegelte Haare, Dauergrinsen, redet gern und viel, jedoch immer bestimmt und ruhig. Man merkt ihm die Begeisterung an, die er in den vergangenen zwei Jahren für die Atmosphäre im Valley aufgebaut hat.

Jetzt ist er nach München wiedergekehrt. Zurückgezogen ins Haus seiner Eltern. In die Heimat, in der er vor zehn Jahren gemeinsam mit einem Kumpel Gefallen daran fand, Facebook-Gruppen zu gründen und mit allen möglichen Mitteln daran zu tüfteln, möglichst viele Fans zu gewinnen. Mit der Zeit hatten sie 1000 dieser Gruppen gegründet und auch noch richtig Erfolg damit: neun Millionen Gefällt-mir-Angaben bekam eine der Seiten. „Du postest einfach irgendetwas wie ,Hey, I’m feelin’ sick today‘, und dann liken es plötzlich 1000 Leute. Wenn du 14 Jahre alt bist, findest du das lustig“, gibt Christopher zu. Ihn faszinierte das Gefühl, Menschen lenken, beeinflussen zu können, sie gewissermaßen zu Marionetten zu machen. Es ist eine der Eigenschaften, warum er es im Silicon Valley so weit gebracht hat.

Nach dem Abitur strebte er erst einmal eine Golfkarriere an, brach sein Golfstudium in England jedoch bald ab. Es folgte ein BWL-Studium an einer italienischen Universität. Dann entwickelte er mit einem Freund das Handyspiel „Okay?“, das an die Spitze der Downloadcharts von Apple stürmte. Es folgte ein Praktikum in London bei der Deutschen Bank. Bei Christopher war von Anfang an die Laufrichtung klar: immer voran.

Den Willen, eines Tages mitreden zu können, eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen, hat er von seinen Eltern mit auf den Weg bekommen. „Ich schreibe mir jedes Jahr meine Ziele für nächstes Jahr auf. Das haben sie mir so eingetrichtert“, sagt er. Fleiß, Engagement und Begeisterungswille seien auf dem Weg nach ganz oben sein Erfolgsrezept gewesen: „Wer etwas aufbauen will, fängt oft klein an, fällt hin, steht wieder auf, fällt wieder hin“, erzählte er einmal der Huffington Post.

Er entschied sich, endgültig in die Technologiebranche zu gehen. Also schickte er zahlreiche Bewerbungen an Firmen, die in Palo Alto ansässig sind. Was für andere Hollywood ist, war für Christopher schon immer das Silicon Valley. Er wurde von einer Tech-Firma engagiert, flog nach Kalifornien. Die Firma ging nach wenigen Wochen pleite. Das sei unangenehm gewesen, weil er sein Gehalt nicht bekam, sagt er, öffnete ihm aber viele andere Türen: „Innerhalb des Silicon Valley kommt man extrem schnell mit anderen Leuten ins Gespräch. Wenn du bei einer Firma rausfliegst, hast du in zwei Wochen wieder was Neues.“ Man versuche, sich gegenseitig zu unterstützen, sich Kontakte zu vermitteln. Diesen Helfergeist vermisse er oft in Deutschland, der Konkurrenzgedanke sei in europäischen Firmen viel größer. Allerdings: Es sei dort „schwierig, echte Freunde zu finden. Oft fragt man sich: Machen wir jetzt gerade Business oder sind wir Freunde? Das weißt du manchmal einfach nicht.“ Doch das hat Christopher zwei Jahre lang für seinen großen Traum in Kauf genommen.

Seine Aufgabe bei verschiedenen amerikanischen Firmen war es, möglichst viele tägliche Downloads für bestimmte Apps zu generieren: mindestens 20 000 pro Tag. „Social Media ist in den USA ein eigener Berufszweig“, erklärt er. Gerne erzählt er von der „Bubble“, in der sich die Mitarbeiter des Silicon Valley befänden. Obwohl er selbst viele Begriffe wie „Outdoority“, „Crosspromotion“ und „sowas generiert richtig Traffic“ um sich wirft, sieht er sich nicht als Teil dieser Blase. Er berichtet von diesen zwei Jahren eher als objektiver Beobachter des ganzen Theaters: vom Google-Chef, der mit Badehose und Taucherbrille in der Wüste von Nevada herumturnt, von Zehner-WGs ohne jegliche Privatsphäre, von Rollerblade-Massenveranstaltungen in San Francisco. „Diese Verrücktheit gehört da zur Kultur“, schwärmt er, „die sind da auch alle ganz crazy gekleidet. In zwei Jahren habe ich nur ein einziges Mal Anzug tragen müssen.“ Das Wort ist sein absoluter Lieblingsbegriff: die Amis, die Hitze, die Kleidung, alles crazy.

Und dann gab es da noch etwas, das für ihn ziemlich crazy war: dass er auf die „Forbes 30 under 30“-Liste gewählt wurde. „Ich fühl mich gut, wenn ich Ziele erreiche“, sagt Christopher, „das macht so süchtig. Die Forbes-Liste war so eines davon.“ Als er es dann geschafft hatte, sei er zwei Wochen wie im Rausch gewesen. „Wenn du was erreichst, musst du es auch erst mal genießen. Sonst verlierst du die Lust.“ Ein großer Traum hat sich bei dem erfolgsverwöhnten Münchner aber noch nicht erfüllt: einmal mit Mark Zuckerberg quatschen. „Den würde ich viel lieber treffen als einen bekannten Fußballstar oder Justin Bieber“, erzählt er. Er hat andere Helden als die meisten seiner Freunde.

Und jetzt also zurück in München. Hier hat er seinen Freundeskreis, erklärt er, hier fühlt er sich wohl: „In München ist das Leben um einiges angenehmer, ich will nicht unbedingt zurück.“ Die Hitze, die vielen fremden Eindrücke, der Druck, sich immer wieder beweisen zu müssen. Seinen Job kann er von Deutschland aus genauso machen. Vormittags geht er an die Isar, nachmittags geht’s los mit seinen America-Calls, dann Downloads generieren. Mitternacht ist er dann fertig mit der Arbeit – seinen Arbeitsrhythmus muss er an Kalifornien anpassen. Aber das macht nichts.

Eines liegt ihm noch auf dem Herzen: dass er jungen Leuten mit Visionen Mut machen will, diese zu verfolgen. „Ich hätte meine Ziele nie erreicht, wenn ich nicht immer an mich geglaubt hätte“, sagt er. „Aber ich habe sie erreicht!“



Text: Tilman Waldhier

Foto: David Visnjic

Fremdgänger: So kurvig wie die Lombard Street

Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der eine oder andere Kulturschock. ‘Unheimlich kurvig, dafür mit den schönsten Blumen am Wegrand’ – So vergleicht unsere Autorin den American Dream mit unserem Streben nach einem möglichst geradlinigen Lebenslauf. 

Mit dem amerikanischen Traum ist es schon so eine Sache. Da war ich tatsächlich an meiner Traum-Uni gelandet und wollte jeden Eukalyptusbaum auf dem weitläufigen Campus mit den vielen Eichhörnchen umarmen. Bis ich dann zum ersten Mal vor dem VWL-Gebäude stand. Baufällig, nicht erdbebensicher, die meisten Hörsäle fensterlos.

Ich habe mich trotzdem in dieses Gebäude reingetraut, für den amerikanischen Traum muss man wohl flexibel sein. Drinnen: Forschungsseminare mit indischem Mittagessen inklusive und jeden Mittwoch Kekse für alle – das wäre doch auch was für die LMU! Dazu noch ein paar extra reservierte Parkplätze für Nobelpreisträger und wir könnten endlich wirklich mit den amerikanischen Unis mithalten.

Auch an Kurse mit acht Teilnehmern könnte ich mich glatt gewöhnen. Vor allem, wenn der Professor mit Leidenschaft Witze über Kollegen reißt, während er einen großen griechischen Buchstabensalat an die Tafel malt. Außerdem wird er sein Fahrrad hoffentlich bald auf einem der ganz besonderen Parkplätze für Nobelpreisträger abstellen, auch das sorgt für besondere Spannung. „Und jetzt zeige ich euch, wie manche Kollegen eine Studie aufziehen, wenn sie unbedingt weiterhin daran glauben wollen, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht diskriminiert werden“, sagt er in der letzten Vorlesung mit trockenem Unterton. So ein Einblick in die unterste Schublade der Wissenschaft ist selten. Aber umso lehrreicher.

Draußen auf dem Campus sind die Studenten im Grunde nicht spannender, wenn auch etwas nerdiger als die an der LMU. Football, das neue iPhone, der Taco Tuesday, wer mit wem und wie oft auf dem letzten Backpacking-Trip durch Europe, das nächste iPhone – alles beliebte Themen auf dem Campus. Bemerkenswert war das Motivationslevel. Wollen wir uns den ganzen Tag zusammen im Büro verbarrikadieren, um das Übungsblatt zu lösen? Na klar.

 Abseits der Uni habe ich Menschen getroffen, die so herzlich gerne bereit waren, mir ihr San Francisco zu zeigen: Den schönsten Blick auf die Golden Gate Bridge, das beste Sushi, den verblüffendsten Wald mitten in der Stadt oder die verrückteste Schwulenbar – all das hätte ich alleine wohl gar nicht entdeckt.

Doch neben 1000 Fotos haben sie mir auch eine neue Lebenseinstellung mit nach Hause gegeben. Denn der amerikanische Traum verträgt sich nicht mit dem in Deutschland so hoch gelobten geradlinigen Lebenslauf. Die kalifornische Unbekümmertheit will ich mir auf jeden Fall abgucken. Dazu die Fantasie des alten Freundes, der jedes Jahr eine halbe Million Weihnachtslichter in seinem Garten aufbaut. Und die Coolness des neuen Bekannten, der erst als Tontechniker, dann als Rollschuhverkäufer gearbeitet hat und jetzt Käseexperte ist.

Mittlerweile bin ich zurück in München und muss meine Tüten im Supermarkt wieder selbst packen. Aber ich weiß jetzt: Es läuft vielleicht nicht immer alles geradeaus im Leben, sondern – zum Glück – manchmal auch wie die Lombard Street in San Francisco. Unheimlich kurvig, dafür mit den schönsten Blumen am Wegrand.

Text: Katharina Hartinger

Foto: Privat

Fremdgänger: “Shpatsel Brats” in Kalifornien

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Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der eine oder andere Kulturschock. Unter all den neuen Eindrücken aus der großen, weiten Welt ruht aber die Sehnsucht nach der Heimat. Katharina studiert an der University of California, Berkeley, und wundert sich über die eigenartige Essenskultur der Amerikaner. 

Manchmal träume ich von einem Stück Käse. Es ist groß. Ich kann dicke Scheiben davon abschneiden und sie in aller Ruhe essen. Dann wache ich auf und bin in Kalifornien, wo ein mittelgroßes Stück Brie ein deutlich sichtbares Emmentaler-Loch ins Budget einer studiengebührengeplagten Studentin reißt. Alles, was keine hauchdünne, in Plastik eingewickelte Sandwich-Scheibe ist, würde preislich gesehen sogar die Händler auf dem Viktualienmarkt vor Neid käsebleich werden lassen.

Zum Glück bringen spendable Gäste gerne eine Käseplatte zu Festen aller Art mit, in deren Nähe ich mich dann möglichst unauffällig und ausdauernd aufhalte. Das wichtigste kulinarische Fest im Jahr ist Thanksgiving: Die Thanksgiving-Parade – im Grunde eine stundenlange Abfolge von Werbespots, aber die sind zugegebenermaßen sehr unterhaltsam – läuft im Fernsehen, während man sich die ersten Knabbereien gönnt. Gleichzeitig brät der Truthahn im Ofen und damit ausnahmsweise nicht in der Mikrowelle. Die Füllung, die oft komplett außerhalb des Geflügels zubereitet wird, duftet schon nach warmem Brot und Preiselbeeren. Sobald alles fertig und das Football-Spiel vorbei ist, essen alle Anwesenden mehr, als sie je für möglich gehalten hätten. Ich hatte vor meinem ersten Thanksgiving in Kalifornien so viele Klischees im Kopf – interessanterweise sind sie alle wahr.

Lachen muss ich dagegen über die gängigen „Amerikaner essen nur Fastfood“-Klischees, die sich ja hartnäckig halten, drüben in Deutschland. Die Auswahl an wunderbar authentischen mexikanischen, chinesischen, japanischen, einfach internationalen Restaurants ist gigantisch – da kann München von träumen. Klar, im Mittleren Westen sieht das wieder anders aus, aber Kalifornien kommt mir ziemlich oft wie das Schlaraffenland vor.

Auch deutsches Essen ist mittlerweile sehr beliebt in der Bay Area. Von „Shpatsel Brats“ und anderen deutschen Spezialitäten schwärmen meine amerikanischen Freunde. Ein deutsches Restaurant braucht hier auch unbedingt einen extravaganten Namen. Der ist aber schnell gefunden: Man nehme einfach irgendein – wirklich: irgendein – deutsches Wort, das entfernt mit Essen zu tun hat. Da hätte ich fast ein bisschen Lust, auch so einen Hipster-Laden aufzumachen: „Forelle im Vollrausch“ würde er heißen. Und während man in München Birkenstämme oder unbequeme Metallhocker ins moderne Restaurant schmeißt, könnte ich hier vielleicht mit karierten Tischdecken und unpraktisch-überdimensionierten Geranienkästen auf den Tischen punkten.

 Aber eigentlich ist exotische internationale Cuisine für den örtlichen Hipster auch schon ziemlich ausgelutscht. Da muss langsam etwas Neues her. Die simpelste Art der Innovation? Einfach alles, was davor sowieso schon da war, wird kreuz und quer wild kombiniert. Philippinischer Adobo-Burrito? Immer her damit. Mexikanisches Sushi? Der Laden ist voll. Oder in drei Wochen pleite, aber die Leute haben wenigstens darüber geredet.

Text: Katharina Hartinger

Foto: Privat