Elektronische Musik – aufgelegt in München, dazu getanzt in 69 Ländern. Leonardo Javier Garcia und Juan Pablo Toculescu haben in München den Webradiosender Raving.fm gestartet
Von Amelie Völker
Rauchschwaden. Rhythmische Lichter. Pulsierender Techno. Ein Projektor wirft farbenfrohe Visuals an die Wände einer ehemaligen Druckerei in Untergiesing. Am DJ-Pult steht der Münchner DJ Otto Underground. Eine Gruppe junger Menschen mit wippenden Köpfen brav in einer Sitzecke. Sein Kopf wippt im Rhythmus. Aber niemand tanzt. Zumindest nicht hier. Vielleicht aber irgendwo anders auf der Welt, vielleicht in Großbritannien, Argentinien, Japan, Russland oder den USA. Zu diesem Set. DJ Otto Underground spielt eine Live-Session für den Münchner Techno-Webradiosender Raving.fm. Der live aufgelegte Techno wird von hier aus in die Welt geschickt. In bislang 69 Länder.
Das Studio befindet sich in den Räumlichkeiten des Münchner Künstler-Kollektivs „Dreschwerk“. Diese Crew beschäftigt sich mit Videomapping, LED-Installationen und dem Bau von Skulpturen. Mit seinen verschiedenen Sitzecken und einer kleinen Bar wirkt das Studio wie eine Art gemütlicher Szenetreff für Münchner DJs und Kollektive. Andi Drescher, der Mitbegründer dieses Kollektivs, hat Raving.fm gerne bei sich aufgenommen: „Das Projekt passt hervorragend hier rein. Wir ergänzen uns gut und haben die gleiche Zielrichtung. Auch weil wir alle natürlich unglaublich gerne elektronische Musik hören.“
Raving.fm, das sind Leonardo Javier Garcia und Juan Pablo Toculescu. Die beiden gebürtigen Argentinier sprechen mit charmantem spanischem Akzent und sprühen vor Enthusiasmus für ihr Projekt. Auf Leonardos Jeanshemd prangt groß das Raving.fm-Logo. Wie Medaillen baumeln verschiedene Festivalausweise um den Hals des ausgebildeten Elektronikers, bei Raving.fm kümmert er sich um Organisation, Technik und Finanzen. Juan Pablo, der früher als Barkeeper gearbeitet hat, trägt akkuraten Undercut und ein kleines Kreuz-Tattoo auf dem rechten Oberarm, bei Raving.fm kümmert er sich um die Managertätigkeiten, tritt er mit den Künstlern in Kontakt und führt Interviews. Er stammt aus Buenos Aires und musste sich vor allem in einer Sache umstellen, was das Nachtleben in München im Gegensatz zu seiner Heimatstadt angeht: Hier trägt man beim Feiern keine Sonnenbrille. Ganz anders in den Techno-Clubs Argentiniens: „Beim Tanzen möchten die Argentinier für sich sein, deshalb die Sonnenbrillen“, erklärt er, „in München wurde ich oftmals ziemlich komisch angeschaut, wenn ich so in den Club gegangen bin. Das habe ich mir jetzt abgewöhnt.“
Das ist aber nicht der einzige Unterschied: „Die elektronische Szene in Argentinien ist verrückter, vor allem, was die Ausmaße der Raves angeht“, sagt Juan Pablo und lacht. „Was München meiner Meinung nach fehlt, ist ein reiner Techno-Radio mit UKW-Frequenz. In Buenos Aires gibt es da einige.“ Und Leonardo fügt hinzu: „Das ist natürlich unser Ziel, auch wenn es ein schwieriges ist. Raving.fm hat durchschnittlich 3000 Hörer im Monat – das ist überschaubar. Auf Instagram sind es aber immerhin inzwischen 90 000 Follower. Der Sender ist zudem als Medienpartner von Musikveranstaltungen und Festivals wie dem „Mixcon“ oder „Digitalanalog Festival“. Doch wie funktioniert die Finanzierung? Monatlich fallen durchschnittlichen 300 Euro für Sendelizenzen und GEMA an, erklärt Leonardo. Bis jetzt werfe der Sender keinen Gewinn ab, sagt er. Alle Ausgaben bezahlt er aus eigener Tasche. Und doch wünschen sich Leonardo und Juan Pablo, irgendwann von den Erträgen ihres Radiosenders leben zu können. Geplant sei momentan ein Onlineshop mit Bekleidung, auch die Zusammenarbeit mit Sponsoren wird überlegt. Werbung wollen sie dagegen nicht schalten.
Gegründet wurde Raving.fm von fünf jungen Argentiniern, neben Leonardo und Juan Pablo noch Facundo Ferri, Patrick von Stuckrad und Maximo Pataro (alle zwischen 20 und 35 Jahre alt), die sich beim Feiern in München kennenlernten und Freunde wurden. Die fünf Argentinier hatten sich nach Reisen durch die Welt hier niedergelassen. Zusammen stürzten sie sich ins Münchner Nachtleben. Sie alle verband eines: eine große Liebe zur elektronischen Musik. Oder mit den pathetischen Worten Leonardos gesprochen: „Wir sehen die Emotionen, die Seele und die Energie, die in dieser Musik lebt.“
In einer ihrer gemeinsamen Partynächte beschlossen sie, einen Radiosender zu gründen. „Wir waren im damaligen Bullit Club in München, DJ Deborah de Luca legte auf und wir waren uns einig: Wir haben so viel Liebe für diese Musik, die wollen wir mit anderen teilen“, sagt Juan Pablo. Zunächst ging es ihnen vor allem darum, die neu entdeckten Münchner DJs auch für Freunde in der Heimat Argentinien zugänglich zu machen.
Sie starteten das Projekt 2017. Von den fünf anfänglichen Gründern des Radiosenders blieben über die Jahre nur noch Leonardo und Juan Pablo in München. Maximo beteiligt sich von Berlin aus weiterhin an dem Projekt, die anderen beiden sind inzwischen zurückgekehrt nach Argentinien. Anfänglich wurde nur an den Wochenenden gesendet, ein schönes Hobby. Nach und nach gewann der Sender – speziell in der Szene des Münchner Nachtlebens – an Bekanntheit. Die Nachfrage stieg. Irgendwann wurde klar: Ihr Musikkanal belegt tatsächlich eine bisher nicht bediente Nische. Sie entschieden sich nonstop zu senden, sieben Tage die Woche, 24 Stunden täglich. Techno rund um die Uhr. Ohne Atempause. Ohne Sperrstunde. Ohne Limit. Ein großer Schritt, der, so sagt es zumindest Leonardo, immer wieder aufs Neue viel Organisation und Planung erfordert. Um die Zeit zu füllen, sind sie täglich auf der Suche nach neuen DJs mit passenden Sets. Neben den aufgezeichneten Sets und Live-Streams organisieren sie außerdem auch Liveübertragungen aus verschiedenen Clubs wie dem Palais oder Bahnwärter Thiel.
Leonardo und Juan Pablo wollen Musikern die Möglichkeit geben, ihre Kunst uneingeschränkt zu übertragen. „Gespielt wird alles, was Spaß macht und Techno ist“, sagt Leonardo. Der Sender soll so auch eine Plattform für Ungewohntes sein. Raving.fm hat inzwischen fünf Resident-DJs, einer davon ist der Münchner DJ Andreas Anderson. Auch er sieht den grenzenlosen Charakter von Raving.fm als großen Vorteil: „Es ist oftmals nicht so leicht, eine Radiostation zu finden, wo man seinen Style bedingungslos spielen kann, ohne Kompromisse einzugehen. Und der Fakt, dass eine solcher Webradiosender hier in München entstanden ist, zeigt auch der ganzen Welt, dass es hier eine wachsende Techno Szene gibt.“
Foto: Alessandra Schellnegger