Sich die Zeit nehmen zu können Neues zu entdecken ist ein Stück Freiheit. Das fällt in der Ferne oft leichter, aber auch in der Heimat kann man kurz durchzuatmen und neue Perspektiven finden. Zwischen beiden Polen schwingt Christopher Klaus und er entdeckt auch in München immer wieder Motive, die neu und interessant sind.
München ist für Christopher Klaus, 25, der sauberste und sicherste Hafen, den er sich vorstellen kann. Aber erst außerhalb der Stadt beginnt für ihn die Welt. Beginnt das Chaos. Deswegen will Christopher weg. „Ich will alles besuchen, was man auf dem Landweg erreichen kann. Zuerst nach Tromsö, dann Sankt Petersburg. Vielleicht durch Pakistan, Kambodscha und Vietnam“, sagt er.
Doch bevor seine Reise beginnen kann, schreibt der Informatikstudent seine Bachelorarbeit fertig. Seine Fotografie leidet unter dem Stress der Abschlussarbeit. Denn seine Bilder brauchen Zeit. „Meine Lieblingsmotive sind Situationen, die ich nicht kenne. Wenn ich mich selbst noch auf etwas einlassen muss und nicht in meinem gewohnten Umfeld bin. Dann ist einfach alles neu“, sagt er.
Praktische Erfahrung in der Fotografie hat er bei verschiedenen Verlagen und Assistenzen gemacht. Ob er lieber digital oder analog fotografiert? Das will Christopher nicht entscheiden. Digitale Fotografie sei freier und schneller. Schneller bearbeitet und veröffentlicht. Die analoge Fotografie vergleicht er mit einem Gefängnis. „Du nimmst dir Zeit. Du hast keine andere Wahl. Und dann kommt das Wesentliche zum Vorschein“, sagt Christopher.
14 junge Fotografen blicken auf Einladung der Junge-Leute-Seite der SZ hinter die Fassaden der Stadt – vor allem jedoch hinter die Fassaden der Menschen, die hier leben. Die Bilder sind im Mai im Farbenladen des Feierwerks zu sehen.
München lebt: in stuckbesetzten Altbauwohnungen, überteuerten Apartments, heruntergekommenen WGs. Doch wie genau? In der Ausstellung „Aufgeschlossen“ im Farbenladen des Feierwerks, organisiert von der Junge-Leute-Seite der SZ, wagen junge Fotografen einen Blick durchs Schlüsselloch: hinter die Fassaden der Stadt – vor allem jedoch hinter die Fassaden der Menschen, die hier leben (Foto: Laura Zalenga). Ein Überblick:
Durch den Extremsport kam Said Burg, 25, zur Fotografie. Vor allem vom Snowboarden war der Autodidakt begeistert. Über die Jahre baute er seinen Stil um Reportage- und Porträtfotografie aus. Damit setzt er sich noch heute hauptsächlich auseinander. Die Bilderserie für „Aufgeschlossen“ entstand in der Wohnung von zwei Freunden. Said möchte einerseits die jeweiligen Rückzugsorte der beiden Bewohner zeigen, andererseits die Küche als gemeinsamen Schnittpunkt.
Lorraine Hellwig, 21, ist mit ihrer Fotoreihe den Leidenschaften junger Münchner auf die Spur gegangen: Wie sehen die Träume und Erinnerungen aus, die sie in ihren Wohnungen aufbewahren? Wie drücken sie sich dort kreativ aus? Mit wem wohnen sie zusammen und was macht ihr gemeinsames Wohnen einzigartig? Lorraine studiert im zweiten Semester Fotodesign an der Hochschule München. Mit ihren Bildern möchte sie Geschichten erzählen, sagt sie, die Menschen so darstellen, wie sie sind.
Die Demonstrationen am Taksim-Platz in der Türkei oder die Debatte zur dritten Startbahn am Münchner Flughafen: Der Stil von Stefan Loeber, 25, wird beeinflusst von
gesellschaftlichen Themen und persönlichen Erfahrungen wie Gesprächen und
Begegnungen. Stefan studiert Fotodesign an der Hochschule München. Seine
Schwerpunkte sind die Porträtfotografie sowie bildjournalistische Arbeiten.
„Dank der Fotografie gehe ich mit wachen Augen durch die Welt“, sagt er. „Dabei
versuche ich, neue Blickwinkel aufzuzeigen und Dinge zum Vorschein zu bringen,
die sonst vielleicht im Verborgenen bleiben.“ Für das Projekt „Aufgeschlossen“
fotografiert er ein alternatives Wohnprojekt und zeigt einen Menschen, der sich
bewusst für eine andere Form des Zusammenlebens entschieden hat. Der
Porträtierte lebt in einem umgebauten Bus.
Eine Katze als Symbol der Einsamkeit: Michael
Strahl, 24, möchte bei der Ausstellung eine kalte und einsame
Seite hinter der Fassade zeigen. „Ich habe schon immer einen Drang zur Dramatik
gehabt“, sagt er. „Ich bringe die Leute lieber zum Weinen als zum Lachen.“
Gleich nach dem Abitur machte sich der Künstler im Bereich Film und Fotografie
selbständig. Seinen Stil kann man als minimalistisch beschreiben. Seine Bilder
kommen ohne große Inszenierung aus.
Ann-Sophie Wanninger,
26, wollte schon seit Langem eine Porträtreihe ihrer Münchner Freunde in ihren
Wohnungen machen. Sie interessiert es, wie die Bewohner ihren Wohnraum
gestalten, um sich wohlzufühlen. „Es war mir sehr wichtig, den Menschen ins
besondere Licht zu rücken und ihn trotzdem als selbstverständlichen Teil des
Interieurs darzustellen“, sagt sie. Ann-Sophie liebt die Inszenierung. Für die
Abschlussarbeit ihres Fotodesign-Studiums, einem Buch mit dem Titel „When I
grow up“, fotografierte sie fünf unterschiedliche Modestrecken. Von einer
Essensschlacht mit Spaghetti bis zu einem Shooting auf dem Parkhausdach war
alles dabei.
Eigentlich studiert Christopher Klaus, 23, Medieninformatik im vierten Semester. Er lebt seit drei Jahren in München und konnte vor Kurzem bei seiner ersten Fotoausstellung seine Eindrücke von der Stadt und seinen Bewohnern zeigen. Christophers Lieblingsmotive sind Handwerker, „also Menschen, die Dinge mit ihren Händen bearbeiten, fassen und formen und damit ihrer Welt Ausdruck verleihen“, erklärt er. Seine Ausstellungsbilder stellen drei Leben hinter Münchner Mauern vor: zwei Gefangene in der JVA Stadelheim und einen in der Forensik der Psychiatrie in Haar.
Im Mittelpunkt der Werke von Simon Mayr, 21, steht der Mensch: Schon als Kind fotografierte er mit einer Analogkamera vorwiegend Familienmitglieder. Simon studiert Fotodesign an der Hochschule München und träumt von einem eigenen Fotostudio. Für „Aufgeschlossen“ fotografiert er Freunde in ihrer Wohnung: zunächst den gesamten Raum und dann aus der Perspektive jeder einzelnen Person. Die Situation soll dabei aber nicht verändert werden.
David Beger, 28, möchte in seiner Fotoserie austesten, wie viel Raum ein Mensch braucht. Dafür hat er sich mit einer Tänzerin in einer Wohnung getroffen und ausprobiert, Körper, Raum und Perspektive ins Gleichgewicht zu bringen. Seine erste Kamera hat David mit fünf Jahren von seiner Oma bekommen. Es entstanden erste Porträts, meist fehlten aber die Köpfe. Noch heute fotografiert er am liebsten Menschen, inzwischen mit Köpfen. Nach dem Fotodesign-Studium an der Hochschule München machte er sich selbständig.
Daumen hoch, fast 150 000 Mal. Alleine auf Facebook sind so viele Fans vonLaura Zalenga, 24, und ihren Bildern begeistert. Die Architekturstudentin begann mit dem Fotografieren, als sie eine alte Kiste mit analogen Porträtfotografien ihres Vaters auf dem Dachboden entdeckte. Heute arbeitet sie zum großen Teil digital und hat sich auf konzeptuelle Porträts spezialisiert. Obwohl Laura ständig Lob und Anfragen von fremden Begeisterten erhält, möchte sie noch sehr viel in Sachen Fotografie lernen. Im Farbenladen präsentiert die Fotografin ehrliche Selbstporträts in Momenten der Ruhe. Für sie ist der Wohnraum immer auch Rückzugsort.
Kreative Chaoten, Künstler und Normalos: Darauf hat sich Julia Thalhofer, 26, für ihre Ausstellungsbilder konzentriert. „Jeder junge Mensch hat so einiges an komischen Stillleben in seiner Wohnung herumstehen“, sagt sie. An diese besonderen stillen Orte hat sich die Fotodesign-Studentin herangewagt. Meist hält Julia besondere Menschen und Momente, die sich ihr ins Auge brennen, mit der Analogkamera fest. Die digitale Fotografie nutzt sie hauptsächlich, um zu experimentieren. Ihre fotografische Sicht ist von Malern wie Franz Marc, Wassily Kandinsky und Henri Matisse geprägt.
Seit zwei Monaten wohnt Georg Raab, 26, in einer WG mit sechs weiteren Mitbewohnern. Anfangs kannte er niemanden von ihnen. Mit der Kamera als stillen Beobachter hat er das alltägliche Leben in der Wohnung begleitet. „Die Fotos zeigen meinen Blick auf eigentlich fremde Menschen, die gerade beginnen Freunde zu werden“, sagt Georg. Er studiert Fotografie an der Akademie der Bildenden Künste in München.
Käthe deKoe, 29, wohnt in einem Hochhaus mit 15 Stockwerken, die meisten Wohnungen sind Einzelapartments. Ihre Nachbarn sieht sie höchstens im Aufzug. „Da wird man natürlich neugierig und möchte erfahren, wie diese Menschen leben“, sagt sie. Die Bewohner zeigt sie als Geist in ihren Wohnungen: Denn auch, wenn sie nicht zu Hause sind, sei immer ein Teil von ihnen anwesend. Käthe ist vor allem als Konzertfotografin in München unterwegs.
Ein Leben voller Musik und Geist und immer weniger Licht: So beschreibt Franziska Schrödinger, 23, ihr Konzept. Für die Ausstellung hat sie einen Menschen herausgegriffen, eine Wohnung unter vielen Tausenden, wie sie sagt. Die Fotodesign-Studentin ist freiberuflich als Fotografin und Fotoassistentin tätig. Mit der Kamera taucht sie gerne in andere Lebenswelten ein und hat sich auf Porträts spezialisiert: „Mich begeistert die Darstellung von Menschen“, sagt sie.
Vergänglichkeit ist das Thema von Max Hofstetter, 22. Das Einzige, was bleibt, sind die Geschichten hinter den Dingen – und hinter den Protagonisten. Am liebsten fotografiert er Menschen, sowohl im Reportagestil als auch im Porträt. „Mich faszinieren ehrliche Momente zwischen Menschen“, sagt er. Nach mehreren Praktika machte er eine Ausbildung zum Mediengestalter beim Bayerischen Rundfunk. Heute arbeitet er als freier Fotograf und Videojournalist.
(Fotos: privat)
PROGRAMM:
Die Ausstellung „Aufgeschlossen“ ist im Mai an den Wochenenden im Farbenladen des Feierwerks, Hansastraße 31, zu sehen. Vernissage ist am Samstag, 3. Mai, von 19 Uhr an. Samstags ist die Galerie von 16 bis 22 Uhr geöffnet, sonntags von 16 bis 20 Uhr, der Eintritt ist frei. Hier das weitere Programm:
Samstag, 3. Mai Vernissage und Speed Painting mit Zarah Abraham Musik: Oda & Sebastian
Sonntag, 4. Mai Ein Blick in den WG-Wahnsinn Das Münchner Kabarett-Duo Beier & Hang präsentiert Musik und Unfug über Liebeskummer, dreckiges Geschirr, einen leergefressenen Kühlschrank und ungeladene Gäste. Musik: Amélie Haidt
Samstag, 10. Mai Saiten und Streifen Münchner Filmemacher zeigen ihre Werke: von Doku über Musikvideos bis zum Kurzspielfilm – mit Filmen von Eva Merz, Ferdinand Feldmann, Annelie Boros und anderen. Musik: The King of Cons
Sonntag, 11. Mai Dichtungsring Kurz und dicht: Lyrik von und mit Roman Schmid, Jan Struckmeier, Matthias Dietrich. Musik: Jules
Samstag, 17. Mai Türk-Pop und Tiefsinn Ein Abend von Kafkas Orient Bazaar – mit Songs aus dem neuen Album „Tief dort unten“ und Lesung aus dem dazugehörigen Kurzgeschichtenband.
Sonntag, 18. Mai Von Zauberzungen und Wortmagiern Es slammen die Poetry-Künstler Dominik Erhard, Kaleb Erdmann und andere – unterstützt werden sie von Beatboxer Rammon. Musik: Nick And The Roundabouts
Samstag, 24. Mai Weiß-blaue Geschichten Prosalesung mit Sophia Lindsey, Ronya Othmann, Natalie Wübbolt, Johannes Weishaupt und anderen. Musik: Lucie Mackert
Sonntag, 25. Mai Sex und Sonntagsbraten Die SZ-Autorinnen Lisi Wasmer und Susanne Krause lesen aus ihren Kolumnen „Beziehungsweise“ und „Bei Krause zu Hause“. Musik: Gabriel Miller Philipps