Die Enthüllungen über Abschiebungspläne in Teilen der rechten Szene haben junge Menschen mit Migrationshintergrund verunsichert. Drei Münchner erzählen.
Schlagwort: angst
Ruf an, wenn du zu Hause bist
Wenn Frauen nachts nach Hause gehen, haben sie einen Begleiter: die Angst. Sie fürchten sich vor Männern, sie fürchten sich vor sexueller Belästigung. Sechs junge Münchnerinnen berichten von ihren Erlebnissen.
„Ich poste selten etwas, wenn es der Welt gerade schlecht geht“
Influencer erreichen mit ihren Inhalten Tausende Menschen. Seit dem Krieg in der Ukraine stehen sie vor der Entscheidung: Nichts sagen oder die Reichweite nutzen? Wie gehen sie damit um? Über die Angst, das Falsche zu tun. (SZ Plus)
Von Sabrina Ahm, Alina Venzl und Amelie Völker
„Wir am anderen Ende der Leitung hörten, wie Verwandte gequält wurden“
Ihre Großmutter hat Shanura Kasim nur einmal gesehen. Sie ist in einem chinesischen Umerziehungslager. Die Münchner Schülerin setzt sich gegen die Unterdrückung der Uiguren ein. Ob sie sich damit in Gefahr bringt? Sie weiß es nicht.
Band der Woche: Katie Wellenberg
Warum wird so wenig Country in München gespielt? Die Musikerin Katie Wellenberg ist sich da selbst nicht ganz sicher. Für sie jedenfalls ist Country die Musik, die wohlige und heimatliche Gefühle auslöst.
Fragen über Fragen – Nadja Ellinger
„Durch diese Intimität, die sich durch die sehr persönlichen Vorgespräche eingestellt hat, war jede einzelne Begegnung von Bedeutung für mich. Auch wenn die inneren Dämonen immer individuell sind, ist der Kampf dagegen immer der gleiche
”, sagt Nadja Ellinger, die an unserer Ausstellung “10 im Quadrat – Reloaded” mitgewirkt hat. Wir haben ihr ein paar Fragen gestellt.
Worum geht es bei deinem Konzept? / Wie
bist du darauf gekommen?
“Über die Zerbrechlichkeit” ist ein
Projekt über das Scheitern, Ängste und Verletzlichkeit. Gerade als Künstler ist
die Außendarstellung immer präsent – und sie sollte möglichst eine
Erfolgsgeschichte sein. Das Scheitern, die Unsicherheit wird dabei gar nicht
thematisiert. Doch gerade dies ist das, was uns als Mensch ausmacht, uns öffnet
und Wachstum ermöglicht. Deshalb zeigt diese Serie die Zerbrechlichkeit der
Personen – nicht als etwas Negatives, das es zu vermeiden gilt, sondern als
etwas zutiefst Menschliches und Ehrliches.
Wie war es, so viele unterschiedliche
Leute für eine Bildserie zu fotografieren?
Für mich war es eine sehr intensive
Auseinandersetzung mit dem Thema, da ich es durch so viele unterschiedliche
Blickwinkel erleben konnte. Daneben war es spannend, mich mit anderen Künstlern
über Kunst im Allgemeinen auszutauschen, aber auch mehr über ihr jeweiliges
Fachgebiet zu lernen.
Welche Begegnung hat dich am meisten
beschäftigt?
Durch diese Intimität, die sich durch die
sehr persönlichen Vorgespräche eingestellt haben, war jede einzelne Begegnung
von Bedeutung für mich. Auch wenn die inneren Dämonen immer individuell sind,
ist der Kampf dagegen immer der gleiche. Zu wissen, dass man mit seinen
Unsicherheiten nicht alleine ist, war eine beruhigende Erkenntnis.
War es schwieriger, z.B. einen
Schauspieler/Musiker zu fotografieren (also selbst “Künstler”), als
professionelle Models und wenn ja, inwiefern?
Es war vielleicht sogar einfacher, mit
keinen professionellen Modellen zu arbeiten, da so die Gefahr nicht bestand, in
einstudierte Posen und Gesten zu fallen, da mein Anliegen ja eine authentische
Darstellung der Person war.
Bist du auch mal an deine Grenzen
gestoßen? / Musstest du deine Vorstellung/ dein Konzept über den Haufen werfen,
weil es schlichtweg nicht ausführbar war?
Auch wenn ich eigentlich fest damit
gerechnet habe, dass zumindest einer der Beteiligten sich auf ein so
persönliches Thema nicht einlassen würde, waren alle Künstler sehr offen für
die Idee, haben eigene Ideen mit eingebracht, sodass die Umsetzung des Konzepts
sehr gut durchführbar war.
Nimmst du die Szene dieser Stadt nach dem
Projekt anders war? Braucht es mehr Vernetzung?
Ich bin definitiv froh, diese jungen
Menschen alle kennen gelernt zu haben, mit denen ich ohne dieses Projekt
wahrscheinlich wenig Berührungspunkte gehabt hätte – selbst wenn einer davon
sogar mein Nachbar ist. Für mich war damit 10 im Quadrat eine wertvolle
Gelegenheit zur Vernetzung.
Foto:Selbstporträt / Nadja Ellinger
Schrecklich schön
Nadja Ellinger, 25, hat das Buch „About A Girl Gone Into The Woods“ illustriert – ein Märchen für Erwachsene,eingebettet in eine düster-schöne Fotostrecke. Die junge Künstlerin wandelt Emotionen in ausdrucksvolle Bilder um.
Ganz sanft, fast schon streichelnd fährt Nadja Ellinger, 25, über den Einband des kleinen Buches in ihrer Hand. Das Material ist schwarz und ähnelt dunklem Holz. Ein Schmetterling ist darin eingeprägt. „Man kann allein schon mit dem Buch an sich so vieles machen. Die Prägung, das Material, die Farbe – in allem steckt eine Bedeutung“, sagt Nadja fasziniert, ohne ihren Blick davon zu lösen. Nicht nur auf dem Einband finden sich Symbole. Alle 132 Seiten von „A Girl Gone Into The Woods“ sind gespickt mit Anspielungen. Autorin Sinem Scheuerer schrieb die Erzählung, die Nadja Ellinger mit ihren Fotografien illustrierte. Entstanden ist eine ungewöhnliche Mischung: ein Märchen für Erwachsene, eingebettet in eine düster-schöne Fotostrecke.
Rückblick: Die beiden Frauen lernten sich während der Arbeit an einem Videoprojekt kennen. „Sinem erzählte mir, dass sie eine Illustratorin für ihre Märchenerzählung suchte. Der Text passte super zu meinem Foto-Konzept“, sagt die junge Fotografin. „Ich hatte mich bereits zuvor viel mit Märchen beschäftigt und mich in die Theorie eingelesen. Das Medium gefiel mir von Anfang an“, sagt Nadja. Ihrer Meinung nach seien Märchen sehr offen, und dennoch gebe es oft einen ähnlichen Ausgangspunkt in den Erzählungen. Der Held oder die Heldin bricht zu Beginn von zu Hause aus und flieht in eine unbekannte Welt, in der Aufgaben und Herausforderungen warten.
Eine solche Dramaturgie verfolgt auch der Erzählstil von „About A Girl Gone Into The Woods“. Ein junges Mädchen verlässt ihr Heimatdorf und betritt den angrenzenden Wald. Wie für ein Märchen typisch, begegnen ihr dort unterschiedliche Gestalten. „Zuerst wird die Protagonistin von Wölfen verfolgt. Sie hat Angst, erkennt dann aber, dass es gar keine Wölfe, sondern Hunde sind, vor denen sie weg läuft. Das Fremde erweist sich als weniger furchteinflößend, wie zu Beginn vermutet“, erklärt Nadja. „Visuell habe ich das so umgesetzt, dass auf den Bildern nachts die drei jagenden Hunde dargestellt werden. Sobald das Mädchen jedoch seine Furcht überwindet, stellt es fest, dass es nur ein harmloser Hund ist, der ihr Begleiter wird“, sagt die Fotografin. Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass ein Auge des Hundes zugenäht ist. „Das ist so, weil Sinem selbst in ihrer Kindheit einen Hund hatte, dem ein Auge fehlte. Die Geschichte enthält viele autobiografische Details aus dem Leben der Autorin“, erklärt Nadja.
Sinem Scheuerer schreibt überwiegend Schulbücher für Deutsch als Fremdsprache. Sie möchte in Zukunft auch Romane und Kinderbücher veröffentlichen. „Als ich mit Nadja über das Konzept sprach, wurde schnell klar, dass sie – auch ohne Sachen groß erklären zu müssen – verstand, worum es mir bei diesem Text geht. Die Arbeit an dem Projekt war etwas sehr Persönliches“, sagt Sinem Scheuerer. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit und enthält viele Parallelen zum Leben der Autorin. „Klar versteht nicht jeder die autobiografischen Symbole in den Bildern. Das ist aber nicht weiter schlimm. Die Geschichte spielt auf so vielen unterschiedlichen Ebenen. Jeder kann sie auf seine Art lesen“, sagt die 35-jährige Autorin.
Wenn Nadja durch die Seiten des Buches blättert und jedes einzelne Symbol erklärt, dann scheint es so zu sein, als ob jeder Millimeter der Fotografien bis auf das kleinste Detail durchdacht wurde. „Es sind einige Anspielungen auf Mythen enthalten. Auch der Schmetterling spielt eine zentrale Rolle. Das Symbol wiederholt sich mehrfach im Buch. Er steht für das Gefangensein und die Entfaltung zugleich“, erklärt Nadja. Das Buch soll jedem gewidmet sein, der Mut beweisen muss. Autorin Sinem Scheuerer weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, Angst vor Herausforderungen zu haben. „Manche Dinge scheinen anfangs schlimmer zu sein, als sie in Wirklichkeit sind. Man muss nur begreifen, dass man selbst den Schlüssel zur eigenen Befreiung hat“, sagt sie. Thematisiert wird die Angst vor dem Fremden.
Sinem Scheuerers Geschichte spricht Menschen unterschiedlich an. Der Zugang zum Text der Geschichte, besonders aber zu den Bildern ist sehr individuell. „Bei der Umsetzung des Projekts brachten sich alle Beteiligten auf unterschiedliche Art und Weise ein“, sagt Nadja und zeigt auf eine Buchseite mit einer verschwommenen Fotografie. „Das sind Blätter von Bäumen. Ich war nachts alleine im Wald und habe einige Aufnahmen gemacht. Ich wollte das Gefühl und die Atmosphäre auf mich wirken lassen und so meine eigene Emotion in das Buch packen. Ein Foto-Shooting ist immer eine Art Seelen-Striptease, auch für den Fotografen selbst.“
Obwohl sich die Umsetzung des Projekts anfangs auf Nadjas Bachelor-Arbeit begrenzte, wollen die beiden Frauen das Märchen nun für eine breitere Masse zugänglich machen. Momentan sind sie auf der Suche nach Verlagen und überlegen, eine Crowdfunding-Aktion ins Leben zu rufen. „Das Buch ist sehr speziell, was es aber besonders macht. Ich würde mir wünschen, dass viele etwas damit anfangen können, gerade weil der Zugang zur Geschichte und den Bildern etwas sehr eigenes und persönliches ist“, sagt Nadja.
Charakterstudien und Gefühlswelten ziehen sich wie ein roter Faden durch Nadjas Projekte. Im Rahmen der Ausstellung „10 im Quadrat Reloaded“ der Junge-Leute-Seite im Farbenladen des Feierwerks haben zehn junge Münchner Fotografen jeweils zehn junge Menschen aus der Münchner Kreativen-Szene fotografiert. Jeder der Fotografen entwickelte dazu ein individuelles Konzept.
Nadjas Arbeit beschäftigte sich mit dem Thema „Zerbrechlichkeit“. Sie traf sich mit jedem der Models zwei Mal. Zuerst zu einem Gespräch, dann erst zum Shooting selbst. „Ich wollte mit jedem individuell über das Thema sprechen und herausfinden, was für ihn oder sie Zerbrechlichkeit bedeutet“, sagt die Fotografin. Beim Shooting selbst spielte sie wieder mit Symbolen. Ihre Bilder zeigen die zehn jungen Menschen mit Obst oder Gegenständen wie Lupe, Messer oder Verband. Die Fotografin setzte ihren Fokus auf den jeweiligen Gegenstand und dessen Zusammenspiel mit dem Körper des Models. So sind ihre Bilder zwar keine Porträts, zeigen aber die unterschiedlichen Persönlichkeiten der jungen Menschen auf eine sehr ausdrucksstarke Art und Weise.
Nadjas Bilder und auch die der anderen neun Fotografen sind noch bis Ende März im Farbenladen zu sehen.
Fotos: Nadja Ellinger
Text: Anastasia Trenkler
Mein München: Hauptbahnhof
Eigentlich hätte David Speier, 20, an diesem Abend zuhause bleiben sollen. Doch der Drang, die Stimmung der Ungewissheit an Silvester am Münchner Bahnhof mit seiner Kamera festzuhalten, war größer.
Feiern durfte David Speier, 20, an Silvester 2015 nicht. Er war kurz zuvor an der Hand operiert worden und musste sich deshalb schonen. Als jedoch gegen 22 Uhr die ersten Nachrichten von der Terror-Warnung eintrafen und Kollegen aus Berlin ihn anriefen, er solle unbedingt Fotos vom Geschehen machen, „kribbelte es einfach zu sehr.“ Also fuhr David zum Hauptbahnhof und hielt die nächtliche Stimmung mit seiner Kamera fest.
„Es war eine sehr komische, sehr angespannte Atmosphäre“, sagt er. Viele Leute hätten zuerst einfach gar nicht gewusst und verstanden, was los war. Viele Ausländer seien noch verlorener gewesen. „Als die Leute dann nach Mitternacht langsam heimfahren wollten und auch immer mehr Betrunkene auf den Straßen unterwegs waren, wurde es dann noch ein wenig unangenehmer“, sagt David.
Seit er sich vor drei Jahren eine teurere Kamera gekauft hat, ist David, der eigentlich Landschaftsbau studiert, für Agenturen und Zeitungen unterwegs und fotografiert vor allem „soziale Bewegungen“. Dabei geht es ihm darum, das, was passiert, möglichst wirklichkeitsgetreu zu dokumentieren.
Er hofft, dass ihm dies auch an Silvester gelungen ist. Die schwarzen Silhouetten der Polizisten vor dem weihnachtlich erleuchteten Eingang des Bahnhofs scheinen die Gegensätze, die in dieser Nacht aufeinanderprallten, zu veranschaulichen: Feierlaune, knallende Korken, gute Vorsätze und Verwirrung und Angst.
Foto: David Speier
Von: Theresa Parstorfer