Von Freitag bis Freitag München – Unterwegs mit Philipp

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Sommerloch? Philipp lässt sich weder von diesem alljährlich beschworenen Phänomen noch von der weiter andauernden Hitze davon abhalten, das Münchner Nacht- und Kulturleben zu erkunden. Auch wenn selber radeln schon fast zu heiß ist, geht es am Samstag zur Vorstellung des Dokumentarfilmes Pedal the World, am Sonntag in die HypoKunsthalle in die Keith Haring-Ausstellung und am Montag zur AOK Bladenight. Natürlich darf auch die Musik nicht fehlen: Theatron und Kong stehen auf dem Plan. 

Freitag, 14. August:
Es ist mitten im August. Sommerloch. Dementsprechend langweile ich mich zu
Tode. Ok, die Bundesliga-Saison würde anfangen, aber welcher Student kann sich
schon SKY leisten? Also zur Abwechslung selber draußen Fußball spielen? Besser
als der HSV kann ich das allemal – aber zu heiß, zu anstrengend. Also vertrödle
ich den Tag mit engagiertem Nichts-Tun. Abends erwachen aber dann doch die
Lebensgeister in mir und ich fahre ins Kong, wo unter dem Motto „Lost in Paradise“ die DJs Rafael Da Cruz, Nino Langguth und Pauls Artists auflegen.  Schlussendlich ist es sowieso interessanter
abends auszugehen als das Auftaktspiel anzuschauen. Schließlich konnte man
schon letztes Wochenende beobachten, dass sich die Bayern nicht übermäßig
anstrengen, wenn sie gegen Amateur-Mannschaften spielen.

Am Samstag
schlafe ich erstmal in aller Ruhe aus, vorausgesetzt es ist soweit abgekühlt,
dass sich die Studentenstadt nicht schon vormittags um neun zum Backofen
entwickelt hat. Nach einem eher ereignisarmen Tag, fahre ich abends an den
Olympiasee. Dort stellt
der erst 23 Jahre alte Felix Starck
seinen Dokumentarfilm „Pedal the
World
“ vor, der zeigt, wie er mit seinem Fahrrad eine mehr als 18000
Kilometer lange Tour durch 22 Länder gemacht hat. Ich bin ob der
atemberaubenden Bilder beeindruckt und radle danach immer noch unter dem
Einfluss des Filmes demonstrativ energisch zurück nach Hause. Leider filmt
keiner mit.

Nachdem ich die letzten Tage eindeutig zu intensiv über
Fußball nachgedacht habe, möchte ich den Sonntag
wieder für kulturelle Unternehmungen nutzen. Ich entschließe mich die
Ausstellung über Keith
Haring in der HypoKunsthalle
zu besuchen. Haring war ein politisch sehr
engagierter Künstler, der für Gleichberechtigung und besonders im Kampf gegen
AIDS sehr präsent war. Leider wird er heutzutage primär auf lustige, bunte
Männchen reduziert. Die Ausstellung hat sich zum Ziel gesetzt, diesem Eindruck
entgegen zuwirken und wieder den politischen Künstler in den Fokus zu rücken.
Und Haring provozierte besonders durch – man kann es nicht anders sagen – einer
wahnsinnigen Dichte an Gewalt – und Penissen. Diese Konstellation findet sich
auch in der Ausstellung wieder. Wenn man die Galerie durchquert hat, tritt man
dann in den Fanshop und dort kann man wirklich jeglichen vorstellbaren Krempel, bedruckt mit lustigen, bunten
Männchen kaufen. Von politisch-motivierten Penissen nichts mehr zu sehen. Die
Welt ist schlecht.

Nach der bitteren Erkenntnis am Ende des gestrigen Tages,
beschließe ich, mich am Montag nicht
mit politischen Themen zu belasten. Bundesliga ist aber nicht mehr und obwohl
ich mich als gebürtiger Freiburger dieses Jahr brennend für die zweite Liga
interessiere, will ich mir das Elend am Abend zwischen Nürnberg und 1860
„In-5-Jahren-besser-als-Barcelona“ München nicht antun. Deshalb mache ich mal
etwas, das ich seit Jahren nicht mehr gemacht habe: Inlineskaten! Bei der AOK Bladenight
fährt man mit zahlreichen gleichgesinnten über abgesperrte Münchner Straßen.
Und wer keine Blades hat, kann sich vor Ort sogar kostengünstig welche
ausleihen.

Am Dienstag habe
ich einen Muskelkater, schließlich war ich wahrscheinlich das letzte Mal
Inlineskaten, als die Löwen noch hübschen und erfolgreichen Fußball gespielt
haben. Inspiriert von einem Artikel
auf der SZ Junge Leute Seite der letzten Woche, besuche ich den Münchner Item Shop. Dort wird
allerlei Nerd-Zubehör verkauft und es ist wahrlich mal an der Zeit, dass ich
mir ein neues Lichtschwert kaufe. Oder so einen handlichen Hammer von Thor.
Oder ein Batmobil. Ich brauche nämlich dringend ein neues Batmobil!

Vollkommen pleite aber bereit für den Kampf gegen das Böse,
beginne ich dann auch den Mittwoch.
Nach einem ausgiebigen Frühstück, bei dem ich den Bacon mit meinem Lichtschwert
brate (Nimm
das, Ted Cruz!)
, verbringe ich einen ruhigen Tag im Englischen Garten. Und
abends geht es auf’s Theatron, das heute mit einem besonderen Highlight
aufwartet: Neben Weltuntergänge
und Beatstalker, ist die
Münchner Rapperin Taiga
Trece
ist zu sehen – und gegen multilingualen Hip Hop habe ich nun wirklich
nichts einzuwenden! Zumal es gratis ist, mein Geldbeutel ist schließlich immer
noch sehr strapaziert…

Am Donnerstag
passiert … nichts. Nach der vollgepackten Woche brauche ich tatsächlich mal
wieder einen Tag Freizeit, um mich physisch, psychisch und finanziell etwas zu
konsolidieren. Je nach Wetter mache ich das im Englischen Garten oder im Kino.
Oder daheim im Bett.

Das Theatron hat es mir angetan, coole Acts in angenehmer
Atmosphäre und eine spektakuläre Location im Herzen des Olympiaparks. Logisch,
dass ich am Freitag noch einmal
hingehe, besonders bei diesem Programm! Nachdem am Mittwoch alles sehr Hip Hop-lastig,
wird der Abend heute eher ruhig – Folk steht auf dem Programm. Und zwar nicht
so weichgespült, wie das letzte Mumford&Sons-Album – die Könige aller
Hippster – sondern authentischer. Außer auf Oda&Sebastian
und Sarah Sophie freue
ich mich auf die Young
Chinese Dogs
, über die wir auch schon mehr als
einmal berichtet haben
und die unsere Band des Jahres waren!  Hingehen lohnt sich hier also.

Philipp Kreiter

Foto:

Moritz Ossenberg-Engels

Geek-Show

Wer den Laden von Raphaelle Augsberger betritt, taucht in eine knallbunte Science-Fiction-Welt ein. Es ist ein Zufluchtsort für Menschen, die schon rein optisch auffallen – und mit ihren Hobbys woanders verloren sind.

Ein Stoff-Yoda. Leucht-Essstäbchen im Stil von Starwars-Schwertern. Ein Chewbacca-Schlafmantel. Wer das auf seiner Wunschliste hat, wird sich im Item Shop am Isartor vermutlich wohl fühlen. Schon beim Eingang in den Laden hat man das Gefühl, in eine knallbunte Science-Fiction-Welt einzutauchen. In eine Welt, in der man sich als Nicht-Nerd etwas verloren fühlt. Was ist die rechteckige schwarze Box da auf dem Tisch? „Ein Fluxkompensator“, sagt Raphaelle Augsberger, 26, leicht tadelnd, leicht erstaunt. „Aus Zurück in die Zukunft!“

Seit eineinhalb Jahren betreibt Raphaelle den Item-Shop. Hier gibt es alle erdenklichen Fanartikel – von Doctor Who bis My Little Pony. Ein Comic-Zubehörshop ohne Comicbücher. Ein Gamer-Laden ohne Videospiele – und ein Zufluchtsort für Menschen, die schon rein optisch auffallen. „Hier sind wir alle irgendwie anders“, sagt Raphaelle. Sie nestelt am linken Handgelenk, an dem sie statt einer Uhr drei bunte Sterne als Tattoo trägt. Ja, ihre Kunden sind manchmal tatsächlich ein bisschen speziell. Einige kommen in buntem Anime-Kostüm in den Laden. Oder nennen sich „Pink Gandalf“ und tragen einen rosaroten Bart bis zur Hüfte. Oder wollen die Umkleidekabine in Raphaelles Laden kaufen – die blaue Telefonbox aus Doctor Who, die in der Serie durch Zeit und Raum reisen kann. Für Raphaelle ist all das ganz normal. Wobei, normal ist „offensiv“, wie sie sagt.

Ihre Kunden sind oft Vorurteilen ausgesetzt – gerade, weil sie aus der Norm zu fallen scheinen. Sie werden belächelt, gemieden und als „Nerds“ und „Geeks“ verspottet. Diese Begriffe, meist abwertend verwendet, will man im Item Shop positiv umdeuten und mit Stolz tragen. „Ein Nerd ist jemand, der einen massiven Wissensstand hat, was Computer, Technik und Mathematik angeht“, erklärt Raphaelle. „Ein Geek interessiert sich mehr für TV-Serien, Videospiele und Comics.“ Im Item Shop soll ihr Zielpublikum merken, dass es mit solchen Interessen nicht alleine ist.

Neuerdings gibt es Geek-Dating.
Eine Art Speed-Dating für Leute,
die Klingonisch sprechen

Nerds und Geeks sind keinesfalls kommunikationsscheu, sagt Raphaelle. Sie würden oft sogar mehr kommunizieren als andere – nur eben auf einer anderen Ebene. Ihr Smalltalk kreist dabei nicht ums Wetter oder die Familie. Dafür kommen sie schnell über das Zelda-Album ins Gespräch, das der andere in der Hand hält. Raphaelle nennt ihre Kunden „Auserwählte“, ihre Verkäufer „Verbündete“. Man sei eine große Community und tausche sich häufig aus. Nicht anonym im Internet, sondern real vor Ort.

Viele ihrer Kunden hätten in der „realen Welt“ oft Schwierigkeiten damit, einfach mal auf eine Party zu gehen und Kontakte zu knüpfen. Deshalb hat Raphaelle das Geek-Dating ins Leben gerufen – eine Art Speed-Dating für Leute, die Klingonisch sprechen. Oder eine zukünftige Hochzeit im Game-of-Thrones-Stil planen. Bei Kerzenschein und Salzstangen unterhalten sich dann schon mal 80 Leute über Zelda-Charaktere und Herr der Ringe. Raphaelle gibt online Tipps zur Vorbereitung. Zum Beispiel: Frag dein Gegenüber doch nach seiner Lieblings-Konsole. Oder: Iss keinen Knoblauch. Das klingt erst mal bevormundend. Doch viele der Teilnehmer hätten nun mal ernsthafte Schwierigkeiten, auf einer Party jemanden anzuflirten, sagt Raphaelle. Für Autisten oder Soziophobie-Patienten gibt es deshalb auf dem Geek-Dating extra einen Help-Button. „Das ist natürlich ein Stigma“, sagt Raphaelle. Aber es kann auch helfen, weil der Mensch gegenüber gleich weiß: das Gespräch anfangen, Hilfestellung geben.

Raphaelle hat selbst eine Form des Autismus, eine Art ADHS. „Gefühlsmäßig distanziert mich das sehr von der Gesellschaft“, sagt sie. Raphaelle geht wenig aus. Denn störende Nebengeräusche kann sie nicht ausblenden. Die Schritte vorbeigehender Passanten hinter der geschlossenen Tür nimmt sie genauso überdeutlich wahr wie die Interviewfragen. Das lenkt ab – und lässt sie oft unkonzentriert wirken, sagt sie, auch wenn das im Gespräch kaum auffällt. Gerade in der Schule habe das ihre Mitschüler völlig irritiert.
 Im Item Shop ist das anders: „Genauso wie ich die Leute hier akzeptiere, akzeptieren sie mich“, sagt sie. „Sie gucken mich nicht komisch an, weil ich mich im Gespräch wegdrehe.“ Wird es ihr zu viel, kann sie immer noch ins Lager fliehen. Das gilt auch für eine Asperger-Autistin in Raphaelles Fünf-Personen-Team. „Sie ist hier nicht außergewöhnlich“, sagt Raphaelle. „Alle unserer Mitarbeiter haben eine sehr eigene Marke. Bei ihr ist der Vorteil, dass sie ein Wort dafür hat.“ Angefangen hat der Item Shop auf Conventions. Dort hat Raphaelle früher Radiergummis und Stickerhefte verkauft. Mit ein paar Jobs haute es nicht so richtig hin: Friseurin, Moderatorin, Künstlerin. Irgendwann hatte sie Lust, sesshaft zu werden mit ihrem Shop – und konnte in eine leer stehende Immobilienanlage von Verwandten nahe dem Isartor einziehen. Die Eltern haben ihr sogar das Erbe vorgestreckt. Aber noch ist sie verschuldet, voraussichtlich bis nächstes Jahr.

Raphaelle wirkt wie jemand, der alles im Griff hat: selbstbewusst, sympathisch. Die lockigen roten Haare sind in einen Zopf geflochten. Um den Hals baumelt an einer Kette ein goldener Schlüssel – der Endboss-Schlüssel aus Zelda. So nennen sie ihre Kunden auch oft: Endboss. Viele davon sind Stammgäste. Manche kommen einmal pro Woche und stöbern im Sortiment – täglich gibt es ein neues Produkt, meist importiert aus den USA, Japan oder England, manchmal auch aus Deutschland. Einige der Kunden sind weit gereist: „Wir haben jeden Tag jemanden im Shop, der mindestens 300 Kilometer hinter sich hat“, sagt Raphaelle.

Denn neben einem Fanshop in Neuper-lach, gibt es in der Umgebung nichts Vergleichbares. Die Kunden bleiben dem Unternehmen oft treu. 50 „Helferlein“, wie sie sich nennen, arbeiten regelmäßig freiwillig mit. „Ohne die könnten wir das nicht stemmen“, sagt Raphaelle. Als eine Mitarbeiterin im Koma lag, ließen ihr die Kunden so viele selbstgezeichnete Bilder und Briefe zukommen, dass die Wand im Krankenhauszimmer irgendwann voll war.

Elsbeth Föger

Foto: Sergej Dagda