Unsere Autorin hat sich für diese Woche ein hübsches „Kopf-Ausschalt-Programm“ zurecht gelegt, um Unistress und Herbstblues ein wenig zu entfliehen. Zum Beispiel Kunst auf der Praterinsel oder im Farbenladen und ganz viel Tanz im Kafe Kult, der Milla oder im MMA.
ChristinaNefzger ist Vorsitzende eines Jugendzentrums für junge Lesben und Schwule in München – ihre Aufgabe: Vorurteile abbauen. Dafür geht sie auch in Schulklassen.
Auf den ersten Blick wirkt es wie eine eigene Welt. Eine Welt, in der ein Schwulenwitz nach dem anderen fällt und jeder lacht. Eine Welt, die man über einen dunklen Hinterhof und einen regenbogenfarbenen Gang betritt. Keine Welt der Hetero-, sondern eine Welt der Homo-, Trans- und Bisexuellen. „Diversity“ nennt sich in München das LesBiSchwule Jugendzentrum. Hier sind sie unter sich. Auf den zweiten Blick aber erfährt man, dass die jungen Münchner, die hier an der Bar stehen, aufräumen wollen – mit Vorurteilen gegen Schwule und Lesben. Mit Vorurteilen gegen sie selbst. Sie wollen nicht in einer eigenen Welt leben.
Christina Nefzger gehört in diese Welt. Sie ist 20, natürlich, sportlich und hübsch. Keine Kampflesbe – ein häufig verwendeter Ausdruck. Darauf, dass sie sich in Frauen und nicht in Männer verliebt, deutet nur der kleine Anhänger um ihren Hals. Da sind sie wieder: die Regenbogenfarben. Sie erzählt vom Jugendzentrum, in dem sie Vorsitzende ist, und vondiversity@school, dem Projekt, bei dem sie sich zusammen mit ein paar anderen aus dem „Juze“, wie sie es nennt, vor Jugendgruppen und Klassen stellt, dorthin, wo es junge Lesben und Schwule ihrer Meinung nach im Alltag oft am schwersten haben. Die anderen, das sind mal mehr, mal weniger. Sechs, sieben Leute bilden den festen Kern. Alle sehr nett und vor allem offen.
„Das muss man auch sein“, meint Christina, „die Kids müssen ja Vertrauen zu uns fassen.“ Vertrauen fassen wozu? Wie funktioniert diversity@schoolüberhaupt? Als die junge Frau anfängt zu erklären, merkt man, dass ihr diese Arbeit viel Spaß macht. Ab der siebten Klasse veranstalten sie Workshops. Egal welche Schulform. Wichtig: Lehrer müssen draußen bleiben. „Wir wollen erst rausfinden, was ihre Einstellungen und Meinungen zu Schwulen und Lesben sind.“ Und dann dürfen die Schüler Fragen stellen. Auf Zetteln. Anonym. Es geht um das Coming Out, was die Eltern darüber denken, und die Frage, wie eigentlich lesbischer Sex funktioniert. Schüler formulieren diese Frage derber: „Heißt das, du lässt dich in den Arsch ficken?“ – auch auf solche Fragen folgen Antworten. „Eigentlich sind wir ganz froh, wenn die Jugendlichen nicht so ganz korrekt sind“, und während Christine spricht, bleiben ihre Hände nie ruhig, „dann sehen wir wirklich den Erfolg. Am Ende finden uns alle cool!“ Sie lacht, verlegen. Hannes, einer der anderen, fügt hinzu: „Manche Gymnasialklassen dagegen nerven – die sind oft so pseudo-politisch korrekt!“
Aber es gibt auch Grenzen, Fragen, auf die man nicht antwortet – „ob wir Referenten miteinander schlafen zum Beispiel“. Oder Argumente, über die sich nicht mehr argumentieren lässt. „Bei Religion ist das so“, wirft Antonia ein. Letztens habe sie so etwas erlebt, der weitere Referent war krank, ganz allein habe sie vor der Klasse gestanden, vor ihr die Schüler, zwei von ihnen extrem homophob. „Irgendwann kamen sie mit dem Koran an.“ An Antonias Augen erkennt man, dass es sie getroffen hat. „Gegen das Argument, das dies laut Religion verboten ist, kommt nicht mal mehr Menschlichkeit an. Und so koran- oder bibelfest bin ich eben nicht.“ Genau für solche Situationen treffen sich die Leute von diversity@school immer wieder, egal ob gleich nach dem Workshop oder später im Jugendzentrum, darüber zu reden ist ihnen wichtig.
„Meistens nehmen wir das Ganze aber eigentlich ziemlich locker“, sagt Christina, grinst und erinnert die Gruppe an ein paar Jungs aus einem Jugendzentrum. Nach ihrer Beschreibung waren sie wohl welche von der ganz harten Sorte, und alles andere als „voll schwul, ey“. Als der Workshop dann vorbei war, wollten sie „mal vorbeischauen“. Und auch wenn die Kerle durch und durch hetero waren, habe ihnen der Abend dann doch gefallen, „im Jugendzentrum bei den Homos“, wie sie es genannt haben. Sind die alten Vorurteile erst einmal verflogen, verflüchtigt sich auch das Gefühl, dass das LesBiSchwulen Jugendzentrums nicht offen ist für andere. „Auch Heteros sind bei uns immer herzlich willkommen“, sagt Christina, die regelmäßig ihre Mitbewohnerin – nicht lesbisch – zum Bar-Abend mitnimmt.
Und trotzdem bleibt das Gefühl, dass das nicht ganz zusammenpasst: das eigene Jugendzentrum mehr oder weniger nur für Homosexuelle und gleichzeitig der Anspruch, dass die Vorurteile gegen sie verschwinden sollen. Kann man sich denn isolieren und integrieren zugleich? „Die Frage ist uns nicht unbekannt“, entgegnet Christina, „und wir stellen sie uns auch selbst.“ Bei der Antwort darauf sind sich im Grunde alle einig, Toni spricht es aus: „Es ist wie ein Schutzraum, man stellt fest, dass man nicht allein ist – und so gewinnen wir alle Selbstbewusstsein.“ Selbstbewusstsein, das sie nach außen ausstrahlen und ohne das sie wohl nicht so sicher vor Schülern auftreten könnten, wie sie es jetzt tun. Als dann die letzte Frage im Raum steht, sitzt Christina mit angewinkelten Beinen auf der Bank. Sie überlegt. Kann es denn eine Welt ohne Vorurteile gegen Homosexuelle geben? „Ja“, antwortet sie dann, „irgendwann sicher.“