Es läuft

Robust, praktisch, unkomplizierte Wartung: Die Industriedesign-Studenten Andreas Goebel und Mandolin Maidt konstruieren ein Auto für Afrika. Moderne Entwicklungshilfe – trotzdem sehen sie sich nicht als Gutmenschen.

Sie haben sich Anzüge gekauft. Maßgeschneiderte, traditionell afrikanische Anzüge in hell- und dunkelblau. Für ihre Masterarbeit. Die neue Kleidung hätte bei ihren nigerianischen und ghanaischen Gesprächspartnern oft als Eisbrecher gewirkt, erzählen Mandolin Maidt und sein Kollege Andreas Goebel, zwei Industriedesignstudenten aus München. Die Anzüge sind ein echtes Zeichen von Respekt und damit geradezu ein Symbol für die gesamte Afrikareise der beiden Studenten. Vier Wochen haben sie diesen Sommer in Nigeria und Ghana verbracht, um Marktforschung für das Fahrzeug ACar zu betreiben, das die beiden für ihre Abschlussarbeit an der TU München entwickelt haben. Es ist speziell für den Einsatz in Subsahara-Afrika designt und ganz auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort zugeschnitten.

Warum konstruieren zwei Industriedesignstudenten ein Auto für Afrika und keinen doppelt verchromten, speziell gebogenen Außenspiegel für eine Luxuskarosse? „Mit unserem Projekt stößt man nicht unbedingt eine große Karriere an“, sagt Mandolin und lacht. Es sei vielmehr eine „absolute Herzenssache“. Gutmenschen wollen sie nicht genannt werden – obwohl das die beiden Designer sehr gut beschreibt. Sie hätten enorm viel Potenzial in der Idee gesehen, weil sie etwas im Leben der Menschen in Afrika bewegen kann und gleichzeitig kommerziell funktioniert, sagen sie. Um diese beiden Aspekte zu vereinen, haben sie sich entschlossen, die späteren Nutzer in den Designprozess einzubeziehen.

Deswegen haben sie in Nigeria und Ghana mit Automechanikern gesprochen, spontan Leute befragt, die auf der Straße an ihren Autos schraubten, um herauszufinden, wie sie arbeiten und welche Probleme bei den gängigen Automodellen häufig auftreten. Andreas berichtet von Dörfern in Nigeria, die an der Straße entlang verlaufen, von florierender Landwirtschaft, die nicht nur der Selbstversorgung sondern vielmehr dem gewinnbringenden Handel dient und vom Unternehmergeschick der Nigerianer. Begeistert und bewundernd zugleich erzählt Mandolin beispielsweise die Geschichte ihres wichtigsten Ansprechpartners in Nigeria, den alle nur „OK Pineapple“ nennen – denn er war der erste, der in der Gegend Ananas anbaute und so satte Gewinne einfuhr. Bald zogen andere nach und ein Ananas-Anbaugebiet entstand.

Neben Herrn Pineapple hatten die beiden jungen Münchner noch weitere Kontaktpersonen vor Ort. Viele von ihnen hat die Futo-Universität in Owerri, Nigeria, vermittelt. Schließlich kooperiert diese Universität schon seit längerem mit der TU München, um Fahrzeugkonzepte für Afrika zu entwickeln. Die Futo-Universität war es auch, die Mandolin und Andreas in Owerri hofierte, die Fahrer und Sicherheitspersonal zur Verfügung stellte – ob Andreas und Mandolin es wollten oder nicht. Eigentlich waren sie ja wegen der Menschen in den Dörfern da, nicht wegen des Universitätspräsidenten oder des gehobenen Hotels, stellt Mandolin klar. Hatten sie Angst in Nigeria? „Vor dem Security-Mann mit Maschinengewehr auf dem Beifahrersitz schon“, sagt Andreas und lacht dabei. „Nigeria ist sicher nicht das sicherste Land Afrikas“, ergänzt Mandolin. Sie hätten um die Gefahr gewusst, sie aber nicht gespürt. Im Gegenteil, so manches Mal hätten sie das Sicherheitspersonal ausgetrickst und seien heimlich in die Dörfer gefahren.

Finanziell gefördert wurde die Reise der beiden von der Hans-Sauer-Stiftung. Vor allem der Aspekt der gemeinsamen Entwicklung des Fahrzeugs zusammen mit den Nutzern in Afrika sei interessant und förderungswürdig, erklärt der Vorstand der Stiftung, Ralph Boch. Er hat Mandolin und Andreas als „angenehme, extrem intelligente und sehr empathische Menschen“ erlebt.

Mandolin und Andreas breiten Fotos ihrer Reise nach Afrika ordentlich auf einem einfachen Holztisch in einem kleinen Konferenzzimmer aus. Andreas schiebt Wassergläser und Flaschen beiseite, um Platz zu schaffen für die vielen Erinnerungen. Hier im Impact Hub an der Gotzinger Straße, wo viele aufstrebende Projekte mit sozialem Charakter angesiedelt sind, haben sie von der Aktion „Startrampe“ einen Arbeitsplatz gesponsert bekommen. Andreas fährt durch seine abstehenden Haare, wirkt eher zurückhaltend. Er spricht leise und vorsichtig. Mandolin dagegen tritt so professionell und selbstsicher auf, als käme er gerade aus einem Meeting mit dem Vorstand eines Autokonzerns.

Die meisten Bilder aus Afrika zeigen Mandolin und Andreas zusammen mit den Menschen, denen sie auf der Reise begegnet sind. Sie erzählen abwechselnd von verschiedenen Gesprächsrunden in nigerianischen Dörfern, während derer sie unter anderem erfuhren, dass Autos in der Gegend gewöhnlich ständig in Betrieb sind – wenn ein Fahrzeug nicht gerade auf den Feldern gebraucht wird, wird es als kostenpflichtiges Taxi genutzt, um Menschen und Waren vom und zum Markt zu befördern. An das typische Nutzungsverhalten hat Mandolin die Ladefläche des Fahrzeugs, deren Design sein Schwerpunkt im Projekt war, dann angepasst.

Andreas dagegen legte seinen Fokus darauf, die Energieversorgung des Autos zu entwickeln, die potenziellen Nutzer in die Gestaltung einzubeziehen und Workshops zu organisieren. So kam es auch, dass die beiden mit einem Drucker im Gepäck durch die Dörfer in Nigeria und Ghana reisten – um bei Bedarf jederzeit Fragebögen und Workshopmaterial ausdrucken zu können. Mandolin bringt den Kern ihres Marktforschungskonzepts, das das Projekt in ihren Augen so einzigartig macht, auf den Punkt: „Wir sind nicht die Experten. Die Experten sind die Menschen vor Ort. Weil sie am besten wissen, wie ein Auto für sie sein muss.“

Bei der Entwicklung des Autos liegt der Fokus auf Robustheit. Und unkomplizierter Wartung. Denn in seiner ganzen Bauart wollen Andreas und Mandolin ACar darauf ausrichten, dass das Hybrid-Auto in Afrika produziert und repariert werden kann, auch das ist ein Punkt, der für die Studenten von Bedeutung ist. „Wichtig ist vor allem, dass das Produkt in den vor Ort vorhandenen Strukturen funktioniert“, resümiert Andreas.

Um zu testen, inwiefern ihr Konzept diesen Anspruch erfüllt, haben sie in Ghana einen zweiten Prototyp gebaut. Nicht vom ganzen Auto, aber von der so wichtigen Ladefläche, die sie diesmal als Anhänger konzipiert haben.

Was liegt näher, um einen Auto-Prototypen zu testen, als einfach Menschen auf der Straße anzusprechen und bei Bedarf mitzunehmen? Genau so seien sie vorgegangen, erzählt Mandolin, Mais und Holzkohle hätten sie transportiert, auch eine schwangere Frau mitsamt ihrem Fahrrad – und eine ungefähr 70-jährige Frau, die alle bisherigen Bedenken bezüglich der Einstiegshöhe des Anhängers zerstreute. Nach derartig erfolgreichen Testfahrten war die Marktforschung abgeschlossen.

Gefertigt wurde der Anhänger in Zusammenarbeit mit ghanaischen Schweißern und anderen Handwerkern. Die beiden Industriedesigner beschreiben einen kreativen Design- und Herstellungsprozess in Ghana, schwärmen von der Einsatzbereitschaft und Spontaneität der Handwerker vor Ort. Herausgekommen ist eine Ladefläche, die ausklappbare Bänke für den Personen- und ausreichend Platz für den Warentransport bietet. Bei Bedarf kann die Ladefläche mit einer Plane überdacht werden, Sichtfenster und Panoramablick inklusive – ab und an kommt dann auch bei den beiden Gutmenschen der verspielte Designer durch. Katharina Hartinger