Aber guck’ mal jetzt, ich werde langsam perfekt! Fatoni setzt nochmal alles auf eine Karte, fürs Musik-Machen. Auf seiner neuen Platte “Yo-Picasso” macht er alles andere als Wohlfühl-Pop: Horror und Spaß, Selbsterkenntnis und Größenwahnsinn, gekonnt lässt Fatoni die Grenzen in seinen Texten verschwimmen – unterstützt von Dexter und seinen Beats. Der Körper wippt, der Kopf nickt – ja, langsam perfekt!
Ratgeber-Literatur ist ein Symptom dieser Gesellschaft. Schlicht, weil sich der Konsument nur noch wohl fühlt, wenn er das Gefühl hat, er löse ein Problem nach vorgegebenem Rezept. Im Problemlösungsvorgang wird die Gefährlichkeit des eigenen Urteilsvermögens vermieden. Bloß nicht zu viel Zweifel, bloß nicht zu viel in Frage stellen, lautet die Devise. Auch für Pop-Musik gibt es Ratgeber-Bücher. Ernsthafte und weniger ernsthafte, die dem Popstar in spe erklären, wie die Vorstellung vom Popstar-Dasein Wirklichkeit wird. Zum Beispiel, indem man einen Hit schreibt.
Ein wenig wirkt es so, als hätte sich der Münchner Rapper Anton Schneider alias Fatoni genau das vorgenommen: ein Hit-Album zu schreiben. Denn noch vor dem Erscheinen der Platte kündigte er seinen Job als Schauspieler am Theater Augsburg, um es jetzt noch einmal ernst zu meinen, mit dem Musik-Machen.
Nur ist das, was er auf dieses Album gebannt hat, weit weg vom gegenwärtigen Wohlfühl-Pop, der einem für ein solches Vorhaben geraten wird. Denn Fatoni setzt sich darauf ziemlich schonungslos all der Brüchigkeit seiner Person aus: dem Zweifel an seiner Kunst, dem Spaß der Popmusik und der Unzufriedenheit, die die Ratgeber-Literatur gerne verscheuchen möchte.
Und dass das nun das erste Mal für den Musiker ist, dass seine Musik auch als ökonomischer Lebenssinn für ihn relevant wird, ist eine Ironie des Schicksals, die man schöner nicht in einen Bildungsroman hätte packen können. Denn „Yo, Picasso“, so der Titel der Platte, läuft erstaunlich gut. Sie verkauft sich, sie wird gelobt, von der überregionalen Presse genauso wie vom Hip-Hop-Fanzine. Fatoni supportet Fettes Brot auf deren aktueller Tournee. Die hatten wiederum zuvor Fatonis alten Alltime-Klassiker „Vorurteile“ zitiert, das hatte die Antilopen Gang davor auch schon gemacht. Und an diesen zwei Polen kann man den Erfolg, den Fatoni nun hat, vielleicht festmachen. Die Antilopen Gang sind so etwas wie die Hip-Hop-Version der autonomen Punks und Fettes Brot versuchen in Deichkinds Autoscooter-Rap-Fußstapfen zu treten. Fatoni hängt genau zwischen dieser Verweigerungsromantik und dem Mainstream-Erfolg. Und auf „Yo, Picasso“ ist es ihm gelungen, diese Unvereinbarkeit zum inhaltlichen Konzept zu machen.
Dass seine Raps, seine Schnoddrigkeit und seine Bissigkeit so glänzen, hat er auch dem Beat-Bastler Dexter zu verdanken, der etwa durch die Zusammenarbeit mit Casper den Mainstream kennt, der den Underground aber durch zahlreiche Produktionen liebt. So beginnt die Platte mit einem kratzend-jazzigen Sample, doch die Bassdrum ist clean und drückt wie in einer ordentlich Elektro-Produktion. Hinzu kommen Fatonis Lines, die etwa in „Benjamin Button“ Selbsterkenntnis und Größenwahn verwischen. Das Album hat viel, was eine Hit-Platte braucht und verdreht es gleichzeitig. Die Hommage an Mike Skinner etwa, in der Fatoni seine eigene Mittelmäßigkeit in der „H & M“-Schlange erkennt. Oder der düstere Sommerhit „32 Grad“, in dem ein prolliges Urlaubszenario mit dem Flüchtlingselend überblendet wird. In solchen Sätzen liegt sein großes Talent als Texter: Er ist in der Lage, Sprache so zu überblenden, als seien die Sätze Filmbilder. Zum Teil verkanten sie sich, dann gleiten sie unmerklich und vollziehen erschreckend einfach den Übergang von Horror zu Spaß oder von Fatonis eigener Subjektivität zu ätzendem Zynismus.
Er ist schonungslos, prangert an und beschwert sich, aber die Wirkung entsteht erst im Zusammenspiel aller seiner künstlerischen Ebenen. Und das ist so verführend, wie es lange keine deutsche Popproduktion mehr war – und gibt gleichzeitig der Popmusik (gesellschafts)-politische Relevanz zurück.
Stil: Hip-Hop
Besetzung: Anton Schneider (Raps)
Aus: München
Seit: 2003
Internet: www.fatoni.de
Von Rita Argauer
Foto: Conny Mirbach