Zeichen der Freundschaft: Logik, Wein und Utopie

Einen Weinkenner im Freundeskreis zu haben, das ist eine klasse Sache. Wenn dieser Freund auch noch Menschenkenner ist, dann umso besser. Unsere Autorin erzählt über Hass-Liebe-Freundschaften und logische Lösungsansätze für Utopien.

Irgendwann um fünf Uhr morgens fahren wir rechts ran.
„Herzerle, wir sind da. Gehört der Bub‘ da zu dir?“ Ich sprinte bis nach vorne
zum Fahrersitz. „Na Gott sei Dank“, rufe ich erleichtert und bedanke mich bei
meinen Busfahrern für die Fahrt. Nach meinem Fauxpas an der kroatischen
Grenze, einem sechzehn stündigen Aufenthalt in Slowenien und der endgültigen Heimfahrt
zurück nach Bayern, stehe ich nun in Hippie-Hose, ungeschminkt an einer
Raststätte kurz vor Rosenheim. Jean nimmt mich in den Arm, drückt mir einen
großen Cappuccino mit Sojamilch in die Hand, lässt sich vom Busfahrer meinen
Koffer überreichen und wir steigen zusammen ins Auto.

„Nun ja, nicht die beste Reise deines Lebens Anastasia. Aber
hey, du kannst eine gute Geschichte mehr erzählen“, scherzt Jean. “Ganz ehrlich? Ich glaube, dass es irgendeinen Grund gibt, weshalb das schief ging. Das wäre sonst einfach nur unlogisch.” Ich muss ihm Recht geben. Auch wenn ich mich selbst nicht auf Logik berufen will, eine gute Geschichte ist es auf jeden Fall. Und mit Sicherheit gibt es einen Grund für meinen gescheiterten Kroatien-Trip. Dennoch bin ich gerade zu müde, um darüber nachzudenken weshalb ich gerade einen halben Tag in einem schäbigen, slowenischen Motel verbringen musste. „Du hast Recht“, sage
ich, „auf eine Woche Partyurlaub hatte ich sowieso wenig Lust. Wie wäre es
stattdessen mit ‘nem Weinabend kommende Woche?“

Gesagt, getan. Der Begriff „Weinabend“, klingt in vielen
Ohren nach Alte-Leute-Spaß, nach etwas, das meinen Eltern gut gefallen könnte.
Allerdings steckt dahinter gar nicht so viel mehr, als Grillen mit Freunden und
eben viel guter Wein. Damit kennt sich Jean nämlich aus. Er würde niemals
irgendeinen Billig-Fussel trinken. Wir beide bevorzugen Rotwein. Trocken,
versteht sich. Diese Abende enden jedes Mal sehr ähnlich: Hitzige Diskussionen
über Politik und Tierhaltung, gespickt mit den immer gleichen und dennoch
lustigen Anekdoten aus der gemeinsamen Oberstufenzeit.

Wie diese Hass-Liebe-Freundschaft zwischen Jean und mir
begonnen hat, das wissen wir beide auch nicht mehr so genau. Auch sonst niemand aus dem Freundeskreis, noch nicht einmal seine Freundin Lotte, meine
Kippen-Kaffee-Kränzchen-Partnerin, kann sich daran erinnern oder sich diese Freundschaft erklären. Witzes halber behaupten
wir oft, uns gar nicht zu mögen. Schließlich gehen wir uns eh ständig auf die
Nerven und mit unseren Albernheiten auch vielen anderen Leuten.

Desto später der Abend, desto müder die Gäste. Lotte
verabschiedet sich mit einem Kuss von ihrem Freund und ich nehme sie noch einmal
fest in den Arm. Schließlich bleiben nur noch Jean und ich tapfer sitzen und
trinken ein letztes Glas Rotwein. Während ich von meiner Vorstellung einer
utopisch-guten, sozialien Welt erzähle, er über meine Naivität lachend
den Kopf schüttelt und wir beide uns fragen, wo wir und unsere Freunde in etwa
zwanzig Jahren stehen, fällt mir mal wieder auf, wie gut er mich kennt. Ich
erzähle nie zu viel, zumindest nicht, wenn’s um die wichtigen Dinge geht. Ich
bin kein offenes Buch und manchmal gar nicht so leicht zu ertragen. Allerdings ist Jean nicht nur Wein- sondern auch Menschenkenner. Ich brauche nie viel zu reden,
er versteht mich auch so. Jean weiß immer den einzig logischen Weg, der mich zu den Antworten auf meine Fragen führt. Weil ich aber kein großer Freund von Logik bin, vertraue ich viel lieber auf seine Fähigkeiten als Weinkenner. Das kann manchmal ebenso gut helfen wie logisches Denken und erschafft zusätzlich bunte Utopie-Bilder in unseren Köpfen.

Text: Anastasia Trenkler

Foto:
Yunus Hutterer

250 Zeichen Demokratie: Heute mit Alex Döring

Am 24. September ist Bundestagswahl. Wir haben politisch engagierte
junge Erwachsene gefragt, warum es gerade für junge Menschen so wichtig
ist, wählen zu gehen. Heute mit Alex Döring.

„Ich
bin kein Fan davon, Nichtwähler grundsätzlich zu verurteilen und als
kurzsichtig, fahrlässig oder desinteressiert zu bezeichnen. Nichtwählen kann
durchaus eine legitime Protestform sein. Trotzdem glaube ich, dass eine
Protest-Nicht-Wahl weniger bewirkt als eine Protest-Wahl.“

Alex Döring, Comedian

Foto: Jean-Marc Turmes

250 Zeichen Demokratie: Heute mit Julio Pires

Am 24. September ist Bundestagswahl. Wir haben politisch engagierte
junge Erwachsene gefragt, warum es gerade für junge Menschen so wichtig
ist, wählen zu gehen. Heute mit Julio Pires.

“Nichtwählen heißt
"weiter so”. Brexit, Polen, Ungarn dürfen uns nicht kaltlassen –
Europa braucht Visionen, statt alter Leute, die nur reagieren. Klimapolitik
statt Dieselgate. Sich heute engagieren, wählen gehen, statt morgen nur
beschweren. #future"

Julio Ramos Pires,
Vorstandsmitglied der Münchener Gesellschaft zur Förderung akademischer
Simulationen e.V, Mitglied der Projektgruppe National Model United Nations

Foto:

H. Pires

250 Zeichen Demokratie: Heute mit Sophie Hemmer

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Am 24. September ist Bundestagswahl. Wir haben politisch engagierte junge Erwachsene gefragt, warum es gerade für junge Menschen so wichtig ist, wählen zu gehen. Heute mit

Sophie Hemmer, Vorsitzende des Jungen
Forums der Gesellschaft für Außenpolitik

“In 40% der Länder unserer Erde herrscht
immer noch keine parlamentarische Demokratie. Gerade die Jugend dieser Staaten
sehnt sich nach freien Wahlen. Nutze dein Wahlprivileg in Deutschland und
bestimme mit, wer uns zukünftig in der Welt repräsentieren wird.” – Sophie Hemmer, Vorsitzende des Jungen
Forums der Gesellschaft für Außenpolitik

Foto: Matthias
Rüby

Mein Freund Cem


Livia Kerp ist mit ihren 15 Jahren wahrscheinlich die Jüngste der großen Münchner Bloggerszene. Sie berichtet
nicht mehr über Nagellacke – sie schreibt über politische Themen: aus Sicht einer Jugendlichen.

Livia Kerp ist klein, trägt ein bodenlanges Jerseykleid und hat ihre blonden Haare zu einem Half Bun gebunden, wie es zurzeit Trend ist. Eigentlich sieht sie aus, wie Achtklässlerinnen eben aussehen. Doch in ihrer Handtasche trägt sie außer den Schulbüchern auch einen kleinen Laptop, damit sie überall schreiben kann. Denn Livia ist Bloggerin – mit ihren 15 Jahren wahrscheinlich die jüngste der großen Münchner Bloggerszene – und schon ziemlich erfolgreich: Im Mai war sie für den Isarnetz Blog Award 2017 nominiert und innerhalb von nur zwei Jahren wurde „Livias Life Is Style Blog“ mehr als 1,4 Millionen mal aufgerufen, nicht zuletzt dank der Video-Empfehlungen von den Comedians Harry G. und Bernhard Hoëcker.

Außer den beiden hat die extrovertierte Junior-Bloggerin bereits Dutzende Personen aus dem öffentlichen Leben interviewt, darunter den Schauspieler André Dietz, „Die Lochis“, den Olympiasieger Florian Hambüchen und Politiker wie Cem Özdemir (Die Grünen), Christian Lindner (FDP) oder den österreichischen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). „Livia fragt nach“ heißt die Rubrik, in der die Bloggerin über politische Themen schreibt – aus Sicht einer Jugendlichen.

Nachfragen? Politik? Mit 15?
Angefangen habe es mit ihrer Liebe zu Nageldesign und Fashion, die besonders durch ihre modebewusste Großmutter geprägt worden sei, sagt Livia. „Ich habe auch mit 13 schon viele Modeblogs gelesen, einer meiner Favoriten ist bis heute ,Nachgestern ist vormorgen‘.“ 2015 sei sie dann auf die Idee gekommen, selbst einen Blog ins Leben zu rufen. Zunächst googelte Livia, die der Generation Z angehört und schon von klein auf mit dem Internet aufgewachsen ist, welche Blog-Domains es gibt und welche besonders leicht zu handhaben sind. Beim Einrichten ihrer Blogspot-Seite half dann ihr Vater: „Meine Eltern haben mich von Anfang an bei meinem Vorhaben unterstützt, sie hatten mich ja schon früh über die Schattenseiten des Internets aufgeklärt“, sagt Livia.

Ursprünglich sollte es auf ihrer Seite um Nagellacke und Styles gehen, bis ihr nach einigen Beiträgen bewusst wurde, dass das „total unnötig ist“, räumt Livia ein wenig beschämt ein. Daraufhin ist sie dazu übergegangen, Jugendbücher oder -serien zu rezensieren und andere Blogger zu interviewen – ein Schachzug, der ihr schnell eine enorme Reichweite verschaffte.

Geschrieben hat sie schon immer sehr viel, sagt Livia, meistens Geschichten über Situationen aus ihrem Alltag. Darum geht es unter anderem auch auf ihrem Blog: die adäquate Höhe des Taschengelds, den neuesten Disney-Film, die besten Eisdielen. Themen, die Jugendliche eben bewegen. Doch Livia ist sehr wissbegierig und vielseitig interessiert – auch an Politik.
 Der Auslöser dafür seien die Nachrichten gewesen, die ihr Vater mit ihr schauen wollte. „Zunächst hatte ich darauf gar keine Lust“, gesteht Livia. Aber dann habe sie sich darauf eingelassen und begonnen, sich mit den Informationen auseinanderzusetzen und sich eigene Meinungen dazu zu bilden: „Ich habe richtig gemerkt, dass etwas in meinem Kopf passiert – und dass ich auch selbst etwas bewegen kann und will.“ Seitdem schreibt sie auch über gesellschaftspolitische Themen wie Umweltschutz, Flüchtlinge oder das Wahlrecht ab 16.

Sie recherchiert alles genau und hat einen Artikel verfasst, in dem sie die Haltungen der einzelnen Parteien zu diesen Punkten beleuchtet: „Ich möchte die politischen Themen gerne so darstellen, dass auch Jugendliche sie verstehen“, sagt die junge Bloggerin, die auch renommierte Politiker nach ihren Standpunkten dazu befragt. An den Anfrage-Mails feile sie immer ziemlich lange, aber bisher habe sie nur Zusagen bekommen: „Alle Politiker haben mir sofort geantwortet – im Gegensatz zu einigen Promis!“ Livia erzählt von der harten Abfuhr, die ihr das Management von Elyas M’Barek erteilte, als sie nach einem Interview mit dem Schauspieler fragte. Solche Enttäuschungen erlebe man als Blogger immer wieder, sagt Livia, aber sie lasse sich davon nicht entmutigen. Vielmehr fühle sie sich dadurch bestärkt – vor allem, wenn andere Interviewpartner, wie etwa Cem Özdemir, richtig entgegenkommend sind. „Trotzdem bin ich vor Telefon-Interviews mit Politikern extrem aufgeregt, darum lege ich dann immer ein Skript vor mich, auf dem ich genau notiert habe, was ich wann sage oder frage“, verrät sie.

Natürlich schreibt sie nicht nur über ernste Themen, denn Abwechslung findet sie auf einem Blog sehr wichtig – doch sie würde gerne mehr Teenager zum Nachdenken anregen: „Die meisten in meinem Alter interessieren sich mehr für YouTuber als für Politik. Das finde ich sehr schade, schließlich geht es um unsere Zukunft!“ Livia zieht eine Liste mit Politikern hervor, die sie noch interviewen möchte: Katarina Barley, Peter Tauber. Sie findet, mit der Politik ist es wie mit einer neuen Sprache: Je mehr Vokabeln man gelernt hat, desto mehr versteht man und desto mehr Spaß macht sie. „Es gibt aber auch einige Kinder, die unbedingt etwas für die Welt tun wollen. Darum fände ich es toll, wenn man schon mit 16 wählen dürfte.“ Livia, die selbst viel reifer wirkt als 15, wüsste schon, wen sie bei der Bundestagswahl im Herbst wählen würde.

Auch in ihrer Kolumne beim Münchner Samstagsblatt schreibt Livia über stadtpolitische Themen, etwa über den Straßenverkehr, das Isarwerk 1 oder die Situation der Flüchtlingsunterkünfte in München.

Schule hat für Livia absolute Priorität, doch ihre größte Leidenschaft gilt neben Hip-Hop-Tanzen dem Schreiben – womit sie auch andere ansteckt: „Eine Freundin von mir würde gerne einen Reiseblog gründen, aber sie befürchtet, dass sie das regelmäßige Bloggen nicht durchhalten würde.“ Livia selbst verbringt mindestens drei bis vier Nachmittage pro Woche in ihrem Stammcafé am Max-Weber-Platz, um Artikel zu schreiben. Die veröffentlicht sie dann diszipliniert jeden Freitag, Samstag und Sonntag. „Ich könnte es nicht bringen, nichts mehr zu posten. Und solange das neben der Schule noch geht, will ich unbedingt weiter bloggen“, sagt Livia. Allerdings nur als Hobby – denn beruflich hat sie ganz andere Pläne: Sie möchte Kinderpsychologin oder Grundschullehrerin werden, „auf jeden Fall was mit Kindern“, sagt sie.
 In eine andere Stadt zu ziehen kommt für das Münchner Kindl nicht in Frage: „Für mich ist München die schönste Stadt der Welt, es gibt in jedem Stadtteil immer etwas Neues zu entdecken!“ Was, das kann man auf ihrem Blog oder in ihren Kolumnen nachlesen.

Text und Foto: Anna-Elena Knerich

Der Hitze zum Trotz

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Am letzten Tag der Ausstellung der SZ-Junge-Leute-Seite im Farbenladen herrschten beinahe subtropische Temperaturen – dennoch sorgten eine Politikdiskussion und Musik von Matthew Mathilda und Xavier Darcy für ein volles Haus.

Am Ende war es dann noch einmal richtig voll im Farbenladen –
auch wenn die Sonne ihr bestes gab, um die Leute fern zu halten. Aber was ist
schon die Sonne gegen die Stimmen von Matthew Austin und Xavier Darcy? Gegen die
letzte Möglichkeit, die fantastische Ausstellung „München im Quadrat“ zu
bestaunen?

Einer, der richtig gefesselt von den Bildern war, war Kytes-Sänger Michi Spieler. Auf Grund
einer umfangreichen Tour schaffte er es erst am letzten Tag der Ausstellung,
endlich alle Bilder von allen Fotografen mit allen Models zu sehen: „Die Bilder
sind so cool, es gibt so viel zu entdecken. Ich musste wirklich mehrmals
durchgehen, um alle Facetten zu sehen.“

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Aber nicht nur Michi Spieler hatte sich gegen einen Besuch an der
Isar entschlossen, auch viele Besucher waren da und hörten gespannt Vertreterinnen
und Vertretern junger Organisationen zu, die darüber diskutierten, was man
gegen Politikverdrossenheit tun könnte. Alle drei Projekte vertreten dabei
einen ähnlichen, aber in der Ausführung unterschiedlichen Ansatz: Während Our
Impact und das Projekt „Denkende Gesellschaft“ auf den Dialog setzen und
Menschen zum Nachdenken über Politik und Wählen animieren wollen, möchte Pulse
of Europe zeigen, wie viel Begeisterung es für die europäische Idee und die
europäischen Werte in der Bevölkerung gibt. So waren sich dann auch alle Diskussionsteilnehmer
einig: Die junge Generation muss die Zukunft aktiv in die eigene Hand nehmen,
teilhaben und mitgestalten. Wie Clara Mokry, Mitinitiatorin von Pulse of Europe
auch sagte: „Es geht um unsere Zukunft!“.

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Wirklich beachtlich war, wie engagiert und interessiert das
Publikum an der Debatte teilnahm – schließlich konnte man die Luft im
Farbenladen euphemistisch bestenfalls als stickig bezeichnen. Dass das aber
allen egal war, lag nicht zuletzt an der Performance von Matthew Mathilda, die
in voller Bandbesetzung das Publikum mit ihrem atmosphärischen, immer leicht
melancholischen Bluesrock begeisterten.

Und dass Xavier Darcy – im Farbenladen ein alter Bekannter –
d die Öffnungszeiten etwas
überzog, nahm ihm auch niemand mehr übel. Im Gegenteil: Alle Besucher, alle
Teilnehmer, alle Fotografen, alle Models genossen diese letzten, musikalischen
Minuten der SZ- Farbenladenausstellung 2017. Bis sie mit dem letzten Akkord aus
Xaviers Gitarre ihre Pforten schließen musste – hoffentlich aber nur bis zum
nächsten Jahr.

Text: Philipp Kreiter

Fotos: Ornella Cosenza

Besser abstimmen

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Paul Other, 24, und Kerstin Zachau, 23, wollen mit ihrem Verein „Our Impact“ junge Menschen zum Wählen animieren.

Eigentlich schon fast klischeehaft: eine WG-Party in Thalkirchen. Acht Studenten leben hier, der Partykeller der WG „Die Basis“ ist gefüllt, laute Musik dröhnt über die Gespräche der Partygäste und mittendrin eine Diskussion über Politik und die Welt. Sechs junge Leute stellen fest, dass einiges passiert ist, bei dem junge Menschen die Möglichkeit gehabt hätten abzustimmen, etwas zu beeinflussen. Nur: Sie haben es nicht getan.

Aus einer Idee auf einer Party im Oktober 2016 ist nun der Verein „Our Impact“ entstanden. Dessen Ziel ist es, Politik greifbar zu machen und jungen Leuten zu zeigen, wie viel politischen Einfluss sie eigentlich haben können. Paul Other, 24, ist eines von sechs Gründungsmitgliedern des Vereins, Kerstin Zachau, 23, kam vor kurzem dazu. Der Verein besteht aus einer bunten Gruppe von zwölf Menschen im Alter von 17 bis 26 Jahren, manche gehen noch zur Schule, der Großteil studiert, unter anderem Geschichte, Jura, Geografie oder Soziale Arbeit. Die Motivation resultiert dabei vor allem aus persönlichen Erfahrungen. Politik hat Einfluss auf unser Leben, was Paul, der in Bochum aufgewachsen und nach dem Abitur nach München gezogen ist, früh gemerkt hat. Mit 16 Jahren, als er selbst das erste Mal wählen gehen durfte (in Nordrhein-Westfalen darf bereits mit 16 Jahren bei Kommunalwahlen gewählt werden), machte die Stadt Bochum mit einem Cross-Border-Leasing-Skandal Schlagzeilen. Während Skandale bei vielen zu Politikverdrossenheit führen, ging Paul mit Schulfreunden zu Vorträgen, in denen sich die Kandidaten für die nächste Wahl vorstellten, informierte sich und wollte mit seiner Stimme etwas verändern. 

Die Wahlbeteiligung unter jungen Menschen ist traditionell gering, erschreckend im Vergleich zu der Gruppe von Senioren. Our Impact möchte mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 bei jungen Leuten mehr Interesse schaffen und zum Wählen motivieren, aber vor allem auch vermitteln, dass die eigene Stimme zählt. Paul möchte Erst- und Jungwählern bewusst machen: „Wenn mehr junge Leute wählen würden, dann wären sie auch als Wählergruppe interessanter, man müsste auch für sie Wahlkampf betreiben und die Themen, die junge Leute interessieren, würden auch auf die Agenda kommen.“

Ein Projekt mit Studierenden der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) ist im Moment in Arbeit, in dessen Rahmen ein Film, der zum Wählen aufruft, entstehen soll. Our Impact sieht eine Social-Media-Kampagne aber nicht als Hauptmission, sondern möchte die Leute dort abfangen, wo sie sind: in Schulen, Berufsschulen und Fortbildungsseminaren im freiwilligen sozialen Jahr. Im ersten Schritt soll die Angst vor dem Wahlprozess genommen werden, denn wie Paul und Kerstin erklären, sei einer der Hauptgründe für das Nichtwählen unter jungen Menschen, dass sie nicht wissen, wie das technisch funktioniere. Auch wenn für so etwas eigentlich der Sozialkundeunterricht in der Schule da sein sollte, findet Our Impact, dass dies nicht genug sei. „Der Sozialkundeunterricht vermittelt zwar bereits sehr viel, motiviert aber nicht direkt zur Handlung“, sagt Kerstin. Die Themen, die Our Impact ansprechen, gehen aber über das Wählen hinaus. Paul findet: „Politik ist nichts Fremdes und Arkanes, das man nicht verstehen kann.“ Um Politik zu entmystifizieren, soll unter anderem gezeigt werden, wie der Arbeitsalltag eines Abgeordneten aussieht. Wenn viel Zeit ist, sollen die Klassen und Gruppen selbst aktiv werden, gemeinsam etwas erarbeiten, überlegen, was sie interessiert und wie Politik ihr Leben beeinflusst. 

Die Zielgruppe umfasst dabei bewusst nicht Studierende, in der Universität sei das Politische ohnehin schon viel präsenter. Den direkten Vergleich kann Paul, der vor seinem Studium eine Ausbildung zum Garten- und Landschaftsbauer gemacht hat, aus eigener Erfahrung ziehen: „Berufsschüler sind im Vergleich zu Studierenden weniger organisiert und unterrepräsentiert. Das sieht man zum Beispiel daran, dass diese kein Semesterticket oder keine subventionierten Mensen haben.“ Besser informiert zu sein, könne dies vielleicht ändern. Deshalb sollen hauptsächlich Schüler und Auszubildende angesprochen werden, denn in Pauls Augen werde politisches Engagement in Berufsschulen nicht so gefördert, wie an Gymnasien oder an Universitäten. Als Student stellt er fest: „Studieren ist ein Privileg und deshalb hat man auch die Pflicht, etwas zu machen.“ 

Bei Our Impact bringt jeder das ein, was er kann und möchte. Während Paul sich beispielsweise um die rechtlichen Sachen und die Außenkommunikation kümmert, bringt Kerstin Wissen aus ihrem Management-Masterstudium ein, wenn es zum Beispiel um den Außenauftritt geht. Kerstin hat ihren Bachelor an der Hochschule für Philosophie München gemacht, war dort in der Studierendenvertretung aktiv und hat sich sozial unter anderem bei einem Nachhilfeprojekt für Kinder mit Migrationshintergrund engagiert. Sie wurde vor kurzem von Paul für Our Impact rekrutiert: „Ich hatte immer das Gefühl, auch politisch was machen zu müssen. Und mir ist wichtig, dass meine Arbeit Menschen hilft, eben einen Impact hat“, sagt Kerstin.

Die Findungsphase von Our Impact ist vorbei, man ist sich einig, was man will und wie man das erreichen will. Jetzt freuen sich Kerstin und Paul auf die Umsetzung des ersten Projekts. Sie sind motiviert, aber gehen auch mit gesundem Vorbehalt an die Sache heran, wie Kerstin betont: „Ich glaube, wir haben da schon realistische Vorstellungen. Wir kennen das alle noch aus der Schule, wenn Leute kommen, die einem was erklären wollen. Da wird es vielleicht Rückschläge geben.“ Paul sieht der Reaktion der Schüler aber auch positiv entgegen: „Ich glaube, wenn man wirklich motiviert ist, dann merken das die Leute auch.“

Text: Gabriella Silvestri

Foto: Robert Haas

Weg vom Links-Rechts-Schema

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Ferdinand Riedl, 22, hat eine App entwickelt, die eine Diskussion ohne Vorurteile ermöglicht. Die Nutzer werden mit jemandem zusammen-gebracht, dessen Position von der eigenen abweicht – der Streit kann beginnen.

Ferdinand Riedl ist mitten in der Diskussion. Ruhig hört der 22-Jährige seinem Gegenüber zu, wägt ab und bringt sachlich seine Argumente vor. Es ist ihm wichtig, dass jeder seine Meinung sagen darf und alle Argumente ernst genommen werden – auch wenn das durchaus mal wehtun kann. Kontroverse Meinungen gehören da genauso dazu. Da kann es auch schon einmal passieren, dass man mit seinen Freunden fast aus einem Restaurant fliegt, weil die Diskussion so hitzig geführt wird. Meinungsfreiheit ist eben anstrengend, wenn sie gepflegt wird. Gut, dass Menschen wie Ferdinand das tun.

Aber der BWL-Student tut mehr, als nur im Privaten über Politik zu diskutieren. Er hat die App „Thesio“ programmiert, auf der sich Nutzer anonym und sachlich über Sachthemen austauschen und nach Möglichkeit kontrovers diskutieren sollen. Das Programmieren hat er sich selbst beigebracht und mittlerweile bereits eine Reihe von Apps entwickelt, etwa eine Zitate-App oder auch eine anonyme Frageplattform. Manche davon hat er schon wieder verkauft, außerdem entwickelt er Anwendungen für Unternehmen. Jetzt arbeitet Ferdinand mit seinem ganzen Einsatz an „Thesio“, „teilweise mehr als zwölf Stunden am Tag“, wie er sagt. 

Schon lange war er mit der Qualität der Diskussionen in Deutschland unzufrieden: zu oberflächlich, zu wenig konstruktiv aus seiner Sicht. Aber die Art und Weise, wie über die US-Wahl berichtet wurde, war für ihn der Auslöser, dass sich etwas ändern muss. Und dass endlich wieder Sachthemen im Mittelpunkt stehen müssen.

Doch wie soll die App genau funktionieren? Die Idee ist einfach: Nachdem ein Nutzer das Programm auf sein Smartphone geladen hat, beantwortet er zunächst einige Fragen zu seiner politischen Einstellung. Die Fragen sind bunt gemischt und gehen von der eigenen Parteipräferenz, über Einstellungen zu EU und Flüchtlingskrise bis hin zum Klimaschutz. „Ich will mich vom klassischen Links-Rechts-Schema möglichst entfernen und die Ideen in den Vordergrund stellen“, sagt Ferdinand über die Fragenauswahl. Danach werden die Nutzer anonym mit jemandem zusammen gebracht, dessen Position von der eigenen abweicht. Schließlich wird eines der Themen mit ausreichend großer Differenz vorgeschlagen: Nun soll eine sachliche Diskussion beginnen.

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Eine sachliche Diskussion? Über kontroverse Themen wie die Flüchtlingskrise? Und das alles noch anonym? „Ich weiß, dass es im ersten Moment naiv klingen könnte. Aber ich glaube, dass bei vielen Leuten der Bedarf da ist, aus der persönlichen Blase rauszukommen und konstruktiv zu diskutieren“, sagt Ferdinand. Er ist sich bewusst, dass sein Ansatz radikal ist. Aber der Student ist überzeugt, dass man nur dadurch wieder mehr Struktur in die Debattenkultur bringen kann – und verhärtete Fronten auflösen kann. Und selbstverständlich gibt es Mechanismen, die erlauben, einen Nutzer zu blockieren oder eine Diskussion sofort zu beenden, wenn man es möchte. Auch ein gegenseitiges Belohnungssystem für eine sachliche Situation ist implementiert, wodurch man sogenannte Awards sammeln kann. Die Idee ist, dass Nutzer auf der gleichen Stufe zusammengebracht werden, sodass man sich hocharbeiten kann und mit Diskutanten redet, die ebenso sachlich wie man selbst an die Sache rangehen.

Dabei ist Ferdinand die eigene Neutralität als Plattformbetreiber sehr wichtig. Gelöscht oder blockiert werden nur Nutzer, die strafbare Inhalte verbreiten oder anderen Gewalt androhen, alles andere ist in der Verantwortung der Nutzer. „Ich habe ein absolutes Verständnis der Meinungsfreiheit und würde nur in Ausnahmefällen eingreifen. Ich habe aber einige Mechanismen eingebaut, die den Missbrauch der Plattform verhindern“, sagt er dazu. Eine offene Diskussion ist eben wichtig, wenn das Konzept funktionieren soll.

Kann so eine App erfolgreich sein und tatsächlich den Diskurs in Deutschland verbessern? Unter Umständen schon, findet Ronny Patz vom Münchner Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaften: „Ich finde die Idee, Leute aus ihren Filterblasen zu holen und ihnen eine Art Testumgebung für ihre politischen Argumente zu geben, sehr gut. Die Frage ist aber, wie man die Nutzer dann auch längerfristig an die Plattform binden kann.“ Er glaubt, dass dabei weniger ein Belohnungssystem, als eher der tatsächliche Mehrwert für die User helfen könnte: „Gerade bei kleineren Differenzen oder Differenzen nur in einzelnen Politikfeldern kann die App eine Möglichkeit sein, tatsächlich gemeinsame Synthesen zu finden, die der bloße Austausch von Extrempositionen nicht bieten kann. Hier könnte dann ein echter Erkenntnisgewinn für die einzelnen Nutzer liegen.“

Auch Ferdinand selbst ist sich bewusst, dass es das Schwierigste sein wird, die Nutzer dauerhaft zu konstruktiven Diskussionen zu animieren. Deshalb soll so schnell wie möglich eine Funktion implementiert werden, die es erlaubt, die gewünschte Distanz zwischen sich und seinem Diskussionspartner zu bestimmen. Aber natürlich wird der tatsächliche Erfolg der Anwendung hauptsächlich vom Engagement der Nutzer abhängen – und von deren Bereitschaft, die eigene Komfortzone zumindest teilweise zu verlassen. Ferdinand glaubt fest daran, dass „Thesio“ ein Erfolg wird und etwas zur politischen Debattenkultur in Deutschland beitragen kann. Natürlich weiß er, dass „Thesio“ auch scheitern kann, aber daran will er gar nicht denken: „Vielleicht bin ich einfach ein Idealist.“

Wen Ihr Lust habt, noch weiter über die App zu diskutieren, freut sich Ronny Patz darüber mit Euch auf Twitter zu schreiben (ronpatz).
Thesio selbst bekommt Ihr im iTunes-Store oder im Google Playstore.

Text: Philipp Kreiter

Fotos: Florian Peljak

Neuland

Der Politik-Blog Actually Not lädt zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Irak und der Terrororganisation Islamischer Staat. „Ich will von Leuten, die Ahnung haben, wissen, was da abgeht", sagt Blog-Gründer Christoph Kürbel.

Das Team von Politik-Blog Actually Not (Foto: Jakub Rzucidlo) lädt ein, nicht nur virtuell über politische Themen zu diskutieren. Zu diesem Zweck bitten die Veranstalter am Dienstag, 23. September, ins Mixed Munich Arts zur Podiumsdiskussion „Irakkrieg Drei.Null“, bei der es um die Zukunft des Irak und die Verantwortung des „Westens“ um das Thema ISIS gehen wird. „Das Thema wird medial ziemlich ausgeschlachtet. Ich finde, dass die Darstellungen nur das aktuelle Geschehen beleuchten, aber nie wirklich den größeren Zusammenhang“, erklärt Christoph Kürbel, 26, einer der Gründer des Blogs. „Ich will von Leuten, die Ahnung haben, wissen, was da abgeht.“ Zu Gast sind Michael Birnbaum, langjähriger SZ-Auslandskorrespondent, Azad Yusuf Bingöl vom kurdischen Gesellschaftszentrum und Jan Svoboda, Junges Forum der Gesellschaft für Außenpolitik. Außerdem ist auch Krisenfotograf Hannes P. Albert da, der seine Bilder ausstellen wird. Gabriella Silvestri