Tradition und anderer Quatsch

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Traditionen sind dazu da, um gemeinsam Dinge tun zu können, bei denen man sich so ganz alleine ziemlich dämlich vorkäme. Die Frage bleibt: Warum wurde der Erste, der einst mit einer Tradition begann, nicht so lauthals ausgelacht, dass sich keiner traute ihm gleich zu tun?

Traditionen sind dazu da, um gemeinsam Dinge tun zu können, bei denen man sich so ganz allein ziemlich dämlich vorkäme. In dem Studentenviertel, in dem Max sein Auslandssemester verbracht hat, öffnet man dienstags um zehn die Fenster und schreit hinaus in die Nacht. Für denjenigen, der den ersten Schreit tut, fühlt sich das immer ein wenig seltsam an. Sobald das Gekreische wie ein Echo von allen Seiten widerhallt, setzt ein befreiendes, ja beinahe archaisches Gefühl ein. Nach seiner Rückkehr in die Münchner Studentenstadt muss Max diese Tradition hier unbedingt einführen, finde ich. Denn Schreien als fröhliche Massenveranstaltung sollte nicht nur Menschen vorbehalten sein, für die es Anlass zu höchster Aufregung ist, wenn Männer in kurzen Hosen auf dem Rasen hin- und herdackeln. Leider ist es ein schmaler Grat zwischen dem Begründer einer Tradition und einem armen Irren, der aus dem Fenster schreit.

Dabei kann man sich bei vielen Traditionen fragen, warum der Erste, der einst damit begann, nicht so lauthals ausgelacht wurde, dass sich keiner traute, in seine Fußstapfen zu treten. Bayerische Bräuche sind für mich eine schier unerschöpfliche Quelle der Verwunderung: Es ist noch nicht lange her, dass ich in der Hallertau Männer in Lederhosen beobachte, die auf Biertischen rhythmisch ihre Peitschen zum Klang von Akkordeonmusik schnalzen lassen, während der Dorfpfarrer dazu den Takt auf einem Amboss schlägt. Jetzt mal ehrlich: Wieso hat das Brauchtum über die Jahre so elaborierten Quatsch hervorgebracht, während nie jemand auf die simple Idee gekommen ist, bequemes Gemeinschaftsgekreische von zu Hause einzuführen?

Wenn Schreien einen festen Platz im Alltag hätte, wäre Vieles besser. Wer seine Stimmbänder für die Woche schon einmal abgenutzt hat, kann sich bei Massenveranstaltungen endlich wieder auf den Anlass konzentrieren – bei Konzerten auf die Musik, bei Fußball auf das Spiel und bei Demonstrationen auf die Sache.

Von Susanne Krause

Wer will schon Handwerken

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Die meisten von uns haben sich beim Auszug Grundkenntnisse im Kochen, Putzen und teils sogar Nähen angeeignet. Das handwerkliche Know-How geht jedoch oft nicht über das Einschlagen von Nägeln hinaus. Das ist ein Fehler…

Wegwerfen ist out. Der Trend geht zum Reparieren. Es gibt Repair-Cafés, wo man bei Tee und Gebäck gemütlich zusammensitzt und an Fahrrädern und Toastern herumschraubt. Ich halte das für eine sehr schöne Idee. Allerdings bin ich skeptisch, ob Repair-Cafés in unserer Generation so schnell einen Trend ablösen, der in den Medien sehr viel weniger Beachtung findet, obwohl er sich gar nicht so stark davon unterscheidet. Auch während Papa am Fahrrad oder Toaster herumschraubt, ist Raum für Tee und Gebäck sowie gemütliches Herumsitzen.

Die meisten von uns haben sich beim Auszug Grundkenntnisse im Kochen, Putzen und teils sogar Nähen angeeignet. Das handwerkliche Know-How geht jedoch oft nicht über das Einschlagen von Nägeln hinaus. Ohne Papa mit seinem kiloschweren Werkzeugkasten, seiner Schlagbohrmaschine und dem Fahrradreparatur-Kit hätten viele von uns weder Wandregale noch verkehrstüchtige Mountainbikes. Neben allem Equipment haben Väter eine erstaunlich stoische Ruhe: Sie verkabeln Lampen, während der Sohn mit einem Abschluss in Elektrotechnik zusieht; sie holen plattgefahrene Räder bei der Tochter in der nächsten Stadt ab und bringen sie generalüberholt zurück. Nur manchmal sind sie schlichtweg nicht da.

Deswegen beschließe ich, während ich in der stockfinsteren Dusche nach dem Haarshampoo taste, dass die kaputte Lampe in unserem WG-Bad wohl ohne väterliche Hilfe ausgetauscht werden muss. Als ich meinem Mitbewohner den Entschluss unterbreite, wirft dieser geschockt ein, was es allein für ein Aufwand sei, eine neue Lampenfassung zu kaufen. An seinem freien Tag radelt er dann aber doch brav zum Baumarkt, während ich meinen orangefarbenen IKEA-Werkzeugkasten hervorkrame, der zur Erstausstattung einer jeden Studentenbude gehört – den man, väterlichem Einsatz sei Dank, nur so gut wie nie benutzt.

Nach einem feierlichen High Five – wir haben die Spiegelleuchte so verkabelt, dass man wieder sieht, wie dreckig unser Bad eigentlich ist – folgt die Ernüchterung. Die bestehenden Löcher in den Fliesen passen nicht für die neue Lampe. Kurz überlegen wir, ob wir mit dem Anbringen auf einen unserer Väter und seine Bohrmaschine warten. Dann beschließen wir jedoch, allein zu beenden, was wir ohne väterliche Hilfe begonnen haben. Also kleben wir die Lampe mit zwei Metern Paketklebeband an den Fliesen fest. Übrigens: Handwerken ist out. Der Trend geht zu Tape-Art.

Von Susanne Krause

Urlaubsfotos aus der Bib

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Urlaub ist was Schönes. Urlaubsfotos eigentlich auch. So viel zur Theorie. In der Praxis sind die Fotopost von Freunden auf Weltreise an Stränden lästig. Vor allem wenn man selbst nicht verreisen kann.

Judith bringt Dinge auf den Punkt. Urlaubsfotos von Freunden zum Beispiel: „Ich weiß, wie du aussiehst, ich weiß wie Angkor Wat aussieht. Die Kombination aus beiden bringt mir absolut keinen Mehrwert“, sagt sie und seufzt zwischen zwei Schlucken Wein. In ihrem Freundeskreis veranstalten Menschen jedoch ganze Reisepräsentationsabende, inklusive der Einführung in die Landesgeschichte und detaillierter Bildbesprechungen. Ich werfe ein, dass man Angkor Wat inzwischen auch auf Street View besuchen kann. Das erspart einem sowohl den Weg zum Dia-Abend als auch den Flug nach Kambodscha. Das Internet macht vieles einfacher.

Nur Alis Leben, das vereinfacht es gerade nicht. Ali will Urlaub. Nur am Strand liegen, nichts lesen, nicht denken. Es müsste nicht mal Kambodscha sein, nein, Kroatien täte es auch. Leider häuft sich nur Alis Arbeit für die Uni, während ihr Geld so gar keine Anstalten macht, Haufen zu bilden. Und Alis Facebook-Freunde veranstalten derweil ausgiebige Reisepräsentationen, ohne je Einladungen dazu verschickt zu haben. Ali weiß, wie ihre Freunde aussehen. Und sie weiß, wie Strände aussehen – und jetzt, nach dem zwanzigsten Post von Freunden an Stränden, weiß sie es umso besser.

Schon klar: Man sucht sich Freunde, die man für nette Menschen hält, und gönnt ihnen nette Dinge. So viel zur Theorie. In der Praxis ist natürlich nichts lästiger als dieser eine Facebook-Kumpane auf Weltreise, der leicht bekleidet und sonnengebräunt vor wechselnder Kulisse in die Kamera strahlt, während man selbst im öden Alltag versinkt. Da kann man eigentlich nur hoffen, eine gute Ausrede zu finden, ehe er für den Powerpoint-Bilderabend nach Hause zurückkehrt.

Bis jetzt will noch niemand Fotos mit den Hashtags #DreiStunden-WartezeitBeimZahnarzt posten oder Powerpoint-Präsentationen von den Überstunden in der Bibliothek oder dem Büro veranstalten. Vielleicht wären wir jedoch alle glücklicher, wenn endlich jemand diesen ersten Schritt wagen würde.

Von Susanne Krause

Konsequent im Unrecht

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Eltern haben Recht. Zumindest in den meisten Fällen. Wir Kinder wollen das aber nicht immer wahrhaben, auch wenn man Aussagen fast nicht mehr verteidigen kann. Mit Trotz hat das nichts zu tun. Das ist nur konsequent – auch im Unrecht.

Jean hat eine böse Erkältung, wahrscheinlich eine Nasennebenhöhlenentzündung. Ich sage ihm, er soll inhalieren – das hilft. „Ja“, setzt er mit Leidensmiene an. Seine Mutter habe ihm das auch schon dreimal gesagt. Er seufzt. „Warum hat sie immer noch nicht verstanden, dass es viel effektiver wäre, mir zu sagen, dass ich genau das nicht tun soll?“, fragt er verzweifelt.

Das Schlimme an Eltern ist nicht, dass sie davon überzeugt sind, immer Recht zu haben. Das Schlimme ist, dass sie meistens wirklich Recht haben. Eltern wissen, dass man einen Schal ummachen sollte, eingebrannte Töpfe sofort spülen muss und Oliven eigentlich ganz gut schmecken. Und inzwischen wissen wir Kinder das auch. Nur: Dummerweise haben die meisten von uns irgendwann zwischen Trotzphase und Pubertät genau das Gegenteil behauptet. Manche dieser Aussagen lassen sich nicht lang aufrechterhalten – etwa als ich vor gut zwanzig Jahren verkündete, dass sich mein Kinderzimmer von allein aufräume. Dabei gab ich mir sogar alle Mühe, diese These zu verteidigen und stellte meinen Wecker auf zwei Uhr morgens. Das Projekt „Recht behalten gegenüber Mama“ scheiterte allerdings daran, meinen großen Bruder im Stockbett über mir zu wecken und für die nächtliche Säuberungsaktion zu begeistern.

Niederlagen kommen vor. Nicht alles, was man zwischen Spracherwerb und Auszug behauptet, lässt sich auf Dauer verteidigen. Umso wichtiger ist es, Zeichen zu setzen. Auch wenn sich dann die Erkältung festsetzt und man das eingebrannte Fett wohl nie wieder aus der Pfanne kriegt. Bei der Wahl zwischen den Alternativen „Wahrheitsliebe“ versus „Treue gegenüber den eigenen Aussagen als Fünfjähriger“ entscheiden sich wirklich nur krankhaft wankelmütige Menschen für die Wahrheitsliebe. Der Rest sortiert weiter fleißig Oliven aus Mamas Salat. Das ist kein Trotz. Nein, das ist nur konsequent.

Von Susanne Krause

Man schläft nur einmal

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Club Nacht versus WG-Party. Unsere Kolumne zeigt, dass die Vorzüge von WG-Partys als Gastgeber mit zunehmendem Alkoholpegel schwinden. Und warum manchmal die erste Nacht-Tram doch die richtige Entscheidung ist.

Früher war alles früher. Heute dagegen bin ich gerade dabei, in der U-Bahn einzunicken – auf dem Weg zum Club, wohlgemerkt, nicht auf der Heimfahrt. Es ist halb ein Uhr nachts, ich bin nach einem Abend mit Crepes, Weißwein und „Tabu“ satt und selig. Meinen Organismus heute noch den Strapazen von Lärm und schlechter Luft auszusetzen, erscheint mir ähnlich lästig, wie mich abends im Halbschlaf noch mal fürs Zähneputzen aus dem warmen Bett zu quälen. Aber anstatt an meiner Haltestelle auszusteigen, fahre ich tapfer mit den anderen weiter zur Sonnenstraße, wo Betten und Zahnbürsten rar gesät sind – obwohl all die Menschen, die bereits auf den Gehsteigen knien, beides so dringend bräuchten!

WG-Partys hingegen sind eine feine Sache. Sie beginnen vor ein Uhr nachts, man zahlt nichts für die Garderobe und führt manchmal sogar Gespräche, bei denen man sich nicht nur gegenseitig „Was?“ ins Ohr schreit. Zu Hause ist es am schönsten. Nur wenn morgens um drei plötzlich Tränen fließen wie Sturzbäche und nicht nur die ersten Seelen Striptease betreiben, ist es Zeit, nach Hause zu gehen. An diesem Punkt wird die Problematik von WG-Partys deutlich: Irgendjemand ist dann immer schon zu Hause. Und denjenigen halten dann nicht nur Gastgeberpflichten und der Lärm davon ab, dem zum Trauerspiel mutierten Freudenfest in Richtung Bett zu entfliehen, sondern auch mal eine Portion Erbrochenes auf dem Laken. Dass auf WG-Partys, im Gegensatz zur Sonnenstraße, alkoholisierten Menschen Betten und Zahnbürsten zur Verfügung stehen, ist nicht zwingend ein Segen. WG-Partys sind eine feine Sache, nur nicht unbedingt im eigenen Zuhause.

In der Schlange vor dem Club ringe ich mich übrigens endlich durch, in krassester „You live only once“-Manier einfach nur zu tun, worauf ich gerade Lust habe: Ich verabschiede mich und nehme die erste Nacht-Tram nach Hause.

Von Susanne Krause

Globetrotter mit Hindernissen

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Lieber Wien als Kathmandu? Unsere Kolumne zeigt, warum es manchmal keinen Unterschied macht, wo auf der Welt man sich befindet. Bekannten Gesichtern begegnet man meist dort, wo man es am wenigsten erwartet.

Leo hat notorisches Fernweh. Für ihr Praktikum hatte sie sich auch in Kathmandu beworben. Es ist allerdings nur Wien geworden. Vielleicht ist das auch nicht das Schlechteste: Erst kürzlich habe ich gelernt, das Kathmandu eine der Städte mit der höchsten Luftverschmutzung weltweit ist. Die Wiener Luft hingegen ist frisch, als Leo mich vom Westbahnhof abholt. Etwas zu frisch, um ehrlich zu sein: Während in Kathmandu der Mief des gesamten Himalajas steht, steht in den Straßen von Wien gar nichts. Es herrscht ein so reger Luftaustausch, dass Straßenschilder und Cafétische an uns vorbei über den Bordstein geweht werden.

Coole Kids würden solches Wetter wohl zum Anlass nehmen, ihr Fernweh mit tropischen Cocktails in Wiener Subkultur-Spelunken zu kurieren. Wir sind keine coolen Kids; wir greifen lieber zu Omas bewährtem Hausrezept und schauen „Traumhotel“. Für irgendwas müssen die horrenden Rundfunkgebühren, die Leo letztens nachbezahlen musste, schließlich gut gewesen sein. „Das Traumhotel“ ist eine Reihe mies geschauspielerter Schmonzetten, in der sich vor der Kulisse exotischer Paradiese jedes Mal aufs Neue dramatische Liebeswirren entspinnen, deren Texte wir auch mit Mündern voller Kekskrümel aufs Wort vorhersagen können. Es dauert nur etwa eine Viertelstunde klischeebeladener Dialoge, bis ich überzeugt bin, dass wir – während uns die Wiener Luft hier drinnen gefangen hält – im Rest der Welt nichts verpassen: Außer beschränkten Touristen scheint es etwa laut „Traumhotel“ in Indien nicht viel zu geben … na ja, da wären noch der Maharadscha und sein Sohn. Aber die werden gespielt von einem blauäugigen Deutschen mit Sprühbräune und dem türkischstämmigen Erol Sander. Das kann ich auch bei einem Spaziergang um den Hauptbahnhof haben.

Ein paar Wochen später habe ich mich trotz „Traumhotel“-Therapie aufgemacht in fremde Länder und fahre nach Schweden. Gerade bin ich dabei, die dänische Grenze hinter mir zu lassen und lausche der schwedischen Zugansagerin, als sich oberbayrische Gesprächsfetzen aus der Reihe hinter mir darüber legen. Ich drehe mich um: Hinter mir sitzen zwei Jungs aus meiner ehemaligen Schule, die auf dem Weg sind, Leos Freund während seines Auslandssemesters zu besuchen. Vielleicht fahre ich das nächste Mal doch lieber nach Kathmandu.

Von Susanne Krause

Hüter der Ordnung

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Mitbewohner verursachen Unordnung. Unsere Kolumne zeigt, dass dem nicht so ist, ganz im Gegenteil: Sie erhalten die Ordnung aufrecht. Das sieht man vor allem dann, wenn sie aus dem Haus sind.

Es ist eine falsche Annahme, dass Mitbewohner Unordnung verursachen. Mitbewohner sind überhaupt diejenigen, die Ordnung aufrecht erhalten. Als Sören übergangsweise allein in seiner Wohnung lebt, betritt er die Küche teils tagelang nicht – nur einmal, als er wirklich Hunger hat, im Kühlschrank jedoch nichts ist, außer Licht. Jetzt, wo ich hier wohne, nutzt er plötzlich einen Raum mehr: Sören macht sich Käsetoasts, statt nur von Süßigkeiten und Fastfood zu leben, und spült danach sofort seinen Teller. Alles ganz vorbildlich – das gute Leben erfordert eben Publikum.

Die meiste Unordnung verursachen Mitbewohner, wenn sie nicht da sind. So wie Sören, als er in den Urlaub fährt. Zwar vergesse ich nicht, dass unsere Wohnung eine Küche hat – wohl aber, warum man sie in Ordnung hält. So ganz allein verliere ich plötzlich all meine Motivation, die Küche in einem bewohnbaren Zustand zu hinterlassen. Denn Geschirr, das niemand sieht, ist auch nicht schmutzig. Wozu also die Mühe? Zum Abspülen kann ich mich erst kurz vor seiner Rückkehr bewegen, als die Geschirransammlungen überall in der Wohnung an die Zeiten erinnern, als meine Eltern ohne uns Kinder im Urlaub waren.

Allein kann man machen, was auch immer man möchte. Niemand, der stört. Das war einst der Reiz an Eltern, die sich in den Urlaub verabschiedeten. Und das sind die Argumente von Menschen, die über eiserne Disziplin verfügen – nämlich genau über die Disziplin, einen vorzeigbaren Tagesrhythmus zu leben, obwohl man ihn gar niemanden vorzeigen muss. Paula hat das ganze Studium über allein gewohnt. Nie mehr wieder, sagt sie. In der Lernphase kann sie ganze Tage verbringen, ohne einem anderen menschlichen Wesen zu begegnen. Da ist es dann nicht notwendig, sich anzuziehen. Und wenn man sich anziehen muss, ist es eigentlich auch nicht wirklich ratsam, das Bett zu verlassen. Oder den Fernseher auszuschalten. Klar, so ganz allein, kann man tun, was man möchte. Fraglich ist allerdings, ob man wirklich will, dass man tun kann, was man möchte.

Von Susanne Krause

Sintflut frei Haus

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Alles Gute kommt von oben. Sagt man. Bei Kronleuchtern zum Beispiel ist das anders. Eine Kolumne über Wasserschaden, unerfreute Nachbarn und biblische Gerechtigkeit: Denn wer oben ist, sitzt am längeren Hebel.

Dass alles Gute von oben kommt, ist ein dummes Gerücht. Aber es hält sich hartnäckig. Dabei gibt es genug Beispiele von Dingen, die viel besser sind, wenn sie oben bleiben, als wenn sie von dort kommen. Balkone zum Beispiel. Oder auch Kronleuchter. Als der Leuchter nach mehreren Jahren treuen Dienstes auf den Boden von Judiths WG-Küche darniedersaust, hält das niemand für ein Geschenk des Himmels – Scherben hin oder her. Und auch Marcel findet, dass der Balkon unten im Hof seinen Zweck nicht mehr so ganz erfüllt.

Auch Wasser von oben ist doof. Da sind sich ebenfalls die meisten einig. Gilt für draußen – und für drinnen gilt es sowieso. Das wissen besonders die Menschen, die unter mir wohnen, seit die Vormieterin meines WG-Zimmers vergessen hat, den Ablaufschlauch der Waschmaschine in die Badewanne zu legen. Die anschließende Überflutung ließ es im zweiten Stock Waschlauge regnen. Einmal hätten die Nachbarn uns vielleicht verziehen. Aber seit dem zweiten Abwasserschauer ist man da nicht mehr besonders gut auf unsere WG zu sprechen. Zu unserem Glück sind ihre Rachemöglichkeiten eingeschränkt. Von unten wird man allenfalls mit akustischen Mitteln wie Dudelsack-Fingerübungen gequält. Wer oben ist, sitzt am längeren Hebel. So konnte ich etwa einst dank guten Karmas zwei Jahre musikalischer Folter durch meinen Nachbarn von unten mit einem Rohrbruch vergelten. Es gibt sie eben noch, die biblische Gerechtigkeit.

Wirklich sicher sind im Grunde nur Dachgeschosswohnungen. Je tiefer man in einem Mietshaus wohnt, desto höher ist die Gefahr für böse Überraschungen. Wie etwa die Erwachsenenwindel, die jemand neulich ein Stockwerk über Matthias die Toilette herunterspülen wollte. Die Schwerkraft tat ihren Dienst nur noch etwa bis auf Höhe von Matthias‘ Wohnung, wo sich die Windel dann im Abfluss verkeilte. Ich möchte an dieser Stelle nun allerdings nicht näher ins Detail bezüglich der dadurch ausgelösten Überschwemmung gehen, aber so viel sei gesagt: Für einen ausgiebigen Waschlaugenschauer wäre Matthias wahrscheinlich dankbar gewesen. Aber Sintfluten kommen einfach nie zur rechten Zeit.

Von Susanne Krause

Umstandshosen auf Probe

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Wenn das Erwachsensein sich plötzlich im eigenen kullerrunden Bauch bemerkbar macht – da ist es besser, dieses ganze Familiengründungs-Tamtam erstmal bei Freunden auszuprobieren. Stundenweise. Und ohne sich die Finger beim Wickeln schmutzig zu machen. Eine Kolumne über niedliche Söckchen und Metallica.

Wenn Freunde plötzlich erwachsene Leben führen, weiß man nicht, ob man sich jung oder alt fühlen soll. So geht es mir, als ich Verena in der Wohnung besuche, die sie vor einem halben Jahr mit ihrem Freund bezogen hat. Schon bei der ersten Führung fallen Wörter wie „Schallschutzfenster“, im Wohnzimmer stehen Massivholzmöbel aus dem Familienerbe, die Küche ist voller Utensilien, die ich nur aus Kochsendungen kenne. Die größte Überraschung erwartet mich allerdings, als ich nach zwanzig Minuten den Blick von den hohen Dachfenstern wende und mich hinsetze: Denn plötzlich bin ich auf Höhe von Verenas Bauch, der sehr viel runder ist als in meiner Erinnerung und den Bund einer Umstandshose dehnt.

Bis jetzt gab es in meinem Freundeskreis noch keinen Nachwuchs. Daran haben auch Alis Mühen, ihre Freundinnen zur Fortpflanzung anzustiften, nichts geändert. Schon vor geraumer Zeit hat sie sich in den Kopf gesetzt, dass sie dringend ein Baby will – aber bitte nicht rund um die Uhr! Eigentlich will Ali als Auszeit von ihrem feucht-fröhlichen Studentenleben nur hin und wieder niedliche Söckchen kaufen und dann das Wesen in den niedlichen Söckchen ein paar Minuten auf dem Arm schaukeln. Dann will sie es aber auch gern wieder den Freunden übergeben und in der Stereoanlage Metallica aufdrehen.

Bis jetzt fand ich Alis Vermehrungsbekehrungsversuche eher befremdlich. Jetzt, wo mein Blick auf dem Bund von Verenas Umstandshose ruht, dämmern mir langsam die Vorteile an Alis Plan. Freunde mit Kindern und ausgefallenen Küchengeräten bieten stundenweise die Möglichkeit, die spannenden Seiten des Erwachsenseins auszuprobieren, ohne durch die Einsicht, dass man vielleicht gerade seine Jugend hinter sich lässt, eine Quarterlife-Crisis zu riskieren. Am Ende des Abends habe ich superspaßige Momente mit einem Hightech-Gemüsezerkleinerer verlebt, den ich nachher nicht abwaschen musste. Mit dem Baby von Freunden zu spielen, glaube ich, funktioniert ähnlich.

Alis Wünsche wurden inzwischen übrigens von anderer Seite erhört: Sie ist Tante von Zwillingen, denen Sie zur Geburt statt niedlichen Söckchen Metallica-Shirts gekauft hat.

Von Susanne Krause

Der Putzkrieg

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Über Männer und Frauen und den alltäglichen WG-Wahnsinn. Eine Kolumne über unterschiedliche Ansprüche, verschiedene Konfliktbewältigungs-Methoden und Lösungsansätze, die auf Körpergröße basieren.

Der Krieg wird mit Klopapier geführt. Es ist noch gar nicht so lange her, da waren die beiden beste Freundinnen, nun allerdings bewerfen sich Rosi und ihre Freundin mit Toilettenpapierrollen. Was ist passiert? Ganz einfach: Sie sind zusammengezogen. Ich kenne viele Geschichten mit genau diesem Szenario. Wenn beste Freundinnen sich gemeinsam eine Wohnung anmieten, endet das nicht selten mit spektakulären Flurkämpfen und einer Trennung auf Lebenszeit. Dabei gilt: je jünger die Mädels, desto höher das Potenzial für Drama.

Mein Mitbewohner analysiert sofort: Das liegt daran, dass Frauen nicht über ihre Probleme reden, sondern sie in sich hineinfuttern, bis sie dann irgendwann explodieren. Aha. Warum wohne dann ich hier und kein viel weniger explosiver Vertreter des männlichen Geschlechts? Ganz einfach: In den Kumpel-WGs seines Bekanntenkreises klebt leider der Dreck von drei Jahren auf dem Fußboden. Wenn beste Kumpel zusammenziehen, so mein Mitbewohner, wird aus der WG eine Art superharmonischer Schweinestall. Da hat er sich doch lieber ein Mädchen in die WG geholt. Jetzt ergänzen wir uns prima: Er putzt nicht, ich schon.

Dafür versorgt er mich mit unterhaltsamen Theorien. An seiner Erklärung für das Beste-Freundinnen-Problem zweifle ich allerdings: Dass Kumpel-WGs harmonische Schweineställe sind, klingt nämlich nicht unbedingt, als würden die Bewohner zwischen Bergen von Pizzakartons sachliche Gespräche über ihre Probleme führen. Mehr so, als wären die Ansprüche an ein Zusammenleben sehr viel niedriger als der Berg Altglas in der Ecke. Ich glaube ja, dass genau hier das Problem liegt: Mit der besten Freundin zusammenzuziehen, verheißt ein Leben voller Mädelsabende mit Prosecco in stilvollem Ambiente – und führt dann eben doch meist nur zu schnödem Alltag mit Altglas und Staubmäusen. Da greift man dann eben zum Wurfgeschoss.

Rosi etwa hat nach dem Klopapierkrieg mit ihrer nun ehemaligen Busenfreundin übrigens einen zweiten Anlauf gestartet, diesmal mit ihrem besten Kumpel. Das Ergebnis: Die beiden ergänzen sich bestens– allein schon aufgrund des gut 40 Zentimeter Größenunterschieds. In der Küche ist Rosie für alle bodennahen Schrankfächer zuständig, ihr Mitbewohner für die obersten Regalbretter.

Von Susanne Krause