Ein Münchner im Himmel

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Akram Abdellatif, Doktorand der TU München, hat gute Chancen, der
erste ägyptische Astronaut zu werden. Dafür arbeitet er manchmal 16
Stunden am Tag – und hat für ein Projekt schon Virusproteine auf die ISS
geschickt.

Von Elsbeth Föger

Astronaut werden! Das ist der Sandkastentraum tausender Kinder. Die Chancen für eine solche Karriere sind gering. Doch bei Akram Abdellatif gingen sie gegen Null – weil er Ägypter ist. Wer bei der NASA arbeiten will, der braucht einen amerikanischen Pass. Schließlich wird die Behörde staatlich finanziert. Dasselbe gilt für die europäische Weltraumorganisation ESA. Und trotzdem ist Akram, 27, auf dem besten Weg, Ägyptens erster Raumfahrer zu werden.

Geschafft hat es von Akrams Landsleuten bisher noch niemand. Dahinter steckt auch ein kulturelles Problem, findet er. „In Ägypten fehlt uns dieses Traumdenken. Dieses Gefühl, dass man alles erreichen kann.“ Bei ihm ist das anders, sagt Akram und lächelt verschmitzt. Er wirkt ziemlich geerdet für einen, der sich selbst als Traumtänzer sieht. Das Gesicht ist offen, herzlich, die Augen sehr wach. Ein kräftiger junger Mann mit lockigen Haaren und schwarzem Hoodie. Einer, der erzählt wie ein Wasserfall und so freundlich über Mikroschwerkraft redet, als wäre sie eine alte Studienkollegin. Für die Raumfahrt hat er sich schon als Kind interessiert, sagt er. Häufig lief daheim „Toy Story“ oder „Star Wars“. Sein Vater, ein Militäroffizier, hat mit ihm oft über Flugzeuge gefachsimpelt. 

Doch seine Freunde lachten nur über den Berufswunsch. Und in der Schule redete man Akram die Astronautenkarriere aus. Nachdem er im Abitur landesweit den 16. Platz belegt hatte, studierte er etwas Praktisches. In seiner Geburtsstadt Kairo wurde er Kommunikationsingenieur, an der neu eingerichteten Deutschen Universität. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. „Ich dachte mir, ich probiere was Neues“, sagt Akram. Deutschland, das waren für ihn schnelle Autos und Produktivität, für den FC Bayern schwärmt er heute noch. Den besten Studenten bot sich die Chance, den Master in Deutschland zu machen. 

Für Akram ging es an die Kooperations-Uni in Stuttgart. Dort stieß er irgendwann auf eine Ausschreibung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Da kam plötzlich der Traum wieder hoch. Leider stand zwischen Akram und dem Traum ein unbezahltes Praktikum. Also fing er morgens um vier Uhr an mit der Arbeit im DLR und ging gegen Mittag zur zweiten Stelle bei Sony, mit der er die Miete bezahlte. Sechs Monate ging das so. Akram ist keiner, der gern prahlt. Nein, ein freies Wochenende hatte er die vergangenen vier, fünf Jahre eigentlich nicht. Er lächelt und zuckt mit den Schultern. Was man halt so tut für seinen Traum. 

Traum, das Wort fällt oft im Gespräch, fast wie ein Mantra. Immer, wenn sich der junge Ingenieur dabei erwischt, hält er kurz inne. „Nein, kein Traum“, sagt er und korrigiert sich: „Ein Ziel.“ Schließlich soll die Karriere kein galaktisches Hirngespinst bleiben. Fast seine gesamte Freizeit hat Akram darauf verwendet, um das fehlende Studium in Luft- und Raumfahrttechnik wettzumachen: den Pilotenschein gemacht, das Tauchen gelernt – unter Wasser kommt man der Schwerelosigkeit auf der Erde am nächsten. Sogar einen Russischkurs hat der Ägypter belegt, weil Sprachkenntnisse in der Kommunikation mit anderen Astronauten oft nützlich sind. Das Fachwissen hat er mittlerweile in München erworben: Nach seinem zweiten Master in „Earth Oriented Space Science and Technology“ promoviert er am Lehrstuhl für Flugsystemdynamik der Technischen Universität. Parallel arbeitet er als Entwicklungsingenieur beim DLR in Oberpfaffenhofen. Viel Zeit bleibt nicht für seine ägyptische Frau und den 18 Monate alten Sohn, die auch in München wohnen.

Ob Akram Abdellatif der Mission
angehört, entscheidet sich
Ende nächsten Jahres

Doch mittlerweile hat sich eine Möglichkeit aufgetan, wie es der Ägypter tatsächlich ins All schaffen kann. „Astronauts4Hire“ heißt sie. Akram erinnert sich: „Meine erste Frage an die Organisation war: Ich bin Ägypter. Ist das ein Problem?“ War es nicht. Die Nonprofit-Organisation wurde auch deshalb gegründet, um den Astronauten eine Chance zu geben, die nicht in den USA oder Europa geboren sind. Sie veranstaltet Fortbildungen, macht auf Wettbewerbe aufmerksam und stellt Kontakte her. Denn nicht alle Raumfahrt-Unternehmen sind staatlich finanziert, es gibt auch kommerzielle wie SpaceX oder Virgin Galactic. Da die NASA Aufträge an solche Firmen vergibt, besteht doch indirekt die Möglichkeit, für sie zu arbeiten – und über Umwege in den Weltraum zu fliegen. 

Im All ist Akram selbst noch nie gewesen. Aber zwei säuberlich verpackte Proteine hat er schon mal vorausgeschickt. Gemeinsam mit einer Kollegin hat er das erste ägyptische Experiment für die ISS entwickelt. Die beiden forschten zusammen über das Hepatitis-C-Virus. Ägypten gehört zu den Ländern, in denen es weltweit am meisten Infektionen gibt. Die Folge sind Leberschäden, Krebs, Organversagen. Trotzdem ist der molekulare Aufbau des Virus nicht vollständig entschlüsselt. Die beiden Wissenschaftler schlugen vor, Virusproteine ins All zu schicken und dort kristallisieren zu lassen – das funktioniert in der Schwerelosigkeit besser als auf der Erde. Im Röntgengerät kann man dann den Aufbau studieren und womöglich Angriffspunkte für Medikamente finden. Mit diesem Vorhaben setzten sich die beiden ägyptischen Forscher in einem Wettbewerb gegen Hunderte von anderen Bewerber durch. Zum Start der Rakete lud die NASA Akram nach Florida ein. „Ich habe gefragt: Kann ich mit meinen Proteinen da hochfliegen?“, sagt er und lacht. Natürlich nicht, viel zu teuer.

Seit März sind die Proteine wieder auf der Erde. Aber Akram will es ihnen bald gleich tun. Mittlerweile nimmt er am Forschungsprojekt PoSSUM teil – das wird von der NASA gefördert und erforscht die Ursachen des Klimawandels. In 130 Kilometern Höhe, bei einem Flug in der Mesosphäre. 

Vor kurzem ging es zum Training nach Florida. Ob das Spaß macht? Na ja, meint Akram und druckst herum. Los geht es mit Übungen zum Sauerstoffmangel. Das muss jeder Astronaut durchmachen, damit er die Symptome kennt: taube Hände, ein rasendes Herz, Schwäche. Dann heißt es blitzschnell reagieren und die Sauerstoffmaske überstreifen. Ein paar Kollegen seien in Ohnmacht gefallen. Er nicht. 

Für die nächste Station musste Akram in ein Propeller-Flugzeug, das schnelle Loopings fliegt – damit die Astronauten den Druck auf den Körper bei Start und Landung verkraften. Für eine Simulation der Mission durfte der Ägypter dann endlich in den Astronauten-Anzug steigen. Das orange-beige Monstrum anzulegen, dauert etwa eine Stunde. Wie viele der zwölf PoSSUM-Kandidaten auf die Mission 2017 mitfliegen dürfen, ist noch unklar. Ob Akram dabei ist, entscheidet sich Ende nächsten Jahres. 

Seine ägyptischen Freunde lachen mittlerweile nicht mehr, sondern drücken ihm die Daumen. „Für mich bedeutet es auch Druck. Stress. So viele Menschen erwarten, dass ich es schaffe!“ Doch die Chancen stehen gut. Und Akrams Nationalität könnte sich diesmal sogar als Vorteil erweisen. „Wenn die Leute sehen, dass ich der erste ägyptische Astronaut bin, ist das vielleicht ein Pluspunkt!“