Fremdgänger: Der Prinz und mein Pyjama

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In Oxford kann es schon mal vorkommen, dass Prinz Charles dem neuen College-Café einen Besuch abstattet. Unsere Autorin zeigt sich jedoch, im Gegensatz zu ihren aufgescheuchten Kommilitonen, unbeeindruckt vom großen Hype.

Ich bin ein Stubenhocker. Und ein Stalker. Mein College-Zimmer befindet sich im Erdgeschoss, weitab von Türen-schlagenden Mitbewohnern und nächtlichen Küchenpartys. Und die einzige Ruhestörung, der ich regelmäßig ausgesetzt bin, ist das Rattern der Waschmaschine im Zimmer über meinem Bett. Ich mag die Stille und die Tatsache, dass ich in meinem Zimmer im Pyjama am Schreibtisch sitzen und meinen Masterarbeit-Rhythmus abseits fremder Augen gestalten kann. In Bibliotheken gehe ich schon lange nicht mehr. Die sind in Oxford zwar atemberaubend schön, jedoch unruhig und überfüllt.

Neuerdings lässt mein Fenster zudem uneingeschränkte Blicke in das kürzlich eröffnete College-Café – den Hub – zu, weshalb ich mich in Momenten abschweifender Gedanken in der Position des heimlichen Beobachters wiederfinde. Natürlich, es könnte als voyeuristisch ausgelegt werden, zu wissen, wer wann Kaffee trinken geht und wer mit wem am Tisch sitzt. Allerdings manifestiert sich in diesem Raum zwischen meinem Zimmer und dem Hub auch die märchenhafte Absurdität des Lebens in Oxford.

Meine Pyjamahose ist grau mit kleinen schwarzen Herzen. Eigentlich denke ich über Postkolonialismus und Solidarität nach, als ich bemerke, dass Jasmine, eine meiner besten Freundinnen, am Fenster des Hubs sitzt. Den ganzen Vormittag über ist mir schon überdurchschnittliche Geschäftigkeit aufgefallen – von Besuchern bis hin zu Küchenpersonal, das fieberhaft Tassen von einem Ende zum anderen getragen hat. Ich schicke Jasmine eine Whatsapp-Nachricht. Die Antwort erfolgt den Bruchteil einer Sekunde später. In Großbuchstaben. „PRINCE CHARLES IS COMING! GET OVER HERE. NOW.“

Ich starre kurz auf die Herzen auf meiner Hose. Prince Charles. So etwas passiert in München nicht. Die berühmteste Person, die ich dort einmal zufällig gesehen habe, war Jürgen Vogel, oder vielleicht auch nur jemand, der so aussah wie Jürgen Vogel. Ich greife nach dem erstbesten gesellschaftsfähigen Outfit und haste zum Hub. Jasmine umklammert ihr Handy wie einen Rettungsanker und schickt ihrer Mutter in Kanada minütliche Updates. Als dann der britische Thronfolger den Raum betritt, beginnt ein regelrechtes Snapchat-Gewitter.

His Royal Highness bekommt eine Tasse Earl Grey eingeschenkt, dann werden ihm die wichtigsten Personen vorgestellt. Der Anlass des Besuchs ist das Gebäude, in dem wir uns befinden, da es sich um das erste Passivhaus in Oxford handelt, mein College ein Vorreiter im Gebiet des energiefreundlichen Wirtschaftens ist und Prince Charles sich gerne als Umweltfreund präsentiert. Er spricht mit einigen Studierenden, erkundigt sich, wie Oxford gefällt. Nachdem Jasmine ihm die Hand geschüttelt hat, sieht sie mich an und formt mit dem Mund die Worte „OH MY GOD“.

Ich frage mich, warum ich mein Handy nicht wie einen Rettungsanker umklammere, sondern lediglich mit leicht amüsiertem Interesse sowohl die Aufregung meines Umfeldes als auch die erstaunlich großen Hände des potenziellen Königs betrachte. Vielleicht stumpft Oxford mich ab. Vielleicht habe ich mich schon zu sehr daran gewöhnt, dass es hier möglich ist, Berühmtheiten wie einem waschechten Prinzen oder auch Bernie Sanders die Hand zu schütteln – unter Umständen sogar im Pyjama. Vielleicht ist es aber auch das Bewusstsein, dass die Tatsache, dass ich sie treffen durfte, zwar mit Sicherheit eine gute Geschichte abgeben wird, aber nichts daran ändert, dass ich eine halbe Stunde später wieder im Pyjama an meiner Masterarbeit schreiben werde.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat