Es ist nicht der Integrationsdruck, sondern seine von Haus aus stenge Arbeitsmoral, die den gebürtigen Afghanen Jassin
Akhlaqi in Deutschland etabliert hat. Der Informatikstudent und Vorzeige-Flüchtling engagiert sich im Bündnis ‘Jugendliche ohne Grenzen’.
München – Jassin Akhlaqi musste oft deutlich härter kämpfen als seine deutschen Mitschüler. Seit fünf Jahren lebt der gebürtige Afghane schon in Deutschland. Zuvor musste er sich mit seiner Familie neun Jahre lang als Kriegsflüchtling ohne Papiere im Iran durchschlagen. Doch Jassin hat sich in München durchgekämpft und niemals aufgegeben. Von der Übergangsklasse über die Hauptschule bis hin zum Abitur. „Man muss seine Träume zulassen können – und unaufhörlich dafür arbeiten“, sagt er – und lächelt dazu.
Jassin, 20, studiert Informatik. Und er engagiert sich ehrenamtlich für das Bündnis „Jugendliche ohne Grenzen“ (JoG). Diese von jungen Geflüchteten im Jahr 2005 gegründete Organisation unterstützt vor allem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und folgt dem Grundsatz, „dass Betroffene eine eigene Stimme haben und keine stellvertretende Betroffenen-Politik benötigen“, wie es auf der Website der Organisation steht.
Ohne diese Organisation stünde Jassin vielleicht nicht dort, wo er heute ist. Die Ruhe, die der zierliche junge Mann ausstrahlt, war am Anfang nicht da. In den ersten Monaten hatte er Schwierigkeiten, einen Anschluss zu finden. Über Freunde auf dem Bolzplatz fand er zu JoG. „Mir wurde geholfen. Und das wollte ich weitergeben“, sagt er heute in fehlerfreiem Deutsch.
Und das hat er getan. Vielen afghanischen Geflüchteten hat er die komplizierten Briefe vom Amt übersetzt, einen Anwalt vermittelt oder einen Sprachkurs organisiert. Im Sommer fährt er mit JoG auf die griechische Insel Lesbos. Hier kommen immer wieder Schlauchboote von der anderen Seite des Mittelmeeres an. „Wir können dort schnell übersetzen und Schwangere beispielsweise zu den Erste-Hilfe-Einrichtungen leiten“, sagt Jassin.
Bei JoG, einer bundesweiten Initiative, wirken Jugendliche aus vielen Ländern und Kulturen mit. Genau das fasziniere ihn so sehr dort, sagt Jassin. „Wir wollen alle langfristig etwas verändern – dadurch funktioniert das Ganze auch so gut.“ Die Organisation setzt sich klar für ein liberaleres Asylgesetz in Deutschland ein und plant eine Vielzahl an Demos oder Infoständen. So sprach Jassin zum Beispiel vor wenigen Monaten vor Tausenden Menschen bei der vom Bellevue di Monaco organisierten Kundgebung „Wir sind alle von wo“ auf dem prall gefüllten Max-Joseph-Platz. Mit durchaus provokanten Aktionen wie die jährliche Wahl zum „Abschiebeminister des Jahres“ wollen die jungen Geflüchteten immer wieder größere Aufmerksamkeit erzielen.
Selten sei die Arbeit von JoG so wichtig gewesen wie derzeit, sagt Jassin. Besonders, seitdem Innenminister Thomas de Maizière Ende 2016 mehrere Regionen Afghanistans als „hinreichend sicher“ erklärt hat und viele Asylanträge nun abgelehnt zu werden drohen, sei der Terminkalender der Ehrenamtlichen bei JoG voll. Natürlich wirke sich das stark auf die Stimmung vieler in Deutschland lebenden Afghanen aus. „Das ist kein Fair-Play mehr“, sagt Jassin. „Die Menschen fliehen vor Krieg und haben inzwischen kaum Bleibeperspektiven.“ Da lohne sich der Aufwand, etwa eine neue Sprache zu erlernen, selten.
Trotzdem versuche er, Hoffnung zu geben. Auch weil er selbst nicht hängen gelassen wurde. Nicht von Lehrern, die ihn förderten, und auch nicht von sich selbst. Jassin hat seine Chancen genutzt und will andere Menschen dafür motivieren, dasselbe zu tun. „Das gibt mir die Motivation, einfach weiterzumachen“, sagt er und lächelt dabei beinahe bübchenhaft.
Trotz dieser unaufdringlichen Art steht Jassin oft im Mittelpunkt. Er hielt schon mehrere Vorträge an der Hochschule und wirkt im Jugendensemble „Kammerclique“ der Münchner Kammerspiele mit. Nebenher spielt der 20-Jährige noch Fußball, engagiert sich als Schiedsrichter und gründete die Ehrenamtlichen-Plattform www.ehrenamtsuche.de. Er gibt seinen Nachbarskindern Mathenachhilfe und wurde zum Semestersprecher seines Studiengangs gewählt.
Derartiges Engagement ist für Jassin etwas Selbstverständliches. Es gebe nur drei Faktoren für Erfolg, sagt er: „Fleiß, Fleiß und noch einmal Fleiß.“ In harter Arbeit sieht er den Schlüssel für all die Dinge, die er erreichen konnte. „Mit Intelligenz allein kommst du nicht weit“, fügt er hinzu. Das mag klingen wie ein ausgeleierter Spruch eines amerikanischen Life-Coaches. Und es scheint bei ihm doch seinen wahren Kern zu haben. Das ist wohl auch der Grund, warum so viele Menschen ihn in die Schublade des „Vorzeige-Flüchtlings“ stecken wollen. Ob er sich denn einer Vorbildrolle bewusst ist? „Jeder soll das nennen, wie er will. Mir ging es immer nur darum, meine eigenen Ziele zu erreichen“, erklärt der Informatik-Student. Inzwischen besitzt er eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis bis 2018. Und danach? Jassin kann nur hoffen. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass selbst Geflüchtete mit einem festen Arbeitsverhältnis ausgewiesen werden können. Trotzdem strahlen Jassins dunkle Augen weiter Ruhe und Zuversicht aus.
Wer ihn kennengelernt hat, dem bleibt Jassin auch schnell im Gedächtnis. „Durch seine ausgesprochene Höflichkeit, mit der er jeden begrüßt hat, ist mir Jassin sofort aufgefallen“, sagt Matthias Weinzierl. Er ist Vorstandsmitglied im Bellevue di Monaco, einem Wohn- und Kulturzentrum für unbegleitete minderjährige Geflüchtete in der Müllerstraße. In den dazugehörigen Wohnungen hat Jassin einige Zeit mit seiner Mutter und seinen Schwestern gelebt. „Er ist eine wirkliche Ausnahmeerscheinung. Obwohl er so viel Beachtliches geleistet hat, macht er weiter“, sagt Weinzierl. Er vernetze unaufhörlich Menschen und stehe mutig für seine Ideale ein. „Das ist nichts Selbstverständliches bei all dem, was er schon erlebt hat“, sagt er.
Jassin versteht sich darauf, offene Türen zu finden und diese dann auch zu nutzen. Und will dabei stets andere mitziehen. „Wenn du jemandem etwas gibst – Hilfe, Aufmerksamkeit – dann kommt auch immer etwas zu dir zurück“, sagt er. Er spricht viele solcher druckreifen Sätze. Wirkt dabei deutlich älter und erfahrener als seine schmächtige Statur es vermuten lässt.
Wer seine Vorbilder gewesen seien, als noch nicht alles so rund lief wie inzwischen? Jassin zuckt mit den Schultern. Nennt Mandela und Gandhi. Und, ganz beiläufig, sich selbst. „Ich kenne niemanden, der meinen Weg so weit gegangen ist“, sagt er. Nun schwingt auch ein wenig Stolz mit in seiner Stimme.
Er fängt an von Zukunft zu erzählen. Von seinen Plänen nach dem abgeschlossenen Informatikstudium. Von einer App, die er entwickeln wolle, die Neuankommenden etwa bei Behördengängen helfen soll. Die Geflüchteten ein Forum bieten wird, um Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig unterstützen zu können. Und je länger er spricht, je ausschweifendere Gesten seine Hände zu zeichnen beginnen, desto mehr wird auch klar, dass Jassin all das einmal erreichen wird.
Text: Louis Seibert
Foto: Stephan Rumf