Essen gut, alles gut

Im Interview: Felix Homma, 23, der die Aktion „Welcome Dinner“ zusammen mit sechs Kommilitonen

organisiert

. Beim Welcome Dinner laden verschiedene Gastgeber Flüchtlinge zum Essen ein. Wir haben mit ihm über das Projekt gesprochen. 

Freising – Felix Homma, 23, studiert in Freising Molekulare Biotechnologie und ist einer der insgesamt sieben Gründer von Welcome Dinner München. Das Stipendienprogramm der Bayerischen Eliteakademie, dem alle sieben Studenten angehören, hat ihnen die Aufgabe gestellt, ein Projekt mit sozialem Mehrwert ins Leben zu rufen. Als im vergangenen Sommer der Flüchtlingsstrom kein Ende nahm, entschieden sie sich dafür, das Projekt „Welcome Dinner“ aus Hamburg nach München zu holen. Gastgeber laden bei dieser Aktion Flüchtlinge zum Essen ein.

SZ: Das Projekt funktioniert auf Vertrauensbasis. Wie schwer ist es, an die Menschen heranzukommen?
Felix Homma: Direkt in der Flüchtlingsunterkunft erleben wir eigentlich nur positives Feedback. Die meisten freuen sich, dass es Interesse an ihnen gibt. Der einzige Kritikpunkt, den wir bekommen, ist, dass die Zuverlässigkeit nicht sehr hoch ist.

Auf Seiten der Gäste oder der Gastgeber?
Leider vermehrt auf der Flüchtlingsseite. Das liegt aber zum einen daran, dass sie manchmal den Standort wechseln. Manchmal liegen ein bis zwei Monate zwischen der Kontaktaufnahme und dem Matching. Das ist sicher auch ein Fehler unserer Seite, daran arbeiten wir momentan. Vertrauen ist weniger das Problem, eher die Zuverlässigkeit. So scheint es zumindest zu sein.

Woran liegt es, dass so viel Zeit zwischen Kontaktaufnahme und einem „Matching“, also der Einladung liegt?
Das Interesse der Münchner ist recht hoch, den Engpass haben wir gerade eher bei Gästen. Hätte ich anfangs persönlich auch nicht gedacht. Wir müssen ja auch die passenden Gäste finden.
Passende Gäste?
Prinzipiell kann bei uns jeder mitmachen. Wenn der Wunsch kommt, dass die Gastgeber gerne eine Familie mit ein bis zwei Kindern als Gast hätten, ist das für uns ein bisschen schwerer zu organisieren. Auch wechseln öfter die Telefonnummern. Dann müssen wir erst wieder neue Gäste finden. Außerdem sind die meisten Gastgeber auch berufstätig, sprich: Die haben nur wenige freie Termine. Und Sprachkenntnisse sind natürlich auch ein Riesending.

Können viele Flüchtlinge aufgrund fehlender Sprachkenntnisse das Angebot gar nicht wahrnehmen?
Das kommt auf die Herkunftsländer an. Viele afrikanische Flüchtlinge können ziemlich gut Englisch. Deutsch können auch einige, zumindest ein bisschen. Viele sprechen aber bis jetzt nur Arabisch. Die fallen momentan raus. Es geht ja auch darum, dass eine Kommunikation möglich ist.

Habt ihr oder eure Gäste auch mal schlechte Erfahrungen gemacht?
Ist uns nichts bekannt.

Merkt ihr, dass weniger Flüchtlinge nach München kommen?
Flüchtlinge gibt es genug in München. Allerdings sind einige wichtige Ansprechpartner weggefallen. Dadurch ist ein Ungleichgewicht entstanden. Es gibt also nicht zu wenig Flüchtlinge, sondern nur momentan mehr Gastgeber-Anfragen.

Wer sind die Gastgeber?
Es sind einige Studenten dabei, aber auch junge Familien und ältere Ehepaare. Aber wir hatten auch schon zwei Frauen, die über 50 waren. Es ist also recht gemischt.

Gibt es Gastgeber, die wiederholt Flüchtlinge einladen?
Die Gastgeberin eines Abendessens, das kürzlich stattgefunden hat, meinte, sie freut sich auf Abende mit genau der Gruppe. Wir hatten aber auch schon Anfragen von Personen, die grundsätzlich sagen, sie würden gerne regelmäßig Abendessen ausrichten – auch gerne mit unterschiedlichen Gruppen.

Mittlerweile gibt es aber schon andere Essensprojekte – war es für euer Stipendium entscheidend, dass es sich um etwas komplett Neues handelt?
Man sollte mit seinem Projekt auf jeden Fall was erreichen können. Zu dem Zeitpunkt gab es nur die Abendesser-Connection in München, die haben sich aber darauf spezialisiert, interkulturelle Abendessen zu veranstalten. Das Thema Flüchtlinge haben wir bei denen nicht gefunden. Die Frage hat sich zum damaligen Zeitpunkt also so nicht gestellt. Ich sehe da aber auch jetzt kein Problem. Wenn es drei verschiedene Projekte gibt und dadurch dreimal so viele Abendessen stattfinden, ist das meiner Meinung nach eine super Sache.

Von: Jacqueline Lang

Foto: Lukas Barth

Ins Gespräch kommen

Call for Connection: Vier Urbanistik-Studenten ermöglichen Telefonate
zwischen Münchnern und Bewohnern von Flüchtlingsheimen. Im Interview sprechen die Initiatorinnen

Marrije Vanden Eyne und

Elisabeth Nagl über das Projekt und ihre Ziele.

Im Licht der untergehenden Sonne rasselt auf dem Gelände des Projekts „Lückenfülle“ ein altes, gelbes Telefon. Eines von zwei Yellow Phones, das diese Woche in der Münchner Innenstadt mit einem weiteren Telefon in einer Flüchtlingsunterkunft verbunden wird – Call for Connection, mit fremden Angekommenen in ein leichtes Gespräch kommen. Marrije Vanden Eyne, 21,
aus Gent, ist seit drei Monaten für ein Erasmus-Semester in München. Die
Flüchtlingssituation in München vergangenen Sommer hat sie nur in den Medien mitbekommen. 

Für das Semesterprojekts „Arrival Urbanism“ hat die Studentin gemeinsam mit Elisabeth Nagl, 26, Laura Haller, 24, und Tomáš Klapka, 25, thematisiert, wie die Kommunikation mit den Neuankömmlingen verbessert werden kann. Nach wochenlanger Konzeptionsarbeit werden nun zwei Telefone die Münchner mit den Flüchtlingen verbinden. Call for Connection – Gespräche erwünscht.

SZ Junge Leute: Ein Telefon mitten in der Stadt, wird das nicht missbraucht?
Elisabeth: Klar, kann schon passieren, aber wir sind ja da. Zwei von uns werden in der Stadt und zwei in der Flüchtlingsunterkunft sein.
Marrije: Außerdem kann man nur die Wahlwiederholung drücken und keine eigenen Nummern eingeben.

Wissen die Menschen in der Stadt, wo sie anrufen?
Elisabeth: Nein, wir wollen eine unvoreingenommene Verbindung herstellen und die Anrufer oder Angerufenen damit überraschen, wer ihr Gesprächspartner ist.

Und die Bewohner des Flüchtlingsheims haben auch keine Ahnung, warum da ein gelbes Telefon in ihrem Innenhof steht?
Elisabeth: Doch, die informieren wir natürlich schon. Das ganze Vorhaben musste vorab mit der Stadt und den Unterkünften abgesprochen werden.

Dürfte gar nicht so leicht gewesen sein.
Elisabeth: In der Tat haben wir beinahe bis zum letzten Tag auf die Erlaubnis gewartet.

Ein junger Mann am Tisch bringt sich in das Gespräch ein: Na ja, ist doch typisch München! Ich finde das eine ziemlich tolle Idee! Ihr solltet das einfach in anderen Städten machen. Oder sogar im Ausland.

Wollt ihr expandieren?
Marrije: Erst einmal warten wir die beiden Projekttage ab.

Nur zwei Tage?
Elisabeth: Ja, für mehr haben wir keine Genehmigung bekommen.

Wann genau muss man nach den gelben Telefonen Ausschau halten?
Elisabeth: Am Dienstag, 12. Juli, am Marienhof und dann am Donnerstag, 14. Juli, am Rindermarkt. Die Aktion läuft jeweils von 12 bis 19 Uhr.

Wie funktioniert das Telefon?
Elisabeth: Wir haben viel daran herumgebastelt, jetzt funktioniert es über Bluetooth und Kabel. Aber die Telefone sind eigentlich alte analoge Geräte.

Wie habt ihr das finanziert?
Elisabeth: Wir haben von der Hans-Sauer- Stiftung pro Gruppe eine Spende in Höhe von 450 Euro erhalten.
Marrije: Davon konnten wir uns auch das Mobiliar kaufen.

Was gehört zu eurem Inventar?
Marrije: Wir haben bei Ebay die gleichen Sessel, die Tische, Sonnenschirme, die Teppiche und die Telefone gekauft.
Elisabeth: Und die Blumen.

Habt ihr es schon getestet?

Elisabeth: Ja, direkt am Königsplatz. Und das hat total gut geklappt.
Marrije: Da ist Tomáš rangegangen. Und weil er Englisch gesprochen hat, hat das Pärchen am anderen Ende gefragt, woher er käme. Als er dann sagte, aus Prag, dachten sie kurz, sie würden gerade nach Prag telefonieren.

In welcher Sprache wird gesprochen?
Elisabeth: Das wissen wir nicht. Das muss sich einfach ergeben. Oder vielleicht auch nicht jedes Mal. Die Menschen werden sich fremd sein, aber vielleicht lernen sie sich kennen.

Was könnte passieren?
Elisabeth: Vielleicht ein überraschend schönes Gespräch. Oder nur ein ganz kurzes. Oder niemand geht ran, mitten auf dem Rindermarkt.

Also können die Flüchtlinge auch in der Stadt anrufen?
Elisabeth: Genau. Man kann von beiden Seiten aus anrufen. Eine Bedienungsanleitung liegt beim Telefon. Und im besten Fall sind wir zwar da, aber so weit im Hintergrund, dass man uns gar nicht wahrnimmt.

Was könnte das größte Problem sein?
Elisabeth: Wahrscheinlich die Sprachbarrieren. Aber wer weiß. Vielleicht verstehen sich die Fremden sofort, reden Englisch. Oder Passanten sprechen Arabisch oder Französisch. Wir werden sehen, wer da mit wem ins Gespräch kommt. Genau das ist ja unser Ziel.

Interview: Friederike Krüger

Foto: 

Friederike Krüger

Neuland: Time to wish

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Die Initiative Time to wish will Begegnungen zwischen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und Berufstätigen organisieren.

Die drei Gründerinnen Laura, 24, und ihre Schwester Hannah Kieblspeck, 27, und Sabrina Littek, 27, betonen im Namen bewusst einen Wunsch (wish) nach kulturellem Austausch zwischen Bevölkerung und Geflüchteten. Problem aber sei bei Berufstätigen die Zeit (time) für ein Treffen. Genau hier setzt die Initiative an. Durch Kooperationen mit Unternehmen sollen die Mitarbeiter während der Arbeitszeit unter der Woche für gemeinsame Aktivitäten freigestellt werden.

Ein großes Unternehmen ist schon dabei: „Nach einer Präsentation kam ein Mitarbeiter von BMW auf uns zu“, sagt Hannah, die junge Geflüchtete in einer Einrichtung betreut. Auch die IHK macht mit. Ausflüge zum Klettern, in den Tierpark oder ins Museum fanden bislang bereits statt. Für den Sommer plant das Team einen Schwimmkurs. Der große Vorteil: Mitarbeiter bekommen Zeit, die sie normalerweise nicht hätten und gleichzeitig bleibt der geregelte Tagesablauf der Geflüchteten erhalten. „Langfristig wären Partnerschaften oder Tandems nach den Ausflügen denkbar“, sagt Hannah.

Text:  David-Pierce Brill

Foto: Time to wish

Mut zur Lücke

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Die vier Architekturstudenten

Leila Unland, 22, Nick Förster, 22, Maria Schlüter, 24, und Sophie Ramm, 22

 entwickeln auf einem Baugrund einen gemeinsamen Lebensraum für die Stadt – bis August, dann werden hier Häuser errichtet.

Der Boden unter den Füßen fühlt sich komisch an, anders. Er besteht aus roten, zerschlagenen Ziegeln. Auf den Ziegeln stehen Holzelemente und ein Kühlschrank. An der Wand glänzen in der untergehenden Sonne die Buchstaben „Lückenfülle.“ Mitten in einer Baulücke in München.

Nahe dem Stiglmaierplatz, am Rudi-Hierl-Platz, hat sich etwas verändert in den vergangenen Wochen. Erst fiel es den Nachbarn auf, dann vorbeikommenden Passanten. Es tut sich etwas auf der Fläche, die seit zwei Jahren mitten im Viertel brach liegt. Verantwortlich dafür sind Leila Unland, 22, Nick Förster, 22, Maria Schlüter, 24, und Sophie Ramm, 22. Mit braun gebrannten Gesichtern sitzen die vier Architekturstudenten der TU München in dieser Baulücke und trinken Tee. Sie kennen sich schon sehr lange, wohnen teilweise zusammen. Nach ihrem Auslandsjahr in den verschiedensten Ecken der Welt kamen sie mit vielen neuen Einflüssen nach München zurück.

Für ihre Abschlussarbeit wollten sie zunächst herausfinden, was München gerade bewegt. Sie führten Gespräche mit Menschen, die neu in München angekommen sind, auch mit vielen Flüchtlingen. Das Ergebnis: Der gemeinsame Lebensraum fehlt in der Stadt. Es fällt schwer, neue Bekanntschaften zu knüpfen und auf fremde Leute zuzugehen. Dagegen wollen die vier etwas tun. Die Stadt soll sich wieder begegnen.

So ist ihr Projekt Lückenfülle entstanden. Der Gedanke dahinter ist einfach. Temporäre und punktuelle Nutzung von freien Flächen in München, um die Lücke zwischen den Menschen der Stadt zu verkleinern. Kommunikation schaffen, Interessen und Gespräche hinter den schweren Mauern hervorholen.

Seit vier Wochen arbeiten die Studierenden dafür auf der 150 Quadratmeter großen Fläche. Sie ist noch bis Ende August frei, dann werden hier Wohnungen entstehen. Wichtig ist den vier jungen Münchnern, dass die Zwischennutzung der Fläche einem hohem ästhetischen Standard folgt und dass konkret auf den Standort eingegangen wird. So verwendeten sie für den Boden die Ziegel des Gebäudes, das vorher an dem Platz stand. „Wir hatten kein Geld, einen neuen Boden auszurollen, aber das war nicht schlimm, denn die Ziegel waren zwar außen staubig und weiß, wenn man sie aber zerschlug, kam die rote Farbe hervor“, sagt Nick.

Schauspieler eines Theaters
kamen zufällig vorbei – sie
spielen jetzt jeden Dienstag

Für die Studierenden gab es kein konkretes Ziel, wie die Fläche am Ende aussehen sollte. „Es war interessant zu sehen, wie schon unsere Präsenz in der Lücke zu Veränderungen führte“, sagt Maria und lacht dabei, denn ihre Vision griff damit schon. Der Begegnungsraum entstand durch Begegnungen. Mit den Nachbarn, mit vorbeikommenden Fremden. Viele verschiedene Ideen und Ansichten trafen hier zusammen. Seit etwa einer Woche füllen auch Menschen die Baulücke. Während im Hintergrund leise Jazz-Musik zu hören ist, spielt ein Musiker Akustikgitarre. Kunststudenten hängen Bilder an die Häuserwand. Genauso soll die Fläche weiterhin bespielt werden. Der anonyme Stadtraum als eine Art selbstlaufender Erlebnisraum.

Dass die Verantwortung für diesen Raum bei ihnen liegt, ist den vier Studierenden klar, aber sie möchten die Lücke so unabhängig und frei wie möglich gestalten. Von Ende Juli an soll die Fläche an die Stadt und ihre Menschen Stück für Stück, Abend für Abend, übergeben werden. Konzerte, Ausstellungen, Diskussionsrunden, eben alles, was München zu bieten hat – ausgeschlossen wird keiner. 

Um das zu realisieren, hängt am Eingang zur Lücke eine Tafel, auf der jeder eintragen kann, wann er gerne vorbeikommen möchte. Auch Menschen, die spontan vorbeikommen, steht die Lücke offen. „Wir hatten einen wunderschönen Moment, als Schauspieler eines Improvisationstheaters zufällig vorbeikamen und plötzlich anfingen zu spielen. Die kommen jetzt jeden Dienstag“, sagt Nick.

Weiter als zum nächsten Dienstag wollen die vier auch nicht denken. Sie reden im Moment nicht über die Zukunft, dafür ist gar keine Zeit „Wir leben in der Gegenwart“, sagt Sophie.

Denn auch das ist ein Teil des Konzepts: temporäre Nutzung. Nick, Maria, Leila und Sophie ist bewusst, dass sich die Lücke irgendwann im wahrsten Sinne des Wortes schließen wird, mit Wohnungen oder Büros vielleicht, wer weiß. 

Was danach kommt, ist noch nicht geplant. Allerdings beginnt schon die Suche nach neuen Lücken. Nick, Maria, Leila und Sophie wollen ihre Vision weiterführen, denn nach ihrer Ansicht gibt es in Städten wie München nicht nur Baulücken, sondern auch Lücken in der Gesellschaft. Die Menschen liefen oft alleine durch die Stadt, ohne von der Existenz oder den Erfahrungen der anderen zu wissen. „Wir sind auch ein bisschen gegen soziale Netzwerke“, sagt Maria, auch wenn das im Widerspruch dazu steht, dass sie ihr eigenes Projekt auf Facebook bewerben.

Die Anonymität der Stadt, sagen sie, werde durch die virtuelle Welt verstärkt, die Menschen begegnen sich nicht mehr als Persönlichkeiten auf Augenhöhe, sie gingen durch die Stadt, sehen, aber erkennen nichts. Es brauche mehr Gespräche in der Stadt, Gespräche für die Stadt.

Text: Pia Teresa Weber

Foto: Kaspar Dettinger 

Eine Mütze als Symbol

Bilder, die die Medien an uns herantragen, können abschrecken, können Unbehagen verbreiten, Angst machen. Aber sie können auch zum Nachdenken anregen. Die jungen Studenten, die hinter dem Verein Equalhats stehen, sind noch einen Schritt weitergegangen. Pauline Kargruber, Joschka Reik und Julian Reik haben ihre Betroffenheit in aktives Engagement umgewandelt. 

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„Mache einen fremden Namen zu deinem“, ist auf ihrer Webseite equalhats.com zu lesen. Unter diesem Motto vertreiben sie Mützen für einen guten Zweck. Das klingt zunächst simpel. Hinter der Idee stehen jedoch klare Vorstellungen. 

An dem Abend des 2. Septembers 2015, an dem das Bild des kleinen leblosen Jungen, der an der türkischen Küste angespült wurde, durch die Medien ging, saßen Joschka und Pauline mit Freunden zusammen. „Eigentlich wollten wir gemeinsam ausgehen, doch nach der Meldung wollte einfach keine ausgelassene Stimmung mehr aufkommen“, sagt Joschka. Er ist 20 Jahre alt, studiert Jura und hat gemeinsam mit seinem Bruder Julian, 24, bereits einige Geschäftsideen erfolgreich umgesetzt. Er hat klare Vorstellungen. Wenn er redet, hat das Struktur. Noch an dem Abend in der Wohngemeinschaft ist die Idee zur Mütze entstanden. „Obwohl das Thema kein neues war, hat es da irgendwie Klick gemacht“, sagt Pauline. Sie ist mit 19 die Jüngste in der Gruppe. Die blonden Haare hat sie zu einem Knoten gebunden, sie trägt eine runde Brille. Die Fragen waren: Wie kann man effektiv helfen? Wo besteht tatsächlich Bedarf? Aber vor allem auch: Wie kann man anderen jungen Menschen, die sich ähnliche Fragen stellen, das Engagement erleichtern? 

Das Geld, das der Verkauf
der Mützen einbringt,
wird gespendet

Auf jede Mütze ist ein Name eines geflüchteten Menschen gestickt, der bereits in Deutschland angekommen ist, auf der Rückseite der Schriftzug „refugees welcome“. Welcher Name auf der einzelnen Mütze steht, ist nicht wichtig, man erfährt es auch nicht vorher. Durch das Tragen eines „Equalhats“ kann man ein Zeichen setzten. Die Mütze wird zum Symbol. Joschka nickt. „Was uns aber auch wichtig war, ist, dass der Austausch über das Thema angeregt wird“, sagt er. Wer eine Mütze trägt, auf der ein fremder Name eingestickt ist, der wird darauf angesprochen, der erklärt seine Bewegründe. Was entsteht, ist ein Gespräch. Ein Gespräch, das sonst im Alltag vielleicht keinen Platz gefunden hätte.

Julian, der gerade seinen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften abgeschlossen hat, hört seinem Bruder aufmerksam zu. Joschka hat durch sein Jurastudium rechtliches Know-How, das beim Notar-Besuch und der Gründung des Vereins geholfen hat. Julian kann sich um die unternehmerischen Aspekte im Verein kümmern. „Wir haben uns alle gut ergänzt“, sagt er. So kann soziales Unternehmertum schon während des Studiums gelingen. Jeder hat sein Können, sein Wissen in die Umsetzung des Projektes gesteckt. Pauline studiert Englisch und Arabisch. Sie hat den Versand der Mützen übernommen. „Irgendwann war mein ganzes Zimmer nur noch voller Kartons“, sagt sie und lacht. Sie ist unbeschwert, wenn sie über das Projekt redet. Selbst wenn sie von dem Produzenten erzählt, mit dem sie zunächst zusammengearbeitet haben und bei dem alles schief gelaufen ist, lacht sie. Pauline steht weniger für die Struktur, dafür mehr für die Ideen und das intensive Engagement hinter dem Projekt. 

„Dadurch, dass wir alle etwas Unterschiedliches studieren, und jeder von uns eine andere Herangehensweise hat, konnten wir das Projekt so schnell auf die Beine stellen“, sagt Joschka. Pauline und Julian nicken. Geholfen haben dabei die anderen Mitglieder, wie Paulines Schwester Sophie, 21, auch Ruben Schlembach und Lukas Mayer, beide 21, und Salma Sehk Zinth, 24, die Mitbegründer sind. Daneben haben weitere Freunde geholfen, etwa, um die Webseite zu gestalten. Das Geld, das der Verkauf der Mützen einbringt, spenden die Studenten vollständig an „Aktion Deutschland hilft“.
 „Geld fehlt ja immer“, sagt Pauline, „für diesen Verein haben wir uns entschieden, da er auf der Basis völliger Transparenz arbeitet.“ Das Projekt hat neben dem Studium mehr Zeit eingenommen, als am Anfang vermutet. Einige Mitglieder wissen noch nicht, ob sie im kommenden Jahr weiterhin mitwirken können. Trotzdem planen Pauline, Joschka und Julian mit der gleichen Begeisterung bereits an einem sommerlichen Nachfolger für die Mütze. „Da steht schon eine Idee im Raum, aber verraten wollen wir es noch nicht“, sagt Pauline und lächelt wieder verschmitzt.  

Von: Jennifer Lichnau

Theorie langweilt

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Wohin nach der Schule oder nach dem Studium? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Seminar „Perspektiven bilden“, organisiert von Münchner Ethnologie- und Pädagogik-Studenten. Um verschiedene Möglichkeiten und Lebenswege ging es im Juli im Allgäu, nicht nur für Studenten, sondern auch für fremde Teilnehmer außerhalb der Universität.

Wie geradlinig muss ein Lebenslauf eigentlich sein? Wie schnell muss man im Berufsleben angekommen sein? Das ist die Frage, die eine Gruppe junger Studenten so sehr beschäftigte, dass sie sie zum Thema einer eigenen Seminarwoche machte – außerhalb der Universität, auch mit fremden Teilnehmern. „Perspektiven bilden“ war nicht nur Titel, sondern auch Ziel ihres Projektes, das im Juli im Allgäu stattfand: Anderen ihre Möglichkeiten und verschiedene Lebenswege aufzeigen. Und mehr noch: Selbst lernen, wohin man will. Sich selbst ausprobieren. „Ein selbst designtes Praktikum“, wie es Mitorganisator Leonard Matz, 29, nennt.

Entstanden ist die Idee unter einer Gruppe von Ethnologie- und Pädagogik-Studenten aus München (Foto: Lorraine Hellwig). „Die Pädagogik-Seminare bei uns sind sehr theoretisch“, sagt Sophie Demeter, 24. Doch Praxisrelevanz, das wünschten sie sich. Also entschieden sich die Studenten, selbst aktiv zu werden und entwickelten im Freundeskreis die ersten Ansätze für ihr Seminar. Perspektiven, das ist sowieso ein Thema für sie. Im vergangenen halben Jahr, also in der heißen Phase des Projekts, schrieben die meisten von ihnen ihre Bachelorarbeiten oder hatten sie gerade abgegeben. Außerdem: „Jetzt sind wir noch alle in München“, sagt Johanna Abel, 23, „wann sonst könnten wir so ein Projekt noch zusammen auf die Beine stellen?“

Was jetzt? Nach dem erfolgreichen Abschluss des Projekts steht diese Frage für Sophie im Raum. Ihren Master Ethnologie möchte sie auf alle Fälle beenden. Doch wohin will sie beruflich? Mit Begeisterung erzählt sie von den gesammelten Erfahrungen während der Seminarwoche, den Reaktionen der Teilnehmer. Auf den Evaluationsbögen stehe viel darüber, wie viel Mut die jungen Menschen durch die Workshops gesammelt haben, um auch Alternativen einzuschlagen. „Es gibt keine offizielle Berufsbezeichnung für das, was wir jetzt realisiert haben“, sagt sie, „ aber ich würde doch gerne eine Möglichkeit finden, damit auch einmal Geld zu verdienen.“ Die andere – wohl einfachere – Idee sei eine Ausbildung zur Mediatorin. Doch ihre Stimme verrät, wozu sie tendiert.

Zwar sind die Organisatoren alle Studenten, doch legten sie selbst Wert darauf, mit ihrem Programm eine breite Masse zu erreichen. Tatsächlich: Nicht nur Abiturienten und Graduierte hatten sich angemeldet, sondern auch andere junge Menschen aus allen Bildungsschichten, „darunter auch ein paar UMFler“, sagt Johanna – UMF, das steht für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Diesen und anderen Teilnehmer wurde es – wenn es ihre finanzielle Situation nicht zuließ – ermöglicht, die Kosten für das Seminar aus Spenden zu begleichen.

Während des Seminars sollte die Vielfalt der Auswahl an Richtungen und Interessen, wie sie in der Realität ja auch ist, nachgestellt werden: „Wenn es nur um einen dreistündigen Workshop geht, statt um ein ganzes Studium, hat man mehr Mut und weniger Angst,eine Fehlentscheidung zu treffen“, sagt Sophie, und vielleicht finde man so ja das, was einem wirklich liegt. Die Themen erstreckten sich von Naturwissenschaften zu Künstlerischem. Mathe, Clown oder Leben ohne Geld zum Beispiel. „Wir wollen auch Bildungsalternativen aufzeigen“, sagt Johanna. Vertieft werden soll das in persönlichen Gesprächen. So sollen beispielsweise ein Tropenarchitekt, eine Künstlerin oder ein geflüchteter Agrar-Ingenieur aus dem Kongo Frage und Antwort stehen.

Als sie vor mehr als einem halben Jahr mit den Vorbereitungen begannen, wurde schnell klar, dass es eines organisatorischen Rahmens bedurfte: Der Verein Commit to partnership schien die richtige Heimat für die Gruppe zu sein. Das Konzept des Vereins war den meisten nicht fremd, geht es bei Commit doch um globales Lernen. „Diese Art des Lernens möchte globale Probleme vereinfachen, spielerisch erfahrbar machen und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen“, sagt Susanne Seeling, 25, die schon länger bei Commit ist. Die Lehrmethode beschäftigt sich unter anderem mit Themen wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Migration – „im Grunde ist sie aber auf fast alles anwendbar“, fügt Sophie hinzu.

Und so bereicherte dieses Konzept auch das Programm des Seminars. Nachhaltigkeit gab es nicht nur während der Workshops, sondern auch auf den Tellern: Gekocht wurde großteils mit Lebensmitteln, die andernfalls weggeworfen worden wären und die ihnen gespendet wurden. Doro Merkl

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Doro Merkl reist viel und somit haben viele ihrer Geschichte auch etwas mit Reisen oder der Fremde zu tun. Das spannende an diesem Thema war für sie, dass es diesmal nicht aus der Ferne kam, sondern der Hauptort in ihrer Heimat, dem idyllischen Allgäu, lag. Für sie persönlich spielt die Frage nach Perspektiven gerade eine wichtige Rolle, da sie nach vier Jahren München in Kürze ins Ausland ziehen wird.