Auf den Partys in München war unsere Autorin meist nicht unter den Tanzenden zu finden. In Oxford lässt sie im Angesicht des neuen Umfelds alle Hemmungen fallen und scheint sich auf der Tanzfläche
plötzlich richtig wohl zu fühlen.
Meine Feinstrumpfhose klebt an meinen Fußsohlen. Ich brauche einige Zeit, um den, wie sich herausstellt, sehr effektiven Klebstoff aus Alkohol, Dreck und Schweiß zu lösen, ohne den seidigen Stoff zu zerreißen oder das Gleichgewicht zu verlieren. Es ist kurz vor ein Uhr morgens und ich stehe auf einem Bein balancierend in meinem Zimmer. Eine horrende Zeit für alle Oxfordstudenten, die um spätestens acht Uhr morgens geduscht und angezogen den Kampf mit ihren reading lists aufnehmen wollen oder müssen. Trotzdem war ich heute auf einer Party. BOP heißen diese Partys hier. Akronym für Big Opening Party. Meistens gibt es ein Motto – alles schon da gewesen: von ABBA über Noah’s Ark bis hin zu Halloqueen (Achtung: Wortspiele immer gern gesehen).
Heute war James Bond dran – James BOP quasi. Und ich bin der Meinung, im langen, schwarzen Abendkleid und vor allem mit Zehn-Zentimeter-Stiletto-Absätzen, mit denen es ein Leichtes gewesen wäre, jeden potenziellen Angreifer zu erdolchen, mache ich einem Bond-Girl alle Ehre. Die Absätze waren dann aber auch der Grund, warum ich nach einer Stunde Tanzen doch auf Barfuß beziehungsweise Strumpfsockig umdisponiert und nun die Konsequenzen ob dieses Übermuts zu tragen habe: verklebte und verfärbte Fußsohlen und Feinstrumpfhose. So viel getanzt zu haben, dass ich mir tatsächlich die Schuhe ausziehen musste, ist jedoch an sich schon bemerkenswert, denn der Nerd, das bin normalerweise ich. Vor allem auf Partys.
In München war ich immer ein bisschen zu steif, immer ein bisschen zu verkrampft, immer ein bisschen zu schüchtern. Und auf jeden Fall immer ein bisschen zu nüchtern, um als wirklich „cool“ im Münchner Sinne des Wortes gelten zu können. Damit hatte ich mich dort eigentlich schon ganz gut abgefunden. Ebenso wie mit dem Gefühl, dass die Partykultur in der bayerischen Landeshauptstadt in all den Jahren ein für mich nicht wirklich zugängliches Reich geblieben ist, so gern ich auch dazugehört hätte. Tanzen gehen blieb für mich immer mit dem Anspruch verbunden, irgendwo dazuzugehören und einem bestimmten Bild entsprechen zu müssen.
Oxford stellt diese Ordnung jedoch interessanterweise auf den Kopf. Während ich mich in München im Vergleich zu all den erfahrenen Club-Tänzern stets außen vor gefühlt habe, bin ich in Oxford auf einmal die Tanzflächen-Attraktion. Mag sein, dass sich die vielen Stunden Tanzunterricht mittlerweile doch auszahlen. Oder aber, ich lasse auf einmal jegliche Hemmung fallen, angesichts all dieser klugen Menschen, die tagsüber an den Problemen der Welt knobeln, während sie in der Nacht (oder sagen wir: am Abend) eher an unbeholfene Teenager auf den ersten Jugendtreffpartys erinnern, wie sie unsicher zu Radiomusik mit dem Kopf oder dem Fuß wippen. Vielleicht ist es eine Kombination aus beidem, noch zusätzlich verstärkt durch die Tatsache, dass mich mein Körper in diesen (seltenen) Momenten, in denen ich ihm eine Auszeit von all der Lernerei gönne, daran erinnert, wie befreiend die Dunkelheit der Nacht sein kann.
Gerade kommt mein Mitbewohner mit strahlenden Augen auf mich zugetanzt, während ich dabei bin, durchgeschwitzt und strumpfsockig, aber verdammt glücklich, zu einem alten Chartsong auf und ab zu hüpfen. „Du weißt, wie man tanzen geht“, sagt er mit überraschter Anerkennung im Blick. Insgeheim bin ich dankbar für all die Jahre in München, in denen ich Zeit hatte, mir, mit dem Kopf und dem Fuß wippend, vom Rand der Tanzfläche abzuschauen, wie man tatsächlich tanzen geht.
Text: Theresa Parstorfer
Foto: Privat