Die einstige „Fertig, Los!“-Bassistin Julia Viechtl hat ein Retro-Synthiepop-Projekt aus der Taufe gehoben
Schlagwort: manic street parade
Es ist soweit: The Manic Street Parade 2016
Mehr Pop für die Stadt – das ist Julia
Viechtls großes Anliegen. Im Mai haben wir deshalb über sie und das von ihr
zusammen mit Andreas Puscher, Stefan Schröder,
Marc Liebscher und Fabian Rauecker organisierte erste Club-Festival Münchens
berichtet – am 8. Oktober ist es soweit!
Vier Monate sind seither vergangen, mittlerweile arbeitet Julia für
die Fachstelle Pop, einer neutralen Beratungsstelle der Stadt München für junge
Bands. Und sie organisierte die
Manic-Street-Parade, die zum ersten Mal im Schlachthofviertel in fünf verschiedenen Clubs
stattfindet. Für 25 Euro sind 13 Bands aus acht verschiedenen Nationen zu sehen, danach legen vier Münchner DJs bis in die frühen Morgenstunden auf.
SZ: Was für ein Gefühl ist es, den
fertigen Programm-Flyer für das Festival in den Händen zu halten?
Julia: Das ist ziemlich genial, weil es,
wie ich finde, ein sehr schönes Programm geworden ist. Wir stellen darin alle Künstler
vor, die auftreten werden, und begründen auch, warum wir genau sie nach München
eingeladen haben. Klangstof aus Holland, Jesse Mac Cormack aus Canada,
Carnival Youth aus Lettland. Aus München exklusiv dabei sind Fiva und die
Jazzrauschbigband.
SZ: Gab es noch Probleme bei der
Organisation?
Julia: Es ist natürlich unfassbar viel
Arbeit, ein neues Festival aufzuziehen, von dem noch nie jemand gehört hat. Es
gab den Moment, wo die Frage im Raum stand, das Ganze auf 2017 zu verschieben.
Da habe ich mich aber durchgesetzt und gesagt: Nein, das packen wir jetzt an. Da
die Manic Street Parade von jetzt an jedes Jahr stattfinden soll, können wir sie dann
ja beliebig ausbauen. Für Jahr eins mussten wir irgendwann den Rahmen
festsetzen, sonst wäre es ausgeufert – nicht noch mehr Bands, nicht noch mehr
Clubs. Ich glaube, so wie wir jetzt starten, haben wir eine gute Größe
gefunden. Die fünf Clubs sind alle gut zu Fuß erreichbar, sodass man sich
einfach treiben lassen und viele verschiedene Bands entdecken kann.
SZ: Wird der 8. Oktober, der
Festivalabend, für dich noch stressig sein? Oder wirst du ihn auch genießen können?
Julia: Ich denke, ich werde schon viel
rumhüpfen müssen. Ob ich dann tatsächlich in der ersten Reihe bei Klangstof
mitfeiern kann, wird sich zeigen. (lacht) Im Moment werde ich von Tag zu Tag
aufgeregter, aber der Abend wird bestimmt super.
SZ: Du machst nicht nur selbst Musik und
kümmerst dich im Moment ehrenamtlich um die Organisation des Festivals, du hast
auch deine Masterarbeit über das Konzept der „Music Cities“ geschrieben und die
Frage, was München noch braucht, um so eine Music City zu werden. Auf welche
Ergebnisse bist du gekommen?
Julia: Um eine Music City zu werden, muss
eine Stadt insbesondere auch die Musik, die im Moment neu entsteht, beachten.
Wichtig war für meine Arbeit daher zunächst, das Thema „Pop“, wie es
umgangssprachlich verstanden wird, aufzuarbeiten. Pop-Musik ist nicht das, was
viele mit Mainstream, Kommerz und Chart-Musik in Verbindung bringen, sondern
die Musik, die in der Gegenwart entsteht und deshalb einen Spiegel und
vielleicht das wichtigste Kommunikationsmittel der heutigen Gesellschaft
darstellt. Wenn man das einmal verstanden hat, dann wird klar, warum es mir um
die strukturelle Unterstützung von Musik und Kultur in allgemeinerem Sinne
geht. Dabei sind mit „Pop“ viele verschiedene Musikrichtungen gemeint.
SZ:
Wie kommst du darauf?
Julia. Ein guter Beleg dafür sind die
anonymisierten Fragebögen, die ich für meine Masterarbeit von Musikern und
Musikerinnen in München habe ausfüllen lassen. Innerhalb von zwei Wochen hatte
ich mehr 500 Antworten. Und das ist nur ein kleiner Teil der großen Szene. Auf
die Frage nach der eigenen Musikrichtung kamen bei diesen 500 Antworten mehr als 1500
Musikstile heraus. Es geht also heute nicht mehr so sehr darum, eine bestimmte
Richtung zu vertreten, um eingeordnet werden zu können. Wir haben hier in München
eine überwältigende Vielfalt und Offenheit. Aber an der strukturellen Unterstützung,
insbesondere daran, definitionsfreie Orte, Auftrittsmöglichkeiten und Proberäume
zu schaffen, muss verstärkt gearbeitet werden, damit diese Szene auch
sichtbarer werden kann. Ein erster Ansatz ist also die Wertschätzung und
Anerkennung dessen, was diese Kreativen für eine Wirkung auf die Stadt haben.
SZ: Du arbeitest seit kurzem in der
Fachstelle Pop der Stadt München. Wie kam es dazu?
Julia: Lustigerweise habe ich von der
Stelle über eines der Experteninterviews für meine Masterarbeit gehört. Ich
habe mich sofort beworben, weil ich das Gefühl hatte, das passt perfekt. Jetzt
bin ich total dankbar für diese Möglichkeit, weil ich dort genau mit dem Wissen
ansetzen kann, das ich mir durch meine Masterarbeit angeeignet habe.
SZ: Was genau wirst du dort tun können?
Julia: Die Fachstelle Pop sitzt im
Feierwerk und wird vom Kulturreferat der Stadt München finanziert. Wir sind da,
um die Popkulturszene in München zu fördern. Dabei geht es besonders um die
Kommunikation und Vernetzung der Szene. Wir arbeiten im Moment an einem
Konzept, um optimal als Schnittstelle fungieren zu können. Außerdem sind wir
da, um Musiker zu informieren. Vor allem, wenn man beginnt, eine Band
aufzubauen, sollte man bei uns vorbeischauen. Wir beraten nämlich neutral,
unabhängig und ohne Hintergedanken. So kann man sich informieren, bevor man
etwa irgendeinen Vertrag unterschreibt.
SZ: Wie soll es mit der Manic-Street-Parade
weitergehen?
Julia: Wir wissen schon, dass sie am
28.10.2017 das zweite Mal stattfinden wird, und danach jedes Jahr. Ich war gerade
auf dem Reeperbahnfestival in Hamburg und habe auch dort fleißig Programme und
Sticker verteilt, sodass spätestens im kommenden Jahr noch ganz viele Leute von
außerhalb nach München kommen werden.
Interview: Theresa Parstorfer
Foto: Stephan Rumpf
Mehr Pop für die Stadt
Julia Viechtl spielte für die Indie-Band „Fertig, Los!“ Bass und schreibt ihre Masterarbeit über München und seinen Weg zur „Music City“. Nun organisiert sie ein Club-Festival, wie man es aus Hamburg oder Brighton kennt.
Klein, schwarz, ein wenig zerknittert und mit weißen, schnörkellosen Kleinbuchstaben bedruckt – die Masterstudentin Julia Viechtl zieht einen Sticker aus den Tiefen ihrer bunten Tasche. Der hat ein wenig gelitten im Flugzeug aus London, aus dem die junge blonde Frau mit den blauen Augen vor kaum zwei Stunden gestiegen ist.
Auf dem schwarzen Zettel steht in weißer Schrift: „manic street parade“ 08/10/16“. Julia weiß, was das bedeutet. Im Gegensatz zu den Menschen, die diese Aufkleber seit einigen Wochen in München an den unterschiedlichsten Orten von Laternenpfählen bis U-Bahn-Rolltreppen gefunden haben könnten. Bisher ist das die einzige Werbeaktion, die Julia und ihre vier Kollegen Andreas Puscher, Stefan Schröder, Marc Liebscher und Fabian Rauecker – allesamt wichtige Namen in der Münchner Musik-Szene – mit ihrem Verein gestartet haben. Einem Verein zur Förderung der Popkultur in München, den sie eigens für die Organisation des Club-Festivals „manic street parade“ gegründet haben.
Club-Festivals gibt es mittlerweile in vielen Städten. Das Reeperbahnfestival in Hamburg ist wahrscheinlich das bekannteste in Deutschland. Julia kommt gerade vom „The Great Escape Festival“ in Brighton. „34 Mal“ unterstreichen will sie, wie unglaublich toll es da war, wie viel Input sie bekommen und wie viele neue Bands sie dort gesehen hat. „Es ist einfach wunderschön, wenn man in einem Moment eine Band aus Mali hören kann und dann geht man einen Club weiter und steht vor einem Singer-Songwriter aus Schweden“, sagt Julia. Sie kramt ein fingerdickes, ebenfalls leicht mitgenommen aussehendes Heft aus ihrer Tasche. Fünf Doppelseiten nimmt der „Stundenplan“ des Londoner Festivals in Anspruch.
Ganz so groß wird die „manic street parade“, die diesen Oktober zum ersten Mal – und danach jährlich – stattfinden soll, noch nicht sein. Aber es sollen auch internationale Künstler auftreten: Gebucht sind mittlerweile die Bands Carnival Youth aus Lettland, Avec aus Österreich und Fai Baba aus der Schweiz. Die Bands werden erstmals am Mittwoch bekannt gegeben. Münchner Acts werden nur angefragt, „wenn sie was Besonderes präsentieren“. Etwa die Rapperin Fiva, die mit der Jazzrausch Bigband auftreten wird. Diese und noch mehr wird man am 8. Oktober im Schlachthofviertel feiern können, im Strom, im Substanz, im Schlachthof, im Pigalle und in der früheren Boazn Zur Gruam.
Der Ansatz sei in München tatsächlich neu, findet auch Amadeus Gregor Böhm, Chef der Plattenfirma Flowerstreet-Records und wahrscheinlich einer der besten Kenner der Münchner Indie-Pop-Nachwuchs-Szene. „Ein Club-Festival mit internationalen Künstlern würde München vielleicht tatsächlich helfen, vom weltgrößten Dorf zu einer richtigen Stadt zu werden“, sagt er. Viele der schon existierenden Festivals, wie das Stadt-Land-Rock oder auch das Flowerstreet-Festival würden doch eher den Münchner „Dunstkreis“ repräsentieren, in dem jeder jeden kennt.
Julia geht es aber um mehr als nur die Organisation eines Festivals. Es geht ihr um Grundsatzfragen. Nach ihrem Bachelor in Musik für Lehramt hat sie ein Masterstudium in Kultur- und Musikmanagement begonnen. Gerade schreibt sie ihre Masterarbeit mit dem Titel: „Der Weg zur Music City. Status Quo und Potenziale der regionalen Pop-Musik-Szene“. Dass es hierbei um München geht, ist klar. Julia liebt München. Das sagt sie mit einem leichten Klopfen auf den Tisch und einem vergnügten Lachen. „Das ist Heimat. Außerdem ist München eine wunderschöne Stadt, in der die Verbindung zur Natur so stark ist wie sonst selten in einer so großen Stadt.“
Auch wegen der Musik liebt Julia die Stadt und sie möchte nicht weggehen, selbst wenn man sich in München als „Kreativer schon sein Schlupfloch suchen muss, um durchzukommen“. Wobei: Sie möchte nicht einmal sagen, dass irgendetwas in München wirklich „fehlt“, aber sie will ihren Beitrag dazu leisten, dass da noch viel mehr entstehen kann, was Musik und Kreativität angeht.
Deshalb die Masterarbeit über das Konzept der „Music City“, ein Titel, der von der Unesco vergeben wird. Mannheim und Hannover beispielsweise haben ihn schon. München noch nicht. Julia ist in Kontakt mit einigen der Verantwortlichen beim Kulturreferat der Stadt. „Man ist schon sehr interessiert an Kulturförderung und ich denke, die werden die Arbeit dann auch lesen“, sagt sie. Aber so gut wie beispielsweise in Amsterdam ist man hier eindeutig noch nicht. Wieder lacht Julia. „In Amsterdam gibt es einen Nacht-Bürgermeister, der ausschließlich die Aufgabe hat, sich Gedanken darüber zu machen, wie man das Nachtleben in Amsterdam besser machen könnte.“ Nicht offiziell sei dieses Amt, versteht sich, aber doch anerkannt. Diesen Nachtbürgermeister von Amsterdam hat Julia auf der Music-Cities-Convention, die ebenfalls in der vergangenen Woche in England stattgefunden hat, sprechen hören. Noch mehr Input, wie Münchens Pop-Szene lebendiger und attraktiver gestaltet werden könnte.
Es scheint keinen Aspekt in Julias Leben zu geben, der nicht erfüllt ist von Musik. „Ich habe damit angefangen, bevor ich darüber nachgedacht habe“, sagt Julia auf die Frage, ob sie schon immer gewusst hätte, dass das irgendwann einmal so sein würde. Natürlich, sie kann die Geschichten von der Schulband erzählen, mit 13 oder 14 Jahren, als der Bassist sie drei Tage vor der ersten Aufführung sitzen ließ, weil ihm die vier Sängerinnen zu schlecht waren. Deswegen hat Julia innerhalb von zwei Tagen angefangen, Bass zu spielen – und das hat ihr gefallen. Aber sogar wenn sie von dem Erfolg spricht, den sie mit ihrer Band Fertig, Los! bis zu deren Auflösung vor drei Jahren hatte, und von der großen Tournee mit Sportfreunde Stiller, bleibt sie dabei so ungezwungen und ohne Pathos, ohne Kitsch, ohne verträumte Augen, dass sie genauso gut erzählen könnte, sie würde ihren Abwasch immer gleich nach dem Essen machen, weil es dann eben gemacht ist.
Ein ganz wichtiger Aspekt bei kreativer Arbeit ist in Julias Augen das Einfach-mal-machen, ohne viel darüber nachzudenken und ohne gleich ein mögliches Scheitern mit einzukalkulieren.
Und so ist wohl auch die Idee des Festivals entstanden. „Eigentlich reden wir da schon seit einem Jahr drüber“, sagt Julia, „und dann haben wir es irgendwann einfach gemacht.“ Bis jetzt scheint das wunderbar zu funktionieren und wenn sich die „manic street parade“ als eine jährliche Institution in der Münchner Pop-Szene etablieren kann, dann ist München vielleicht tatsächlich einen Schritt näher dran, eine Music City zu sein.
Von: Theresa Parstorfer
Foto: Stephan Rumpf
Webadresse Festival: http://manic-street-parade.com/