Band der Woche: Gaddafi Gals

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Die Gaddafi Gals lassen sich schwer in ein Genre stecken. Es ist eine Mischung aus R’n’B, Cloud Rap und ein wenig Pop.  Ihnen ist vor allem wichtig, Konzepte zu erstellen – was eher selten in Deutschland ist – weswegen sie viel Aufmerksamkeit bekommen.

Lange galt bei zeitgenössischer Pop-Musik eine unausgesprochene Abmachung: Je fetter, desto besser. Alles, was stürmt und drängt, war in dem Aufbegehren, das Pop-Musik für Jugendliche immer noch erfüllt, willkommen. Früher waren das die verzerrten Gitarren, von Mitte der Neunzigerjahre an wurden die von fetten Beats abgelöst. „Wir brauchen Bass, Bass, wir brauchen Bass“, die Punchline von Das Bo in „Türlich, türlich“ läutete im Jahr 2000 das neue Jahrzehnt mit gleichbleibendem Anspruch ein: Fette, breite Musik, in der sich die Musiker als vor Selbstbewusstsein strotzende Platzhirsche stilisierten.

Doch spätestens seit der Cloud Rap vor ein paar Jahren zu mehr als einer bloßen Nische der besonders drogenverliebten Musikhörer wurde, hat sich das geändert. Diese Schlafzimmer-Laptop-Produktionen klingen zierlich, auch wenn sich die darauf wahlweise rappenden oder sich an nur zu erahnenden Melodielinien entlanghangelnden Akteure weiterhin für den Nabel der Welt halten. Die Attitüde dabei ist eine andere: Rebellion heißt heute, auf Fragilität setzen. Und damit rebelliert man bestens gegen Trump und all die anderen in ihrer selbst diagnostizierten Mächtigkeit mächtig albernen, alten Männer.

Schon seit einigen Jahren arbeiten sich die gebürtigen Münchner Musikerinnen Ebow (rechts im Bild) und Nalan (links) daran ab. Man kennt sie entweder als Rapperin (Ebow) oder als Sängerin (Nalan), zusammen sind sie unter den Pseudonymen blaqtea und slimgirl fat die Gaddafi Gals. Da steckt der gestürzte alte Machthaber schon im Namen und die Single, die sie nun aus ihrer Debüt-EP veröffentlicht haben, schreibt das fort: „The Death of Papi“ setzt sich aus einem minimalen und vor allem klanglich hellen und beckenlastigen Beat zusammen, dem jeglicher Prollo-Punch abgeht. Dazu kommen eine simple Orgel und Horrorfilm-flirrende Synthies. Wer dieser Papi genau ist, dessen Tod da zum Thema wird und der im dazugehörigen Video äußerst modebewusst verscharrt wird, bleibt offen. Die Stimmen der beiden schwingen zwischen Rap und angesungenen Melodien darüber, vereinzeln sich und wagen sich natürlich weder zu konkreter Rap-Kaskade noch zu inbrünstigem R’n’B-Gesang. Wer den Gaddafi Gals begegnet, muss sich mit einer Ahnung dieser darunter liegenden Genres zufrieden geben, die Andeutung ist hier Auszeichnung genug.

Zusammen mit walter p99 arke$tra (auf dem Bild in der Mitte), der irgendetwas zwischen ominöser Eminenz im Hintergrund und Produzent ist, streben die Gals dabei nach der Weltherrschaft oder mindestens nach einem eigenen Parfum, das sie bei Erfolg dieses Projekts „GG“ nennen würden. Dahingehend hat sich an alter und neuer Pop-Attitüde also nicht viel verändert. In der Realität bedeutet dieses Projekt aber in erster Linie „häufige, wirre Emails und Nachrichten zur Organisation“, denn eine Pop-Karriere will geplant sein. Auch weil das „Konzepten“ in solch einem Projekt mindestens genauso wichtig ist wie das Komponieren und Texten. Denn nur durch die Verortung im richtigen Style kann der musikalischen Fragilität die nötige Kraft als ernstzunehmende neue Pop-Position verliehen werden. Da solche Konzepte aber in Deutschland und insbesondere in München immer noch sehr selten zur Musik hinzugedacht werden, ist die Aufmerksamkeit, die die Gaddafi Gals schon jetzt bekommen, groß. Der Musikexpress zählt sie zu den besten Newcomern 2018, das Hip-Hop-Genre-Mag „Juice“ beschreibt sie als die Zukunft. Und sie selbst arbeiten an ihrem Debüt-Album „Temple“.

Stil: Neo-Cloud R’nB Rap
Besetzung: Ebow, Nalan (Gesang, Songwriting)
Aus: München
Seit: 2015
Internet: www.facebook.com/gaddafigals


Text: Rita Argauer

Foto: Sophie Wanninger

Band der Woche: LCAW

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Seine Mutter und seine Schwestern sind in der Klassik unterwegs, aber Leon Weber alias LCAW zieht es in eine andere Richtung. Früher war der Musiker als House-DJ bekannt, nun wagt er sich mit Eigenkompositionen in die Popwelt vor.

Das Wort frühreif wird oft negativ verwendet. Man stellt sich einen Streber vor, der trotz geringer Erfahrung alles besser weiß und altklug kommentiert. Der Münchner Musiker, Produzent und DJ Leon Weber, alias LCAW, zeigt jedoch eine Art der frühen Reife, die ziemlich beeindruckend ist. Der 23-Jährige, der als House-Remixer von Indie-Tracks schon vor vier Jahren international bekannt wurde, veröffentlicht nun Ende März mit „Meet me in the Middle“ seine erste EP mit eigenen Tracks. Für die erste Single „Hummingbird“ konnte er die britische Sängerin Sophie Ellis-Bextor als Gast gewinnen. Die ist 38 Jahre alt und hatte 2001 mit „Murder on the Dancefloor“ ihren ersten Nummer-1-Hit. Dennoch hat man hier nicht das Gefühl, dass eine gesetzte Sängerin sich mit jugendlichem Produzenten verjüngen möchte oder dass ein junger Musiker versucht, den Stil eines erwachsenen Stars zu kopieren. In „Hummingbird“, einer leichfüßigen Disco-House-Nummer, treffen zwei Musiker auf gleicher Höhe aufeinander, auch wenn sie 15 Jahre Erfahrung trennen.

„Manchmal schreibe ich ein Lied und habe direkt eine Stimme im Kopf, die perfekt dazu passen würde“, sagt Leon. Als er an seiner EP arbeitete, war das mit der Stimme von Sophie Ellis-Bextor der Fall. Doch weil Leons Remixes eben da schon international erfolgreich liefen, befand sich der junge Musiker in der glücklichen Lage, die Person hinter der Stimme, die er im Kopf hatte, auch ganz reell anfragen zu können. Aufgenommen wurde der Song dann in einem Londoner Studio, in dem auch schon James Blunt oder Adele gearbeitet hatten. Herausgekommen ist eine ziemlich zugängige Pop-Nummer, deren Produktion reif und gesetzt wirkt. Da komponiert jemand, der sich handwerklich und stilistisch sehr sicher ist – obwohl das, neben ein paar Singles, das erste Mal ist, dass Leon mehrere selbstgeschriebene Songs gebündelt veröffentlichen wird. Für Leon ist dieser Song dabei auch der Beginn einer neuen künstlerischen Richtung. Man hört zwar seine Anfänge als House-Remixer durch, doch „Hummingbird“ ist ein richtiger Popsong, den er als „eine moderne Art von Disco und Funk“ beschreibt. Es hat in Leons Karriere allerdings ein bisschen Zeit gebraucht, bis es zu so einer Zusammenarbeit und dieser stilistischen Positionierung kommen konnte. Während er in seinen Remixes immer das musikalische Material anderer Künstler weiterverarbeitete, hat er hier selbst komponiert. Um damit in die Öffentlichkeit zu gehen, wollte und musste er sich sicher sein.

Schon 2014, als seine Laufbahn als DJ und Remix-Produzent bereits internationale Kreise zog, arbeitete er an Original-Tracks, also an Eigenkompositionen. Doch bis er diese für gut genug befand, um sie zu veröffentlichen, dauerte es. Da schwingt ein ziemlich hoher Anspruch an die eigene Musik durch, der vielleicht auch daher kommt, dass Leon von frühester Kindheit an mit klassischer Musik konfrontiert war. Seine Mutter und seine beiden Schwestern sind Berufsmusikerinnen in der Klassik. Leon selbst spielt Klavier und Cello, gewann den Wettbewerb „Jugend musiziert“ und spielte im Bundesjugendorchester. Für eine Karriere in der Klassik habe ihm das permanente Üben jedoch zu wenig gelegen, erklärt er. Sich aber in der Musik fest zu beißen, lange an etwas zu arbeiten und zu feilen, das ist – neben dem musikalischen Grundverständnis – wohl etwas, was er aus der klassischen Ausbildung mitgenommen hat. Gleichzeitig befähigt ihn nun genau das, Songs zu produzieren, die trotz seines Alters auf dem internationalen Pop-Markt bestehen können. 

Stil: Pop/House
Besetzung:
Leon Weber (Komposition, Produktion)
Seit:
2013
Aus:
München
Internet:
www.lcawmusic.com

Text: Rita Argauer


Foto: Yunus Hutterer

Band der Woche: The Sexattacks

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Ursprünglich wollten The Sexattacks nur eine Punkrock-Coverband sein. Doch schnell wird klar: Sie wollen dagegen kämpfen, dass „Populismus überzuschwappen droht und extreme Ansichten immer
mehr ohne Besinnung und Zurückhaltung nach außen getragen werden“.

Das nihilistische Rebellionsgenre Punkrock ist ganz schön alt geworden. In den Siebzigerjahren als pessimistische Antwort auf das Sechzigerjahre-Hippie-Glück atmete diese Musik noch den Geist der Jugend. Jetzt, 40 Jahre später, wirkt Punkrock manchmal etwas verkrampft, so wie ein ewig mahnender Erwachsener, der die zeitgenössischen Themen der Jugend nicht mehr nachvollziehen kann. Punk als Mode ist dabei sowieso völlig ausverkauft, Punk als Musik existiert in München gut in der Deutschpunk- und Hardcore-Szene. Melodischer, englischsprachiger Punk verwässerte seit dem Mainstream-Erfolg, den Green Day Anfang der Nullerjahre feierten, zunehmend.

Dazu passt auch, dass die Münchner Punkband The Sexattacks ursprünglich den Plan hatte, eine Punkrock-Coverband zu gründen. Das erscheint etwas absurd, sind doch Coverbands eben hauptsächlich dafür da, dass Musik bekannter Künstler entweder zum eigenen Vergnügen oder für Fans nachgespielt wird. Punk zu covern, lässt die Dringlichkeit der Rebellion gegen null gehen. „Schon bald haben wir gemerkt, dass wir sehr wohl selbst Songs in dieser Musikrichtung schreiben und unsere eigenen Geschmäcker und Themen einfließen lassen können“, erklärt das Quartett dementsprechend zur Bandgeschichte. Also begann die Truppe um Sänger Uwe Kriegbaum Punkrock, der sich an Bands wie Green Day oder Blink182 orientiert, mit der nötigen Hingabe ins Jahr 2012 zu transportieren. Da gründeten sie sich in ihrem Heimatort Penzberg. 2017 zeigte sich aber als das produktivste Jahr, in dem sie die EP „Secrets“ veröffentlichten. Darauf überrascht der Hochglanzsound. Klar, das ist schnelle Musik mit einem treibenden Schlagzeug und verzerrten Gitarren, doch von Produktionsseite aus klingt das mehr nach astreinem Pop als nach einer DIY-Kellerband. Ähnlich zeigt sich die ganze Reihe an Musikvideos, die sie bisher veröffentlicht haben. Ästhetisch glänzend, fast streberhaft umgesetzt, finden sich da der alte ironische Punkrock-Antistyle – weiße Hemden, schwarze Fliege – genauso wie Insignien wie ein altes Telefon, in das großgestisch hineingesungen wird, oder ein umgekehrtes Raumverständnis, wenn der Sänger an der Decke herumspaziert, wie im Video zum Song „Media“.

Doch Hochglanz wirkt hier nicht abschreckend. Sexattacks nutzen Mainstream-Ästhetik, Hochglanzproduktion und durchaus schon etwas abgetragene Symbole, um daraus eine brennend-euphorische neue Botschaft für sich zu formulieren. Musikalisch ist das nicht neu, aber mit gegenwärtigen Mitteln sehr gut umgesetzt. Und sie meinen es ernst: Wenn sie nicht an neuen Songs arbeiten, kümmern sie sich um Videos, organisieren neue Gigs, überlegen sich Inhalte für die sozialen Netzwerke. Und sonst hängen sie als Kumpels auf Probenwochenenden rum. Auch zeitlich eine Hingabe an die Musik, die das Gesamterscheinungsbild dieser Band so stimmig macht. Obwohl die Punkszene in den Münchner Clubs gerade eher zurückgedrängt sei, berichten sie von einer überwältigenden Publikumsresonanz. Sie wollen die Leute mitnehmen. Das einfach greifbare Auftreten hilft dabei genauso wie die hymnischen Melodien, die unter dem schnellen Punk-Gehacke liegen. Diese Band will gegen eine Gesellschaft rebellieren, in der „Populismus überzuschwappen droht und extreme Ansichten immer mehr ohne Besinnung und Zurückhaltung nach außen getragen werden“. Ihr Dagegen-Sein ist musikalisch jedoch mehr nachvollziehbar und offen als aggressiv. Und das ist 2018 sehr angebracht.

Stil: Punkrock
Besetzung: Uwe Kriegbaum (Gesang, Gitarre), Daniel Jocher (Gitarre), Markus Mund (Bass), Simon Kurz (Schlagzeug, Gesang)
Aus: München
Seit: 2012
Internet: www.thesexattacks.com

Text: Rita Argauer


Foto: Daniel Jocher

Band der Woche: Splashing Hill

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Pop gemixt mit den Klängen eines Klaviers ergibt den Musikstil von Splashing Hill: Piano-Pop. Der Gesang und die anderen Instrumente richten sich nach dem Tasteninstrument.

Klaviere sind nicht besonders gruppentaugliche Instrumente. Vielmehr sind diese riesigen Holzkästen so etwas wie die Platzhirsche unter den Tonerzeugern, die den Tonumfang eines ganzen Orchesters für sich einfordern und dementsprechend im Zusammenspiel eigentlich immer irgendein anderes Instrument stören. In der klassischen Musik gleicht ein Klavierkonzert deshalb kompositorisch auch mehr einem Kampf zwischen Orchester und Solist. Da Musik aber auch spannend wird, wenn nicht immer alles ganz harmonisch zugeht, liegt im Kampf um Frequenzen auch immer ein gewisser Reiz. Auch in der Popmusik ist der spürbar. Bands mit Klavier sind besonders. Dabei geht es nicht um Keyboards oder Synthesizer, die sind mehr das Gegenteil eines Klaviers: Denn deren flächige Klangfarben fügen sich meist wunderbar in den Rest der Band ein. Ein Klavier jedoch klingt auch ohne andere Instrumente hervorragend voll, vor allem wenn man es – wie ein Amanda Palmer bei den Dresden Dolls – wie eine Punkgitarre spielt. Wenn das Klavier sich allerdings in den (Rock-) Bandkontext einfügen soll, findet man es meist in ewig klimpernden aufgelösten Akkorden, so wie beim Britpop der Nullerjahre à la Coldplay oder Keane. Oder aber es verbreitet Spieluhr-Nostalgie im Walzertakt im Sinne Yann Tiersens.

Die Münchner Band Splashing Hill erschafft ihren Sound genau in der Mitte dieser beiden Ausprägungen. Aufs erste Hören irritiert das ganz schön. Das präsente und rhythmisch meist auch recht rasende Klavierspiel von Sänger Benedikt Becker klingt gleichzeitig altbacken und ungewohnt. Ständig klimpert es in dieser Musik, das Instrument macht seinem Platzhirsch-Image alle Ehre, denn die anderen Instrumente dieser mit Bass, Schlagzeug, Gitarre und einem weiteren Keyboard eigentlich recht üppig besetzten Band spielen da zwangsläufig immer die Begleiter-Rolle. Doch lässt man die Musik von Splashing Hill ein wenig laufen, gewöhnt sich das Gehirn an das ungewöhnliche Klangbild und plötzlich tauchen Strukturen, Gefühle und Differenzierungen im Soundwust auf. „Unser Stil entstand aus jahrelangen Experimenten und über viele Umwege“, erklären sie dazu. Etwa planten sie einst ihre Musik etwas elektronischer zu gestalten, seien aber letztlich wieder zu ihren Ursprüngen zurückgekehrt: „Wir hatten über die Jahre versucht, mit der Zeit zu gehen und modern zu werden, erkannten dann aber bald, dass wir uns damit keinen Gefallen tun“, sagen sie und klingen dabei etwas großelterlich. Doch in der Musik löst sich dieser sich selbst treu bleibende Ansatz ein. Hier kämpft keiner mehr gegen das Klavier, vielmehr stünde das „Klavier klar im Vordergrund“, erklären sie.

Alle spielen also dem Klavier hinterher. Auch Benedikts Gesang. So lässt sich etwa der Song „Napoleon“, zu dem die Band gerade ein neues Video veröffentlich hat, erst mal gut Zeit, bevor der Gesang überhaupt einsetzt. Und da wird dann auch hörbar, dass diese Musiker sich gut kennen und sich seit zehn Jahren aufeinander abstimmen. Schon zu Schulzeiten haben sie sich kennengelernt und gemeinsam in Coverbands gespielt. 2018 wollen sie nun mit neuen Songs ins Studio gehen. Und der Plan klingt extrem. Denn Keyboarderin Susanne Augustin hat ebenfalls eine klassische Klavierausbildung. Also kündigen sie ein Set-up von zwei Pianos, einer cleanen Gitarre und seit neuestem auch noch einer zusätzlichen Trompete an. Doch Mozart komponierte im Übrigen auch ein Orchesterkonzert mit zwei Solo-Klavieren. Das klingt üppig, wird aber doch häufig aufgeführt. 

Stil: Piano-Pop
Besetzung: Benedikt Becker (Gesang, Klavier), David Steinbauer (Gesang, Gitarre), Susanne Augustin (Gesang, Keyboard), Martin Ritter (Bass), Vincent Becker (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2012
Internet: www.splashinghill.com

Text: Rita Argauer


Foto: Fritz Bielmeier

Band der Woche: Paar

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Die Musiker von Paar geben nicht nur sich verschlossen, sondern auch ihre Musik. Kommen sie aus ihrem Versteck, erwartet die Zuhörer ein Minimalismus mit feinen Melodien.

Das zeigen die Post-Punker am 19. Januar in der Roten Sonne, wenn sie ihr erstes Musikvideo vorstellen.

Sich richtig zu verstecken, ist eine Kunst. Vor allem in der Kunst- oder Musikwelt. Denn wenn ein Musiker nicht nur und ausschließlich für sich Musik machen will, muss er irgendwann aus seinem Probenzimmer herauskommen und das Versteck verlassen, damit ein potenzielles Publikum die Möglichkeit hat, die erschaffene Kunst wahrzunehmen. Andererseits sind zu offensichtliche Anpreisungen der eigenen Kunst immer latent unsympathisch. Derjenige, der seinem Hörer via Kunst zubrüllt, wie toll er ist und dass man ihn doch bitte anhören möge, erreicht damit oft das Gegenteil. Das richtige Maß an Verstecken will also gelernt sein. Besonders dann, wenn einen noch nicht so viele Menschen kennen. Denn eine derart konsequente Öffentlichkeitsvermeidung, wie das etwa Radiohead seit einigen Jahren betreiben, kann man sich auch nur leisten, wenn ein prinzipielles Interesse an der Band bereits vorhanden ist.

Die Münchner Band Paar kennen noch nicht so viele Menschen. Deshalb ist der Weg des Versteckens bei dieser Band auch besonders ausgeklügelt. Denn der Wille, eigentlich nicht mit marktschreierischem Pop-Appeal aufzutreten, ist bei diesem Trio besonders ausgeprägt. Rein gar nichts, was über die Musik und die kunstvoll an deren Ästhetik angepassten Fotos hinausgeht, lässt diese Band nach außen. Sängerin Ly Nguyen sowie die beiden Instrumentalisten Rico Sperl und Matthias Zimmermann geben sich verschlossen, sie sind genauso wie ihre Musik. Sie übernehmen die Maschinen-Fixierung der Industrial- und Drone-Szene, wenn den Song „To have and to hold“ als Titelbild eine Detailaufnahme eines Krans ziert; mächtig, roh und düster und natürlich in Schwarz-Weiß. Die Musik dazu ist minimal arrangiert: einzelne Bass-Töne, leicht verzerrt, dazu ein Feedbacksirren, ein stumpfes Schlagzeug und langsam voranschreitende Rhythmik. Ly singt dazu mit dunklem Timbre von Verlust. Doch Paar haben es eben doch recht gut raus, bis zu welchem Grad sich das Verstecken lohnt. Denn ihre Musik hält trotzdem genug Inhalt bereit, um den Hörer zu binden. So liegen in ihrem Minimalismus feine Melodien, „There is someone who cares, with a heart of gold“ singt Ly dazu passend später im Song. Das goldene Herz musikalisch hörbar zu machen, das ginge zu weit, doch die Ahnung davon liegt in der Musik – vor allem auch in den mehr treibenden Songs, deutlich inspiriert vom Postpunk der Achtzigerjahre, voller Hall, Noise und Echo und dennoch mit einem nicht unerheblichen Maß an Pop-Appeal.

Seit 2016 spielt das Trio zusammen. Angefangen haben sie als ein reines Internet-Computer-Projekt, weil die Bandmitglieder in verschiedenen Städten lebten. Und obwohl sie jetzt alle in München wohnen und proben, blieb das Kühle und Distanzierte in den Songs bestehen. 2017 veröffentlichten sie eine EP, die Produktion einer zweiten haben sie für dieses Jahr geplant.

Die Verschlossenheit ihrer Ästhetik kommt gut an. Vor allem in den Kreisen, die sich dem Mainstream per Lebeneinstellung verschließen. Die folgen Paar gerne in den Nebel, den sie als Bühnenshow genauso einsetzen wie in ihrer Musik. So begleiteten sie etwa die Verleihung des „zwei:eins“-Kunstpreises in der Akademie der Bildenden Künste oder spielten in einem opulenten Saal im Hotel-Projekt Lovelace. Das beschert Paar nicht nur recht dekorative Bandfotos, wenn sie – verschlossen und schwarz gekleidet – in imperialem Ambiente stehen, sondern auch eine gewisse Aufmerksamkeit. Am Freitag, 19. Januar, präsentieren sie ihr erstes Musikvideo in der Roten Sonne. 

Stil: Post-Punk
Besetzung: Ly Nguyen (Gesang), Rico Sperl (Bass, Drum Machine, Synthesizer), Matthias Zimmermann (Gitarre)
Aus: München
Seit: 2016
Internet: www.paarmusic.bandcamp.com

Text: Rita Argauer


Foto: Michele Di Dio

Band der Woche: Swan Valley Heights

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Stoner-Rock ist das Genre des Trios Swan Valley Heights. Ihr Sound ist eine psychedelisch-einlullende Art der Rockmusik.  Auch wenn in München keine Hitze herrscht wie dort, wo der Musikstil herkommt, bringt die Band das Gefühl rüber, als wäre man in der Wüste.

Es ist schon interessant, wie eindeutig manche Musikstile geografisch verortet sind. In der alpinen Musik klingen etwa die Hörner, weil sich eben so Töne gut über das Echo der Gipfel hinweg tragen. In Osteuropa wird eher in Moll gespielt, wenn man tanzt, gerne auch mal in Taktarten, die für Mittel- und Westeuropäer scheußlich zu zählen sind, weil die alles, was über Dreiviertel- und Viervierteltakte hinaus geht, nicht im Rhythmusgefühl haben. In den USA ist die geografische Verortung der Musik im Country wiederum textlich ausgesprochen präsent. Wie gerne wird da doch ein bestimmte Stück Land als Sehnsuchts- und Heimatort besungen. Der etwas biedere und patriotische Aspekt, der da mitschwingt, ist eigentlich viel zu altbacken, um so etwas wie Pop-Appeal zu entwickeln. Doch irgendwo zwischen Country-Rock und der Verweigerungshaltung des Punks konnte sich in den USA der Stoner-Rock als Musikstil entwickeln. Der geografische Sehnsuchtsort ist hier dementsprechend etwas unwirtlich: Denn im Stoner-Rock dient die Wüste und all die darum gesponnenen Assoziationen – von lethargischer Hitze bis Goldgräber-Romantik – als Verortung.

Dass München eine sehr vitale Stoner-Rock-Szene hat, parallel zu der Kaliforniens, verwundert erst einmal. Doch Colour Haze, die sich 1994 gründeten, legten wohl den Grundstein dafür, dass heute Bands wie die Swan Valley Heights in München einen Sound produzieren, der all die trockene Hitze in sich trägt, die in München nur herrscht, wenn alle paar Jahre durch ein seltenes Wetterphänomen ein bisschen Sahara-Sand durch die Stadt weht.

Bei den Swan Valley Heights, die seit 2014 zusammen spielen, treffen verlangsamte Hardrock-Gitarrenriffs auf ein schleppendes Schlagzeug und einen rollenden Bass. Der Klang ist warm, die Verzerrungen gehen nie ins Kreischende. Wer Stoner Rock richtig spielt, erschafft eine psychedelisch-einlullende Variante der Rockmusik, die den Druck, aber nicht die Aufregung herkömmlicher Rockmusik vermittelt. Den Swan Valley Heights gelingt das so, dass man das Gefühl hat, die drei Musiker verbringen einen großen Teil ihrer Zeit damit, in staubigem Sand herum zu liegen und Whiskey zu trinken.

„Stoner-Rock ist als Genre viel umspannender, als man vielleicht denkt“, erklärt Gitarrist und Sänger David Kreisl. Ihm sei es dabei wichtig, ein wenig mit den Klischees dieses Genres zu spielen und zu versuchen, andere Einflüsse zuzulassen, denn „Stoner kann auch schnell eintönig werden“, sagt er. Ein bisschen von diesem Witz und vor allem der Selbstreflexion dringt dann auch auf dem ersten selbstbetitelten Album des Trios durch. Nicht nur wenn das zweite Stück – völlig unpassend für den Wüsten-Kosmos – den Titel „Alaska“ trägt. Musikalisch ist dieses Stück auch prompt ein bisschen schneller und ein bisschen drängender. Und spätestens wenn David dann mit einer verhallten und ein bisschen unterkühlten Stimme zu singen beginnt, zerschellen die Macho-Klischees des Stoner-Rocks deutlich an der Zerbrechlichkeit, mit der er die Stimme in die Musik setzt.

Ähnlich positioniert sich David auch in seiner Textarbeit: Er schreibe über Themen, die ihm wirklich wichtig seien: „Wir alle investieren zu viel in das Ganze und mir ist die Musik viel zu wichtig, um am Ende von Brüsten und Autos zu singen.“ Die Szene für Stoner-Rock ist dabei für eine Nische doch recht groß – die Swan Valley Heights waren schon zwei Mal auf Deutschland-Tour. Nun wollen sie sich ihrem zweiten Album widmen.

Stil: Stoner-Rock
Besetzung: David Kreisl (Gitarre, Gesang), Andy Heib (Schlagzeug, Keyboards), Chris Schmidt (Bass)
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.swanvalleyheights.bandcamp.com

Text: Rita Argauer


Foto: Agathe Riener, Hunger und Simmeth GmbH

Band der Woche: Call it a Wasteland

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Call it a Wasteland hat „nie versucht, nach einer Band zu klingen oder in eine Musikrichtung zu passen“.
Ihr harter Musikstil passt zu ihren emotionalen Themen: Verlust, Hass und Schmerz.

Orakel zu sein, ist heute keine Kunst mehr. Zumindest nicht, wenn das Orakel die Pop-Trends der kommende Jahre voraussagen soll. Denn mittlerweile funktioniert die Erschaffung einer Pop-Gegenwart mittels der Ästhetik der Vergangenheit überraschend verlässlich. Vor ein paar Jahren, auf dem Höhepunkt des Achtzigerjahre-Revivals, äußerten ein paar kühne Kulturpessimisten, dass nicht etwa im Anschluss wieder irgendjemand nach einer neuen Ästhetik forschen würde, sondern dass – schön chronologisch die Vergangenheit abschreitend – schon bald die Neunzigerjahre zurück in die Zukunft kehren werden. Die Modewelt war dann anschließend mal wieder der Pionier, der Baby-Doll-Kleidchen, Karohemden und Doc-Martens-Schuhe zurück an den modernen Großstadt-Menschen heftete. Und nun taucht nach und nach der passende Soundtrack zur Neunzigerjahre-Retrotopie auf: Gitarrenfokussiert und authentizitätsverliebt klingen derzeit einige Bands, was unter diesem Aspekt ein wenig paradox erscheint, weil die große Wut der Grunge-Bands ja gerade deshalb so authentisch wirkte, weil sie nach einem Jahrzehnt popmusikalischer Reduktion mittels Künstlichkeit überraschte. Aber eine gewisse Wut und Wucht kann man auch wieder ganz gut brauchen. Inwiefern die ein authentischer Ausdruck einer im Ganzen derzeit recht braven Jugend ist, sei mal dahingestellt.

Lieber hört man die Münchner Band Call it a Wasteland. Da tönt schon der Name, dass man hier nicht gedenkt, sich mit hübsch-braver Indie-Musik auszuruhen. Dementsprechend brechen die Gitarren im ersten Track der im Oktober veröffentlichten Debüt-EP des Trios mit unverhohlenen Metal-Anleihen herein. Denn das muss man sich bei aller Zerbrechlichkeit, die etwa die Musik von Nirvana trotz der Wucht hatte, bewusst machen: Grunge und Alternative setzen sich im Prinzip aus Hardrock, Metal und Punk zusammen. Und Call it a Wasteland setzen genau da an. Auf den für die Trio-Besetzung aus Gitarre, Bass und Schlagzeug erstaunlich dichten Sound singt die Gitarristin Tooney Pham mal entspannt und mit warmen Timbre, mal hymnisch und zweistimmig mit dem Bassisten Johannes Rest und mal drängend und brechend an der Grenze zum Schreien. Das erinnert an Bands wie Veruca Salt oder Soundgarden. Und vielleicht auch an Queen Adreena, allerdings waren die exzessiver.

Doch die drei Musiker von Call it a Wasteland, die jetzt alle Mitte 20 sind, wurden gerade geboren, als der Grunge seine Hochphase hatte. Und das ist vermutlich der Grund, warum die Musik von Call it a Wasteland nicht nach einer vergangenheitsbesoffenen Cover-Band klingt. „Wir haben nie versucht, nach einer Band zu klingen oder in eine Musikrichtung zu passen“, erklären sie. Sie haben sich über einen Facebook-Post von Tooney gefunden, als sich deren vorherige Band aufgelöst hatte. Der härtere Musikstil ergibt sich auch aus dem Themenspektrum, das sie kreativ bearbeiten: „Die Songs kreisen hauptsächlich auf emotionaler Ebene um Dinge wie Verlust, Hass, Schmerz und eine Fuck-You-Attitüde.“ Und in manchen Stücken ihrer EP „Neurocytes Collide“ gelingt es ihnen herrlich, sich aus bisweilen etwas vorhersehbaren Strukturen zu lösen und ganz anhand der von ihnen gesetzten Themen zu musizieren. Etwa im Song „Ghosts“, dessen Gitarrenlinien zu Beginn ein wenig in die Indie-Ecke kippen, der sich aber dann in einer ewigen Steigerung zu einem spukenden Geisterstück aufschwingt. In Tooneys Stimme ist dann ein Streben zu hören, von dem man mehr hören will. Jetzt planen sie erst einmal Konzerte zu spielen, etwa am Donnerstag, 4. Januar, mit weiteren Rumpel-Gitarren-Bands im Münchner Club Rumours. 

Stil: Grunge/Alternative
Besetzung: Tooney Pham (Gesang, Gitarre), Johannes Rest (Bass, Gesang), Julian Heller (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2015
Internet: www.callitawasteland.bandcamp.com

Text: Rita Argauer


Foto: Benedikt Rest

Magische Momente, authentische Auftritte

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Welche Musiker fallen in München auf? Jeden Montag stellen wir auf der Junge-Leute-Seite die „Band der Woche” vor. Zehn Bands, die in den vergangenen Monaten von sich reden machten, stehen nun zur Wahl für die „Band des Jahres” – ein Überblick:

Für Pop aus München sind wir regelmäßig unterwegs: Wir schauen bei den Konzertbühnen dieser Stadt vorbei. Wir besuchen Proberäume und durchkämmen das Internet. Von daher wissen wir meist, welche Bands in München auffallen und von welchen Bands man in Zukunft hören wird – nachzulesen jeden Montag in unserer Rubrik „Band der Woche“. Ende des Jahres gehen wir einen Schritt weiter. Wir haben zehn Bands, die uns in diesem Jahr aufgefallen sind, ausgewählt für die Wahl zur „Band des Jahres“. Die Facebook-Abstimmung läuft bis Ende Januar. Hier die zehn Bands im Überblick:

Matija
Indie-Pop

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Das Gefühl kennen die Musiker noch aus ihrer Anfangszeit, als sie sich noch The Capitols nannten: Die Stimmung im Münchner Club Strom kocht, junge Frauen stehen in der vordersten Reihe und schmachten den Frontmann an, der sich betont cool inszeniert; der Traum von präpotenten Jungs. Neu ist: Sänger Matija, nach dem jetzt die Band benannt ist, wird gerade auf den Armen der Fans durch die Halle getragen. Matija wird als das nächste große Münchner Indie-Ding gehandelt. Die Songs haben Hit-Potenzial, poppige Melodien treffen auf einprägsame Gitarrenriffs – die Fanliebe scheint nicht zu erlöschen.
Foto: Rue Novelle


Klimt
Soul-Pop / Singer-Songwriter

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„Um sich weiterzuentwickeln, muss man manchmal allein sein.“ Das sagt Verena Lederer, Sängerin von The New Colossus, die man mittlerweile viel häufiger mit ihrem Soloprojekt Klimt auf Münchens Bühnen bestaunen kann. Melancholische Melodien am Klavier treffen auf eine soulige Stimme, verraucht und auch ein bisschen verrucht, brechend, aber dennoch immer sicher. Um sich weiterzuentwickeln, muss man auch Risiken in Kauf nehmen. Dieses Jahr hat die 25-Jährige ihre Festanstellung als Beauty-Redakteurin gekündigt, um Musik zu studieren. Foto: Ar Hart

King Pigeon
Indie-Pop

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Das Atomic Café gibt es nicht mehr. Das ist schade. Aber immer wieder tauchen junge Musiker auf den Münchner Bühnen auf, die in dem ehemaligen Britpop-Club ihre musikalische Unschuld verloren haben und dort mit der Musik sozialisiert wurden, die sie heute selbst spielen. Bei King Pigeon heißt das: treibendes Schlagzeug samt Bass, funkig-kratzige Gitarrenriffs, ein etwas aufgerauter Grundklang, melodiöser Gesang und vor allem live viel Druck und Energie. Dazu erzählen die Musiker etwas vertrackte Liebesgeschichten. Wie damals im Atomic Café – nur hier von Dauer. Und das ist gut so. Foto: Sebastian Menacher

Ni Sala
Bluesrock

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Auf einmal steht die Welt Kopf. Auf dem Boden sind ein Schlagzeug, der Bass, die E-Gitarren zu sehen, an der Decke hängen auf diesem Bandfoto die Musiker. Oder anders herum. Eine Täuschung, und das passt sehr gut zu Robert Salagean. Vor noch gar nicht so langer Zeit wollte er weg aus München, weg aus dem spießigen Deutschland mit all seinen Verpflichtungen. Längst ist er wieder zurück – mit neuer Musik und seiner neuen Band Ni Sala, die diese Stadt um einiges spannender macht: Post-Weltenbummler-Bluesrock mit ausladenden Hippie-Phrasen und fetten Gitarren-Riffs. Foto: Luis Zeno Kuhn

Liann
Singer-Songwriter

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Kilian Unger ist alles, nur kein Punkrocker. Als Singer-Songwriter nennt er sich Liann, er singt deutschsprachige Lieder, einfache, aber poetische Texte über sein Viertel, seine Freunde, seine Kindheit, seine Kneipen. Sein Auftreten, seine Texte, seine Musik – all das macht Liann zu einer Figur, die nicht unnahbar erscheint. Ein bisschen holt er so eine nostalgische Schlager-Ästhetik in den Indie-Lifestyle. Authentisch könnte man das aber auch nennen – ein Wert, für den Plattenfirmen viel Geld ausgeben, eine Ausstrahlung, die man zum Glück nicht kaufen kann. Mit seinem Lied „Eismann“ hat er zum Beispiel das Herz von Sportfreunde Stiller-Manager Marc Liebscher berührt, es folgten Auftritte im Vorprogramm der Sportfreunde und der Rapperin Fiva. Aber auch sein Auftritt beim Festival „Sound Of Munich Now“ war umjubelt – auch von Tobias, Gitarrist der Punkrock-Band Todeskommando Atomsturm. An sich höre er nur Punkrock, sagt der, aber die Musik von Liann, „die hat mich berührt“. Foto: Victoria Schmidt

Beta
Hip-Hop

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Weg vom Wilde-Kerle-Image, raus aus der Komfortzone. Als nach dem dritten Album – der Debüt-Platte bei Sony – die Karrierechancen von Exclusive eher als gering eingeschätzt wurden, starteten Schlagzeuger Christian Rehländer und Bassist Markus Sebastian Harbauer mit der herrlich störrischen Hip-Hop-Band Beta. Eine Bandbesetzung aus Gitarre, Bass, Elektronik und Schlagzeug trifft dabei auf den Aggro-Berlin-sozialisierten Rapper Sebastian Grünwald. Funk-Licks, dröhnende Elektro-Bässe und Gitarren-Soli sind genauso Teil des Konzepts wie Raps und die dem Hip-Hop so eigene Überheblichkeit: „Ich hab’ lieber kein Style als Dein’ Style“, lautet die erste Punchline, mit der das Quartett aufbricht und die konsensverwöhnte Münchner Szene ein bisschen aufwirbelt. Das macht in erster Linie großen Spaß und kann erfolgreich werden – im kommenden Jahr gehört die Aufmerksamkeit trotzdem wieder Exclusive, die jetzt doch eine weitere Platte bei dem Major-Label veröffentlichen. Foto: privat

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Eliza
Alternative-Pop

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Feen-Pop mit sphärischen Klängen. Melancholischer Alternative, märchenhaft und düster, laut und leise, süß und sauer. Die Musik von Eliza verbindet Elemente, die auf den ersten Eindruck nicht zusammenpassen – und doch öffnet sich mit jedem Song eine gewisse Magie, vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein. Im Mittelpunkt steht Sängerin Elisa Teschner. Auf einem der Bandfotos steht die Sängerin in schwarz-rotem Spitzen-Outfit vor einem See, gesäumt von Tannen und einem etwas verhangenen Himmel – „Game of Thrones“ lässt grüßen. Dieses groß angelegte Fantasy-Reich findet sich auch in der Musik – und muss jetzt noch den Weg aus dem Labyrinth finden. Dafür setzt die Musikerin auf Neuausrichtung: In der zweiten Jahreshälfte 2017 wurden der Produzent und Musiker ausgetauscht, die Musik klingt nun elektronischer. Dementsprechend wird sich 2018 auch abseits der Musik einiges ändern. Es soll einen neuen Look geben, verspricht Elisa. Und auch der Bandname wird sich verändern, Eliza heißt dann were here. Foto: Conny Mirbach

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Paul Kowol
Singer-Songwriter

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Die Namensänderung ist noch nicht vollzogen. Aber da sich neben Gerald Huber (Cat Sun Flower, Triska) nun auch Sportfreunde-Manager Marc Liebscher um die Zukunft von Singer-Songwriter Paul Kowol kümmert, wird das nicht mehr lange dauern. Liebscher ist ein Freund prägnanter Bandnamen, so wurde aus Spunk später die erfolgreiche Formation Fertig, Los!, und aus der List-Nachfolgeband die Combo 50/50. Das ist alleine schon deswegen erwähnenswert, weil sich Paul Kowol als Künstler schon einprägen soll, wenn seine Songs im Radio gespielt werden – und das wird wohl in nicht allzu später Zukunft passieren. Paul Kowol umgarnt mit klassischen Popsongs und überbordenden Liebesliedern sein Publikum. Der Grat ist schmal, auf dem er sich bewegt, er macht Mainstream-Musik, die auch nichts anderes als das sein will. Doch sein musikalisches Niveau ist hoch. Er lässt seinen Gesang vom Singen ins Erzählen kippen, so etwas kann man nicht trainieren, so etwas kann man nicht lernen. Das ist ein Grundgespür, das hoch begehrt ist. Zuletzt kamen immer wieder Produzenten für ein paar Tage in einen Münchner Vorort, um mit Paul an Songs zu arbeiten, um Songs aufzunehmen. Bald soll es an die Öffentlichkeit gehen. Der zuletzt favorisierte Bandname: Paul. Einfach und prägnant. Foto: Walter Hämmerle

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Swango
Hip-Hop

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Es lässt sich jetzt nicht überprüfen, aber vielleicht ist Swango in China die erfolgreichste Münchner Band – zumindest, was die Anzahl der verbreiteten Videos betrifft. Und das kam so: Die drei Musiker von Swango spielten diesen Jahr beim Festival „Sound Of Munich Now“. Die Besucher lauschten dem mitreißenden Hip-Hop der Band und wunderten sich, woher der Beat kommt. Links auf der Bühne stand Skill-Gott Heron, ein Stepptänzer und in diesem Fall ein menschlicher Beat-Generator. Das hat man in München zuvor nicht gesehen, ebenso wenig die Gäste aus Hongkong – erstmals spielten internationale Bands bei diesem Festival. Die holten bereits beim Soundcheck ihre Kameras hervor und drehten Videos von den Rap-Stücken mit der Stepp-Einlage, die vielleicht seitdem in China viral gehen. Aber Swango ist mehr als eine musikalische Zirkusnummer. Mänekin Peace, englischer Muttersprachler, ist einer der besten Rapper Münchens, flankiert durch Akustikgitarre und Stepp-Beats kommt sein Ausnahmetalent umso mehr zur Geltung. Foto: David Weichelt

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Chaem
Art-Pop

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Zwischen diesen beiden Momenten liegt fast ein Jahr: Im Januar stand die Musikerin Chaem auf der Bühne im Muffatwerk, sprang als Sängerin von Flor and the Sea barfuß über die Bühne, eine Pop-Elfe. Nun, im Dezember ihr erster Auftritt mit ihrem Soloprojekt. Nein, sie steht in ihrem roten Kleid nicht starr auf der Bühne – sehr präsent ist sie, aber bei weiten nicht mehr so ausgelassen wie früher. Das liegt auch an ihrer Musik, die man derart vertrackt und gleichzeitig modern selten in München erlebt. Ihr Elektro-Pop ist versponnen, unter vereinzelte Klavier-Klänge legt sie Beats. Keine schnellen Beats. Vielmehr zähmt Chaem die Drum ’n’ Bass-Beats und fügt sie ganz zärtlich zu den harmonisch suchenden Akkord-Welten hinzu. Und auch ihren Up-Tempo-Song „Carrousel“ bremst sie. Die Ausgelassenheit wird nur angedeutet, aber am Ende bleibt die Melancholie. Foto: Christin Büttner

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Text: Rita Argauer und Michael Bremmer

Band der Woche: Agency

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Die fünf Jungs von Agency kennen sich von klein auf und machen nun zusammen Musik. Musik, bei der die Musiker und das Publikum darin schwelgen können. Eine klassische Indie-Band ist das Quintett trotzdem nicht:
„Prinzipiell ist es doch einfach schön, wenn man als Musiker ein Publikum erreichen und bewegen kann.“

Es gibt zwei Arten von Musikern. In der Popmusik genauso wie in der Klassik oder im Jazz. Da gibt es diejenigen, die Musik machen, weil sie den Moment genießen, wenn die Musik aus ihnen heraus entsteht und den Musiker klanglich und räumlich umhüllt. Und es gibt diejenigen, die den Prozess dessen, was sie da gerade machen, in die Musik mit einfließen lassen. Rein von der Seite der Kritik her gesehen, sind Zweitere klar im Vorteil. Die Interpretation der Kunst wird in der Kunst quasi gleich mit geliefert. Wenn dieses Konzept aufgeht, entstehen tolle, um sich selbst herumkreisende, intelligente Kunstwerke. In vielen Fällen aber entsteht auch nur augenzwinkerndes, unangreifbares und langweiliges Zeug, dessen Geistesblitze nicht hell genug sind, für die bleierne Schwere, die sich durch dieses mehrfach gedrehte ironische Aufladen um die Kunst herum legt. Gerade in Deutschland gibt es seit circa zehn Jahren Musik, die bisweilen regelrecht versinkt in derartigen postironischen und unangreifbaren Windungen.

Die Münchner Band Agency ist von der anderen Sorte. Ihre Musik wird geschrieben, damit die Musiker beim Musizieren darin schwelgen können, genauso wie im Idealfall das Publikum. Erst einmal muss man dem Quintett also einen gewissen Mut zusprechen, dass sie ohne doppelten Boden agieren. Seit 2015 spielen sie in dieser Formation zusammen, kennen sich von Kindheit und begeben sich völlig ernst und nicht referenziell auf die Suche nach klanglichen Details, die ein derartiges Schweben in der Musik begünstigen: Up-tempo-Gitarren-Pickings und Gesangslinien, die mehr als dahingeworfene Wortbrocken sind zum Beispiel. Oder Melodien, die ihren Linien und Phrasierungen alle Ehre machen, weil sie tatsächlich ein harmonisches Ziel verfolgen, das letztlich eben zu einer musikalischen Erfüllung führen kann. Auf ihrer ersten EP „Streetlights“ gehen Agency genau diesen Weg: Inspiriert von den Indie-Bands der frühen Nullerjahre finden sich darauf fünf Songs. Jeder für sich sucht und findet eine musikalische schlüssige Linie. Die Band um Sänger Alex Hackinger macht sich dabei die Mühe, auf musikalische Einfälle zu setzen und nicht auf Zitate oder Versatzstücke und all diese anderen postmodernen Stilmittel, die nun nach 30 Jahren Postmoderne auch ein bisschen zum Handwerkszeug verkommen sind.

Man macht sich jedoch auch angreifbar mit einer solchen Herangehensweise. Denn natürlich hat man das alles so schon mal gehört. Agency erfinden keinen neuen Musikstil. Und sie sparen es sich, ein Sicherheitsnetz aus Ironie und Referenzbewusstsein um ihr Kunstwerk spinnen. Die Kunst, in der man schwelgen soll, liegt entblößt da und muss sich Fragen nach ihrem Inhalt und ihrer Qualität gefallen lassen. Doch Agency gehen damit ganz gelassen um: „Prinzipiell ist es doch einfach schön, wenn man als Musiker ein Publikum erreichen und bewegen kann. Deshalb sehen wir das nicht so eng mit Klassifizierungen“, erklären sie, auch dazu, wie man sich als klassische Indie-Band heute positioniert. „Viele unserer Songs beschäftigen sich mit dem Aufwachsen und Älterwerden, Freundschaft spielt eine große Rolle, aber auch andere Alltäglichkeiten, die uns im Leben beschäftigen“, sagen sie, und einige Songs hätten auch durchaus eine politische Botschaft. 

Stil: Indie
Besetzung: Alexander Hackinger (Gesang), Julian Hackinger (Gitarre), Maximilian Vogel (Gitarre), Philipp Kostanski (Bass), Franz Niedermaier (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2015
Internet: www.agencymusic.de

Text: Rita Argauer

Foto: privat

Band der Woche: Manatees Fight Club

Manatees Fight Club hat sich sowohl dem Grunge als auch dem Indie verschrieben. In ihren Songs mischen sie soziale Themen mit surrealen Szenen, denn “der Spaß sollte bei der Musik nie fehlen und ein bisschen Selbstironie hat noch keiner Band geschadet”.

Dass Popmusik richtig lustig wird, ist selten. Außer im Hip-Hop, der es durch seine bisweilen sowieso recht theatrale Form ermöglicht, dass die Musiker auf der Bühne zu Kunstfiguren werden. Im Indie-Rock hingegen ist Humor, vor allem einer, der sich auch einmal gegen den Künstler selbst richtet, eher schwierig. Denn Indie möchte den Hörer berühren, ihn mitnehmen, sein Seelenleben durchrütteln. Dass einem Künstler, der sich selbst nicht ernst nimmt, so etwas gelingt, ist außergewöhnlich. Doch im Grunge gab es Anfang der Neunzigerjahre Bands, denen das gelang. Etwa Nirvanas wesentlich unbekanntere Zeit- und Stilgenossen Mudhoney oder die Supersuckers schafften es, sich selbst auf die Schippe zu nehmen und dabei gleichzeitig zu vermitteln, dass sie es mit ihrer Musik durchaus ernst meinen.

Nun ist in München eine Band aufgetaucht, die als Selbstbeschreibung einen Text aus dem Kindler Tier-Lexikon wählt: „Manatees (zu deutsch Manatis) sind Säugetiere und gehören zu den Seekühen. Sie sind sehr friedliche, neugierige und zutrauliche Tiere. Ihr Leben besteht aus Essen, Schlafen und mit Artgenossen Schmusen“, schreibt die Band Manatees Fight Club auf ihrer Homepage. Doch Kuschelrock hat hier keiner zu erwarten, denn folglich seien diese süßen Seekühe für die fünf Musiker die richtigen Lebewesen, die sie in die Kampfarena illegaler Tierkämpfe schicken würden. Zumindest mit ihrem Bandnamen und dem Bandlogo, in dem eben jene Tiere in blutrot gefärbtem Wasser zum Zweikampf antreten.

Willkommen in dem schrägen Universum, in dem sich das Quintett stilistisch positioniert. Sänger Michael Seitz und Gitarrist Felix Weißl sind für die Texte verantwortlich. Soziale Themen wie Straßenarmut oder Depression mischen sie mit absurden Songideen und surrealen Szenen: „Der Spaß sollte bei der Musik nie fehlen und ein bisschen Selbstironie hat noch keiner Band geschadet“, erklären sie. Doch wenn man das dann als eine Mischung aus Grunge und den Libertines musikalisch vorgetragen hört, zeigt sich die Kehrseite: Schwere und verlangsamte Gitarrenriffs treffen auf tief-röhrenden Gesang, Moll-Harmonik und Mitteilungsbedürfnis brechen sich an zur Schau gestellter Slacker-Attitüde und einer zelebrierten Outsider-Rolle. Die Musik von Manatees Fight Club schwingt permanent zwischen Würde und Loser-Einstellung. Das führt zu einer Ironie, die der von Becks Slacker-Hymne „Loser“ sehr viel näher ist, als den ironischen Distanzierungen, die die Popwelt von 2000 an erfuhr.

Drei Songs haben Manatees Fight Club, die sich Anfang 2017 in ihrer jetzigen Besetzung zusammenfanden, bislang aufgenommen. Die Musik ist präsent und drückend produziert. Derzeit suchen sie ein Label und planen, ein Album aufzunehmen. Doch neben dieser klassischen Herangehensweise drückt auch da wieder dieser spezielle Humor aus postpubertärem Jungswitz und einer wohltuenden Verweigerungshaltung durch: „When you go out, don’t be yourself“ singen sie und schreiben Nirvanas Wunsch „Come as you are, as you were, as I want you to be“ weiter. Dabei halten sie sich nicht mit Kleinigkeiten auf, sondern veröffentlichen ein Manatees Fight Club Memory-Spiel zum Ausdrucken, das sie mit einer ähnlichen Vehemenz bewerben wie ihre Musik.

Stil: Grunge/Indie
Besetzung: Michael Scheitz (Gesang), Johannes Knebl (Lead-Gitarre), Felix Weißl (Rhythmus-Gitarre), Martin Berger (Bass), Bernhard Geiger (Schlagzeug)
Aus: München/Altötting
Seit: 2017

Text: Rita Argauer

Foto: Michael Scheitz