Essen gut, alles gut

Im Interview: Felix Homma, 23, der die Aktion „Welcome Dinner“ zusammen mit sechs Kommilitonen

organisiert

. Beim Welcome Dinner laden verschiedene Gastgeber Flüchtlinge zum Essen ein. Wir haben mit ihm über das Projekt gesprochen. 

Freising – Felix Homma, 23, studiert in Freising Molekulare Biotechnologie und ist einer der insgesamt sieben Gründer von Welcome Dinner München. Das Stipendienprogramm der Bayerischen Eliteakademie, dem alle sieben Studenten angehören, hat ihnen die Aufgabe gestellt, ein Projekt mit sozialem Mehrwert ins Leben zu rufen. Als im vergangenen Sommer der Flüchtlingsstrom kein Ende nahm, entschieden sie sich dafür, das Projekt „Welcome Dinner“ aus Hamburg nach München zu holen. Gastgeber laden bei dieser Aktion Flüchtlinge zum Essen ein.

SZ: Das Projekt funktioniert auf Vertrauensbasis. Wie schwer ist es, an die Menschen heranzukommen?
Felix Homma: Direkt in der Flüchtlingsunterkunft erleben wir eigentlich nur positives Feedback. Die meisten freuen sich, dass es Interesse an ihnen gibt. Der einzige Kritikpunkt, den wir bekommen, ist, dass die Zuverlässigkeit nicht sehr hoch ist.

Auf Seiten der Gäste oder der Gastgeber?
Leider vermehrt auf der Flüchtlingsseite. Das liegt aber zum einen daran, dass sie manchmal den Standort wechseln. Manchmal liegen ein bis zwei Monate zwischen der Kontaktaufnahme und dem Matching. Das ist sicher auch ein Fehler unserer Seite, daran arbeiten wir momentan. Vertrauen ist weniger das Problem, eher die Zuverlässigkeit. So scheint es zumindest zu sein.

Woran liegt es, dass so viel Zeit zwischen Kontaktaufnahme und einem „Matching“, also der Einladung liegt?
Das Interesse der Münchner ist recht hoch, den Engpass haben wir gerade eher bei Gästen. Hätte ich anfangs persönlich auch nicht gedacht. Wir müssen ja auch die passenden Gäste finden.
Passende Gäste?
Prinzipiell kann bei uns jeder mitmachen. Wenn der Wunsch kommt, dass die Gastgeber gerne eine Familie mit ein bis zwei Kindern als Gast hätten, ist das für uns ein bisschen schwerer zu organisieren. Auch wechseln öfter die Telefonnummern. Dann müssen wir erst wieder neue Gäste finden. Außerdem sind die meisten Gastgeber auch berufstätig, sprich: Die haben nur wenige freie Termine. Und Sprachkenntnisse sind natürlich auch ein Riesending.

Können viele Flüchtlinge aufgrund fehlender Sprachkenntnisse das Angebot gar nicht wahrnehmen?
Das kommt auf die Herkunftsländer an. Viele afrikanische Flüchtlinge können ziemlich gut Englisch. Deutsch können auch einige, zumindest ein bisschen. Viele sprechen aber bis jetzt nur Arabisch. Die fallen momentan raus. Es geht ja auch darum, dass eine Kommunikation möglich ist.

Habt ihr oder eure Gäste auch mal schlechte Erfahrungen gemacht?
Ist uns nichts bekannt.

Merkt ihr, dass weniger Flüchtlinge nach München kommen?
Flüchtlinge gibt es genug in München. Allerdings sind einige wichtige Ansprechpartner weggefallen. Dadurch ist ein Ungleichgewicht entstanden. Es gibt also nicht zu wenig Flüchtlinge, sondern nur momentan mehr Gastgeber-Anfragen.

Wer sind die Gastgeber?
Es sind einige Studenten dabei, aber auch junge Familien und ältere Ehepaare. Aber wir hatten auch schon zwei Frauen, die über 50 waren. Es ist also recht gemischt.

Gibt es Gastgeber, die wiederholt Flüchtlinge einladen?
Die Gastgeberin eines Abendessens, das kürzlich stattgefunden hat, meinte, sie freut sich auf Abende mit genau der Gruppe. Wir hatten aber auch schon Anfragen von Personen, die grundsätzlich sagen, sie würden gerne regelmäßig Abendessen ausrichten – auch gerne mit unterschiedlichen Gruppen.

Mittlerweile gibt es aber schon andere Essensprojekte – war es für euer Stipendium entscheidend, dass es sich um etwas komplett Neues handelt?
Man sollte mit seinem Projekt auf jeden Fall was erreichen können. Zu dem Zeitpunkt gab es nur die Abendesser-Connection in München, die haben sich aber darauf spezialisiert, interkulturelle Abendessen zu veranstalten. Das Thema Flüchtlinge haben wir bei denen nicht gefunden. Die Frage hat sich zum damaligen Zeitpunkt also so nicht gestellt. Ich sehe da aber auch jetzt kein Problem. Wenn es drei verschiedene Projekte gibt und dadurch dreimal so viele Abendessen stattfinden, ist das meiner Meinung nach eine super Sache.

Von: Jacqueline Lang

Foto: Lukas Barth

Ein bisschen Frieden

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Ahmad Abbas ist einer von vielen syrischen Geflüchteten, die in München
leben. Sein Ziel: Mit seinem syrischen Friedenschor Zuversicht und Hoffnung
schenken. Von der deutschen Bevölkerung würde er sich manchmal mehr
Unterstützung wünschen.

Von Jacqueline Lang

Als 2012 die ersten Bomben
flogen, waren nur der damals 17-jährige Ahmad und seine kleine Schwestern
zu Hause.  Eine Granate traf das Haus. Mit
85 Prozent beziehungsweise 65 Prozent verbrannter Haut überlebten die beiden Geschwister
nur knapp. Es ist damals eine der ersten Flüchtlingsgeschichten – und das war
vielleicht ihr Glück: Die freie syrische Armee brachte Ahmad und seine Schwester
von Syrien in ein Militärkrankenhaus im Libanon. Ein deutscher Journalist
fotografierte die beiden Jugendlichen und bat auf Facebook um Hilfe. Mit
Erfolg. Ein ADAC-Rettungsflieger holte sie nach München, wo sie über mehrere
Monate behandelt wurden. Heute leitet der mittlerweile 21-jährige Ahmad den
syrischen Friedenschor.

Die Narben von damals sind immer
noch sichtbar. Zumindest an den Händen, die restlichen Narben versteckt Ahmad
unter einem langärmeligen Sweatshirt. Doch das sind nur die äußerlich
sichtbaren Narben. Die innerlichen Narben verbirgt der gebürtige Syrer hinter
schulterlangen, schwarzen Haaren und einem breiten Lächeln. Er will nicht, dass
die Menschen ihn bemitleiden. Er will, dass sie ihn ernst nehmen. Nicht, weil er
ein Flüchtling ist, sondern weil er eine Botschaft hat. Seine Botschaft ist in
der Theorie simpel, in der Umsetzung scheinbar unmöglich: Frieden für Syrien.

Im November 2014 trat Amhad mit
dem Friedenschor „Zuflucht“ in der Satire-Sendung „Die Anstalt“ auf. Seitdem
kommen immer mehr Anfragen. Der Friedenschor singt unter der Leitung von
Opernsängerin Cornelia Lanz. Gemeinsam mit der Stuttgarterin sind zudem bereits
zwei Opern-Projekte mit Geflüchteten realisiert worden. In dem zweiten Stück
„Idomeneo“ erzählt auch Ahmad von seiner Flucht.

Erst im Sommer 2015 begann die
Idee, seinen eigenen Chor in München zu gründen, in Ahmad zu reifen. Im Januar
2016 war es dann endlich soweit. Den Verein offiziell zu gründen, war jedoch
nicht ganz leicht. Bis auf Ahmad haben nur drei weitere Mitglieder eine unbefristete
Aufenthaltserlaubnis. Der Status der 14 anderen Syrer ist  noch unklar. Auch deshalb versucht Ahmad
verstärkt in München aufzutreten. Denn wenn er mit den Mitgliedern seines Chors
verreisen will – und sei es nur nach Stuttgart– brauchen sie eigentlich immer
eine deutsche Begleitung.

Obwohl sie sogar schon vor dem
Bundespräsidenten aufgetreten sind und deutschlandweit Anfragen bekommen, musste
Ahmad seinen Cousin um Geld für das Projekt bitten. Jetzt hat er Schulden. Die
Menschen spenden zwar, aber meistens kommen an einem Abend nicht mehr als 25
Euro zusammen. Das reicht nicht einmal, um die Fahrtkosten zu decken. Manchmal
macht Ahmad das wütend. Er versteht nicht, warum die Menschen sie nicht von
sich aus unterstützen. Sie um Hilfe zu bitten, käme ihm wie betteln vor. Das
will er nicht.

Ahmad ist immer unterwegs: Wenn
er nicht mit seinem Chor probt oder irgendwo in Deutschland auftritt, besucht
er die Schlauschule. Im Herbst beginnt er seine Ausbildung als
Medizinfachangestellter. Und für die Opernproben fährt er alle zwei Wochen
nach Stuttgart. Er mag es, immer in Bewegung zu sein. „Zu Hause kommen zu viele
Gedanken in meinem Kopf“, sagt er.

In seinem Chor heißt Ahmad
grundsätzlich jeden willkommen. Die arabischen Lieder, die sie singen, handeln
vom Frieden. Sie haben aber auch schon die Europahymne auf deutsch gesungen. Es
geht nicht um Politik, sondern darum, für die „Seelen der Kinder und für die
geschlachteten Menschen zu singen“, sagt der junge Mann. Er hat seine
Geschichte schon so oft erzählt, dass er kaum noch mehr bemerkt, wie
schockierend sie für Außenstehende ist. Für viele – auch für Ahmad – ist das
Singen im Chor eine Beschäftigungstherapie und vielleicht die einzige
Möglichkeit, das Geschehene zu verarbeiten.

Ahmad ist sich seiner
Verantwortung als Chorleiter bewusst. Er muss mit gutem Vorbild voran gehen.
Aber er versucht auch, nicht alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Auch die
anderen Chormitglieder und ihre Geschichten sollen zu Wort kommen.  Nur mit der Kraft der gesamten Gruppe können
sie die Menschen bewegen, glaubt Ahmad. Mit seinen 21 Jahren klingt Ahmad schon
sehr erwachsen. Fast zu erwachsen. Er ist sich dessen bewusst: „Damals war ich
ein anderer Ahmad als heute“. Die letzten Jahre seiner Jugend hat ihm der Krieg
in Syrien genommen.

Viele Menschen denken, mit dem Überschreiten
der europäischen Grenzen wäre das schlimmste für die Geflüchteten überstanden.
Doch so ganz stimmt das nicht. Fast jeder, der geflohen ist, hat noch Verwandte
oder Freunde in der Heimat. Ein Armband in den Farben der syrischen Flagge mit
dem Schriftzug „Free Syria“ das in der Öffentlichkeit zu sehen ist, kann dann
schwerwiegende Folgen haben – über alle Grenzen hinweg. Die Mitglieder des
Chors tragen es dennoch mit Stolz. Ahmads nächste Verwandten leben nicht mehr
in Syrien – und doch ist er trotz seiner klaren Position vorsichtig geblieben.
Sicherheit in Zeiten des Krieges gibt es nicht.

Der syrische Friedenschor tritt am Samstag beim Straßenfest Milla Walky Talky auf.

Weitere Infos utner www.syrischerfriedenschor.com

Zeichen der Freundschaft: Nervensäge

Gemeinsame Erlebnisse schweißen zusammen, besonders, wenn man gemeinsam auf Reisen geht und zusammen dem australischen Outback trotzt. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”. 

Manchmal bin ich genervt von dir. Sehr sogar. Das
liegt an meiner geringen Toleranz im Umgang mit anderen Menschen und daran,
dass du eine unerschütterliche Frohnatur bist. Fast wären wir deshalb auch
keine Freunde geworden. Doch dann kam alles anders: Nach unserem gemeinsamen
Praktikum bei der einzigen deutschen Wochenzeitung in Australien sind wir zwei
Wochen die Great Ocean Road in Australien entlang gefahren. Wir haben jede
Nacht nebeneinander im Auto geschlafen und Grimms Märchen neu erfunden, haben
im Supermarkt an der Self-Service-Kasse beschissen – du ohne mit der Wimper zu
zucken, ich immer mit schlechtem Gewissen – haben im Outback statt Wasser nur
Bier und Milch im Gepäck gehabt, haben mit diesem warmen Bier Flunky Ball
gespielt und Postkarten geschrieben ohne Briefmarken drauf zu kleben. Du kleine
Romane, ich eine große Randnotiz. Die Postkarten kamen immer an. Und im
Hintergrund lief immer unser Lied: Rettung
von Kettcar.

Manchmal wurden wir danach gefragt, ob es in den
zwei Wochen unserer Reise nie einen Moment gab, in denen wir leicht angedudelt
vom Bier mehr sein wollten, als nur Freunde. Auch auf die Gefahr hin, es danach
zu bereuen. Aber so einen Moment gab es nie. Wir mussten nie eine imaginäre
Grenze ziehen. Und vielleicht ist es deshalb so entspannt zwischen uns: Weil
wir nie über das Geschlecht des jeweils anderen nachdenken mussten. Wir konnten
immer einfach nur Mensch sein. Und du als Mensch darfst mich sogar manchmal
nerven.

Von: Jacqueline Lang

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Lilü

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Pizza bestellen oder lieber Schweinebraten machen? Echte Freundschaft lebt oft durch die alltäglichen Dingen, wie Essen oder Trash-TV. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Wir beide lieben Essen. Du magst zum Frühstück am liebsten Wurst und
sonntags zum Tatort immer etwas mit viel Käse überbacken. Ich backe nicht nur
zu besonderen Anlässen Kuchen und lade am liebsten zur spontanen Übertreibung
in der Küche ein. Wenn unser liebster Mitbewohner uns für ein Semester
verlässt, zaubern wir auch schon mal Schweinebraten mit Knödeln und Blaukraut
für 15 Mann. Eine unserer leichtesten Übungen. Am wichtigsten Tag im Jahr,
deinem Geburtstag, muss aber trotzdem der Herr Papa höchst persönlich anreisen,
um dir dein Leibgericht zuzubereiten. An den weniger guten Tagen und denen mit
viel Restalkohol im Blut bestellen wir uns eine Pizza, die auf keinen Teller
passt. Dazu gibt’s Qualitätsfernsehen: Das
Perfekte Dinner
.

Bei oberflächlicher Betrachtung könnten wir uns kaum mehr
unterscheiden: Du, die begeisterte Fußballerin, die gerne love channel hört und
heimlich ihre Bettwäsche bügelt. Ich, der leicht schusselige Bücherwurm, der
sich lieber unter der Bettdecke verkriecht, als joggen zu gehen. Tief in
unserem Herzen teilen wir aber dieselbe Leidenschaft fürs Essen. Und Menschen,
die genießen können sind gute Menschen. Das ist ja allseits bekannt. Schon
alleine deshalb sind wir besonders gute Menschen. Und deshalb spielt es auch
keine Rolle, dass ich häufiger der Kochlöffel schwinge als du. Schließlich
kenne ich sonst keinen Menschen, der statt einer Gute-Nacht-Geschichte lieber
Rezepte zum Einschlafen liest.

Wenn Liebe wirklich durch den Magen geht, dann liebe ich dich auf
jeden Fall bis ans Ende meiner Tage. Und koche dir zu jeder Tages- und
Nachtzeit Risotto, wenn du willst, liebste Lilü.

Von: Jacqueline Lang

Foto: 

Yunus Hutterer

Modeln und Modellieren

Der permanente Zwang, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen:
Ana Saraiva, 22, arbeitet als Mannequin und gleichzeitig als Holzbildhauerin – die Geschichte eines Charaktertyps.
 

Zwei Mädchen laufen Hand in Hand durch die Straßen. Sie liegen auf einem Drehrad und schauen in den Himmel. Sie lachen. Sie rauchen. Sie schießen. Im neusten Musikvideo der Münchner Shootingstars Kytes „I got something“ spielt Model und Holzbildhauerin Ana Saraiva eine sorglose junge Frau, die gemeinsam mit ihrer Freundin einen Raub begeht. 

Bereits mit 13 stand die gebürtige Brasilianerin Ana Saraiva, heute 22, vor der Kamera. Zum ersten Mal wurde ihr die Aufmerksamkeit geschenkt, die ihr als der Ältesten von fünf Geschwistern oft verwehrt blieb. Für Ana eine sehr spannende Erfahrung – wenn auch nicht immer nur eine positive. Schnell musste sie lernen, dass sie in das Profil der meisten Agenturen nicht passt – entweder war sie zu klein oder nicht dünn genug. Aber Ana hat auch gemerkt, dass in den vergangenen Jahren ein Umdenken in der Branche stattgefunden hat: Statt menschlicher Kleiderstangen werden immer öfter auch Charaktere gesucht. Menschen mit großem Wiedererkennungswert. Ana hat schwarze, kurze Haare. Sommersprossen auf der Stupsnase und große, braune Rehaugen: burschikos-frech und doch sehr zierlich, fast zerbrechlich.
Manche vermuten, sie komme aus Asien oder aus Russland. Ana selbst fällt es schwer zu beschreiben, welcher Typ sie ist: „Ich weiß nicht, was sie in mir sehen oder sehen wollen.“

Was Ana neben der Möglichkeit, die Welt zu bereisen, am meisten an der Arbeit als Model mag, ist die Tatsache, dass man sehr schnell ein Ergebnis hat, das man sehen kann. Und die körperliche Anstrengung. „Expressives Arbeiten“ nennt sie das. Diese Art zu arbeiten gefällt ihr auch am Beruf Holzbildhauerin besonders gut. Man hat die Möglichkeit, etwas zu erschaffen. Etwas, das Menschen sehen können. Etwas, das sie berührt.

Ana wusste früh, dass sie künstlerisch arbeiten möchte. Schon auf der Realschule hat sie daher den Kunstzweig belegt. Ein konkretes Berufsziel hatte sie damals noch nicht. Einen Besuch beim Arbeitsamt und viele Tests im Internet später war klar: Sie will Holzbildhauerin werden. Dass viele nicht einmal wissen, dass man eine Ausbildung als solche machen kann, stört Ana nicht. Ihr gefällt es sogar, dass es sich dabei um einen aussterbenden Beruf handelt. Beim ersten Betreten der Berufsschule wusste der bekennende Harry-Potter- Freak: „Ich habe mein kleines Hogwarts gefunden.“ 

Nach fast drei Jahren Ausbildung arbeitet sie nun gerade an ihrer Abschlussarbeit. Ihr Ansatz: Der weibliche Körper innerhalb der Gesellschaft unter Berücksichtigung der Psychoanalyse. Im Gegensatz zu den meisten ihrer Mitschüler hat Ana sich nicht für ein Werk entschieden, bei dem ihre technischen Fähigkeiten im Vordergrund stehen. Ihr geht es vielmehr darum, mit ihrer Arbeit ein Gefühl zu transportieren. „Wie in der Musik, dort sind mir auch die Texte hinter der Musik wichtig“, sagt Ana.

Eigentlich wollte sie sich gerade eine Zigarette drehen, doch weil sie nach den richtigen Worten sucht, klebt der Filter immer noch an ihrer Oberlippe und bewegt sich beim Sprechen mit. Ana scheint es kaum wahrzunehmen. Ihre Aufmerksamkeit ist nach Außen gerichtet.
Mit 16 Jahren wurde Ana für die große Kampagne eines bekannten Elektro-Herstellers gebucht. Regelmäßige Anfragen und Aufträge bekommt sie aber vor allem, seit sie einen Instagram-Account hat. Sie spricht von einem „positiven Shit-Storm“. Ana, deren Laptop seit einem Jahr nicht funktioniert. Ana, die nicht mal einen Fernseher hat. Ausgerechnet sie wird über die sozialen Netzwerke berühmt. Sie versteht es selbst nicht so ganz und sieht den Hype kritisch. „Das Business ist sehr vergänglich“, sagt sie. Trotzdem freut sie sich sichtlich. Wenn sie lacht, werden ihre sonst sehr großen Augen zu kleinen Schlitzen.

Ob die kritische Auseinandersetzung mit dem weiblichen Körper in ihrer Arbeit als Holzbildhauerin und ihre Karriere als Model ein Widerspruch sind? Darüber hat Ana selbst noch nie so wirklich nachgedacht. Als Teenager ist sie in das Model-Business einfach so reingerutscht. Ihr macht die Arbeit vor der Kamera Spaß. Es ist ein Blick in eine andere Welt. Und sie sieht es als Privileg, in diesem Job arbeiten zu dürfen. Trotzdem würde sie nie sagen: Hallo, meine Name ist Ana und ich bin Model. Sie ist schon lange im Geschäft, hat aber nie das Model-Leben geführt, das sich manche Teilnehmerinnen der Casting-Serie „Germany’s Next Topmodel“ wohl erträumen. 

Bodenständigkeit ist ein Wort, das Ana oft benutzt. Es ist wohl einer der Gründe, warum sie sich neben dem Modeln für die Holzbildhauerei entschieden hat. In beiden Berufen ist sie immer dazu gezwungen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Natürlich gibt es Tage, an denen das anstrengend ist – aber für Ana gibt es nichts Spannenderes, als sich selbst immer näher zu kommen. Durch die Arbeit als Model hat sie gelernt, sich bewusst zu sehen. Die Arbeit als Holzbildhauerin ist eine Reise in ihr Inneres. Nur durch ihre eigene Kreativität kann ihre Kunst entstehen. Und auch wenn sie es noch zögerlich sagt, die 22-Jährige hat ihr inneres Gleichgewicht schon gefunden: „Ich mag mich, so wie ich bin.“

Von: Jacqueline Lang

Foto: Milena Wohjan

Ein Abend mit: KLIMT

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Verena Lederer ist musikalisch mit ihrer Band The New Colossus und Solo als KLIMT unterwegs. Noch ist sie aber hauptberuflich als Redakteurin tätig. Und wenn sie mit keinem von beidem beschäftigt ist, besucht sie Konzerte und macht mit ihrer ehemaligen Mitbewohnerin das Münchner Nachtleben unsicher. Nicht immer überlebt das ihr Lippenstift.

Hier beginnt mein Abend: In meiner WG-Küche in Obergiesing. Was anfängt mit: „Lass uns zusammen ein Spezi trinken!“ hört gern mal morgens um 5 irgendwo in München auf.

Danach geht’s …
für Konzerte ins Strom, Milla, Bahnwärter Thiel, Lost Weekend etc.,
zum Tanzen in die Rote Sonne, Harry Klein oder Cord

Mit dabei ist: Oft meine Ex-Mitbewohnerin Alina. Nach nur 2 Monaten Chaos-WG macht uns partymäßig niemand mehr was vor.
Außerdem: Lippenstift. Den verliere ich zwar in 5 von 10 Fällen, aber hey, stilvoll geht die Welt zu Grunde.

An der Bar bestelle ich am liebsten:
Augustiner. Gin Tonic. Moscow Mule. In dieser Reihenfolge.

Mein Lieblingsgesprächsthema:
M&M: Musik und Männer.

Der Song darf auf keinen Fall fehlen:
The Do – Despair, Hangover and Ectasy.

Mein Tanzstil in drei Worten:
Armeschütteln, Powackeln, Beineheben

Der Anmachspruch ging gar nicht:
„Ist das Make-up oder ist das ein Gesicht?“

Meine dümmste Tat im Suff war:
In der Ubahn einschlafen und zur Endstation fahren. Dann wieder zurück fahren, wieder einschlafen und wieder bis zu Endstation fahren usw. … Ich war etwa 2 Stunden unterwegs.

Das beste Katerfrühstück gibt`s im/bei:
Zählen die nächtlichen Pommes schon als Katerfrühstück? Ansonsten mit nem Croissant vom Bäcker an der Isar sitzen. Besser als jedes Katerfrühstück.

Diesem Club/dieser Bar trauere ich nach:
Dem Atomic. Da habe ich leider noch nicht in München gewohnt. Ich glaube, da hätte es mir sehr gut gefallen. Schade, dass wir uns verpasst haben. 

Foto: LYNX Lichbildwerke

Internetseite: soundcloud/itisklimt facebook/klimt

Mein München: Bahnwärter Thiel im Schlachthof

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Mittlerweile schon historisch: der Bahnwärter Thiel im Schlachthof. Sarah-Lena hat ihn noch mit ihrer analogen Kamera eingefangen.

Die analoge Kamera, mit der Sarah-Lena Hilmer, 22, die Fotos geschossen hat, ist ein Erbstück ihres Opas. Die alte Kodak ist ihre Lieblingskamera. Sarah-Lena glaubt, dass man beim Fotografieren mit einer analogen Kamera viel genauer hinsieht. Man fängt einen Moment ein und macht nicht wahllos Bilder. 

Weil Sarah-Lena auf dem Wannda-Kulturfestival gearbeitet hat, war sie viel im Schlachthofviertel unterwegs. Und natürlich hat sie deshalb auch den letzten Monat des Bahnwärter Thiels intensiv miterlebt. „Ich liebe diese Ecke von München, weil sie so untypisch für die Stadt und irgendwie noch freier und bunter als der Rest ist“, sagt Sarah-Lena, die sich als Künstlerin Sarritah nennt. Orte, die Platz für öffentliche Kunst oder Ausgefallenes bieten, werden immer seltener in München. Umso mehr freut sich Sarah-Lena, dass der Zugwaggon zumindest für einige Zeit einen Ort zum Bleiben gefunden hat.„Durch den Standort an der HFF können dort noch vielfältigere, kreative Projekte stattfinden“, sagt die Designerin. Sie selbst arbeitet gerade an ihrer Abschlussarbeit, bei der sie ihre beiden Schwerpunkte Modedesign und Fotografie verbindet: eine Kollektion mit fotografischer Umsetzung. Hierfür muss Sarah-Lena aber dann doch häufiger zur digitalen Kamera greifen.  

Text: Jacqueline Lang

Foto: Sarah-Lena Hilmer

Von der Natur inspiriert

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Zeichnest du noch oder lebst du schon: Ein Stoffmuster von
Lena Maier, 21, gibt es bald in einem schwedischen Möbelhaus.  

Skandinavisch, designorientiert, qualitativ hochwertig und unverwechselbar – das waren die Vorgaben der schwedischen Designfirma Bemz. Die Lehrerin der Designschule München am Sendlinger Tor gab ihren Schülern zudem den Auftrag, eine exotische Blüte oder Pflanze mit in den Unterricht zu bringen. Lena Maier, 21, hat sich für eine Artischocke entschieden. Der Kontrast zwischen den groben Außenblättern und dem feinen Inneren hat ihr gefallen. Für das Design, das nun nach dem Online-Voting im Finale des Bemz-Design- Award 2016 steht, hat Lena die Artischocke jedoch von ihrer ursprünglichen Form und Farbe abstrahiert.

Für die äußeren grünen Blätter hat sie Papierschablonen angefertigt und diese mit einem Schwamm auf das Papier aufgetupft. Die gelben Fasern sind mit einem Schilfrohr gestempelt. Und für die orangefarbenen Blüten bastelte Lena eine Konstruktion aus Strohhalmen und einem Ast. Mit der hat sie dann die Blüten auf das Papier gekratzt. Die Farben entsprechen nicht eins zu eins denen einer echten Artischocke. Lena hat sich dennoch bewusst dafür entschieden. Sie findet, dass die Farben Grün, Gelb und Orange das Skandinavische gut widerspiegeln.

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Auch bei der Namenswahl hat sie sich für etwas Skandinavisches entschieden. Der Name Artiskok heißt aus dem Dänischen übersetzt nichts weiter als Artischocke. Nach der analogen Arbeit auf dem Papier hat Lena alles abfotografiert und daraus am Computer ein Muster erstellt. Dieses kann nun nach Belieben vervielfacht werden. So ist dann auch der Überzug für das Ikea-Sofa entstanden. Die Designfirma Bemz, die den Wettbewerb zum zweiten Mal ausgeschrieben hat, hat sich darauf spezialisiert, für Ikea-Möbel maßgeschneiderte Überzüge zu entwerfen.

Selbst wenn Lena am Ende den Wettbewerb nicht gewinnt: Ihr Stoffdesign wird von August an Teil der Produktpalette von Bemz sein. Man könnte meinen, dies wäre der Durchbruch ihrer Designkarriere, doch so ganz stimmt das nicht. Lena studiert zwar Design, aber eigentlich nicht Produktdesign, sondern Kommunikationsdesign. An dem Wettbewerb hat Lena nur teilgenommen, weil das Teil ihres Wahlpflichtfachs Pattern war.

Selbst nach dem ersten Erfolg mit ihrem Muster will Lena im Bereich Kommunikationsdesign ihren Schwerpunkt setzen. Ob sie sich das noch einmal überlegt, wenn sie tatsächlich die Prämie von 1000 Euro und die Reise nach Stockholm gewinnt? Vielleicht, gibt die 20-Jährige zu und grinst. Bislang würde sie aber am liebsten nach ihrer Ausbildung in einer Agentur in Regensburg arbeiten. Im Bereich Webdesign. Regensburg deshalb, weil dort viele ihrer Freunde studieren. Das Leben in der Großstadt reizt sie nicht.
 Lena ist ein Landei, das am liebsten in der Natur unterwegs ist. Ihre Kindheit in Neufahrn in Niederbayern hat sie fast immer draußen verbracht. Ansehen tut man ihr das nicht: Lena ist modisch unauffällig gekleidet, wie die meisten jungen Frauen in ihrem Alter. Doch dass sie nicht aus München kommt, hört man sofort. Das Niederbairische ist unverkennbar. Die Naturverbundenheit bemerkt man auch in ihrer Arbeit. Sie ist häufig inspiriert von der Natur. Ein Widerspruch zur Arbeit vor dem Computer? Lena lacht und schiebt eine braune Haarsträhne hinters Ohr: „Am Anfang wollte ich am liebsten Landschaftsgärtnerin oder Landschaftsarchitektin werden.“ Den ganzen Tag nur im Büro zu sitzen? Das konnte sie sich damals noch nicht vorstellen. Auch deshalb hat sie sich für die praktische Variante der Ausbildung und gegen ein Studium im gleichen Bereich entschieden.

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Ob ihr der Schwerpunkt Kommunikationsdesign bei der Umsetzung ihres Designmusters geholfen hat? Sicher ist sich Lena nicht. Aber sie kann sich schon vorstellen, dass sie „vielleicht freier an das Thema herangegangen ist“ als beispielsweise andere Teilnehmer, die reines Modedesign studieren.
So oder so – Lena könnte sich gut vorstellen, dass ihr Design am Ende gewinnt. Schließlich hat bereits bei der ersten Ausschreibung 2014 ein blaues Muster gewonnen. Neben ihrem farbenfrohen Design sind es nun auch in diesem Jahr wieder vorwiegend diverse Blautöne. Nur die Gewinnerin der öffentlichen Ausschreibung hat sich für ein ähnlich buntes Muster wie Lena entschieden.

Gegen die anderen deutschen Teilnehmerinnen von den drei ausgewählten Schulen hat Lena sich nur knapp durchgesetzt – 26 Stimmen Vorsprung waren es am Ende gegen die Zweitplatzierte. Lena ist in jedem Fall froh, dass nicht drei Leute von ihrer Schule weitergekommen sind. Sonst hätte es interne Konkurrenz gegeben, glaubt sie. So hingegen konnten beim Online-Voting alle für sie stimmen.  

Von: Jacqueline Lang

Fotos: BEMZ

Ein Abend mit: Clea Charlotte

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Die junge Singer-Songwriterin Clea Charlotte, 28 mag es unauffällig und entspannt – auch beim Tanzen zu Songs von War on Drugs. Deshalb ist ihre Anmache auch kein abgedroschener Spruch, sondern ein tiefer Blick.  Momentan schreibt sie aber vor allem Songs für ihre erste EP.

Hier
beginnt mein Abend:

Bei Freunden in der WG oder in einer gemütlichen Bar.
Im Sommer an der Isar beim Grillen 🙂

Danach
geht’s ins/zu:

Z.B. ins Strom oder MMA, je nach dem
was los ist oder wohin es einen          verschlägt.

Mit
dabei ist immer:

Ein Weg-Bier.

An
der Bar bestelle ich am liebsten:

Cuba Libre

Mein
Lieblingsgesprächsthema:

Mh vieles…, aber gerne alles zu Musik, Kunst und
Menschen an sich.

Der
Song darf auf keinen Fall fehlen:

The War on Drugs – Red Eyes. Klingt so schön nach
Freiheit.

Mein
Tanzstil in drei Worten:

Unauffällig und entspannt 😀

Der
Anmachspruch zieht immer:

Ein Blick 😉

Meine
dümmste Tat im Suff war:

Mit Freunden aus Versehen ein Ruderboot
zu versenken. Die Situation war      unglaublich
lustig aber danach haben wir es bereut.

Das
beste Katerfrühstück gibt`s im/bei:

Zuhause!

Diesem
Club/dieser Bar trauere ich nach:

Atomic Café,
die Stimmung war besonders und ich habe viele schöne
Momente dort erlebt.

Internetseite: www.cleacharlotte.com

Foto: Kai Neunert – Fotografie 

Zeichen der Freundschaft: Nicht die Upper East Side

Ob New York oder nicht: Die vier Charaktere aus Sex and the City sind Vorbild für so manche Freundinnen-Clique.

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Für uns sind Orgasmen bislang graue Theorie, doch
das hindert uns nicht im Geringsten daran, uns in der Welt der vier New
Yorkerinnen mit ihren Sexeskapaden und Männergeschichten wiederzufinden. Bin
ich Carrie oder doch eher Samantha? Du bist auf jeden Fall Miranda!

Es ist Samstag Abend. Lena, Mardjan, Ann-Kris und
ich sitzen in Jogginghosen im Keller vor dem Beamer und schieben die Hand immer
wieder in die Chipstüte, im Anschluss führen wir sie fast mechanisch zum Mund.
591 Minuten Serienvergnügen liegen vor uns.

Wir sind vier Freundinnen. Die Besten.
Stundenlang könnten wir über Gott und die Welt reden, meistens analysieren wir
aber gerade das Verhalten des männlichen Geschlechts. Realistisch betrachtet
hört es dann aber auch schon auch wieder auf mit den Parallelen zu Sex and the
City. Ok, Ann-Kris hat mindestens so rote Haare wie Miranda. Dennoch: Unser
Leben ist im Vergleich unglamourös. Das lässt sich einfach nicht leugnen.
Schließlich ist es Samstagabend und wir sitzen hier im Keller und nicht in
einer hippen Bar. Wir tragen keine Manolo Blahniks sondern dicke Socken mit
Loch. Und unser Brunch ist ein Frühstück. Minus Champagner. Das alles mag kaum
verwunderlich sein, wenn man bedenkt, dass wir in die 7.Klasse eines Gymnasiums
in Nordrhein-Westfalen gehen. Trotzdem träumen wir uns oft nach Manhattan.

Wir sitzen auf der Tischtennisplatte und
überblicken den Pausenhof. Simon kommt. Lena drückt meine Hand, cool bleiben.
Er grinst linkisch und geht weiter in Richtung Raucherecke.  Sie
schaut uns an, wir nicken und laufen betont lässig hinterher. In
sicherer Entfernung bleiben wir stehen, Mardjan holt unsere Schachtel Marlboro
umständlich aus ihrem Rucksack. Ich denke, Mama kommt, atme den Rauch ein und
unterdrücke ein Husten. Das ist nicht die Upper East Side, aber hätte Carrie
wirklich cooler reagiert, wenn Mr.Big zwei Meter entfernt von ihr gestanden
hätte? Unwahrscheinlich. 

Ein gefühltes Leben liegt zwischen damals und
heute. Während meiner Bachelorarbeit saß ich oft in der Bibliothek und habe mir
wieder Sex and the City angeschaut. Aus wissenschaftlichen Gründen diesmal,
versteht sich. Ein Vergleich zwischen Sex and the City und Girls im Bezug auf
ihre feministische Lesbarkeit. Mit 13 wussten wir nicht mal, was das überhaupt
ist. Und selbst, wenn wir es gewusst hätten, es hätte uns wohl kaum
interessiert. Es gab schließlich wichtigere Themen zu besprechen.

Von: Jacqueline Lang

Foto: Yunus Hutterer