Neuland

Vom Blumenmädchen zur Femme fatale: Tasmin Gutwald kehrt 2016 mit ihrem neuen Projekt Léo auf die Bühne zurück

Vom Blumenmädchen zur Femme fatale: Tasmin Gutwald und Oda Tiemann haben mit ihrer Band Tuó Folk zelebriert, und das ziemlich gut. Doch die zwei besten Freundinnen gehen nun seit zwei Jahren getrennte Wege, musikalisch jedenfalls. Oda ist längst wieder auf der Bühne, Tasmin kehrt 2016 dorthin zurück: mit ihrem neuen Projekt Léo. Das Blumenkleid hat sie gegen aufreizende Kleider getauscht, den Folk gegen melancholischen Pop. Die Botschaft auf ihrer Internetseite: „This is me – being free.“

Jennifer Lichnau
Foto: Privat

Neuland

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Menschen und Tiere, Gewöhnliches und Skurriles – Lea Grötzinger, 25, hat ihr Skizzenbuch immer dabei, um Momente festzuhalten. Noch illustriert sie hauptsächlich Freunde und Bekannte, das Zeichnen soll aber irgendwann zum Beruf werden.

Katzen als Badebegleiter, ein anschmiegsames Krokodil als Haustier oder ein elegantes Kaninchen auf der Couch. Lea Grötzinger, 25, zeichnet am liebsten Menschen – doch sie mag es eben auch skurril. Aber wer sagt denn, dass nicht gerade Menschen im Alltag oft das Seltsamste überhaupt sind. Noch illustriert Lea vor allem Freunde und Bekannte, noch probiert sie viel aus, eignet sich unterschiedliche Stile und Techniken an. Seit einem halben Jahr hat sie eine eigene Internetseite (lea-illustriert.de), auf der sie ihre Werke veröffentlicht. Dort mischen sich Tiere mit Menschen, Skurriles mit Gewöhnlichen und eben verschiedene Techniken. Doch ein Schwerpunkt ist bereits zu erkennen: Das fein gezeichnete Porträt.

Jennifer Lichnau
Bild: http://lea-illustriert.de/

Gutes Recht

Die Refugee Law Clinic berät Flüchtlinge – aber ihr fehlt eine feste Anlaufstelle.

Von Jennifer Lichnau

München – Jura kann sehr trocken sein, sehr theoretisch. Die Arbeit der Refugee Law Clinic ist alles andere. Viola Syska, 23, ist seit mehr als einem Jahr Mitglied bei dem studentischen Verein, der kostenlosen Rechtsbeistand für Flüchtlinge anbietet. Das ist für beide Seiten eine Win-win-Situation. Die Studenten erhalten praktische Erfahrung, Flüchtlinge eine Rechtsberatung, auf die sie nicht so lange wie üblich warten müssen. Dennoch ist die Lage angespannt. Ein eigenes Büro fehlt der Studenten-Initiative, bislang wird ihnen immer an neuen Orten vorübergehend Platz gegeben. „Dabei wäre es so wichtig, eine zentrale Anlaufstelle anzubieten. Ein fester Ort, an den die Flüchtlinge kommen können, und auch wir, um Fälle zu besprechen“, sagt Viola. Auch müssen die Jura-Studenten extra vorbereitet werden – aber diese Vorbereitungskurse kosten, und das Geld der ehrenamtlichen Organisation ist knapp. „Wir würden sehr gerne in unser Ausbildungsprogramm investieren, damit wir auch wirklich gute Arbeit für die Flüchtlinge leisten können“, sagt Viola.

Viola kann in der Refugee Law Clinic das im Jurastudium erlernte Wissen umsetzten, die Theorie hinter sich lassen. „Direkt am Menschen arbeiten“, sagt sie. Das Wichtigste aber ist ihr, dass sie Menschen unterstützen kann, die in einer schlechteren Ausgangslage sind als sie selbst. Viola sitzt nicht gerne Tage lang in der Bibliothek hinter dicken Büchern. Wenn sie lernt, dann meistens zu Hause, „da kann man auch mal eine Pause einlegen“, sagt sie und lacht. Dass die Arbeit bei der Refugee Law Clinic viel Zeit und Kraft kostet, macht Viola aber nichts. Sie ist taff, hat eine klare Stimme, einen klaren Blick. Wenn sie lacht, dann laut und herzlich. Entspannt sitzt sie im Café, ihre blonden Haare sind zu einem Zopf geflochten, die Lippen rosa geschminkt. Sie hat eine ungezwungene Art. Was sie denkt, das sagt sie auch.

Die Refugee Law Clinic muss nicht auf sich aufmerksam machen, das Konzept ist ein Selbstläufer. Die Nachfrage ist riesig. Hinter den Jurastudenten steht ein Beirat. Erfahrene Anwälte, die den Studenten zur Seite stehen und bei komplizierten Fällen helfen. Es gibt zwar auch behördliche Beratungsstellen für Asylsuchende, aber die sind mit dem Flüchtlingsstrom mehr als ausgelastet. Die Studenten entlasten. Auch können sie sich für die Menschen, die zu ihnen kommen, mehr Zeit nehmen, wirklich für sie da sein. „Nicht anhören, entscheiden und wieder wegschicken“, sagt Viola.

Es gibt drei Bereiche innerhalb des Vereins: Das Beraterteam, das Organisationsteam und Übersetzer. Beraten dürfen allerdings nur die Jurastudenten – und das auch nicht einfach so. Sie müssen eine Vorlesung belegen, in Workshops Beratungssituationen üben, eine Prüfung schreiben. Erst dann sind sie in der Lage, effektive und qualitative Rechtsberatung zu leisten. Und das ist das Ziel. Asylrecht kommt im Studium nicht vor. Man muss sich intensiv damit auseinandersetzen, um sich auszukennen „in dem asylrechtlichen Dschungel“, wie es Viola ausdrückt.

Foto: Stephan Rumpf

Kleine Schritte, große Ziele

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Vanessa Thuille, 21, Aysegül Kizakli, 23, und Nadine Gardisch, 24, leiten das Projekt „Save The Plate“.Sie wollen kleine Hilfsorganisationen unterstützen – und nebenbei die Lebensmittelverschwendung bekämpfen.

Von Jennifer Lichnau

Elf Leute reden durcheinander. Jeder hat eine andere Vorstellung, aber alle dasselbe Ziel! Das kann anstrengend sein. Besonders für Nadine Gardisch, 24, Vanessa Thuille, 21, und Aysegül Kizakli, 23. Sie leiten das Projekt „Save The Plate“, das es seit März dieses Jahres gibt. Ziel ist, die Lebensmittelverschwendung in München zu bekämpfen. Ein weiterer Schwerpunkt gibt dem Projekt eine soziale Färbung: Die vor der Entsorgung geretteten Lebensmittel sollen ausschließlich an kleine Hilfsorganisationen gehen, die schlecht vernetzt sind und deswegen wenig Aufmerksamkeit bekommen.

Nadine, Vanessa und Aysegül sitzen nebeneinander an einem Tisch. Die Luft im Zimmer ist noch etwas stickig, die acht anderen Mitglieder von „Save The Plate“ haben gerade erst den Raum verlassen. Die drei Studentinnen bleiben zurück, um die Ergebnisse der Sitzung zu besprechen. Vanessa ist mit ihren 21 Jahren die Jüngste in der Gruppe und hat trotzdem gelernt, sich durchzusetzen. Ihre Haare sind zu einem blonden Pferdeschwanz gebunden. Sie lächelt verschmitzt, vor allem dann, wenn sie von den Erfolgserlebnissen der Gruppe erzählt. „Wenn der Wille da ist, funktioniert alles“, sagt sie. Zumindest fast alles. Die Beta-Version ihrer Webseite ist seit vorvergangenem Sonntag online. Noch ist es nur die Beta-Version, noch fehlen sogenannte Nehmer. Das System ist an sich sehr simpel. Eine interaktive Stadtkarte soll aufzeigen, wo Essen abzugeben ist und wo Essen gebraucht wird. Die (Ab-)Nehmer sind Hilfsorganisationen mit Bedarf, die Essens-„Geber“ sind all diejenigen, die Überschuss haben und Nahrungsmittel nicht wegwerfen, sondern abgeben wollen. Von der Privatperson über den kleinen Gemüsehändler um die Ecke bis hin zur großen Bäckereikette kann das jeder sein. Wenn erst mal alles funktioniert wie geplant, kann der Geber sogenannte digitale Essensteller hochladen. Wer darauf klickt, sieht genau, was an Lebensmitteln abzugeben ist. Der Essensteller ist auch das Symbol für „Save The Plate“.

Ein erstes Erfolgsbeispiel ist die Kooperation mit „Culture Kitchen“. Das Kochprojekt versammelt einmal im Monat Flüchtlinge und Einheimische. Sie kochen zusammen, essen zusammen und lernen sich kennen. Bisher hat sich „Culture Kitchen“ die Lebensmittel selbst finanziert, von jetzt an bekommen sie Spenden von „Save The Plate“. „Abgesehen von der inhaltlichen Umsetzung ist allein schon die Botschaft, wahnsinnig wertvoll“, sagt Vanessa, „nicht jeder soll von heute auf morgen alles ändern, um es dann eine Woche später wieder zu vergessen. Wir wollen ein Zeichen setzten und ein nachhaltiges Umdenken fördern, das geht nur Schritt für Schritt.“
In Deutschland schmeißt jeder Bürger pro Jahr durchschnittlich 82 Kilo gut erhaltene Lebensmittel weg. Die Studenten von „Save The Plate“ waren erstaunt, dass viele – mit dieser Information konfrontiert – total überrascht reagieren.

Momentan beschränkt sich der Infokanal der Organisation auf Facebook. Mit 219 Likes ist die Reichweite noch gering. „Wenn man ein solches Projekt anleitet, stößt man ständig auf irgendwelche Schwierigkeiten“, sagt Aysegül. Bevor sie etwas sagt, zieht sie ihre Stirn in nachdenkliche Falten. Nadine und Vanessa stimmen ihr zu. Der Ehrgeiz der Studenten ist mit dem Projekt mitgewachsen. Mittlerweile hat jeder in der Gruppe seinen Platz gefunden, die Arbeitsteilung funktioniert besser und nach den ersten Erfolgserlebnissen, wie der Einladung zum Future-Award in Frankfurt, ist das Team gestärkt.
„Es ist sehr wichtig, dass man auch mal rauskommt aus dem Stress vor Ort und merkt, dass man als Gruppe wahrgenommen wird“, erzählt Vanessa. Beim Future- Award haben sie nicht nur Aufmerksamkeit geerntet, sondern auch viel positives Feedback und wertvolle Tipps bekommen.

Die Studenten organisieren das Projekt neben dem normalen Unialltag, das kostet Zeit und Kraft. „Ohne ehrenamtliches Engagement würde in der Gesellschaft ein großes Loch entstehen, das ist uns allen jetzt bewusst“, sagt Nadine mit Nachdruck in der Stimme. Sie hat feine Gesichtszüge, ihre Stimme ist zart und nimmt oft eine besorgte Färbung an. Gibt es Wünsche für die Zukunft? Kurz herrscht Stille. Die drei Studentinnen müssen ihre Gedanken ordnen. Durch die geöffneten Fenster tritt frische Luft in den Seminarraum. Aysegül lächelt. „Man lernt vor allem auch viel über sich selbst und die Arbeit in und mit der Gruppe“, sagt sie.

Keine der jungen Studentinnen hat zuvor schon mal an einem derartigem Projekt mitgewirkt, geschweige denn eine Leitungsfunktion innegehabt. Der anfängliche Idealismus ist einem engagiertem Pragmatismus gewichen. Wichtig sind ohne Zweifel die Erfolgserlebnisse, vor allem für den Zusammenhalt der Gruppe. Bei der Feier anlässlich der Freischaltung ihrer Webseite haben die elf Lebensmittelretter zwar auf ein anstrengendes Jahr zurückgeblickt, trotzdem waren sie alle zufrieden. Mit dabei war auch die Initiative Culture Kitchen. Und als die Studenten auf die Flüchtlinge treffen, bekommen sie das erste mal eine Rückmeldung, die wirklich zählt. Auch ohne große Worte kommt die Begeisterung zum Ausdruck, auf beiden Seiten. Das Ziel bleibt ein großes, die Schritte dahin bleiben erst mal klein.

Foto: Stephan Rumpf

Alltag im schwarzen Anzug

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Der Tod ist sein Geschäft: Alexander Schmid, 28, ist der jüngste Bestatter Münchens. Er erzählt von seiner Arbeit, wie er mit dem Thema Tod umgeht und wie es ist, wenn einen die Trauer durch den Alltag begleitet.

Der Tod ist sein Leben. Friedhöfe dienen ihm für schöne Spaziergänge. Ganz in Schwarz gekleidet, sitzt er auf einer roten Couch. Wenn jemand stirbt, verdient er damit seinen Lebensunterhalt. Alexander Schmid, 28, ist Bestatter, um genauer zu sein: der jüngste Bestatter Münchens. Seine Beine sind übereinander geschlagen, sein ist Blick konzentriert. „Eigentlich bin ich sehr geruchsempfindlich“, sagt Alexander und bleibt ganz ernst dabei. Ein Bestattungsunternehmer mit einer empfindlichen Nase? Leichen riechen doch, oder? „Tun sie gar nicht“, sagt Alexander. Bequem lehnt er sich zurück in die ledernen Polster.

Es geht um den Tod, es geht um Leichen. Darüber spricht keiner gerne. Im Gegenteil, das Thema Tod wird nur sehr behutsam und mit Fingerspitzen angefasst. So, als müsste man eine gerade erlegte, große, haarige Spinne ganz schnell entsorgen und versuchen, ihr dabei ja nicht zu nahezukommen. „Verstorben – muss gleich weg!“ Alexander nickt und sagt: „So empfinden das tatsächlich die meisten Menschen.“

Er selbst hat einen anderen Umgang mit dem Thema. „Versorgung“, so nennt Alexander es. Dazu gehört das Ankleiden des Toten, ihn in den Sarg einzubetten, Augenklappen einlegen. Augenklappen? „Damit werden die eingefallenen Augäpfel der Leiche verdeckt, so dass die Leiche möglichst natürlich aussieht“, erklärt Alexander. Sein Blick ist klar, seine braunen Augen strahlen Ruhe aus. Das ist sehr wichtig, für den Umgang mit Trauernden. „Auf keinen Fall ankommen, die Beratungsmappe auf den Tisch knallen und fragen, welcher Sarg darf es denn sein“, sagt Schmid. Die Beine sind jetzt nicht mehr über Kreuz, sondern stehen beide fest auf dem Boden. Er selbst ist nach vorne gerutscht, auf die lederne Kante der Couch. „Also das geht gar nicht“, sagt er mit Nachdruck, dann lacht er.

„Meine Großeltern haben gesagt:
Mei Bua, da werst
doch so traurig.“

Wenn er lacht, kommt das ganz unvermittelt und klingt frech. Die Entscheidung, welchen Sarg man wählt, fällt den Angehörigen meist am schwersten. Allein die Vorstellung, dass ein geliebter Mensch in einem Sarg liegen muss, ist vielen unerträglich. „Wichtig ist, die Leute erst mal erzählen zu lassen. Sie befinden sich mitten im Trauerfall. Das ist eine Ausnahmesituation. Viele können da nicht klar denken. Man muss Geduld haben und eine große Portion an Einfühlungsvermögen mitbringen“, sagt Alexander und legt seine Stirn in Falten.

In Bayern gibt es 614 Bestattungsunternehmen, davon befinden sich 19 in München. Der Azubi-Jahrgang 2014 für Bestatter mit insgesamt 48 Berufsschülern hat sich, laut Handwerkskammer, zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen zusammen gesetzt. So erzählt es auch Alexander. Bestatter ist kein reiner Männerberuf, und es ist keinesfalls ein aussterbender Beruf. Die Zahl der Bestattungsunternehmen steigt deutschlandweit.
Jeden Tag der Tod, jeden Tag weinende, trauernde Menschen, jeden Tag im schwarzen Anzug das Haus verlassen – kann man bei so einem Beruf nicht die Lebensfreude gleich mit begraben? Von Schmid kommt ein eindeutiges „Nein“. Auf der Berufsschule werde einem gesagt, nicht bei jedem Toten dürfe man mitsterben. Das klingt schauerlich. Alexander lächelt. „Meine Großeltern haben zu mir einmal gesagt: Mei Bua, magst du denn wirklich Bestatter werden, da werst doch so traurig“, erzählt er.

Auf Partys steht er
mit seinem Beruf
oft im Mittelpunkt

Aber wer will denn eigentlich überhaupt Bestatter werden? Alexander hatte zunächst andere Ziele. Er hat Neuere Deutsche Literatur, Bayerische Geschichte und Soziologie studiert. Sein Traumberuf als Student war Journalist. Er hat verschiedene Praktika beim Radio und bei der Kirchenzeitung gemacht. Nebenbei hat er aber schon immer dem Vater im eigenständigen Betrieb geholfen. Irgendwann ist dann im Bestattungsunternehmen eine Stelle frei geworden und der Vater hat den Sohn gefragt, ob er sie nicht möchte. Es war ein Angebot, kein Zwang. Alexander zuckt mit den Schultern und sagt: „Ich wusste ja schon, was mich erwartet.“

Die Ausbildung hat er nachgeholt. Und seit 2012 ist er nun geprüfter und jüngster Bestatter Münchens. Wenn er Gast auf einer Party ist und auf seinen Beruf zu sprechen kommt, ist er oftmals der Mittelpunkt der Feiergemeinschaft. Die Leute stellen Fragen und er leistet gerne Aufklärung für die Unbedarften. Alexander sagt, er wünsche sich schon einen anderen Umgang mit dem Tod. „Bei uns in der Gesellschaft setzt sich niemand damit auseinander, eine Beerdigung ist immer was Drückendes, bei anderen Völkern wird richtig gefeiert, um die Zeit zu zelebrieren, die man mit dem Toten auf der Erde verbringen durfte“, sagt Alexander.
Hinter ihm steht ein Regal, gefüllt mit Urnen. Die Urnen selbst sind nicht gefüllt, sondern dienen zur Ausstellung. „Das ist Geschmackssache“, sagt Alexander. Genauso ist es bei den Särgen. „Gerade ist helles Holz sehr beliebt“, erzählt er und klopft auf einen der Sargdeckel. Die Särge sind in einem Kellerraum ausgestellt. „Die Pappel ist etwas Besonderes“, sagt Alexander und tätschelt einen anderen Sarg. Das Holz ist leicht orangefarben.

Weniger Angst vor dem Tod hat Alexander durch seinen Beruf nicht. Er nehme einem zwar die Berührungsängste, aber nicht die Todesangst selbst, sagt er. Vor allem seiner Familie solle nichts zustoßen. Bei diesem Gedanken schaudert es ihn das erste Mal selbst. Sogar, wenn man sich erkundigt, wie Alexander sich seine eigene Beerdigung vorstellt, bleibt er sachlich. Dann wundert er sich, denn eigentlich hat er darüber noch nie nachgedacht. Es herrscht kurz Stille, dann ist wieder sein freches Lachen zu hören. „Wobei“, sagt Alexander, „einmal, da habe ich mich schon dabei erwischt, wie ich mir einen Sarg angeschaut und dabei gedacht habe, der wäre doch eigentlich nicht verkehrt für mich.“
Text: Jennifer Lichnau
Foto: Privat

Spirituelle Disco

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Freising – Anja Mayerhofer, 25, leitet seit sechs Jahren den Arbeitskreis „Sonntag“, der die Korbinianswallfahrt mitorganisiert. Wer sich nun schwitzende Mittvierziger auf einem langen Pilgermarsch vorstellt, der liegt falsch. Es sind ausschließlich junge Christen unterwegs. Der Fußweg ist nicht unbedingt wichtig oder gar notwendig. Man kann auch mit Bus oder Bahn anreisen. Wichtig ist die Ankunft am Wallfahrtsort: der Dom in Freising.

SZ: Was ist der Sinn, der hinter einer solchen Wallfahrt für Jugendliche steht?
Anja Mayerhofer: Zum einen können die jungen Menschen sehen: Hey, da gibt es noch andere junge Menschen, die an Gott glauben. Religion ist eben nicht nur langweilige Orgelmusik, sondern hat ganz viele Seiten. Sie haben also die Möglichkeit, sich mit ihrem Glauben auseinanderzusetzen und sich dabei mit Gleichaltrigen darüber auszutauschen.

Es nehmen also nur Jugendliche teil, die gläubig und katholischer Konfession sind?
Nein. Also die meisten schon, ja. Aber es ist auch eine Chance für alle anderen interessierten jungen Menschen, sich über das Thema Glauben zu unterhalten. Hier sind alle sehr offen. Sowohl die Teilnehmer als auch die Organisatoren. Man kann zu jedem hingehen und einfach auch mal fragen: Warum glaubst du eigentlich an Gott, denn ich tue es nicht! Aber die meisten Teilnehmer kommen aus katholischen Pfarrgemeinden, das stimmt.

Ein Wallfahrtswochenende mit der Pfarrgemeinde klingt für die meisten jungen Menschen nicht nach großer Spannung. Außerdem sinken seit Jahren die Mitgliederzahlen der Kirche. Merkt man das auch bei Korbinianswallfahrt?
Nein, überhaupt nicht. Die Wallfahrt nach Freising hat eine lange Tradition. Und es gibt immer viele Teilnehmer. Die meisten Organisatoren sind selbst noch jung und können die Kirche dann auch so präsentieren.

Wäre es nicht eher sinnvoll, dass Jugendliche sich für politische Themen interessieren, auf Demos gehen?
Die Kirche ist durchaus politisch. Man organisiert sich in Jugendverbänden der Kirche. Dort engagieren sie sich ja für wichtige Themen. Es ist also kein schlechter erster Schritt, wenn man erst mal in der Gemeinde aktiv wird. Viele Jugendliche kommen so im zweiten Schritt zur Politik.

Unter der Überschrift „Licht an“ wird den Jugendlichen eine Orientierungshilfe versprochen. Veranstaltet ihr nach dem Gottesdienst eine Jobmesse?
So ähnlich. Es gibt den sogenannten Markt der Möglichkeiten. Da präsentiert sich die Kirche als Institution, aber auch als Arbeitgeber. Da kann es schon passieren, dass der eine oder andere nach Hause kommt und ein Interesse an einem pastoralen Beruf mitbringt.

Was hast du von deinem ersten Wallfahrtswochenende besonders in Erinnerung behalten?
Bei meiner ersten Wallfahrt nach Freising war ich zunächst total erstaunt, wie viel Spaß man haben kann. Vor allem die Party am Freitagabend – mit Band und DJ – war einer der Höhepunkte. Auch dieses Jahr hat es diese Party gegeben, allerdings wie immer ohne Alkohol.

Also doch eher Party als religiöse Besinnung?
Nein, das nicht. Es gibt auch sehr spirituelle Momente bei der Veranstaltung, beispielsweise der große Gottesdienst am Sonntag, bei dem immer eine ganz besondere Stimmung herrscht. Aber an sich kann jeder junge Mensch sich das Wochenende ganz nach eigenen Vorstellungen gestalten. Die einen suchen eher die spirituellen Momente, die anderen machen lieber bei den geplanten Aktivitäten mit.

Zum Beispiel?
In diesem Jahr hat es ein Parcours gegeben, den man mit verbundenen Augen bewältigen musste, um nachempfinden zu können, wie es ist, blind zu sein. Oder ein Workshop, der einen mit den Grundlagen der Gebärdensprache vertraut gemacht hat.

Warum hast du damals als 14-Jährige das erste Mal mitgemacht?
Ich selbst bin da eher so reingerutscht. Meine Jugendleiterin hat damals zu meiner Freundin und mir gesagt, dass wir nicht so viel zu tun hätten und einfach mal mitmachen sollen. Mittlerweile bin ich seit sechs Jahren Leiterin einer eigenen Gruppe. Die meisten Jugendlichen, die an am Wallfahrtswochenende zu uns gekommen sind, sind in Jugendgruppen ihrer Pfarrgemeinde und sind deshalb mitgefahren.

Interview: Jennifer Lichnau
Foto: Erzbischöfliches Jugendamt München und Freising